zeit zu gehen

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lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Jongleur,

" noch
hält sich der tag mit dem kleinen finger
am himmel, aber die nacht
legt ihm jetzt endgültig
den mantel über"

Der Finger ist ein subtiles Bild, gerade weil es zum Hand in Hand passt.
Das der Besucher nun fortgeht, von der Nacht in den Mantel gedrängt, könnte ich mir denken. So aber liest es sich, als ob der kleine Finger einen Mantel trägt, oder der Tag, und das zerstört mir das Bild.
Aber diese Wahl hat natürlich ihren Reiz.

cu
lap
 

Jongleur

Mitglied
1. Änderung

Hi Lapis,
das hab ich von meinem Experiment, zwei Teile zu verknüpfen, die zuvor zwei eigenständige Texte gewesen sind.
Ich wollte eben diese Parallele bzw. den Übergang so.
Wenn es aber so verwirrend bei Dir ankommt?
*grins*
   Es sollte schon die Nacht dem Tag den Mantel überlegen - das Gehen des Besuchers (ich wünschte noch mehr Assoziationen) und seines Mantels - daraus mögliche Assoziation.

So aber liest es sich, als ob der kleine Finger einen Mantel trägt ...

*supergrins*

   Nach meinem Empfinden liest es sich richtig - aber ich bin vielleicht "zu dicht dran" an diesem frischen Text, da ist man sogar imstande, regelrechte Stilblüten zu überlesen.

Mal sehn, ob noch jemand etwas beiträgt - ehe ich weiter dran arbeite.

Auf jeden Fall versuche ich, wie es sich liest, wenn ich einen optischen Abstand dazwischen lege:


zeit zu gehen

ein schmaler ausschnitt, die welt
reduziert auf pastellene wand und
besucherstuhl. hand liegt in hand.

ein letzter heller schimmer, noch
hält sich der tag mit dem kleinen finger
am himmel, aber die nacht
legt ihm jetzt endgültig
den mantel über. zeit
zu gehen.


Grüße vom Jongleur
 

Jongleur

Mitglied
unentbehrlich

Lap,
wenn ich "den Tag" weglasse, bliebe

ein letzter heller schimmer, noch
hält sich der kleine finger
am himmel,

Das stellte aber das Gedicht auf den Kopf. Zwar hält sich der Tag wegen des Lichts am hellen Himmel fest, der im Bett aber hält sich am Tag fest. Himmel wäre ja die (an dieser Stelle zu frühe) Metapher für Gehen und Tod.

Nee, nee, so geht es nicht. Aber danke für Mitdenken.

Oder hattest Du es anders gemeint?

Gruß vom Jongleur, draußen ist es schon sehr grau, aber noch entfernt vom "letzten Schimmer"
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Nein so, Jongleur,

ein letzter heller schimmer (,) noch
hält sich [strike]der tag[/strike] mit dem kleinen finger
am himmel,

denn der helle Schimmer ist doch der Tag und die Hoffnung und so Vieles, oder?

cu
lap
 

Jongleur

Mitglied
ach so, lap

:)
Ach so ...

Ah, so hast Du das gemeint.
Ja, das ginge und klingt auch.
Aber trotzdem: ein "Schimmer", der sich mit kleinem Finger festhält am Himmel -- ist mir vom Gefühl her fremder als ein Tag, der eher schon mal personifiziert wird und zu dem mir eine Hand oder eine Geste mit dem "kleinen Finger" lesbarer scheint.

Schlafen wir mal drüber!
:)
Jongleur
 

Jongleur

Mitglied
betonter "Tag"

... noch eine Möglichkeit, um dem Wort "Tag" mehr Nachdruck zu verleihen, so dass die Nähe und Schlüssigkeit zum Mantel, den die Nacht ihm überlegt, sichtbarer werden könnte:
ein weiterer Umbruch. Das Wort "Tag" steht somit augenfängerisch und betont am Zeilenende.

J.


zeit zu gehen

ein schmaler ausschnitt, die welt
reduziert auf pastellene wand und
besucherstuhl. hand liegt in hand.

ein letzter heller schimmer, noch
hält sich der tag
mit dem kleinen finger
am himmel, aber die nacht
legt ihm jetzt endgültig
den mantel über. zeit
zu gehen.

P.S.
Grammatisch, wenn man's eng nimmt, bezieht sich ein Personalpronomen auf das zuletzt benannte Substantiv, in diesem Fall auf "Himmel" ...
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Jongleur,

inhaltlich liest es sich für mich so:

Da liegt der Sterbende im Bett. Nach "Hand liegt in Hand" ist für mein Gefähl der Besucher gegangen. Deshalb würde ich dann eine Leerzeile setzen.
Danach beginnt das Sterben. Der Sterbende ist allein. Er erkennt, dass das Ende ganz nah ist. Nur noch mit dem kleinen Finger kann sich der Tag festhalten, und der Sterbende erklärt sich einverstanden: Jetzt ist es Zeit zu Gehen.

ich glaube nicht, dass der Besucher wirklich gehen würde, wenn er gemerkt hätte, dass dieses der letzte Tag ist. Er hätte den Sterbenden nicht allein gelassen. Deshalb kann sich das "Zeit zu Gehen" nicht auf den Besucher beziehen.

Wohlgemerkt, alles nur meine Lesart.

Liebe Grüße von Vera-Lena
 

Jongleur

Mitglied
Tag- und Nachtbilder

Liebe Vera-Lena,

ja, ich fühle mich - also das Gedicht, der Text fühlt sich verstanden. :)

Es war mein Anliegen, dass man das Tag- und Nachtbild auf hell und dunkel, Leben und Tod bezieht.

Wobei auch die Lesart Tag / Nacht : Wachen - Schlaf möglich wäre, in diesem Fall würde der Tag gehen - und mit ihm würde sich der Besucher verabschieden, würde die Wendung "zeit zu gehen" auf seinen Abschied beziehen.

Was die Frage des Begleitens am Sterbebett angeht:
Ich möchte, nach meiner Denkweise von heute, auch einen lieben Menschen neben mir haben - und wünsche das jedem.
- Aber ich habe auch öfter schon davon gehört - und es auch einmal selbst erlebt, dass Sterbende erst "gehen", wenn sie allein sind, sich regelrecht den Moment des Alleinseins von nahen Angehörigen suchen, um "loszulassen".

Ich kenne auch das Gefühl, dass dies Hinübergehen ein sehr privater, ein sehr intimer Moment ist, wo man sich auch als außenstehend empfinden kann und das Gefühl bekommen kann, jetzt wäre es an der Zeit, nicht mehr dabei zu sein, hinzusehen, Kontakt zu halten (Hand oder Arm, Haut zu Haut, warm zu warm), mitzufühlen - weil der Sterbende ganz "bei sich" ist und man nicht urteilen kann, ob man vielleicht stört in seiner Arbeit, in seiner Ruhe oder in seinem Kampf.

Es gibt wohl keine Einheitslösung.

Gruß vom Jongleur
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Jongleur,

da "Zeit zu Gehen" auch der Titel ist, hat es doch ein ziemliches Gewicht. Deshalb würde ich nicht denken, dass es sich "nur" auf den Besucher bezieht.

Was das Sterben anbetrifft, so hängt es wohl von der Vorbereitung ab. Wenn man sich immer schon mit dem Gedanken vertraut gemacht hat und auch innerlich mit dem Zeitpunkt einverstanden ist, wird man wohl die Kraft haben, auch in dieses große Erlebnis andere mit einzubeziehen und sie daran teilhaben zu lassen. Es ist immerhin ein Abschied für einige Zeit. Wer will sich schon davonschleichen? Aber ich glaube auch, dass es bei manch einem genauso ist, wie Du es sagst.
Das Sterben ist genauso individuell wie das Leben.

Liebe Grüße von Vera-Lena
 
S

Stoffel

Gast
Hallo,

gefällt mir sehr gut. Wobei ich zugeben muss, ich las etwas anderes, als den Tod heraus. Vielleicht wegen der "pastellenen" Wand.

Und bei dem Bild des Mantels, dachte ich an einen Mantel, der noch nicht ganz zugeknöpft ist. Drum der "helle Schimmer".

lG
Stoffel

zeit zu gehen

ein schmaler ausschnitt, die welt
reduziert auf pastellene wand und
besucherstuhl. hand liegt in hand.

ein letzter heller schimmer, noch
hält sich der tag mit dem kleinen finger
am himmel, bis die nacht
ihm ihren Mantel überwirft
(und es Zeit ist zu gehen).

Nur eine Idee....

Nacht breitet ihren Mantel aus,
Tag hält sich fest am Himmel,
mit kleinem Finger, letzter Schimmer
bis die Nacht ihn entgültig schließt.
 

Jongleur

Mitglied
Mäntel

Hi Stoffel,
natürlich, die Ebenen bieten sich an - und Leser bewegt sich lesend und assoziierend darin.
Manchmal findet Leser mehr - und sagt ihm das Gedicht weitere oder ganz andere Deutungen, als vom Autor bewusst angelegt. ;)
Auch der Autor hat ein Unterbewusstes. ;)

Aber im Ernst und zur Sache: Diese Krankenhauswände sind wenigstens nicht mehr weiß, aber oft von einem hellsten Gelb, Grün. Pastell. Und die helle Farbe könnte einen sehr fröhlichen Lesedeuter vielleicht dazu bringen, nicht die Nacht-dunkel-Ende-Tod-Gedankenverbindung zu favorisieren. Ein Besucher, hat Hand und Zuspruch gegeben. Verabschiedet sich mit dem Abend. Schlüpft in seinen Mantel. Kommt vielleicht morgen wieder.

Danke fürs Lesen und Kommentar mit Anregung!

Jongleur
 
S

Stoffel

Gast
Hallo,

mir gefällt der Text. Bis auf das "aber", aber das ist wohl auch Interpretationssache.
Was "Mantel" angeht...sonst wird er meist benutzt, um Wärme/Kälte auszudrücken. Hier ist es ja Licht und Dunkel.

Nee..prima.

lG
Stoffel
 
K

Klopfstock

Gast
Hallo, Jongleur,
auch mir gefällt Dein Text - habe ihn schon so oft gelesen
und eigetnlich ähnlich wie Vera-Lena und finde wie sie,
daß nach den drei ersten Zeilen eine Leerzeile richtig ist.
Was mich im Lesefluß dieses Gedichtes "stört" ist das Wort
"jetzt"......ich kann machen was ich will, ich bleibe immer
an dieser Stelle hängen. Ist das so gewollt, soll man an dieser Stelle hängen bleiben, quasi so "jetzt geschieht es"??? Wenn nicht, dann stört es den Lesefluß - meiner Meinung nach;)

LG Klopfstock
 

Jongleur

Mitglied
zeitliche Abfolge

Hallo Klopfstock,
danke für Lesen, Gefallen und für Deine Anmerkung.
Mmh, das "jetzt" markiert in erster Linie eine zeitliche Abfolge. Nach Tag, Dämmerung, letztem Lichtschimmer (resp. Jugend, Lebensmitte, Alter, Tod) - kommt jetzt die Nacht. - Es ist der Moment, die Augenblicksbestimmung, wann das Gedicht sein "zeit zu gehen" ausspricht - auf welche Ebene auch immer bezogen.
Man könnte überlegen, diesen Moment weiter weg zu legen, die Datierung in ein "bald" zu verschieben ...
Grüße vom Jongleur
 

Montgelas

Mitglied
Ursprünglich veröffentlicht von Jongleur
  
 
 
[blue]zeit zu gehen

ein schmaler ausschnitt, die welt
reduziert auf pastellene wand und
besucherstuhl. hand liegt in hand.

ein letzter heller schimmer, noch
hält sich der tag mit [strike]dem [/strike]kleine[red]m[/red] finger
am himmel, aber die nacht
legt ihm jetzt endgültig
den mantel über. zeit
zu gehen. [/blue]
 
 


lieber jongleur,
wenn ich du wäre,ich würde
das [blue]dem[/blue] möglicherweise streichen
und den text auch so absetzen, wie du es schon gezeigt hast.

meint
zweifelnd
montgelas
 
K

Klopfstock

Gast
Hallo, Jongleur,
langsam müßtest Du schon die Motten kriegen;) -
Stoffel ist das "aber" zuviel, mir das "jetzt"
und Montgelas möchte, daß Du das "dem" streichst;)
Wenn dieses Gedicht nicht so ernst wäre, könnte man
jetzt lachen - Erinnert mich ein wenig an Satire:
"Wir streichen alles, so peu a peu"...;)

Eigentlich gibt es da nur eines: Auf sich selber hören!

LG Klopfstock
 

Jongleur

Mitglied
;)

Nein nein, Klopfstock, Stoffel, ich finde das nicht herumzerrend oder ärgerlich einmischend oder verzettelnd, sondern sehr interessant und spannend. Das sind willkommene Auseinandersetzungen und Anregungen.
Es bleibt doch dem Autor die Entscheidung: zu bedenken, zu ändern oder zu belassen!

Vielen Dank für Euer Mitdenken!

Montgelas, es wird dabei zwar weniger umgangssprachfreundlich, sondern schriftsprachlicher, lyrischer (hoffentlich nicht künstlich?) - kommt aber dem Sprachfluss sehr entgegen!
Ich glaube, das übernehme ich. Gern!
Danke!

Grüße vom Jongleur

P.S. Ich will auch "blau" können und rot" und durchstreichen ... Wie??
 
S

Stoffel

Gast
huhu...

*lach*
Wir werden es uns eh nie recht machen können:)

Mir missfällt eben das "aber" weil es hier kein "aber" bedarf.

Denn ...sie wird kommen..
und darum bin ich für"bis die Nacht kommt.."
Das entspricht einer Zeitspanne..eben BIS..sie kommt..

Ach, ihr versteht mi net:(

lG
schönen Abend
Stoffel
 



 
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