Himmelfahrt 1 (in jedem Zeitmoment)

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mondnein

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Himmelfahrt


1.
In jedem Zeitmoment
Gleich wie du stehst und fliegst
Und durch die Sonne biegst
Beschließ dein Testament!

Gesteh: Bist du es nicht
Der alte Luzifer
Und sein gesträhltes Heer
Rebell in jedem Ich?

Der bin ich ja gewiß -
Geboren immer neu
Entsprungen hell und frei
Aus einem Himmelriß
Und du gestrenger Gast​
Mein Geisterschreiberling​
Komm zeig mal her und sing​
Was du geschrieben hast​
Mein Gott was bist du klug​
In Verse eingeschnürt​
Hast du denn nie gespürt​
Der Lichter Sphärenflug?​
Zerbrich den Silbenschluß​
Die Spiegel deines Reims​
Geburt des Sonnenkeims​
Du selbst sei dir Genuß!​
Im Jubel deines Ich​
Steh ich noch hinter dir​
Es klopft dein Herz – die Tür​
Reiß auf: Erkenne mich​
Der Schmerzen höchster Glanz​
Der alle Sinne füllt​
Hat meine Lust gestillt​
Begreift ein Mensch das ganz?​
In wildem Osterbrand​
Zersprüh ich in die Nacht​
Den Göttern dargebracht​
Als deines Lebens Pfand​
 
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Chandrian

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Ein ungewöhnlicher Text für dich. Wobei ich weiss, dass du früher öfter Gedichte in dieser Sprache geschrieben hast. Mittlerweile rechne ich bei mondnein-threats aber jeweils mit intellektuell- sowie sprachmelodisch verdichtete Dekonstruktionen, schon fast Lautgedichte.
Deswegen finde ich auch diesen Text, der aufgrund der üppigen Sprache (ja, Osterbrand liesst man nicht alle Tage) etwa an Hohelieder erinnert, doppelt interessant. Und sicherlich stammt der Kern auch aus einer deiner Übersetzungen?

LG
Chandrian
 
Hi Hans

Ausgezeichnet verdichtet! Auch ein gereimter Aphorismus. Mir Gefällt das Spiel mit dem mythologischen Grund. Nicht zu schweigen von der wunderschönen Sprache und Melodie. Die neuschopfung des "gestrählten heers".- toll!

Der bin ich ja gewiß -
Geboren immer neu
Entsprungen hell und frei
Aus einem Himmelriß
Hier hätte ich geschrieben "gestoßen immer neu" und "gesprungen hell und frei. Ich sähe darin die coincidentia oppositorum im Osterfeuer gut aufgegangen. Ich schmecke Nietzsche und Schopenhauer aber auch arjuna und ein bisschen Lucifer Gnosis a la Steiner.

Bin doch auf die weiteren Teile gespannt

Mes compliments

Dio
 
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mondnein

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Nietzsche und Schopenhauer aber auch arjuna und ein bisschen Lucifer Gnosis a la Steiner
ich sehe, aus dieser Klimax entspringt ein kundiger Kenner!

Ich bin ein begeisterter Jakob-Böhme-Schüler, aber mir ist der antidualistische (Gegen-) Gedanke nicht fern, daß der Lichtträger, Phosphoros, der jauchzende Morgenstern (Hiob 38,7), der "Dichter in uns", in die Passion hineingenommen ist und seinen Hochmut mit den Sturz bezahlt hat, so daß er als Heiliger Geist in Weisheit, Verzicht und Entsagung einmündet. Der Gundgedanke ist die Paradoxie von "Himmelfahrt" und "Himmelssturz", eine Koinzidenz der Oppositoren.
Aber das formuliert dann der Wandel des "Flattergeistes" in den (nun bald) folgenden drei Liedern dieses Teils aus dem vierten Zyklus des Siebensterns, siehe http://12koerbe.de/hansz/index.htm#himmelfahrt

Nun ja, Himmelfahrt und Pfingsten klopfen schon an, da habe ich das gut vierzig Jahre alte Hündchen wie Fausts Pudel noch einmal hervorgeholt.

grusz, hansz
 
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petrasmiles

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Auch ohne die konkrete Verortung im Gedankenerbe läßt sich die Themenbreite unmittelbar spüren. Damit kann ich (endlich mal) etwas anfangen. Vielleicht gibt es in der geistigen (und sprachlichen) Entwicklung so eine Folgerichtigkeit, wo der Denker im Dekonstruktivismus 'landet' und jede Gefälligkeit abgeschmackt erscheint, aber ich nehme gerne die Schönheit der 80er Jahre! (Entstanden im katholischen Köln im Angesicht des Doms?)

Liebe Grüße
Petra
 

mondnein

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im katholischen Köln im Angesicht des Doms
nein, die philosophische Reihe oben -
Nietzsche und Schopenhauer aber auch arjuna und ein bisschen Lucifer Gnosis a la Steiner.
trifft die Hintergründe genauer. Ich ergänze gerne noch einiges: z.B. Jakob Böhme http://12koerbe.de/lapsitexillis/aurora.htm#Morgenröte
Platon http://12koerbe.de/pan/menon3.htm
und jede Menge hebräischer, mit griechischen, lateinischen und deutschen Übersetzungschichten untersetzter, Übersetzungen - siehe z.B.
.

Als der Himmelfahrtszyklus (10 Gedichte) geschrieben wurde, studierte ich Philosophie, vor allem das große Geburtstagskind übermorgen, Immanuel Kant - siehe http://12koerbe.de/phosphoros/kant.htm - und die auf Kant aufbauenden Philosophen des Deutschen Idealismus, d.h. die Romantiker Fichte, Schelling, Novalis - siehe http://12koerbe.de/phosphoros/sais.htm - und den ebenfalls auf Kant aufbauenden Schopenhauer und dessen Schüler Nietzsche, Wagner und Freud - siehe http://12koerbe.de/mosaiken/dionysic.htm.

Zweitfach, aber in Energie- und Zeitaufwand etwa drei Viertel des Studiums, war Indologie, d.h. Sanskrit und Pali (Buddhareden, siehe http://12koerbe.de/hanumans/buddha.htm), und in den letzten Monaten habe ich wieder einige Sanskrittexte aus der Studienzeit in Bonn wieder aufgegriffen - siehe http://12koerbe.de/hanumans/samkhya.htm. und einiges neu übersetzt.

In den Achtziger Jahren, als Student, habe ich die 75 Gedichte des "Siebensterns" geschrieben, die ich später (2018) in das elfte Hundertliederbuch integriert habe - siehe http://12koerbe.de/hansz/19-stern.html (das kann man bei mir gratis bestellen). Nach einer langen Pause fing ich 2012 wieder an, Gedichte zu schreiben, zuerst die 45 gereimten Gedichte des "Achtsterns" - siehe http://12koerbe.de/hansz/8-stern.htm - (konsequent weitergezählt), dann ab 2023 die (bisher 24) Hundertliederbücher (9-stern bis 32-stern), mit der
Folgerichtigkeit, wo der Denker im Dekonstruktivismus 'landet'
grusz, hansz
- siehe http://12koerbe.de/hansz/gahmuret.html
 
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