wörter sind (hexameter, trimetrisch gegliedert)

4,60 Stern(e) 7 Bewertungen
  • Ersteller Gelöschtes Mitglied 15780
  • Erstellt am
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
[ 4]wörter sind


himmel spielt himmel sich selbst: der
[ 4]gott spielt den himmel der götter

wörter sind rollen sind namen sind
[ 4]dramen im rollen der worte

wörter ihr schmelzt in film reifen
[ 4]zungen küssen der rollen

winde der wellenden wollenden
[ 4]welten wehn namen der götter

namen der grollend die welten durch
[ 4]rollenden spöttergott worte

wetter sind namen von trollen und
[ 4]donnern entrollen die namen

sinn der das sein der erfahrung be
[ 4]greift reißt sie nieder zu dramen

kriege mit schwingenden klingen umb
[ 4]ringen die wetternden worte

sicheln mit singenden klingen kling
[ 4]schoren ins sichere amen
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Gute Frage, HerbertH!

Klinschor, Clingschor, Klingsor, bei Novalis (Heinrich von Ofterdingen) Klingsohr -
ist im mittelalterlichen "Sängerkrieg auf Wartburg" der Meister aus Ungarn, der dem Heinrich von Ofterdingen mit seinen magischen Kräften und Kenntnissen aus der Bredouille hilft. Sein Gegner im Sängerwettstreit ist Wolfram von Eschenbach.
Richard Wagner hat das im "Tannhäuser" verarbeitet, und später ist "Klingsor" der böse Zauberer im Parsifal, 2.Akt.
Novalis hat ihn als Heinrichs Schwiegervater im Roman (Fragment) "Heinrich von Ofterdingen". Dort ist Klingsohr eine Art Avatar von Goethe.

Wolfram besiegt im mittelalterlichen "Sängerkrieg" Clingschor mit christlichen Weisheiten -> "ins sichere Amen".

Ich hoffe, das hilft ein wenig, mehr in meiner 12koerbe.de-Sammlung: http://12koerbe.de/lapsitexillis/wartb-0.htm
Dort finden sich die wichtigsten Teile des "Sängerkriegs" mittelhochdeutsch und neuhochdeutsch.

grusz, hansz
 

HerbertH

Mitglied
Lieber Hansz,

jetzt hat es Klick gemacht, und aus dem letzten Hexameter-Rätsel schliesst sich der Kreis zu den vorherigen, schafft Bild aus Klang und Rhythmen.

Kongenialisch :)
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber Hansz,

das ist eines dieser Gedichte, die man unbedingt laut lesen muss - ein Klanggenuss der Worte.

Liebe Grüße
Manfred
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
HerbertH, das freut mich.

Franke, ja, es geht ja an einigen Stellen derartig an die Sinngrenze, daß es dort als bloßes Lautgedicht fließt, und manchmal wie ein aufgespaltener Strom zwei Bedeutungswege nebeneinander hält.
Es ist (aber das ist jedem Leser auf seine Weise freigestellt) für mich Pathos mit Spiel durchwachsen, oder Spiel mit Pathos durchwachsen.
Manches merkt sogar der "erste Leser" erst später: zum Beispiel der Abwärts-Bogen vom Himmel bis hinab zum irdischen (Sänger-) Krieg.

Danke!
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Donnerwetter!

Ein herzliches Dankeschön allen leidlosen Werthern!
 

rag

Mitglied
Boah! Also! Ich lese selten etwas doppelt oder dreimal - diese Zeilen habe ich sechsmal gelesen, sicherlich nicht richtig verstanden und - für sehr gut befunden. Es flutscht!

Danke für eine unterhaltsame Viertelstunde.
 
S

shoshin

Gast
wörter sind


himmel spielt himmel sich selbst: der
gott spielt den himmel der götter

wörter sind rollen sind namen sind
dramen im rollen der worte

wörter ihr schmelzt in film reifen
zungen küssen der rollen

winde der wellenden wollenden
welten wehn namen der götter

namen der grollend die welten durch
rollenden spöttergott worte

wetter sind namen von trollen und
donnern entrollen die namen

sinn der das sein der erfahrung be
greift reißt sie nieder zu dramen

kriege mit schwingenden klingen umb
ringen die wetternden worte

sicheln mit singenden klingen kling
schoren ins sichere amen
Hallo Mondnein,

Das kann man nicht mehr als Hexameter bezeichnen, das führt in eine ganz andere Richtung. Ich sehe es als reines Klanggedicht, das offensichtlich ganz bewusst dahinleiert (wegen der vielen Amphybrachys?); aber originell verspielt ist auf jeden Fall. Ja, was man mit Worten nicht alles machen kann, zB hier möchte ich die Mehrdeutigkeit gerne positiv auslegen:

kriege mit schwingenden klingen umb
ringen die wetternden worte


LG
shoshin
 
S

shoshin

Gast
Nein, es liegt nicht die Amphis, es liegt an der Häufung der Binnenreime und Alliterationen, denk ich.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
"leiern" von "Lyrik", "Lyrik" von "lyra", Apollons Instrument.

"klavieren" geht auch, auf straff gespannten Saiten;
und "gitarren", das Geschnarre und Geplarre auf gezupften.

Vor allem nimm die unanständige Wertung raus aus Deinem "Leier"-Begriff, es klingt ja, als müßte man Dir ein Riechfläschchen reichen, oder auch den Eimer, wie einer fischbeinkorsettgeschnürten Dame auf einem schwankenden Boot.

Fenster auf! Das könnte helfen gegen die Übelkeit.
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Erst mal natürlich ein herzliches Dankeschön für die Beschäftigung mit diesen sibyllinischen Arien, liebes shoshin!

"Hexameter" ist nicht der Titel, es ist die Kategorie der "Festen Form", deretwegen es hier untergebracht ist.
Wenn ein Rechteck vier gleichlange Seiten hat, ist es ein Quadrat. Wenn ein Vers aus sechs Daktylen besteht, deren Doppelkürzen durch Längen ersetzt werden, können - so bei den Alten, bei unseren iktischen Akzenten sind es Doppelunbetonte, die durch eine Unbetonte ersetzt werden können - und der sechste Versfuß nur einen Trochäus oder Spondeus (natürlich iktisch) hat, dann ist das definitionsgemäß ein Hexameter, ein "Sechsmaß".
Inhaltlich ist da nichts vorgegeben, sondern der Leser findet Hexameter zum einen in Epen, zum andern in Lehrgedichten, zum dritten mit Pentametern gekoppelt in Distichen, von denen einige wiederum elegisch sind, andere nur mehr oder weniger kluge Sentenzen, und zum vierten so unterhalb der Kommode auf dem Boden, weils aus irgendeiner falschen Schublade rausgequollen ist.
Zu diesen letzteren kannst Du diese Hexameter zählen.

Ich hoffe, sie laufen so flüssig wie ihre selbstbezüglichen Inhalte. Wäre doch blöd, wenn von "rollenden donner worten" die Rede wäre, und es würde rumstolpern und stocken.
Ist mir Roboter mit Senf, ob Du diesen "flow" als "leiern" bezeichnest. Nein stimmt nicht, es ist mir nicht egal, sondern eine paradoxe Bestätigung, daß es abrollt, fließt, metrisch wogt. Paradox, weil Du davon offensichtlich seekrank wirst.

Diese verdammte Influenza, die dieser Tage reihenweise die Leute umwirft, - fehlt nur noch, daß sie anfangen, zu schunkeln ...

ach so, natürlich schunkeln viele, dieser Tage, habe ich ja schon ganz vergessen hier in Fastpolen.

"Wenn das Wasser im Rhein lauter Wein wär,
ach wie mööch ich so jern ein Fischlein sein"

grusz, hansz

P.S.: Gut an-gemerkt: "umb ringen" meint natürlich auch "umbringen", war bewußt so am Bi-Valentin durch die Blume gesagt.
 



 
Oben Unten