zeit genossen

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vorgewittersonne sticht
ins auge fällt
mein grauer schatten
im straßencafe
sitzt neben mir
eine Frau lässt ihren
fingerring aus zahngold
von freundinnen
bewundern und riecht
nach pfefferminzkaugummi

spatzen stibitzen krumen
vom tisch und
ein mann mit
roten hosenträgern
klaubt leere flaschen
aus dem papierkorb
an der aufgehobenen
bushaltestelle
warten leute aufs
warten

ich muss gehen
und beneide
sie alle um
ihre zeit
 
Lieber Thys,
von einer Goldschmiedin habe ich mir sagen lassen, dass sie gar nicht so selten Ringe aus Zahngold herstellt.
Gruß
Karl
 
M

mirami

Gast
hallo karl,

das zahngold, nu ja ... ich weiß nicht ob es anderen auch so geht, für mich hat es einen tragischen beigeschmack, ich muss bei diesem wort immer gleich an das schwärzeste kapitel deutscher geschichte denken. ich weiß nicht ob diese assoziation gewollt ist, wahrscheinlich eher nicht.


den einstieg ins gedicht finde ich sehr gelungen. ich hatte mich schon sehr auf mehr doppelt belegte textzeilen gefreut. dann wäre es weitergegangen mit: ins auge fällt mein grauer schatten ins straßencafe kommt eine frau usw. usf. aber auch so gefallen mir deine zeilen.
vor allem der schluss, den kann ich wirklich sehr gut nachvollziehen. insgesamt, sehr gut gemacht. der weg wie du auf den punkt kommst lässt sich nicht so einfach vorausahnen.
das erfreut den leser immer. :)

viele grüße
mirami
 
Liebe mirami,
danke für deine vorwiegend positive Kritik.
Die Assoziation zum Zahngold der KZ-Opfer hatte ich auch, aber sie ist in diesem Gedicht nicht gewollt.
Die Szene im Straßencafè habe ich tatsächlich miterlebt. (Das ist jedoch bekanntlich keine "literarische" Ausrede oder Begründung.) Ich werde sehen, wie ich die Assoziationsmöglichkeit vermeiden kann.
Herzlichen Gruß
Karl
 
vorgewittersonne sticht
ins auge fällt
mein grauer schatten
im straßencafe
sitzt neben mir
eine Frau lässt ihren
fingerring aus
eigenem zahngold
von freundinnen
bewundern und riecht
nach pfefferminzkaugummi

spatzen stibitzen krumen
vom tisch und
ein mann mit
roten hosenträgern
klaubt leere flaschen
aus dem papierkorb
an der aufgehobenen
bushaltestelle
warten leute aufs
warten

ich muss gehen
und beneide
sie alle um
ihre zeit
 
B

Beba

Gast
Hallo Karl,

dieser Text gefällt mir mal wieder besonders gut. Schöne Beobachtungen. ;)
Neben den letzten 4 Zeilen finde ich besonders das hier sehr nett:

an der aufgehobenen
bushaltestelle
warten leute aufs
warten
Ciao,
Bernd
 

Joh

Mitglied
Lieber Karl

wieder ein tolles Szenebild, auch ich schmunzelte über die Bushaltestellenpassage und unwillkürlich fiel mir ein, wie oft man es an nachtleeren Straßen erlebt, daß Leute warten, bis die Ampel grün wird.

Dir noch einen schönen Sonntag, Johanna
 
Lieber Bernd, liebe Johanna,
über eure lobenden Worte habe ich mich sehr gefreut.
Ich beneide die Leute manchmal, die sich so viel zeit lassen können. Allerdings nicht die, die nur warten, weil sie mit ihrer Zeit nichts besseres anzufangen wissen.
Dank und Gruß
Karl
 



 
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