wie eine Papierserviette fällt

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Rachel

Mitglied
wie eine Papierserviette fällt

egal wie Strömung Zugluft durchs Fenster
aufgerissen einen kühlen Luftzug frühmorgens
über die Bettdecken wischt

die Schwester im leisen Gang
zu den anderen geht unterwegs die Frage
haben Sie gut geschlafen noch heute hören wie

sie an der Tür anklopft deine Hand zurück
unter die Bettdecke schiebt und hält hält
wie eine weiße Papierserviette fällt

und deine Augen deine Augen drehen
bleiben und stehen




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Zuletzt bearbeitet:

wiesner

Mitglied
Ich unterstelle das 'verbotene' Erotische im kontrollierten Raum. Auch Einsamkeit, wohl auch ein ungehörtes Rufen ...

Dein Gedicht, Rachel, soll auch andere hier beschäftigen, bevor es in die Tonne geklatscht wird.
Es hat mich beeindruckt.

Schönen Gruß
Béla
 

Rachel

Mitglied
Hei Béla, freut mich, dass du da bist und liest. :)

Deine Überlegungen sind spannend, konnte sie auch nachvollziehen. Ich merke oder überlege jetzt auf jeden Fall, warum das Gedicht gar nicht so stimmig oder eindeutig ist, wie ich dachte. Ich wollte einen Sterbemoment im Krankenhaus herholen und neu ausloten.

Ich lass es mal ruhen, bevor ich wieder rangehe.

Schönen Dank und Grüße, Rachel
 

wiesner

Mitglied
Da kann man mal sehen, wie falsch ein Interpretationsversuch sein kann. Falsch? Vielleicht doch besser anders ...
Bei genauerer Sicht hätte einem der Schluss Deine Absichten vermitteln können, schwach gelesen von mir, muss ich zugeben.

Ändern würde ich am Text nichts.

Mir ging's auch darum, Dein Gedicht vor dem rasanten Fall in die Tiefe zu bewahren, es war kaum siebzig mal 'gelesen' worden. Zur Zeit bauchpinseln sich hier sogenannte Experten und lassen Gedichte freifließender Textur in grenzenloser Ichbezogenheit einfach links liegen. Es gäbe noch viel zu sagen in diesem Zusammenhang ... es tauchen immer wieder die selben Namen auf ...

Schönen Tag
Béla
 

Rachel

Mitglied
Falsch? Vielleicht doch besser anders ...

Ja genau - anders! - der fremde Blick. Immer hilfreich und bereichernd.

Mir ging's auch darum, Dein Gedicht vor dem rasanten Fall in die Tiefe zu bewahren, es war kaum siebzig mal 'gelesen' worden. Zur Zeit bauchpinseln sich hier sogenannte Experten und lassen Gedichte freifließender Textur in grenzenloser Ichbezogenheit einfach links liegen. Es gäbe noch viel zu sagen in diesem Zusammenhang ... es tauchen immer wieder die selben Namen auf ...

Ja stimmt, Béla, gefühltermaßen gehen die freien Verse momentan unter, aber im Zuge dessen werden es, glaube ich zuversichtlich, nicht weniger werden. Kann sein, die ReimliebhaberInnen haben für Schwarmmonate den breiten Überfluss ins große Meer.

Das ändert sich auch wieder ... abwarten ... Tee trinken. :)
 

fee_reloaded

Mitglied
Ich wollte einen Sterbemoment im Krankenhaus herholen und neu ausloten.
Dann lag ich ja intuitiv richtig mit meiner Interpretation, liebe Rachel,

war mir aber definitiv unsicher und habe mich daher nicht aus der Deckung gewagt bisher. :cool:
Ich glaube, es ist die Ich-Perspektive, die mich hat zweifeln lassen und die mich auch jetzt nicht überzeugt.
Wohl in erster Linie, weil ich es selbst nie wagen würde auch nur ansatzweise zu glauben, ich könnte mir vorstellen, wie das ist...dieser letzte Moment, dieses Hinübergehen.

Ein wenig hat mich auch das Tempo der ersten Strophe irritiert, das da durch die Setzung der Umbrüche, den Wortklang und das inhaltliche Stakkato entsteht.

egal wie Strömung Zugluft durchs Fenster
aufgerissen einen kühlen Luftzug frühmorgens
über die Bettdecken wischt


Da war der Kontrast des Doppel-Leisen etwas unerwartet und ging ein wenig unter nach dem rasanten Auftakt bzw. hat mich das entsprechende Tempo für den Inhalt nicht gleich finden lassen. Auch will die Doppelung von "leis" nicht gewollt genug scheinen, um für mich das zu bewirken, was sie vermutlich soll. Warum nicht auf das erste "leis" verzichten?

die Schwester leis im leisen Gang
zu den anderen geht unterwegs die Frage
haben Sie gut geschlafen noch heute hören wie

sie an der Tür ferner anklopft ...



Das "noch heute" und das "ferner" sind sicherlich bewusst gewählt und gesetzt, und ich ahne, sie sollen die Veränderung im Zeitempfinden, eben dieses Weggleiten andeuten, tun das aber für mich nicht. Vor allem das "ferner" (ohne ein "schon" davor) habe ich automatisch als "des weiteren" gelesen...und dadurch ist es natürlich bedeutungslos aus dem Text gekippt. Es funktioniert auch nicht für mich, weil die Person ja ihre Umgebung noch deutlich wahrzunehmen scheint. Ich gehe doch stark davon aus, dass in den meisten Fällen da eher die Wahrnehmung nach Innen geht (auch, weil ich das bei meiner Mutter in ihren letzten Tagen und Stunden so wahrgenommen habe..sie war allerdings auch sediert wegen der starken Schmerzen). Also auch deshalb wäre ich nicht auf den Sterbevorgang gekommen.

Sehr stark aber finde ich dann

...deine Hand zurück
unter die Bettdecke schiebt und hält hält
wie eine weiße Papierserviette fällt

und deine Augen deine Augen drehen
bleiben und stehen


Auch, wenn ich nicht sicher bin, ob nicht die letzten beiden Verse - wenn man eben nicht sicher ist, was genau Thema des Gedichtes ist - auch als bildliche Darstellung von Irrsinn empfunden werden können. Ich war da sehr zwiegespalten beim Lesen und hatte das Bild einer im Bett fixierten, vielleicht sedierten Person vor mir. Das teile ich dir auch deshalb mit, weil du schon selbst meintest:
Ich merke oder überlege jetzt auf jeden Fall, warum das Gedicht gar nicht so stimmig oder eindeutig ist, wie ich dachte.
Ich kenne das auch. Oft sieht man selbst im eigenen Text nicht die anderen Möglichkeiten dessen, was man da hineingepackt hat.
Auf jeden Fall ein spannendes Experiment, das ich gerne gelesen habe. Und in die fallende Papierserviette hab ich mich ehrlich gesagt schock-verliebt. Die ist zu schön!

LG,
fee
 

Rachel

Mitglied
Hallo Fee!

Mit "Sterbemoment herholen" meinte ich eine frühe Erinnerung.

Die Perspektive gefällt mir uneindeutig und offen am besten. Lyrich liegt im Bett und steht daneben. Es sieht wie die Schwester - "deine Hand zurück unter die Bettdecke schiebt", während es sich mit der Person im Bett identifiziert und sich in sie hineinversetzt .

Fee: Ein wenig hat mich auch das Tempo der ersten Strophe irritiert, das da durch die Setzung der Umbrüche, den Wortklang und das inhaltliche Stakkato entsteht.

Die erste Strophe ist sperrig, da werden noch Stühle gerückt. Alles sträubt sich. Und vielleicht spüre ich da, was du so beschreibst:

Fee: Wohl in erster Linie, weil ich es selbst nie wagen würde auch nur ansatzweise zu glauben, ich könnte mir vorstellen, wie das ist...dieser letzte Moment, dieses Hinübergehen.

Strömung und Zugluft. Ein kleines Stück ... nur vorwagen. Ich weiß es natürlich auch nicht. Aber was kann schon passieren? Gespür, Spiel, Gänsehaut ... und im schlimmsten Fall - Vergeblichkeit.

Fee: Warum nicht auf das erste "leis" verzichten?

Ja. Ist nicht wirklich wichtig.

Fee: Das "noch heute" und das "ferner" sind sicherlich bewusst gewählt und gesetzt, und ich ahne, sie sollen die Veränderung im Zeitempfinden, eben dieses Weggleiten andeuten, tun das aber für mich nicht. Vor allem das "ferner" (ohne ein "schon" davor) habe ich automatisch als "des weiteren" gelesen...und dadurch ist es natürlich bedeutungslos aus dem Text gekippt.

Gut, ich überlege ... wahrscheinlich nehme ich das "ferner" raus, zumal ich ein schon davor nicht mag.

Fee: Ich kenne das auch. Oft sieht man selbst im eigenen Text nicht die anderen Möglichkeiten dessen, was man da hineingepackt hat.

Das stimmt. Und manchmal ausgepackt. Auf jeden Fall vielen Dank, liebe Fee, für Lob und Kritik, und dass du das verrückte Ansinnen im Gedicht mitgegangen bist. Find ich echt toll! :)
 



 
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