flying theo
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Weihnachten 1949
Es war wirklich noch ein Winter, damals, 1949. In den Tagen vor Weihnachten hatte es Schnee. Echten Schnee! Keinen nassen, weißen Baaz wie heute, der schon nach 10 Minuten auf den Straßen und Wegen zu grauem Schlamm mutiert. Nein, Schnee, mit dem dazugehörigen Frost. Damit wir Kinder auch wirklich Spaß daran haben konnten.
Und so schickte Mutter meine Schwester und mich am Nachmittag des hl. Abends zur "schönen Aussicht", zum Schlittenfahren. Damit wir aus dem Weg waren. Für mich
war es ein Heidenspaß. Für meine neunjährige Schwester weniger. Die hatte den Auftrag, auf ihren Bruder aufzupassen.
Eine größere Strafe kann es für eine ältere Schwester wohl kaum geben. Sie schaffte es trotzdem, mit ihren gleichaltrigen Schulkameradinnen Spaß zu haben. Wie ? Ganz einfach: Sie hat mich völlig vergessen. Was mich aber nicht gestört hat. Eine nörgelnde, kommandierende ältere Schwester ist auch nicht die reine Freude.
Um diese Jahreszeit fängt es schon kurz nach Drei an zu dämmern – was wir garnicht bemerkt haben. Bis es mir glühend heiß in den Sinn fuhr: ‚heut kommt ja
s’ Christkindl!’ Und so machte ich mich auf die Suche nach meiner Schwester.
Das war in dem Getümmel dort an den Hängen der Schönen Aussicht für einen Fünfjährigen keinesfalls einfach. Durch hüfthohen Schnee stapfend war ich bald ein rotzglocken heulendes, verzweifeltes Häufchen Elend. Nichts, worüber meine Schwester, an die ich von anderen „Wintersportlern“ weitergereicht wurde, sich hätte freuen können.
Inzwischen hatte ich nämlich auch bemerkt, dass ich vom Balgen und Kugeln im Schnee durch und durch nass geworden war. Wir wussten nichts von „Gore-Tex“ und die wärmende Wolle der drei selbst gestrickten Pullover, die ich übereinander trug, nutzte auch nichts mehr, wenn sie vom tauenden Schnee durchnässt war. So packte mich meine Schwester auf den Schlitten und zog mich heimwärts. Als ihr mein Greinen schließlich zu viel wurde, überkam sie eine geniale Idee: Sie hat mir erklärt, dass justament jetzt das Christkind unterwegs wäre um die Kinder zu beschenken. Und wenn wir genau aufpassten könnten wir es vielleicht, samt seinem goldenen Schlitten erspähen.
Im selben Augenblick waren Kälte und Hunger vergessen. Kein Haus, keine Straße und kein Winkel, den ich nicht aufs Schärfste beobachtet und kontrolliert hätte.
Und ich schwöre noch heute, dass ich am Spätnachmittag dieses heiligen Abends mindestens dreimal das Christkind, samt goldenem Schlitten, grade eben um eine Ecke habe wischen gesehen.
Es war abgemacht, dass wir nicht direkt nach Hause, sondern zunächst zur Oma, die im Nachbarhaus wohnte, kommen sollten. Dort in der Küche war es bullernd warm.
Im Herd knackte und prasselte ein tüchtiges Feuer. Ich wurde auf eine alte Decke gestellt und aus meinen nassen Sachen geschält. Danach kräftig abgerieben bis meine Haut glühte.
Schließlich in trockene warme Sachen gesteckt kam auch meine Ungeduld wieder. „Nein“, so wurde mir erklärt, „ihr könnt noch nicht nach Hause, weil dort gerade jetzt das Christkind ist.“ Und wenn wir das Christkind samt seinen
Engeln überraschen würden, dann käme es nie mehr zu uns! So saßen wir bei einem heißen Tee zusammen, bis uns die Großmutter nach Hause schickte. Hierher, so wurde uns bedeutet, kam das Christkind erst später. Bei der Oma sollten wir dann am Weihnachtsmorgen wieder vorbei kommen.
Der Opa hockte während des ganzen Geschehens in seiner Ecke, brummelte ab und an irgend etwas Unverständliches und hüllte sich ansonsten in die beißenden Wolken der Stumpen, die er – in kurze Stücke geschnitten – in seiner alten Pfeife abbrannte.
Der knirschende Schnee unter unseren Füßen war uns wie glühende Kohlen. So hetzten wir nach Hause. Vielleicht erhaschten wir wenigstens noch einen Blick auf den Mantelzipfel eines Engels ? Oder den Widerschein des leuchtenden Schlittens erwischen ?
Es konnten nur Augenblicke sein, die wir zu spät gekommen waren. Die himmlische Gesellschaft musste in höchster Eile gewesen sein. Denn auf der Treppe zu unserer Wohnung entdeckte ich etliche Engelhaare, die ich meiner Mutter triumphierend entgegen hielt.
Für mich blieb die Bescherung eine Geschichte, die das arme Christkind in höchster Eile absolvierte. Was mir meine Mutter auch beeindruckend zu erklären vermochte. Es waren ja wirklich viele Kinder, die das Christkind an diesem Abend besuchen musste und so fanden sich auch jedes Jahr Engelhaare auf der Treppe.
Heute ist kaum noch vorstellbar, was es für meine Mutter hieß, ein Geschenk für uns zu beschaffen. Wenn ich mich recht erinnere, bezog sie damals die Rente einer
Kriegerwitwe in Höhe von 60 Mark im Monat. In diesem Jahr war „das Christkindl“, wie wir unser Geschenk auch nannten, nicht so der Hit.
Das heißt, für mich schon! Nicht aber für die restliche Umwelt. Meine Mutter hatte für mich eine Trommel ergattert. Eine Trommel aus Blech! Ich war begeistert. Aber da war ich auch der Einzige. Und auch nicht lange. Nachdem meine Mutter diese Begeisterung eine halbe Stunde ertragen hatte, und ich mit meine Rhytmen auch nicht aufhören wollte, ist sie kurzerhand auf diese Blechtrommel getreten.
Ich war zwar vorübergehend ein heulendes Elend. Aber so ist mir wenigstens das Schicksal des Grass’schen Blechtrommlers erspart geblieben
Es war wirklich noch ein Winter, damals, 1949. In den Tagen vor Weihnachten hatte es Schnee. Echten Schnee! Keinen nassen, weißen Baaz wie heute, der schon nach 10 Minuten auf den Straßen und Wegen zu grauem Schlamm mutiert. Nein, Schnee, mit dem dazugehörigen Frost. Damit wir Kinder auch wirklich Spaß daran haben konnten.
Und so schickte Mutter meine Schwester und mich am Nachmittag des hl. Abends zur "schönen Aussicht", zum Schlittenfahren. Damit wir aus dem Weg waren. Für mich
war es ein Heidenspaß. Für meine neunjährige Schwester weniger. Die hatte den Auftrag, auf ihren Bruder aufzupassen.
Eine größere Strafe kann es für eine ältere Schwester wohl kaum geben. Sie schaffte es trotzdem, mit ihren gleichaltrigen Schulkameradinnen Spaß zu haben. Wie ? Ganz einfach: Sie hat mich völlig vergessen. Was mich aber nicht gestört hat. Eine nörgelnde, kommandierende ältere Schwester ist auch nicht die reine Freude.
Um diese Jahreszeit fängt es schon kurz nach Drei an zu dämmern – was wir garnicht bemerkt haben. Bis es mir glühend heiß in den Sinn fuhr: ‚heut kommt ja
s’ Christkindl!’ Und so machte ich mich auf die Suche nach meiner Schwester.
Das war in dem Getümmel dort an den Hängen der Schönen Aussicht für einen Fünfjährigen keinesfalls einfach. Durch hüfthohen Schnee stapfend war ich bald ein rotzglocken heulendes, verzweifeltes Häufchen Elend. Nichts, worüber meine Schwester, an die ich von anderen „Wintersportlern“ weitergereicht wurde, sich hätte freuen können.
Inzwischen hatte ich nämlich auch bemerkt, dass ich vom Balgen und Kugeln im Schnee durch und durch nass geworden war. Wir wussten nichts von „Gore-Tex“ und die wärmende Wolle der drei selbst gestrickten Pullover, die ich übereinander trug, nutzte auch nichts mehr, wenn sie vom tauenden Schnee durchnässt war. So packte mich meine Schwester auf den Schlitten und zog mich heimwärts. Als ihr mein Greinen schließlich zu viel wurde, überkam sie eine geniale Idee: Sie hat mir erklärt, dass justament jetzt das Christkind unterwegs wäre um die Kinder zu beschenken. Und wenn wir genau aufpassten könnten wir es vielleicht, samt seinem goldenen Schlitten erspähen.
Im selben Augenblick waren Kälte und Hunger vergessen. Kein Haus, keine Straße und kein Winkel, den ich nicht aufs Schärfste beobachtet und kontrolliert hätte.
Und ich schwöre noch heute, dass ich am Spätnachmittag dieses heiligen Abends mindestens dreimal das Christkind, samt goldenem Schlitten, grade eben um eine Ecke habe wischen gesehen.
Es war abgemacht, dass wir nicht direkt nach Hause, sondern zunächst zur Oma, die im Nachbarhaus wohnte, kommen sollten. Dort in der Küche war es bullernd warm.
Im Herd knackte und prasselte ein tüchtiges Feuer. Ich wurde auf eine alte Decke gestellt und aus meinen nassen Sachen geschält. Danach kräftig abgerieben bis meine Haut glühte.
Schließlich in trockene warme Sachen gesteckt kam auch meine Ungeduld wieder. „Nein“, so wurde mir erklärt, „ihr könnt noch nicht nach Hause, weil dort gerade jetzt das Christkind ist.“ Und wenn wir das Christkind samt seinen
Engeln überraschen würden, dann käme es nie mehr zu uns! So saßen wir bei einem heißen Tee zusammen, bis uns die Großmutter nach Hause schickte. Hierher, so wurde uns bedeutet, kam das Christkind erst später. Bei der Oma sollten wir dann am Weihnachtsmorgen wieder vorbei kommen.
Der Opa hockte während des ganzen Geschehens in seiner Ecke, brummelte ab und an irgend etwas Unverständliches und hüllte sich ansonsten in die beißenden Wolken der Stumpen, die er – in kurze Stücke geschnitten – in seiner alten Pfeife abbrannte.
Der knirschende Schnee unter unseren Füßen war uns wie glühende Kohlen. So hetzten wir nach Hause. Vielleicht erhaschten wir wenigstens noch einen Blick auf den Mantelzipfel eines Engels ? Oder den Widerschein des leuchtenden Schlittens erwischen ?
Es konnten nur Augenblicke sein, die wir zu spät gekommen waren. Die himmlische Gesellschaft musste in höchster Eile gewesen sein. Denn auf der Treppe zu unserer Wohnung entdeckte ich etliche Engelhaare, die ich meiner Mutter triumphierend entgegen hielt.
Für mich blieb die Bescherung eine Geschichte, die das arme Christkind in höchster Eile absolvierte. Was mir meine Mutter auch beeindruckend zu erklären vermochte. Es waren ja wirklich viele Kinder, die das Christkind an diesem Abend besuchen musste und so fanden sich auch jedes Jahr Engelhaare auf der Treppe.
Heute ist kaum noch vorstellbar, was es für meine Mutter hieß, ein Geschenk für uns zu beschaffen. Wenn ich mich recht erinnere, bezog sie damals die Rente einer
Kriegerwitwe in Höhe von 60 Mark im Monat. In diesem Jahr war „das Christkindl“, wie wir unser Geschenk auch nannten, nicht so der Hit.
Das heißt, für mich schon! Nicht aber für die restliche Umwelt. Meine Mutter hatte für mich eine Trommel ergattert. Eine Trommel aus Blech! Ich war begeistert. Aber da war ich auch der Einzige. Und auch nicht lange. Nachdem meine Mutter diese Begeisterung eine halbe Stunde ertragen hatte, und ich mit meine Rhytmen auch nicht aufhören wollte, ist sie kurzerhand auf diese Blechtrommel getreten.
Ich war zwar vorübergehend ein heulendes Elend. Aber so ist mir wenigstens das Schicksal des Grass’schen Blechtrommlers erspart geblieben