von Hand und zu Fuß

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ENachtigall

Mitglied
von Hand und zu Fuß


Bin den ganzen Sommer entlang gerannt
auf Straßen aus Glas
so schwarz geschwiegen
wie der opiatische Klang von Vinyl

Verschob Kulissen
hinter ein paar guten Mimen
im bösen Spiel

Spuckte ein Stückchen Herz
in die Hände
vorübergehend applaudierend

Bin den ganzen Frühling entlang gerannt
auf Wiesenteppichen
von unverdautem Gras
saftig wie trunkene Träume
die aus den Nachtwolken
gemolken zu werden warten
mit meiner Stimme zu schreien

Auf der Schwelle zum Winter
begrub ich meine Hände
in zerschlissenen Erinnerungen
an dein Haar

Jetzt rolle ich mich ein
wie ein durstiges Blatt
Mische mich unters Herbstlaubvolk
bis meine Wurzeln Erde finden
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hallo enachtigall,

tolles gedicht. verstehe nur die abfolge der jahreszeiten nicht, aber was sagt das schon.

liebe grüße

nofrank
 

ENachtigall

Mitglied
Danke für Deine Worte, nofrank. Du musst es vom Ende her aufrollen, um die Zeitfolge zu verstehen; also rückwärts lesen. "Entwurzelte" reisen oft imaginär in die Vergangenheit; vielleicht aus Besorgnis, sie könnten dort noch etwas wieder gut machen oder einen versäumten Abschied nachholen. Das geht natürlich nur symbolisch und läßt Dinge Revue passieren.

Aktuell und das Eigentliche ist das Annehmen der Gegenwart und Wissen darum, was hilft: im Bild des Herbstes (daher Präsens). Der birgt - bei aller oft heraufbeschworenen Tristesse - viel Raum für Geborgenheit.

Grüße von Elke
 
P

penelope

Gast
liebe enachtigall,

schon in deinem titel leuchtet eine geniale allegorie. du hast ganz recht: wir konstruieren immer. aber was und wie? wir arti-kulieren immer. (dem sinn entgehen wir nicht.) aber was und wie? was wollen wir herausklopfen aus der vorgegebenen schrift-rede-wand. was, sagen wir: das! wie, sagen wir: um! (um/reden, um/schreiben, versteht sich). die dichtung ritzt das umgeschriebene mit dem methodisch genannten kamm in diese wand, trägt selbst behauene zeichen materiell-abstrakt ab und auf: ton-bilder, bild-töne. einzeln als wörter, an-zitiert gefundene, semantisch leicht veränderte, die sich im einstellen sofort auch darstellen: wortewörter - neu zusammengesetzte, agglutinierte wortkaskaden, die dann im textverband zu jenen worten werden, die das textgebirge samt seinem kamm errichten, aufschichten, möglich, um es wieder abzutragen. der dichtung semiologisches paradox: das semantische der wörter wird durch das syntaktische hindurch in einen neuen bedeutungshof geführt. das alles wird hier von dir vorgebracht: voller poesie und intensiver emotionen, voll von echter natur, zärtlich, unverstellt, künstlerisch, schon auch depressiv, eine geheimnisvoller weg, der sich dem ende zuwendet... besonders hat mich mich "Spuckte ein Stückchen Herz/in die Hände" angesprochen: lyrischer kann hier keine metapher sein. mehr worte finde ich nicht für dieses echte gedicht...

liebe grüße
p.
 
G

Gelöschtes Mitglied 7520

Gast
hallo elke,

passt. danke für die lesehinweise. ich weiß, dass erklären manchmal auch nervt.

liebe grüße

nofrank
 

ENachtigall

Mitglied
Einen ganz herzlichen Dank, penelope, für diese flammende und analytische Kritik zu meinem Gedicht. Sie ist ein Geschenk - und groß, wer so etwas zu geben vermag.


Ich habe kein Problem damit, meine Gedichte zu erklären, nofrank. Einzig im Hinblick auf das unvoreingenommene Lesen Anderer stört es, schon früh einen Lösungsschlüssel an die Hand zu geben. Manchem Tüftler unter den Lesern nimmt man dadurch die besondere Freude. (Deshalb werde ich zukünftig Erklärungen per mail oder online message geben.)


Liebe Grüße

Elke
 



 
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