wodny muz

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nisavi

Mitglied
es klopfte dreimal an der tür,
mein kind.

dann stand er vor mir: bärtig.
in seinen haaren gaukelten libellen
und im blau der augen glänzten schuppige leiber.
wasser rann aus hosenbeinen.

dem weib solle ich beistehen, bat er.

seine stimme war fluss in den wiesen,
bach an der mühle – der duft von erlen und iris.

ich: stumm wie der wels.

dreimal schlug er auf das wasser,
dann tat es sich auf und wir stiegen hinab.

das kind entwand sich der mutter wie ein fisch.

als es zum ersten mal schrie, stiegen reiher über den wiesen auf.

die raben sammelten sich auf den weizenfeldern
und apfelbäume ächzten unter der last ihrer früchte.

ich blieb – hielt die hütte rein,
wiegte jeden tag das kind zu den liedern der flüsse und bäche.

als sich reif auf die felder legte, brachte der libellenmann mich zurück in meine welt. kalt war die und dunkel. still.

nur in meinen träumen dufteten die wasserlilien.
nur im schlaf setzten sich schmetterlinge in meine haare.
und die augen, auf deren grund sich fischleiber wanden, eine sehnsucht wurden sie.

dann sah ich dich spielen bei den weiden.
jedes frühjahr - für ein paar tage nur.

du flüstertest mit den wasserläufern und strecktest die hände aus nach den blüten im schilf.

du klopftest dreimal an die tür, mein kind.

das wasser aus deinen kleidern rinnt über die stufen meines hauses.
 

nisavi

Mitglied
es klopfte dreimal an der tür,
mein kind.

dann stand er vor mir: bärtig.
in seinen haaren gaukelten libellen
und im blau der augen glänzten schuppige leiber.
wasser rann aus hosenbeinen.

dem weib solle ich beistehen im kindbett, bat er.

seine stimme war fluss in den auen,
bach an der mühle – der duft von erlen und iris.

ich: stumm wie der wels.

dreimal schlug er auf das wasser,
dann tat es sich auf und wir stiegen hinab.

das kind entwand sich der mutter wie ein fisch.

als es zum ersten mal schrie, stiegen reiher über den wiesen auf.

die raben sammelten sich auf den weizenfeldern
und apfelbäume ächzten unter der last ihrer früchte.

ich blieb – hielt die hütte rein,
wiegte jeden tag das kind zu den liedern der flüsse und bäche.

als sich reif auf die felder legte, brachte der libellenmann mich zurück in meine welt. kalt war die und dunkel. still.

nur in meinen träumen dufteten die wasserlilien.
nur im schlaf setzten sich schmetterlinge in meine haare.
und die augen, auf deren grund sich fischleiber wanden, eine sehnsucht wurden sie.

dann sah ich dich spielen bei den weiden.
jedes frühjahr - für ein paar tage nur.

du flüstertest mit den wasserläufern und strecktest die hände aus nach den blüten im schilf.

du klopftest dreimal an die tür, mein kind.

das wasser aus deinen kleidern rinnt über die stufen meines hauses.
 
H

Heidrun D.

Gast
Ich kann mich gar nicht beruhigen; so herrlich finde ich das!

Es schreit nach Vertonung, vielleicht nach einem Videoclip ...

Bewundernde Grüße
Heidrun
 
P

penelope

Gast
liebe nisavi,

sei mir nicht böse, aber ich muss noch etwas herumschleichen um deinen text, obwohl ich jetzt schon sicher sagen kann, dass es mit sicherheit kein "einfaches" wassermann-märchen ist, kein text, der etwas seichtes oder oberflächliches aussagt, denn dann wäre es ja hier völlig inplaziert... soviel poesie, die ich aus deinen zeilen empfinden kann, und dennoch eine gewisse abwehr, da sich dein text eher für mich wie ein prosagedicht liest, nicht wie reine lyrik... lass mir bitte noch etwas zeit... aber dennoch meine bewertung, die eine zehn betragen würde, wenn dein text in einem forum für prosa stehen würde...


lg penelope
 
H

Heidrun D.

Gast
@ Aber Penelope, von "einfach" war nicht die Rede.

Es ist ausgesprochen vieldeutig; das sehe ich doch genauso! Ich bin aber froh, dass es dir ebenso gefällt wie mir. - Bislang konnte ich den Mangel an Resonanz für dieses meisterliche Werk überhaupt nicht nachvollziehen.

Liebe Grüße
Heidrun
 
M

mirami

Gast
hallo nisavi,

liest sich für mich wie eine gut verschlüsselte begebenheit, die in gestalt eines traumes/märchens daherkommt, voller geheimer botschaften und sinnbilder. so wie das auch oft in träumen ist. morgens bzw. hier nach dem lesen fängt man an das unwirkliche geschehen darin zu deuten. gefällt mir sehr dein text. from, inhalt und sprache harmonieren. den letzten satz find ich etwas ungelenk. vielleicht das wasser deiner kleider rinnt...? oder passt das stilistisch dann nicht mehr?

kompliment und lg
mirami
 
P

penelope

Gast
liebe nisavi,

ich atme ein, ich atme aus... ein, aus... denn dein text, poesie pur, macht, nein, anders: ich spüre eine beklemmung in meiner brust, die ich hier endlich erklären muss...

zunächst, wie ich schon sagte, halte ich deinen text für ein prosagedicht, womit er in diesem forum, der sich ja mit "reiner" lyrik beschäftigt, etwas unglücklich aufgehoben ist. obwohl: ein prosgedicht, ja, auch für mich, bleibt es in seinen wurzeln ein gedicht...

aber genug des theoretischen und hinweisenden...

was lese ich hier? was empfinde ich? was wird mir zugetragen?

schon der titel hat mich angezogen, denn er ist nicht in unserer gewohnten sprache gewählt... nun, ich hätte rasch im internet recherchieren können, was ich aber nicht gemacht habe, weil das sicher nicht zu der absicht des autors gehört hätte, denke ich... also: wodny muz... ich habe es immer wieder gelesen, bis mir folgendes aufgefallen ist (natürlich auch aus der assoziation aus dem hinweisenden inhalt des gedichtes!):

wodny muz... klar oder unklar, für mich eigentlich eindeutig: wassermann...

wenn ich daneben liegen sollte, bitte ich um erkenntnistheoretische erklärung des ganzen...

aber das, eigentlich, nur beiläufig, denn jetzt kommt das, was mein herz so schwer gemacht hat...
ich lese wörter und empfinde, hier erlebe ich etwas physiologisches, nämlich ein vollendetes ausatmen, ein aufsaugen von licht und geräuschen, nichts anderes liegt hier vor. wer will sich schon gern täuschen lassen, den atem anhalten, wenn es nicht notwendig ist, denn es ist nur vernünftig, sich den gegeben worten hinzugeben, keinen ton anzugeben, anzuschlagen, ein hoffnungsvolles warten vorzugeben, sich so zu verhalten, als würde etwas geschehen im gedicht... aber: es geschieht nicht im gedicht, nicht in deinem, das wiegt ja so schwer an meinem herzen, sondern hinter dem gedicht, den metaphern, wörtern und silben...
dahinter: hier geschah plötzlich etwas mit mir, das mich magisch angezogen hat. ich konnte mich nicht einmal wehren, da ich sonst ein "kopfmensch" bin und überall lauthals verlaute, dass ich mit meiner logik reagieren kann, bevor sich mein herz überhaupt einschalten kann. hier, ja, bei deinem gedicht funktionierte es plötzlich nicht mehr, da mein herz viel schneller war, was ich nicht gewohnt bin, mein herz hat dann auf der erinnerungsschiene der in sich aufgenommenen gedichte früherer jahre, dem scherbengericht vergessener, zerbrochener gedichte, mir plötzlich einen spiegel vorgehalten.
bei gott, ich sagte mir, peneleope, bleib ruhig, du brauchst nur kurz durchzuatmen, damit du dich wieder beruhigst. aber man holt den atem nicht ein, der einen überwältigt, wie man die wörter nicht aus einem gedicht holen kann, wenn sie sich wie ein engramm eingravieren ins hirn, in das, was man mit gefühl nicht mehr wegwischen kann... man holt kohlen aus dem keller, aber keine wörter, und die luft ist überall, die wir atmen, sie ist auch immer nutzbar, sie läßt sich einsaugen, bietet nur bei größter kälte widerstand, und lässt sich federleicht auf eine fensterscheibe hauchen, hinterlässt spuren, die irgendwann wieder verschwinden. und das, ja, das passiert mit deinem wort nicht: dein wort bleibt unbenutzbar, ein metaphorisches sprechen, ein sprechakt, der aus dem herzen kommt, das seine verschiebungen und verrenkungen selbst produziert. es traut sich ohne netz auf dem seil zu gehen, obwohl es jederzeit abstürzen könnte. aber es stürzt nicht ab, es frisst sich in die herzen des lesers ein... in meines, ja, auf jeden fall...

was soll ich noch sagen...

lg penelope
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe nisavi,

mir gefällt, dass hier nichts gesprochen wird, dass hier alles spricht aus sich selbst heraus, weil alles lebendig ist und alles einander zu Diensten ist, und so muss auch das Kind dreimal anklopfen bei dem Geschöpf, das ihm zu Diensten war.

Wunderbar, wie Du dem Wasser als Grundelement immer wieder die tragende Rolle gibst und wie es schließlich durch das Kind auch in die Behausung des Lyri einzieht, das Wasser des Lebens.

Eine lange Durststrecke galt es zu überleben bis dahin, aber Träume warfen immer wieder Zukünftiges voraus und auch eine Hellsicht konnte behilflich sein, das Stillen der Sehsucht voraus zu sagen.

Dein Text gleitet auch bei mir in jene Gegenden hinab, wo die Urbilder schlummern und weckt sie auf zu meiner Freude.

Wirklich Verzauberndes ist Dir hier gelungen.

Ich sage Danke und grüße Dich herzlich.

Vera-Lena
 

nisavi

Mitglied
liebe heidrun, liebe ellen, liebe penelope, liebe mirami,liebe vera,

ich danke euch allen ganz herzlich für eure rückmeldungen.

ich war mir nicht sicher, wie das gedicht ankommt. zum einen ist es ja wirklich lyrische prosa, zum anderen weiß ich, dass dieser märchen- und sagencharakter nicht jedermanns geschmack ist und überdies ist es schwierig, die thematik zu bearbeiten, ohne die gängigen atlantis/wassermann/nixen/meerjungfrau-klischees zu bedienen.

ich mag sagenstoffe sehr, weil ich meine, dass sie uns allen unter der haut liegen. mehr oder weniger.

dies ist eine sorbische sage, auf die ich im urlaub gestoßen bin. "wodny muz" bedeutet ganz sicher WASSERMANN. ich kann mir den begriff nur unter zuhilfenahme des russischen erschließen. "woda" ist wasser und "muz", wenn ich mich richtig erinnere (russischunterricht liegt nun auch schon einige jahrzehnte zurück), der (ehe)mann.
ich habe einige sagen über der wodny muz gelesen und ich gewann den eindruck, dass er eine sehr ambivalente gestalt ist. er kann sehr böse sein und die leute in sein reich locken, um sie zu töten. oder aber auch wohlgesonnen, dann belohnt er die menschen für ihre guten taten.
neben dieser ambivalenz (die für mich die unterschiedlichen facetten eines charakters verkörpert) interessiert mich speziell an dieser sage, dass der wassermann sehr menschliche eigenschaften hat. er ist rat- und kopflos, wie ein menschenmann, als bei seiner frau die wehen einsetzen. er sucht hilfe bei denen, die auf der anderen seite wohnen.

der vollständigkeit halber muss ich vielleicht noch erwähnen, dass er die hebamme in der sage auch entlohnt. er befiehlt ihr, jeden tag zu kehren und den schmutz, den soll sie aufheben. sie tut das, und als sie ihn ihre welt zurückkehrt, hat sich kehricht in gold (oder münzen?) verwandelt.

den letztgenannten aspekt fand ich weniger wichtig. ich wollte den schwerpunkt vielmehr darauf legen, dass die menschin an diesem ausflug in eine komplett andere welt gefallen findet. darauf, dass sie grenzen quert und mit einer sehnsucht zurückkehrt, die sie für den rest ihres lebens in sich trägt. darauf, dass die "bademutter" (was für ein wort!!!) ihre furcht überwindet und sich auf etwas einlässt, was gefährlich sein könnte. ihre faszination interessiert mich, ihre neugier. aber auch ihre gelassenheit.
und, ja, das hat verena gut formuliert, auch der gedanke, dass viele dinge ihren sinn haben im leben(skreislauf) und ineinander übergehen, sich irgendwann vollenden, hat eine rolle gespielt.
für mich ist dieser sagenstoff vielschichtig.

penelope,dir danke ich ganz besonders für deine zeilen. dass der text dich so berührt hat, wie du das beschreibst, ist mehr, als ich zu hoffen wagte.

ich habe den sagenstoff auf meine art und weise übersetzt und ich freue mich sehr, dass er euch gefällt.

lg
n.
 

Leise Wege

Mitglied
Woww! Ein Aquarell in Worten.
Sehr sehr schön berührt es, nimmt den Leser mit in jene Welt, für die Du so feine Worte der Beschreibung gefunden hast.
Pinselstrich um Pinselstrich, mitten in die Tiefe gezogen, - ein Bild, dem letztlich der Name Sehnsucht gehört!
Beachtenswert und zauberhaft!
Anerkennend
Moni
 
T

Thys

Gast
Nach x-maligem Lesen nun auch meine Pünktchen.
Der Text steht irgendwie für sich. Erklären muss man auch nichts. Einfach lesen und wirken lassen.

Gruß

Thys
 

Pola Lilith

Mitglied
Oh ja, sehr schön, beim ersten Lesen, in Müdigkeit - zwischendrin, beim kurzen Reinschauen in die Leselupe -.

Aber ich werde es mit Sicherheit noch einmal lesen, in Wachheit, - nein- ich antworte, wenn in Wachheit gelesen.

Gruß, Pola
 

ENachtigall

Mitglied
Auch ich, liebe nisavi, bin wahrhaft begeistert von diesem lyrischen Märchen.

Vor allem der schlusssätzliche Wechsel in die Gegenwart taucht meine Aufmerksamkeit noch einmal intensiv auf und unter - in dieser so hautnah geschilderten Fließwelt.

Grüße von Elke
 

Pola Lilith

Mitglied
So, jetzt habe ich es noch einmal gelesen (wenn auch immer noch müde, aber etwas wacher als beim ersten Mal) - deshalb wage ich es, meinen Eindruck in kurzen Worten abzugeben:

Was für eine poetische Kraft !
Es gehört mit Sicherheit zu den besten Werken
in der Leselupe und somit überhaupt zu wirklich guten Kurzprosa-Stücken!

Viel Erfolg weiterhin !

Liebe Grüße, Pola
 



 
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