Die Natur des Menschen

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petrasmiles

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Es ist des Menschen Grundnatur
Unschuldig geboren
Unendliche Möglichkeiten
Schwimmen im Anfang des Lebens

Angelegt in Keimen
Es sprießt
Es wird gehegt oder ausgerissen
Uneigenes aufgepfropft

Bevor es noch laufen kann
Ist es schon ein Eigenes
Im Widerstreit mit Fremdem
Bevor es noch ‚ich‘ ist, ist es schon ‚Du‘

Und doch ist es erst der Anfang
Eines immerwährenden Kampfes
In ihm sind die Opfer, die zu Tätern werden
Enthalten wie der Phoenix, der sich erhebt

Es sucht sich nicht aus, wem und wann es geboren wurde
Oder womit
Es trägt keine Schuld an dem, was war
Noch nicht einmal an eigener Schwäche oder Gestalt

Und doch
Kommt dieser Moment, der nicht zu erkennen ist
Da handelt ein ‚Ich‘, da verursacht es Schuld
Und Ehren gleichermaßen

Da trägt es Verantwortung
Für sich und jede Tat
Für alles, was in ihm summt und gärt
Was es nicht tut und worüber es schweigt

Und am Ende
Wird Königen das Herz gewogen
Christen empfängt Petrus an der Pforte
Hast Du Dich würdig erwiesen, ein Mensch zu sein?

Da hilft kein Täuschen und Wehklagen
Was die anderen uns antaten, was uns hinderte
Wie die Kraft nicht reichte
Die Gier nicht zu zügeln war

Oder es einfach so passierte
Das Falsche
Weil die anderen es taten
Da konnte man nichts machen

Das Kleine bei den anderen bekämpft
Das Große in den anderen bewundert
Klein geboren, gewachsen, verkümmert
Klein und wieder verschwunden
 

sufnus

Mitglied
Hey petra,
ich habe gerade darüber nachgedacht, dass dieses Gedicht ja sehr pessimistisch, ja man könnte auch sagen: nihilistisch, endet. Vom Ende her gelesen entwerfen Deine Zeilen eine Anthropologie der resignativen Sinnlosigkeit. Wenn man dann von hinten her rückwärts liest, fällt aber auf, dass sich zwischen die nihilistischen Strophen immer auch aufhellende Betrachtungen schieben. "Hast Du Dich würdig erwiesen, ein Mensch zu sein?" in Strophe 8 lässt ja, wenn man das als Frage ernst nimmt, zumindest die theoretische Möglichkeit eines hellen "Ja" gelten. Und Strophe 5 verkündet etwas, das fast wie eine Generalamnestie klingt, "es trägt keine Schuld [...] noch nicht einmal an eigener Schwäche [...]". Das ist (wenn man richtig herum, also von Strophe 1 an losliest) vielleicht die letzte versöhnliche Stelle in einem sich nach und nach eintrübenden Text. Aber begonnen hat das Gedicht ja eigentlich mit einem ungeheuren Optimismus: "Es ist des Menschen Grundnatur / Unschuldig geboren". Dieser strahlende Einstieg ist die schroffe Zurückweisung der in so vielen Philosophien und Religionen zu findenden These von der grundhaft schlechten Natur des Menschen (man denke nur an die "Erbsünde").
Ist womöglich die Desolatio am Ende des Gedichts eine Art Schattenwurf des hehren Einstiegs in Strophe 1?
Was ist der Mensch?
LG!
S.
 

petrasmiles

Mitglied
Lieber sufnus,

mitnichten nihilistisch.
DIeser Naturzustand kann uns zur Ehre gereichen und zur Schande.
Ich spreche von dem wahnsinnigen Spagat, den jeder Mensch hinbekommen muss - eigentlich sind es sogar mehrere.
Die Existenz eines Menschen bzw. seine Wertigkeit steht und fällt mit der Fähigkeit, ehrlich zu sich selbst zu sein: Wenn wir uns selbst zugestehn, unwichtig zu sein und arme kleine Würstchen, können wir befreit aufspielen. Bis dahin wird es Murks, weil Selbstbetrug am Anfang steht, dem die Lüge folgt.

Wenn das Herz gewogen wird, kann es ja leichter sein als die Feder.
Anlass zu Hoffnung gibt es immer!

Liebe Grüße
Petra
 



 
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