Ich wollte einen Sterbemoment im Krankenhaus herholen und neu ausloten.
Dann lag ich ja intuitiv richtig mit meiner Interpretation, liebe Rachel,
war mir aber definitiv unsicher und habe mich daher nicht aus der Deckung gewagt bisher.
Ich glaube, es ist die Ich-Perspektive, die mich hat zweifeln lassen und die mich auch jetzt nicht überzeugt.
Wohl in erster Linie, weil ich es selbst nie wagen würde auch nur ansatzweise zu glauben, ich könnte mir vorstellen, wie das ist...dieser letzte Moment, dieses Hinübergehen.
Ein wenig hat mich auch das Tempo der ersten Strophe irritiert, das da durch die Setzung der Umbrüche, den Wortklang und das inhaltliche Stakkato entsteht.
egal wie Strömung Zugluft durchs Fenster
aufgerissen einen kühlen Luftzug frühmorgens
über die Bettdecken wischt
Da war der Kontrast des Doppel-Leisen etwas unerwartet und ging ein wenig unter nach dem rasanten Auftakt bzw. hat mich das entsprechende Tempo für den Inhalt nicht gleich finden lassen. Auch will die Doppelung von "leis" nicht gewollt genug scheinen, um für mich das zu bewirken, was sie vermutlich soll. Warum nicht auf das erste "leis" verzichten?
die Schwester leis im leisen Gang
zu den anderen geht unterwegs die Frage
haben Sie gut geschlafen noch heute hören wie
sie an der Tür ferner anklopft ...
Das "noch heute" und das "ferner" sind sicherlich bewusst gewählt und gesetzt, und ich ahne, sie sollen die Veränderung im Zeitempfinden, eben dieses Weggleiten andeuten, tun das aber für mich nicht. Vor allem das "ferner" (ohne ein "schon" davor) habe ich automatisch als "des weiteren" gelesen...und dadurch ist es natürlich bedeutungslos aus dem Text gekippt. Es funktioniert auch nicht für mich, weil die Person ja ihre Umgebung noch deutlich wahrzunehmen scheint. Ich gehe doch stark davon aus, dass in den meisten Fällen da eher die Wahrnehmung nach Innen geht (auch, weil ich das bei meiner Mutter in ihren letzten Tagen und Stunden so wahrgenommen habe..sie war allerdings auch sediert wegen der starken Schmerzen). Also auch deshalb wäre ich nicht auf den Sterbevorgang gekommen.
Sehr stark aber finde ich dann
...deine Hand zurück
unter die Bettdecke schiebt und hält hält
wie eine weiße Papierserviette fällt
und deine Augen deine Augen drehen
bleiben und stehen
Auch, wenn ich nicht sicher bin, ob nicht die letzten beiden Verse - wenn man eben nicht sicher ist, was genau Thema des Gedichtes ist - auch als bildliche Darstellung von Irrsinn empfunden werden können. Ich war da sehr zwiegespalten beim Lesen und hatte das Bild einer im Bett fixierten, vielleicht sedierten Person vor mir. Das teile ich dir auch deshalb mit, weil du schon selbst meintest:
Ich merke oder überlege jetzt auf jeden Fall, warum das Gedicht gar nicht so stimmig oder eindeutig ist, wie ich dachte.
Ich kenne das auch. Oft sieht man selbst im eigenen Text nicht die anderen Möglichkeiten dessen, was man da hineingepackt hat.
Auf jeden Fall ein spannendes Experiment, das ich gerne gelesen habe. Und in die fallende Papierserviette hab ich mich ehrlich gesagt schock-verliebt. Die ist zu schön!
LG,
fee