xy unerlöst

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MIO

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Ihre Augen schauen auf den Text, aber ihre Gedanken wollen heute kein konstruktives Feedback geben. Das Telefon klingelt und obwohl sie keine Zeit für Unterbrechungen hat hebt sie genervt den Hörer ab.
„Ja, Michael, ich weiß. Ich weiß, dass die Berechnungen bis morgen fertig werden müssen. Aber das ist so ätzend.
Hör dir das doch mal an.
„Für die Rohrdurchführung der Schmutzwasserleitung der Kellerentwässerung zum Pumpensumpf der Schmutzwasseranlage liefert die Firma XY …“
Plötzlich ist das Gespräch unterbrochen. Sie schaut auf den Bildschirm, die Schrift löst sich ganz langsam auf. Schwarz.
Es ist totenstill. Nur der klare Vollmond wirft einen dunklen Schatten in das kleine Arbeitszimmer. Vor dem Haus braut sich ein heftiges Gewitter zusammen. Sie zuckt zusammen, als eine heftiger Wind das halbgeöffnete Fenster aufstößt. Die kühle Brise streicht ihr über den Rücken. Angenehm. Nach diesem schwülen Sommertag. Sie hebt den Kopf und lauscht. Sind das Schritte? Leise und schleppend schieben sich die Füße die Treppe hinauf.
„Hallo“, ruft sie laut in die Richtung der Schritte.
Keine Antwort. Sicher hat sie sich verhört.
„Vic, Vic“
Sie erstarrt. Diese Stimme kommt ihr bekannt vor.
„Jörn?“ stammelt sie entsetzt.
Sie schaut auf die dunkle Gestalt die nun im Türrahmen erscheint.
„Hallo Vic, mich hast du heute sicher nicht mehr erwartet.“ „Wie bist du hier hereingekommen?“
„So was lernt man im Knast. Wo du mich hingebracht hast.“
„Was willst du von mir?“
Er tritt näher, sodass sie den Abgrund in seinen tiefblauen Augen sehen kann. Er starrt sie an und die Worte kommen ihr rau und heiser, zusammen mit Alkoholdunst entgegen.
„Die Wahrheit, Vic. Die Wahrheit, die nur wir Beide kennen.“
Mit der rechten Hand zieht er ein Klappmesser aus der Hosentasche und lässt die Klinge herausspringen. Mit der Linken hält er sie am Arm fest.
„Jörn, bitte hör auf, lass uns reden“, fleht sie ihn an.
„Reden?“ er lacht bitter auf.
„Zwei Jahre Vic. Zwei Jahre wollte ich mit dir reden.
Ich hab dir Briefe geschrieben. Jetzt ist es zu spät.
Zwei Jahre habe ich jeden verdammten Tag an diesen Augenblick gedacht. Zwei Jahre habe ich darauf gewartet.“
Sie reißt sich los und rennt die Treppe hinunter in die Küche. Panisch schließt sie die Tür hinter sich und versucht den Schlüssel zu drehen. Aber er öffnet sie mit einem kräftigen Fußtritt. Die Kante trifft sie direkt unter dem Auge. Sie schreit auf, läuft zum Tisch und versucht das Handy vom Tisch zu greifen. Er schlägt es ihr aus der Hand und es rutscht unter den Schrank.
„Gut gemacht, Vic. Hier sind wir genau richtig. Immer noch klinisch rein und steril, deine Küche.“
„Jörn, hör auf! Bitte, hör auf!“, wimmert sie während er sie auf den Stuhl stößt und ihr das Messer an den Hals hält.
„Wie stand es im Polizeibericht.“
„Wir saßen in der Küche. Er wie jeden Abend betrunken. Plötzlich stand er auf und drückte mir ein Messer an die Kehle. Dann riss er mir den Slip herunter. Er stieß mich mit dem Fuß auf den Boden und drang brutal in mich ein. Du solltest Horrorgeschichten schreiben, Vic. Du bist wirklich begabt.
„Warum Vic? Warum?“ keuchte er.
„Du hast mich mit dieser kleinen Schlampe betrogen.“
„Mona? Ich habe Mona geliebt. Mit ihr konnte ich wieder lachen. Aber selbst sie hat deine Geschichte geglaubt.
Sie wollte aufstehen, aber er schob sie unsanft auf den Boden und legte sich mit seinem ganzen Gewicht auf sie.
„Du hast mir alles genommen. Alles“, wiederholt er immer wieder, wie ein Mantra und dringt gewaltsam in sie ein.
Mit jedem Wort und jedem Stoß füllt er ihren Körper mit seinem Hass seinem Ekel und seiner angestauten Wut.
Das Blut der Platzwunde mischt sich auf ihrem Gesicht mit den salzigen Tränen. Und der Schmerz ihrer Schuld mischt sich mit dem Schmerz in ihrem Körper. Als er die Tür hinter sich geschlossen hat, stammelt sie.
„Es tut mir leid.“
Sie kriecht auf dem Küchenboden zum Schrank und zieht das Handy hervor. Mit zitternden Fingern wählt sie die Nummer der Polizei …

Ja, das wird ein spannender Krimi. Das ist doch wirklich aufregender als der langweilige Pumpensumpf.
Sind das Schritte, auf der Treppe? Oh nein! Angespannt beobachtet sie die Tür.
„Michael“, ruft sie erleichtert.
„Ich dachte ohne mich ist es dir sicher langweilig. Ich habe morgen keinen Termin mehr. Da bin ich schon eher zurück gefahren. Ich wollte dich nochmal anrufen.“
„Ja“, sagt sie,“das Telefon ist tot und mein Handy liegt auf dem Küchentisch.
 



 
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