Betrug

Heinrich VII

Mitglied
Teil 1
Charlie bog nach rechts ab, lief ein Stück die Straße entlang, wieder rechts, direkt auf die Filiale zu. Er steckte die Karte ein und die Tür öffnete sich. Der entsprechende Apparat war frei, er konnte direkt hin laufen und kramte einen Zettel mit Notizen aus der Hosentasche. Eine Überweisung auf die Art machte er zum ersten mal. Normalerweise geschah das am Schalter der Bank. Aber dazu hätte er nach Offenbach in die Zentrale fahren müssen. Was bedeutet, dass er ein S-Bahn Ticket hätte lösen und bezahlen müssen. No - zu viel Umstand und unnötig Geld ausgegeben. Er drückte auf Überweisung und die Seite erschien auf dem Bildschirm: IBAN eingeben. Betrag in Euro. Empfänger Name – es war leichter als gedacht, die 10 000 Euro zu überweisen.
Eine Quittung wurde ausgespuckt, als der Vorgang erfolgreich erledigt war. Charlie nahm sie, überflog sie kurz und befand, dass alles seine Richtigkeit hatte.
Dass ich diesen Kredit bekommen habe, dachte er auf dem Rückweg, grenzt an ein Wunder. Bei meiner Bonität. Nur ein Halbtagsjob. Ohne die Aufstockung mit Wohngeld wäre mein Leben gar nicht machbar. Miete, Telefon, Strom war gerade noch bezahlbar. Beim Thema essen konnte es problematisch werden. Da war schon mal unfreiwillig Diät angesagt, besonders gegen Ende des Monats.
Die Zahlen, die er der Bank angegeben hatte, waren nicht ganz exakt. Die Miete hatte Charlie kleiner angesetzt und die Einnahmen höher. Die Bank hatte das zu seiner Verwunderung akzeptiert. Die ersten 10 000 waren einen Tag zuvor auf seinem Konto gelandet. Charlie hatte sofort seinen Broker verständigt, der ihn auf der Handelsplattform betreute. Der hatte sich gefreut und ihm die Daten eines Netzwerkpartners angegeben, dem er die Summe auf das Konto überweisen sollte. Es würde dort in Kryptowährung umgewandelt werden, sagte ihm der Broker und dann auf Charlies Handelskonto gut geschrieben.
„Mindestens 5 000 Euro die Woche wirst du Gewinne machen bei diesem Kapitaleinsatz“, versprach der Broker. Charlie träumte davon, sich ein Auto zu kaufen, ein Motorrad und ein kleines Häuschen zu mieten. Er konnte sein Zähne machen lassen, seine beiden Romane an Lektoren geben und danach über einen Verlag raus bringen, eine CD mit seinen Kompositionen aufnehmen und er würde überhaupt genug Geld zur Verfügung haben, um sich in Zukunft keine Sorgen machen zu müssen.

Ein paar Tage zuvor hatte Charlie die Anzeige der Handels-Plattform in einem Social Media Format im Internet entdeckt. Tagelang hatte er sich davor gedrückt, sich mit E-Mail Adresse und Name da anzumelden. Die Gefühle gingen hin und her. Ob man tatsächlich Geld verdienen könne auf die Art oder ob es Fake und Betrug war, wie so einige sagten, wenn man sie auf dieses Thema ansprach. Schließlich war die Neugierde so überwältigend, dass er die Maske ausfüllte und sich somit anmeldete.
Keine halbe Stunde später klingelte das Telefon und jemand von der Plattform begrüßte ihn aufs herzlichste. Ob er schon mal gehandelt habe und Erfahrung hätte. Ob er bescheid wüsste über Kryptowährung und andere Assets. Charlie verneinte. Das mache nichts, wurde ihm gesagt. Es sei alles automatisiert, ein Roboter werde handeln. Und er werde einen Broker an die Seite bekommen, der ihn betreut.
Der Broker meldete sich am nächsten Morgen. Charlie fing erst mittags mit seinem Halbtagsjob an, insofern war die Zeit günstig.
„Mein Name ist Christian Neumann“, stellte sich der Mann vor. „Sie haben Glück und haben den besten Broker der Handels-Plattform erwischt.“
„Oh, das ist gut.“
Neumann erklärte ihm, dass er den Mindestbetrag von 250 Euro einzahlen müsse, um den Handel zu starten. Dann schickte er Charlie einen Link mit dem Handelskonto und ein Passwort zum einloggen, das er selbständig ändern konnte. Der Betrag von 250 Euro, den Charlie von einer Kreditkarte abbuchte, wurde dann tatsächlich auf dem Handelskonto als eingezahltes Kapital sichtbar. Charlie freute sich, wie er so auf den Bildschirm seines Computers blicken und sein eigenes Handelskonto betrachten konnte. Täglich loggte er sich mehrfach ein und überzeugte sich, wie viel Gewinne sein Mindestkapital inzwischen erwirtschaftet hatte. Es war nicht viel, aber es wurden Gewinne gemacht.
Charlie freute sich.
„Je weiter die Gesamtsumme ansteigt, desto höher werden die täglichen Gewinne“, erklärte ihm der Broker.

Der unerwartete Schritt nach vorne kam überraschend schnell. Der Broker rief ihn an einem der nächsten Tage morgens an, grüßte überschwänglich, fragte nach dem Befinden und kam zur Sache. „Ich kann Ihnen einen Bonus von 2000 Euro einräumen“, schlug er vor, „dann können Sie mal sehen, was man mit so einer Kapitalsumme für Gewinne machen kann.“
„Aber ich habe doch keine 2000 Euro.“
„Sie müssen das Geld nicht haben. Wir stellen Ihnen einen Bonus über diese Summe zur Verfügung.“
Charlie überlegte einen Moment. Schließlich dachte er: Wenn die das Geld zur Verfügung stellen, warum nicht. Der Bonus wurde schließlich auf dem Handelskonto sichtbar und die Gewinne schossen raketenartig in die Höhe. Hatte Charlie bisher, mit seinen 250 Euro Mindestkapital vielleicht 20 oder 25 Euro am Tag Gewinn erzielt, so machte er jetzt – mit dem 2000 Euro Bonus – 250 bis 300 Euro am Tag. Charlie überschlug im Kopf, dass das bei 22 Arbeitstagen um die 6000 € im Monat sein müssten. Selbst wenn er 1000 € Verlust machen würde, wären das immer noch 5000 Gewinn. Der Betrag auf dem Handelskonto wuchs so atemberaubend, dass es Charlie die Sprache verschlug.

Der Broker ließ ihm ein paar Tage Zeit, damit er sich über den Fortschritt ausgiebig freuen konnte.
Dann rief er wieder an und fragte: „Und - wie läuft´s?“
„Oh – wirklich gut. Hätte ich nicht gedacht.“
„Wenn Sie die 2000 Kapital bringen, gehören die Gewinne Ihnen.“
„Was?" Charlie hielt sich krampfhaft am Stuhl fest.
"Ich dachte, der Bonus wurde mir von euch zur Verfügung gestellt, damit ich Gewinne erwirtschaften und behalten kann.“
„Nein, nein – das war nur um zu zeigen, wie gut es läuft mit so einem Kapital. Die Gewinne können Sie bekommen, wenn Sie die 2000 Euro tatsächlich einzahlen.“
Charlies Hoffnungen verflogen in einem einzigen Augenblick. Die Aussicht auf Geld verdienen zerschlug sich mit dieser Antwort.
Woher sollte er 2000 Euro nehmen, wenn er ansonsten gerade so über die Runden kam?
Dass die Rakete des Brokers erst zwei Stufen gezündet hatte, war Charlie zu diesem Zeitpunkt noch nicht klar. Die dritte Stufe, die Hauptstufe, erwartete ihn noch.
Während Charlie noch darüber nach dachte, wie er die 2000 Euro vielleicht doch auftreiben konnte, Verkauf einer seiner Gitarren, jemand der ihm das lieh, seine Mutter vielleicht,
rief Broker Neumann erneut an und hatte einen Vorschlag zu machen. „Sie nehmen einen Kredit auf und zahlen das Geld bei uns ein. In ein paar Wochen haben Sie
die Kreditsumme erwirtschaftet und können das geliehene Geld komplett zurück zahlen.“
Der Broker nannte ihm eine Kreditvermittlung im Internet, deren Website Charlie aufrufen sollte, um die Maske auszufüllen und auf eine Antwort zu warten.
Charlie wies das von sich, das kam nicht infrage. Er hatte schon mal Erfahrungen damit machen müssen und dann jahrelang Raten an eine Bank berappt.
Danach hatte er stets nach dem Motto gelebt: Was ich nicht bezahlen kann, leiste ich mir nicht.
„Sind Sie doch nicht blöd“, ermunterte ihn der Broker, „das ist ne einmalige Chance richtig Kohle zu machen. Die werden Sie doch nicht einfach vorbei ziehen lassen – oder?“
Charlie kam in echte Nöte. Er würde in dem Fall gegen sein ehernes Prinzip verstoßen und wieder Schulden machen. Auf der anderen Seite war die Verlockung groß, bei so etwas einzusteigen und tatsächlich richtig Asche einzuheimsen. Er bat sich eine Bedenkzeit aus und der Broker akzeptierte.
„In zwei Tagen rufe ich Sie an, Charlie, dann sagen Sie mir hopp oder top.“

Teil 2
„Haben Sie Any desk auf Ihrem Computer installiert?“, fragte der Broker am nächsten Morgen.
„Was soll n das sein – kenne ich nicht.“
Christian Neumann lachte am anderen Ende.
„Ich kann damit in Ihren Computer und Ihnen helfen.“
„In meinen Computer?“
„Ja.“
„Nein!“, protestierte Charlie, „das kommt nicht infrage.“
Der Broker holte hörbar Luft. Dann antwortete er in ganz ruhigem Ton: „Laden Sie es runter – ich kann Ihnen sonst nicht helfen,
einen Kredit zu bekommen.“
Charlie rief Google auf, gab Any desk ein und lud es herunter.
Eigentlich gibt es ja nichts auf meinem Computer was verboten wäre, dachte er, und wenn er mir so helfen kann.
„Jetzt müssen Sie mir die Nummer sagen, die steht ganz oben.“
Charlie fand sie und gab sie durch.
Eine Maske erschien.
"Sie müssen mich annehmen - auf das grüne Feld klicken."
Charlie tat es und dann sah er den Curser von Christian Neumann sich auf seinem Bildschirm bewegen.
Blitzschnell war eine Seite einer bekannten Kreditvermittlung geöffnet und deren Maske auf dem Bildschirm sichtbar.
„Die füllen wir jetzt zusammen aus, okay?“
Charlie nickte zögerlich, als könnte der Broker ihn sehen.
„Sind Sie damit einverstanden?“
„Ja – okay!“

Beim Gehalt drängte der Broker Charlie etwas mehr anzugeben. Bei der Miete weniger. Nebenverdienst auch etwas höher angesetzt. Ich werde so oder so keinen Kredit bekommen, dachte Charlie, bei meinem niederen Einkommen. Also ist es egal. Spätestens wenn die Bank Belege will, werden sie mich ablehnen. Die Rubrik mit der Höhe der Kreditsumme war als nächstes dran. Charlie trug 2000 € ein.
Neumann sagte: „Lass mal deinen Curser los und mich machen.“
Charlie hielt still und der Broker fügte eine Null hinzu, so dass da 20 000 € stand.
„Sie sind verrückt“, protestierte Charlie und änderte die Summe wieder auf 2000 €.
Einen Moment kam nichts mehr vom anderen Ende der Telefonleitung. Dann räusperte sich Christian Neumann und sagte: „Wissen Sie wie viel Gewinn Sie mit so einer Kapitalsumme machen können? In sechs Wochen haben Sie so viel Geld, dass Sie den Kredit mühelos zurück zahlen können.“
„Nein, nein, nein!“, protestierte Charlie, „auf so ein Abenteuer lasse ich mich nicht ein.“
Neumann lachte. „Ist doch kein Abenteuer. Ist n Geschäft. Sie investieren und profitieren.
Es gibt absolut kein Risiko.“
„Kein Risiko?“
„Nein!“
„Wenn die Kohle weg ist“, antwortete Charlie, „kann ich jahrelang einen Kredit zurück zahlen, ohne dass ich etwas davon habe.“
„Das ist doch Blödsinn. Sie werden den Betrag auf Ihrem Handelskonto sehen und jeden Tag verfolgen können, wie die Gewinne geradezu explodieren.“
Christian Neumann trug die Null wieder ein und der Betrag war wieder auf 20 000 €.
„Lassen Sie es uns probieren.“
Charlie schickte den Antrag schließlich ab und bekam Ihn genehmigt. Ein paar Tage später war der Vertrag im Postkasten. Er unterschrieb ihn, schickte ihn zurück und kurze Zeit später waren 20 000 € auf seinem Konto. Ein so hoher Betrag hatte sich noch nie auf einem seiner Bank-Konten befunden. Ungläubig und gleichzeitig entzückt betrachtete Charlie die hohe Zahl auf dem Kontoauszug. Der Broker gab ihm den Namen, die Bank und die IBAN eines Netzwerkpartners, wie er ihn bezeichnete. Auf dessen Konto sollten die 20 000 eingezahlt werden. Charlie tat das in zwei Schritten á 10 000€.
Kurze Zeit später sah er die Summe als Guthaben auf seinem Handelskonto. Charlie schwelgte in Euphorie und malte sich aus, was er alles mit dem Geld anstellen konnte.
All die Wünsche und Dinge, die er jahrelang vor sich her geschoben hatte, würde sich jetzt realisieren. Täglich setzte er sich mehrfach an seinen Computer und rief sein Konto bei der Handels-Plattform auf. Und die Gewinne stiegen tatsächlich in einem Maß, dass einem schwindlig werden konnte. Er hatte es geschafft, er würde in kurzer Zeit vermögend sein. Sein bisheriges kümmerliches Überleben würde zu einem exorbitanten Leben werden. Der Broker hatte recht, man sollte sich so eine Chance nicht entgehen lassen.

Teil 3
Eine gute Zeit ging das so. Die Gewinne stiegen. Der Broker rief hin und wieder an und fragte, ob alles zur Zufriedenheit laufe.
Das tat es, das tat es. Charlie war begeistert. Er hatte inzwischen im Internet nach einem Porsche aus den 50igern gefahndet. Ein Oldtimer, der ihm ausnehmend gut gefiel und nun ganz oben auf seiner Wunschliste stand. Wenn er eine Weile so weiter bei der Plattform verdiente, war es nicht mehr unrealistisch, so einen zu kaufen.
Der Tag kam, an dem sich Charlie etwas auszahlen lassen wollte. Inzwischen waren, laut Handelskonto 40 000 € Guthaben zusammen gekommen.
Charlie bat den Broker, ihm schon mal 20 000 € auszuzahlen.
„Okay“, antwortete Neumann, „einen Moment, ich werde es der Finanzabteilung mitteilen.“
Charlie wartete und rieb sich die Hände in Vorfreude. 20 000 € waren ein satter Batzen auf seinem Konto. Und es würden immer noch 20 000 € auf dem Handelskonto verbleiben, um weiter exorbitante Gewinne zu erzielen.
„Es gibt ein Problem“, antwortete der Broker eine Minute später.
„Ein Problem?“
„Ja – dein Kapital ist in den Mempool gefallen.“
„Was soll das denn bedeuten?“
„Das geht automatisch bei der Blockchain. Wir haben darauf keinen Einfluss. Hin und wieder wird Kapital eingefroren und überprüft – besonders bei ganz neuen Händlern wie dir.“
„Und wie bekomme ich jetzt mein Geld?“
„Die einzige Möglichkeit ist“, antwortete Neumann, „dass wir es spiegeln.“
„Spiegeln?“
„Ja.“
„Und was soll das heißen?“
„Du zahlst nochmal 20 000 € ein, dann kannst du die ersten 20 000 € aus dem Mempool lösen.“
Charlie brachte für einen Moment keinen Ton mehr heraus. Seine rechte Hand quetschte die Computermaus, als wolle er Saft aus ihr heraus pressen.
Er schluckte und versuchte Luft zu bekommen.
„Hast du vielleicht noch irgendwo 20 000 € rum liegen?“, erdreistete sich Neumann zu fragen.
Als Charlie wieder Worte fand, sagte er: „Hör mal – da sind ja auch Gewinne. Die könnt´ ihr doch schon mal ausbezahlen.“
„Das macht die Finanzabteilung nicht, bevor das Kapital aus dem Mempool gelöst ist.“
„Aber ihr könntet mir das gewonnene Geld doch schicken, dann kann ich mein Kapital wieder frei bekommen.“
„Das geht nicht. Wie gesagt – erst muss das Problem mit dem Mempool gelöst werden. Sonst zahlt die Finanzabteilung kein Geld aus.“
Charlies Adrenalin stieg. Er hatte einen knallroten Kopf bekommen und ballte jetzt beide Fäuste. „Ich will auf der Stelle mein Kapital zurück!“,
schrie er ins Telefon, „von mir aus könnt´ ihr die Gewinne behalten. Ich will nur meine 20 000 € zurück haben. Und dann bin ich weg hier.“

„Wenn das so einfach wäre“, entgegnete Neumann, „wie gesagt, wir haben keinen Einfluss auf den Mempool, das geht automatisch. Die Blockchain ist ein Datenbuchungssystem, das seine eigenen Regeln hat. Im übrigen solltest du dich beeilen mit einer weiteren Einzahlung. Nach einer Weile werden hohe Gebühren fällig. Das Geld kann bis zu einem Jahr eingefroren werden. Und bis dahin fressen die Kosten alles auf – du wirst nichts mehr zurück bekommen. Die einzige Möglichkeit ist eine Spiegelung – so schnell wie möglich.“
„Woher soll ich weitere 20 000 € nehmen? Hast du da vielleicht eine Lösung?“
Charlie und sein Broker hatten im Eifer des Gefechtes vom Sie zum Du gewechselt.
„Frag Freunde, verkauf dein Auto, nimm einen weiteren Kredit auf – lass dir was einfallen.“
Charlies Träume und Vorstellungen sanken in den tiefsten Keller. Porsche und Wohlstand adé.
Vermutlich hatten alle recht, denen er erzählt hatte, dass er in den Forexhandel einsteigen wolle.
„Lass das besser, das sind alles nur Betrüger, die dich um deine Kohle bringen wollen.“

Sollte Charlie jetzt auf schmerzhafte Weise lernen müssen, dass sie recht hatten?
„Ich rufe dich morgen wieder an“, sagte Neumann, „bis dahin hast du dir was überlegt.“
Charlie antwortete nicht – der Hörer entglitt ihm und fiel neben das Telefon. Er nahm ihn nochmal in die Hand
und legte ihn auf die Gabel.

Teil 4
Charlie überlegte ob er dran gehen sollte. Es war am nächsten Tag zwischen 10 und 11 Uhr morgens.
Gewöhnlich die Zeit, in der der Broker sich bei ihm meldete. Er warf einen Blick auf das Display, die schweizer Vorwahl bestätigte es.
Was sollte er ihm sagen? Dass er keine 20 000€ auftreiben konnte? Dass er sich inzwischen nichts hatte einfallen lassen, um an so viel Kohle zu kommen?
Es klingelte zum 5. Mal, als Charlie schließlich abnahm.
„Heinold.“
„Und Charlie“, tönte es froh gelaunt vom anderen Ende, „wie geht es dir heute?“
Charlie war verblüfft. Er steckte zu tief in der Scheiße um so eine Frage ernsthaft zu beantworten. Sie wäre vielleicht als Witz noch durch gegangen –
aber ihm war nicht nach Humor.
„Hast du dir inzwischen was überlegt?“
„Was soll ich denn überlegt haben?“
„Wie du an 20 000 kommst, damit wir die Spiegelung machen können.“
„Soll ich vielleicht eine Bank überfallen?“
Christian Neumann lachte.
„Wenn dir das gelingt, warum nicht.“
Charlie gab keine Antwort.
„Hör mal“, antwortete Neumann, „resignieren iss nich. Für jedes Problem gibt´s ne Lösung. Zerbrech dir den Kopf darüber, welche für dich infrage kommt. Kannst du von jemandem etwas leihen? Kannst du etwas verkaufen? Ein Auto, Wertsachen, Schmuck? Oder nimm einen zweiten Kredit auf. Wir können das zusammen machen, wie beim ersten mal.“
Dieser Typ hat vollkommen den Arsch offen, dachte Charlie. Er war kurz davor den Hörer aufzuknallen.
„Wenn ich nicht so viel Kapital bei euch investiert hätte, wäre die Sache jetzt für mich beendet.“

Einen Moment herrschte Schweigen.
Dann antwortete Neumann: „Ja, wenn - du hast aber so viel Kapital bei uns investiert.“
„Dann gib es mir zurück!“, brüllte Charlie, „gib mir meine verdammte Kohle zurück und die Sache ist erledigt. Die Gewinne schenke ich euch.“
„Du hast das mit der Blockchain immer noch nicht kapiert. Wir, von der Handelsplattform, haben keinen Einfluss darauf. Wir müssen uns an die Regeln handeln. Diese Sache ist automatisiert. Die einzige Möglichkeit dein Kapital frei zu bekommen, ist, dass wir den Betrag spiegeln. Und dazu musst du nochmal 20 000 € einzahlen.“

Charlie verspürte eine unangenehme Enge in der Kehle und in der Brust. Es war nicht auszuhalten. Er musste sich Luft verschaffen, die eiserne Krawatte lockern, die ihm alles zu schnürte, sonst bekäme er binnen kurzem keine Luft mehr.
„Ich rufe dich später an.“
„Okay, Charlie. Aber denke daran: Wenn du zu lange wartest, werden Gebühren fällig. Über kurz oder lang werden sie dein Kapital im Mempool auffressen.“
„Ist das so?“, brachte Charlie gerade noch raus und legte auf.

Er zog sich Schuhe und eine Jacke an und floh nach draußen. Dort nahm er den Weg in Richtung Stadtwald. Er ging öfter dort spazieren, um den Kopf frei zu bekommen. Die beste Möglichkeit den Geist zu klären und nach einer Lösung zu fahnden. Diesmal wird mir das aber nicht gelingen, mutmaßte er unterwegs. Ich habe keine Wertsachen zu verkaufen. Ich kenne niemanden, der mir so eine Summe leihen könnte. Für Forexhandel würde mir so wie so keiner Geld geben. Einen zweiten Kredit werde ich auch nicht bekommen. Die Banken checken meine Schufa und erfahren, dass ich schon einen Kredit habe. Beim meiner geringen Bonität unmöglich einen zweiten zu bekommen – schon gar nicht in Höhe dieser Summe.

Am nächsten Morgen lag ein Brief im Briefkasten. Die zweite Kreditkarte, die Charlie spaßeshalber zwei Wochen zuvor angefordert hatte, war genehmigt worden und angekommen. Er brauchte sie nur auf der Rückseite zu unterschreiben. Eine PIN würde man ihm noch schicken. Überweisen konnte er jetzt schon damit. Charlie besaß bereits eine Karte mit 500€ Limit. Eine arme Leute Kreditkarte, wie er sie nannte. Diese neuerlich angeforderte Mastercard hatte ein Kreditlimit von 3000€. Das war schon eine andere Nummer. Charlie hielt die goldene Karte einen Moment in der Hand und betrachtete sie. Dann küsste er sie und steckte sie in ein Fach im Geldbeutel. „Dieses Schätzchen wird mir weiter helfen“, frohlockte er, „das ist die Lösung.“

Neuman rief an dem Morgen später an als gewöhnlich, erst so gegen 12 Uhr.
Er habe noch ein wichtiges Handelsgeschäft zum Abschluss bringen müssen, erklärte er Charlie. Das sollte vermutlich auch den Eindruck erwecken, dass es sich bei der Plattform um reelle Geschäfte handelte und die Mitarbeiter engagiert und hart arbeiteten, damit beide Seiten – Händler und Broker – davon provitieren konnten.
„Wie sieht es mit einer Teilspiegelung aus?“, fragte Charlie.
„Heißt das, du hast Geld aufgetrieben?“
„Schon möglich.“
Charlie war inzwischen so weit, dass er dem Vorschlag des Brokers zu folgen gedachte, um an sein Geld zu kommen.
„Wie viel hast du denn zusammen bekommen?“
„Eine Kreditkarte mit 3000€ - weitere 1500€ sind noch auf meinem Konto.“
„Okay, gut“, antwortete Neumann, „damit lässt sich was machen.“

Charlie fuhr den Rechner hoch, öffnete Any desk und ließ den Broker eintreten.
Zusammen überwiesen sie die 3000€ auf das Konto eines Netzwerkpartners der Handelsplattform.
Danach die 1500€ vom Girokonto zum gleichen Netzwerkpartner.
„Wenn du die 500€ Dispo dazu nimmst, wären es glatt 5000.“
„Sicher“, antwortete Charlie, „aber dann habe ich überhaupt kein Geld mehr.“
„Ist doch nur kurz. Wie spiegeln einen Teilbetrag und das Geld kommt sofort auf dein Konto.“
Charlie zögerte erst. War dann aber einverstanden und Neumann überwies auch diese 500€ auf das Konto des Netzwerkpartners.
Charlies Konto war danach 500 in den Miesen.

„Ich werde sofort alles in die Wege leiten. Morgen wird dir die Finanzabteilung einen Teilbetrag per Echtzeit auf dein Girokonto überweisen.
Das Geld ist dann sofort da.“
„In Ordnung.“
Neuman legte auf.
Charlie hielt den Hörer noch einen Moment in der Hand und ein „Jaaaa!“ rutschte ihm aus. Der Druck in Kehle und Brust war weg.
Er war einem euphorischen Gefühl und der Gewissheit gewichen, dass nun doch noch alles in Ordnung käme.
Charlie legte auf.
„Alles wird gut – jawohl.“

Teil 5
Christian Neumann hatte Charlie versprochen, dass man mit 5000€ eine Teilspiegelung machen und 10 000€ des Kapitals aus dem Mempool lösen könne. Die nächsten zwei Tage ließ der Broker jedoch nichts von sich hören. Charlie überlegte, ob er in der Schweiz anrufen sollte, um mit ihm zu sprechen.
Aber das war bisher noch nie geschehen; der Broker hatte sich stets bei ihm gemeldet.
Charlie fuhr den Rechner hoch und wollte sein Handelskonto aufrufen, doch die Website war nicht auffindbar.
Er versuchte es über Google, hatte aber auch da kein Glück. Es kam nur immer nur der Hinweis, dass diese Website nicht erreichbar sei.
„Jetzt haben sie mich endgültig gefickt“, fluchte er, „haben nochmal 5000 von mir abgezockt und nun ist der Laden dicht.“
Er starrte auf den Bildschirm, gab nochmal den Namen der Plattform mit Punkt ch ein – aber sie erschien nicht.
Geräuschvoll klappte er den Deckel zu, ohne den Rechner vorher runter gefahren zu haben.
„Scheiße auch!“

Charlie saß vor seinem Schreibtisch und rang nach Fassung. Bald muss ich einen Kredit abzahlen, dachte er, von dem ich keinen Cent haben werde. Neumann und seine Banditen werden derweil mein Geld verzocken. Sich Kaviar und Schampus in teuren Lokalen leisten und mit teuren Nutten aufs Zimmer gehen. Das geile Leben der Finanz-Broker. Und ich werde mich jeden Tag schwarz ärgern und jeden Monat einen hohen Betrag an Rate an die Bank abliefern müssen. Was meine ohnehin angespannte finanzielle Situation noch mehr in Schieflage bringen wird. Wenn ich Miete, Strom, Telefon und Essen nicht mehr bezahlen kann, kann ich meinen Rucksack packen und unter Brücke ziehen. Das Leben eines Clochard wartet.

Am dritten Tag, morgens, Charlie wurde gerade wieder von seinen finsteren Gedanken gepisackt, läutete das Telefon.
Auf dem Display sah Charlie, dass es Neumann sein musste.
„Hallo Charlie, wie geht es dir heute?“
Charlie schluckte den Kloß runter, der in seinem Hals steckte.
„Du rufst nochmal hier an ?“
„Ja – wieso denn nicht?“
„Eure Website ist weg und du hast dich nicht mehr gemeldet.“
Neumann lachte …
„Keine Panik, wir machen gerade Wartungsarbeiten, die inzwischen beendet sind.
Ich schicke dir den Link – mach mal deinen E-Mail Account auf.“
Charlie tat es, klickte den Link an und die Website war wieder da.
„Wir bezeichnen uns jetzt als Punkt io hinter dem Namen.“
Irgendwie fiel Charlie ein Stein vom Herzen. Da hatte er sich zwei Tage umsonst mit miesen Gedanken gequält und alles war nur falscher Alarm.
„Ich hatte viel tun“, ergänzte Neumann, „deshalb rufe ich erst heute an.“

„Okay. Und wie steht es mit der Teilauszahlung von 10 000?“
Neumann druckste herum und antwortete: „Es ist so – nach Aussage der Finanzabteilung müssen erst die Gewinne versteuert werden,
bevor sie das Kapital frei geben.“
„Wie? Das sind doch getrennte Dinge. Außerdem ist genug Geld auf meinem Handelskonto, ihr könnt´ die Steuern davon abziehen.“
„Das geht nicht. Das Geld muss auf einer Krypto-Wallet in Bitcoin umgewandelt und dann weiter zum Versteuern geschickt werden.
Erst wenn das geschehen ist, kann es auf dein Handelskonto zurück überwiesen werden.“
„Was?“
„Wir können das über dein Girokonto und deine Wallet machen, dann geht´s schneller.“
„Aber das dauert doch Tage, dieses hin und her. Ich habe keinen Cent mehr in Reserve, kann nicht mal mehr einkaufen.
Du hast mir alles genommen.“
„Ich schicke dir heute den ersten Betrag – den überweisen wir dann auf deine Kryptowallet und von dort weiter zum versteuern.“
„Wie wäre es mit einem Vorschuss, damit ich ein wenig Geld zur Verfügung habe. Das Geld können wir später mit der Kapitalsumme verrechnen.“
Neumann dementierte. „Ich würde es schon machen, aber die Finanzabteilung nicht.“
„Ich verstehe das nicht. Auf meinem Handelskonto sind über 50 000€ und ich kann keinen Vorschuss bekommen?“
„Wie gesagt – die Finanzabteilung macht das nicht.“

Der erste Betrag kam am nächsten Morgen. Ein schönes Gefühl auf einmal 10 000€ Guthaben auf dem Konto zu sehen. Die Freude dauerte aber nur Minuten. Dann rief Neumann an. Charlie ließ ihn in seinen Computer, öffnete seine Wallet und beobachtete, wie Neumann das Geld vom Girokonto auf das Krypto-Konto überwies. „Heute Abend wird es vermutlich schon dort sein. Ich rufe dich um 18 Uhr an, wir kaufen Bitcoins und schicken sie weiter.“
Punkt 18 Uhr rief Neumann an. Charlie hatte den Rechner zuvor schon hoch gefahren. Das Geld war auf der Wallet angekommen.
Neumann kaufte die Bitcoins und überwies sie weiter auf ein unbekanntes Konto. Zum Versteuern, wie er erneut betonte.
Charlie hatte keine Ahnung, auf was er sich da noch einließ.

Teil 6
Es wurde zu einer Art Routine. Das Geld kam an, große Beträge zwischen 5000 und 15000 €. Wir schickten sie weiter auf meine Wallet. Neumann kaufte dort Bitcoin oder Ethereum und überwies das Geld auf ein Konto, auf dem es angeblich versteuert werden sollte. Auf die Nachfrage, wann diese Transaktionen beendet seien, meinte Neumann, dass ich mehr Gewinne hätte, als er zuerst gedacht hatte. Und es müsste alles versteuert werden. Das beruhigte Charlie erstmal. Wie viel Kohle werde ich wohl am Ende bekommen, malte er sich aus. Selbst wenn die 27% Steuern nehmen, bleibt noch ein dicker Batzen für mich hängen.

Schließlich wurde die nächste Stufe gezündet, mit der Charlie natürlich nicht gerechnet hatte. Das Geld war irgendwann überwiesen, die Sache abgeschlossen. Der Broker bestätigte es und sagte einen Tag später, morgens um 10 Uhr am Telefon: „Du musst noch 15 000€ für den Mempool bringen, sonst können wir das Kapital nicht spiegeln.“
„Was – wollten wir nicht mit den 5000 eine Teilspiegelung machen?“
„Die Finanzabteilung genehmigt es nicht. Das Kapital muss mit dem vollen Betrag gespiegelt werden. Also musst du noch 15000€ bringen.“
„Du zahlst mir die Gewinne aus, dann habe ich das Geld dafür.“
„Geht nicht“, antwortete Neumann, „erst spiegeln. Dann gibt es das ganze Geld – Kapital und Gewinne.“
„Und woher soll ich 15000€ nehmen?“
„Lass dir was einfallen – hast es ja schon mal geschafft 5000 aufzutreiben.“
„Weißt du was – du kannst mich mal. Ich will, dass du mir jetzt die Kohle auf mein Girokonto überweist, mindestens 10 000€.
Deine Ausreden gehen mir langsam auf den Keks.“
Neumann lachte am anderen Ende …
„Hör mal Charlie – weißt du eigentlich in welcher Situation du bist?“
„Was für eine Situation?“
„Mehr als 60 000€ sind über deine Konten gelaufen. Du und ich wissen, dass es nicht so ist; aber für Außenstehende sieht das nach Geldwäsche aus.
Und es läuft alles unter deinem Namen.“
Charlie fiel der Hörer aus der Hand. Kreidebleich geworden versuchte er Luft zu bekommen.
„Geldwäsche?“, fragte er, als er den Hörer wieder in der Hand hatte, „ist das nicht kriminell?“
„Stimmt – dafür kannst du in den Knast wandern.“
„Aber“, konterte Charlie, „ich bin doch kein Krimineller. Ich habe dir vertraut, dass diese Transaktionen lediglich der Versteuerung der Gewinne dienen.“
„Ich sage ja – du und ich wissen dass es nicht so ist; aber für Außenstehende sieht es anders aus.“
„Du hast mich in eine Falle gelockt“, brüllte Charlie in den Hörer.
„Beruhige dich – ich bin auf deiner Seite. Ich bin jetzt dein einziger Freund, der dich da raus holen kann.
Also – zahle die 15000€ ein und alles kommt zu einem guten Ende."

Teil 7
Übers Wochenende hatte Charlie Zeit darüber nachzudenken, was er jetzt weiter tun sollte. Zuhause im Sessel sitzend schnürte es ihm die Brust ein von den Gedanken. Er musste mehr trinken als normal, weil sein Hals so rauh und trocken wie ein Brunnen in der Wüste war. Die Hände schwitzten und ein nervöses Zucken im Gesicht hatte sich eingestellt. Sein Geist blinkte in rot, höchste Alarmstufe – Existenzbedrohung. Um nicht ganz wahnsinnig zu werden, zog er sich Jacke und Schuhe an und lief in Richtung Stadtwald. Das Laufen linderte den psychischen Druck ein wenig; doch die Gedanken schossen weiter in ihn ein, als wären es Blitze, die ihn zu vernichten drohten.
Die Sache aufgeben und den Kontakt abbrechen, wäre die nahe liegende Option gewesen.
Unter anderen Umständen hätte Charlie so reagiert. Aber dann wären 20 000€ futsch, für die er am Ende 8 Jahre lang einen Kredit ab bezahlen müsste.
15000€ auftreiben und die Sache zu einem guten Abschluss bringen, wäre die andere Option. Charlie dachte an eine Bekannte, Marion, die 200 000€ geerbt hatte. Nur, dass das Geld inzwischen weg war – ausgegeben. „So was geht schnell“, hatte sie Charlie am Telefon erklärt, „ehe man sich versieht, ist die Kohle weg. Wenn ich noch Geld hätte, würde ich dir was leihen.“
Wenn der Hund nicht geschissen hätte, hätt´ er den Hasen erwischt.

Charlies Bruder war noch infrage gekommen. Am Telefon fragte er zurück, was mit den 15000 geschehen solle. Charlie, der an diesem Punkt nicht lügen wollte, erzählte ihm vom Forexhandel. Sein Bruder Ralf lachte: „Du glaubst doch nicht, dass ich dir für so etwas Geld gebe. Das sind Betrüger, die zocken
dich ab. Mach, dass du von dieser Handels-Plattform runter kommst, ehe man dich um eine größere Summen erleichtert.“
Wenn der Bruder wüsste, dass das bereits geschehen war. Vermutlich würde er mich für verrückt erklären, überlegte Charlie, wenn er das wüsste.
Charlies Mutter war noch eine Option – wenn auch keine wirkliche. Sie hätte ihm vermutlich ein oder zwei Tausend leihen können. Alles andere hätte ihr Budget überstiegen. Aber Charlie wollte seine Mutter nicht mit reinziehen. Einer alten Frau das Leben unnötig schwer machen, war nicht seine Sache. Es ist schon verflixt: Wenn man wirklich Hilfe braucht, sind alle Türen geschlossen. Die Umstände gestalten sich immer so, dass man die ganze Scheiße wirklich abkriegt und knietief darin waten muss.

Am Montag Morgen war Neumann am Telefon. Es ging eine Weile hin und her wegen den 15000.
Schließlich meinte der Broker: „Mein Gott Charlie, wie kann man nur so blöd sein. Du hast über 60 000 € auf deinem Handelskonto. Musst nur diese läppischen 15000 einzahlen und du bekommst deine gesamte Kohle. Die Finanzabteilung hat dich schon für die Auszahlung vorgemerkt.“
Charlie dachte für eine Sekunde, dass er tatsächlich blöd sei. Warum konnte er nicht irgendwo diese dämlichen 15000€ auftreiben? Auf der anderen Seite stellte sich bei ihm der Gedanke ein, dass sein Broker ihn nur um weiteres Geld erleichtern wollte. Beides war möglich. Charlie wollte sich, trotz dieser Gefahr, diese Tür offen halten und antwortete: „Ich werde sehen, was ich tun kann.“
„Gut Charlie – so gefällst du mir schon besser. Ich rufe dich die Tage wieder an.“

Als Charlie am nächsten Morgen den Rechner hoch fuhr und sich in die Website der Handels-Plattform einloggen wollte, war diese nicht mehr erreichbar. Werden wieder Wartungsarbeiten sein, beruhigte er sich. Abhauen wird der Neumann vermutlich nicht. Er will ja noch die 15000 von mir.

Der Broker rief am nächsten Tag an, es war bereits Mittag.
Er begrüßte Charlie, wie immer, sehr überschwänglich. Charlie fand das jedes mal befremdlich und quittierte es mit einem knappen „Geht mir gut.“
„Hast du eine Möglichkeit gefunden, die Kohle aufzutreiben?“
Charlie schwieg einen Moment. Was sollte er darauf antworteten. Es war ihm nichts passendes eingefallen.
„Du bist so still – hast du oder hast du nicht?“
„Hab ein paar Leute angerufen“, antwortete Charlie halblaut, „die können mir aber nicht helfen.“
„Wir können zusammen versuchen, einen weiteren Kredit aufzunehmen.“
Davon war Charlie ganz und gar nicht begeistert. Wenn die Sache am Ende schief ging, hatte er zwei Kredite für die nächsten Jahre zu bedienen.
Das würde sein Budget auf jeden Fall überfordern, um nicht sagen zu müssen, sprengen.
„Keinen weiteren Kredit.“
„Und wie willst du an das Geld kommen?“
„Ihr zahlt mir einen Teil der Gewinne aus.“
„Das geht nicht – hab ich dir doch schon erklärt.“
„Es wäre der einfachste Weg.“
„Ich würde das machen – die Finanzabteilung macht es nicht.“
Einen Moment herrschte Schweigen. Bis Neumann die Stille unterbrach und meinte:
„Ich gebe dir nochmal bis morgen Zeit, dann hast du eine Lösung.“
Wenn das so einfach wäre, dachte Charlie.
„Was ist eigentlich mit der Website?“
„Drei mal darfst du raten – Wartungsarbeiten. In ein paar Tagen gibt es eine neue.“
„Okay.“
„Bis Morgen will ich eine Lösung haben, Charlie.“
Charlie antwortete nicht und legte auf.
 
Zuletzt bearbeitet:



 
Oben Unten