6 Jahre

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Bo-ehd

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Ich war gerade zum Oberkommissar befördert worden und richtete mein Büro ein, als ein etwa 30 Jahre alter, gut aussehender und athletisch gebauter Mann leichtfüßig und offensichtlich guter Laune auf der Dienststelle erschien. Er trug eine leichte Sommerhose und ein T-Shirt, beides nicht mehr ganz neu, aber sauber und gebügelt. In der Hand hielt er eine kleine Reisetasche. Er blickte sich um, als würde er etwas suchen, sog die Luft durch die Nase, verharrte einen Augenblick, sagte dann „Kaffee?“ und trat völlig unbeschwert, als hätte er die Absicht, eine frohe Botschaft zu überbringen, an die Empfangstheke, wo normalerweise der erste Kontakt zu einem Beamten stattfindet.
„Ich möchte den Chef der Kripo sprechen“, verlangte er, immer noch mit einem Lächeln auf seinem Gesicht.
Der Beamte hinter der Theke zog die Augenbrauen hoch. „Jetzt sagen Sie mir erst einmal, wer Sie sind, und dann, was sie wollen.“
„Mein Name ist Johannes Birger, und ich möchte ein Geständnis ablegen.“
„Worum geht es?“
„Um ein ganz großes Ding. Könnte ich bitte auch einen Kaffee haben?“
„Geht’s ein bisschen genauer. Ich muss das wissen, damit ich Sie an die richtige Abteilung verweisen kann.“ Den Kaffeewunsch ignorierte der Beamte.
„Ich stelle mich freiwillig und gestehe eine Tat, von der ihr nicht einmal gewusst habt, dass sie begangen wurde. Ist euch das nicht mal einen Kaffee wert?“
Ich stand inzwischen in der Tür und verfolgte den Dialog aus nächster Nähe. Als ich sah, dass der Beamte durch das ungewohnt lockere Auftreten des Besuchers immer misstrauischer und nervöser wurde, mischte ich mich ein. Ich nickte ihm zu und übernahm.
Wir nahmen im Verhörraum Platz. „Ich bin Oberkommissar Becker von der Kripo. Das Gespräch wird aufgezeichnet, damit es nicht zu Missverständnissen kommt. Nun erzählen Sie mal, Herr Birger. Und bitte von Anfang an und so ausführlich wie möglich, damit wir Ihre Angaben richtig einschätzen können.“
„Ja, das ist mir sehr recht. Könnte ich vielleicht jetzt einen Kaffee bekommen? Im Flur habe ich einen Automaten gesehen.“
Ich bestellte ihm eine Tasse.
„Danke! Ich will ja einer gerechten Strafe zugeführt werden, wie das so schön bei Ihnen heißt, und da ist es logisch, dass mein Handeln richtig gewürdigt wird.“
Was ist das denn für ein Vogel, dachte ich. Kommt beschwingt hierher zum Kaffeetrinken, will ein Geständnis ablegen und einsitzen. Normalerweise läuft es andersherum. Da wird gelogen und verschwiegen und getrickst, damit die eigene Haut gerettet wird, und dieser Clown hier legt’s auf eine Verurteilung an. Das hatte ich noch nie erlebt. Ich war gespannt wie ein Flitzbogen. Was mochte der wohl auf dem Kerbholz haben?
Er begann zu erzählen:
„Ich bin seit sieben Jahren in der Verwaltung bei LangTechnologies tätig. Genau gesagt in der Buchhaltung, noch genauer im Rechnungswesen. Ich mache dort einen fehlerfreien Job. Es hat noch nie, ich betone, noch nie eine Unstimmigkeit gegeben. Leider habe ich von der Firmenleitung zu keiner Zeit eine Bestätigung für meine gute Arbeit bekommen, von einer Beförderung ganz zu schweigen. Beförderungen gab es genug, aber ich wurde nie vorgeschlagen. Meine Vorgesetzten wechselten ständig in höhere Positionen, während ich auf meinem Stuhl klebte und keinen Zentimeter vorankam. Ich war immer nur das Arbeitstier.“
„Hört sich nicht so gut an“, sagte ich und zeigte Verständnis, um etwas Vertrauen zu gewinnen.
„Es kam der Zeitpunkt, als ich mich fragte, warum ich immer nur den Idioten für die Firma spielen soll. Jahr für Jahr steigt der Aktienwert um 10%, und die Auftragsbücher sind voll. Geld ist also genug da, nur sehe ich davon nicht einen einzigen Groschen.“
Jetzt wurde es spannend. Was der hier abzog, war die Ausführung eines klaren Konzeptes, mehr noch: einer professionellen Planung. Derartiges ist äußerst selten. Mein Gefühl lässt mich bei solchen Sachverhalten selten im Stich. Ich ahnte, dass es ums große Geld ging, wollte ihn aber nicht fragen, solange er von sich aus erzählte. Ich war darauf vorbereitet, dass er gleich mit einem Clou rüberkam.
„Ich war zuletzt unter anderem mit den Zahlungsvorgängen in unseren Büros im Ausland betraut worden. Für meine Geschichte ist diejenige in Dubai von Bedeutung. Solche Einrichtungen sind sinnvoll, weil sie für die Kunden den Aufwand Zolls und des internationalen Zahlungsverkehrs vermeiden und obendrein das Image pflegen. Gerade in Nahost ist es von Vorteil, wenn man im Land des Kunden Einheimische beschäftigt.“
Ich nickte. So genau wollte ich es eigentlich gar nicht wissen, aber ich ließ ihn weitererzählen. Irgendwann würde er schon auf den Punkt kommen.
„LangTechnologies hat vor drei Monaten Ersatzteile für Kettenfahrzeuge, also Bagger, Raupen und ein Dutzend Kriegsfahrzeuge, geliefert. Der Rechnungsbetrag belief sich auf 1,56 Millionen Dollar. Diesen Betrag habe ich umgeleitet auf mein zuvor eingerichtetes Privatkonto in Dubai mit der Begründung gegenüber dem Kunden, dass sich die Kontodaten geändert hätten. Damit das glaubwürdig war, habe ich ihm ein Schreiben geschickt, dass zweifach unterschrieben war. Die Unterschrift des Prokuristen habe ich gefälscht. Mehr sage ich dazu nicht.“
Damit bestätigte sich meine Vermutung. Aber warum kam er hierher und erzählt mir das?
„Ihre Geschichte geht ja weiter. Das Geld landete also auf ihrem Konto. Wo ist es jetzt?“, wollte ich wissen.
„Es ist weg.“
„Wie weg?“
„Es ist nicht mehr da, einfach nicht mehr da.“
„Sie haben es aber von Ihrem Konto abgehoben oder sonstwie darüber verfügt?“
„Ja, und dann war es plötzlich weg.“
„Wie genau ist es Ihnen denn abhanden gekommen?“
„Das kann ich nicht sagen, und wenn ich es wüsste, würde ich es Ihnen nicht verraten.“
Mein Verständnis für diesen Kerl sank schlagartig.
„Bei einer Verurteilung wird der Verbleib des Geldes eine wesentliche Rolle spielen. Das wissen Sie hoffentlich?“
„Das weiß ich. Halten Sie mich bitte nicht für naiv.“
„Wollen Sie fortfahren?“
„Es gibt nichts mehr zu sagen.“
Ich notierte noch die persönlichen Daten und seine Kontonummer bei der EcoBank of Dubai. „Ich lasse ihre Aussage tippen, dann komme ich wieder. Sie müssen solange hier warten.“ Ich lieferte die Aufnahme ab, ging in mein Büro und rief den Geschäftsführer von LangTechnologies an.
„Hier auf der Dienststelle hat sich ein Herr Johannes Birger gemeldet, der behauptet, bei Ihnen angestellt zu sein. Können Sie das bestätigen?“
„Ja, natürlich, er ist ein langjähriger Mitarbeiter. Sehr zuverlässig. Allerdings ist er seit vier Tagen nicht zur Arbeit erschienen. Wir vermuten, dass er krank ist. Er hat leider keine Angehörigen, die Auskunft geben könnten, und telefonisch ist er nicht zu erreichen. Wer weiß, wo er ist? Ist ihm etwas zugestoßen?“
„Nein, so würde ich das nicht beschreiben. Er hat gerade gestanden, Sie bestohlen zu haben.“
„Das kann nicht sein, das hätten wir gemerkt. Wie soll er das denn gemacht haben?“
„Er erzählte etwas von einer Zahlung eines Kunden in Dubai, die er umgeleitet haben will. Es geht um 1,56 Millionen Dollar.“
„Davon wissen wir wie gesagt nichts. Ich lasse das prüfen und rufe Sie zurück.“
Nach 20 Minuten kam der Rückruf. Die Zahlung des Kunden sei geleistet, aber noch nicht eingegangen. Das Büroteam habe die Polizei in Dubai um Mithilfe bei der Klärung gebeten.

Als ich den Vernehmungsraum wieder betrag, saß Birger auf der vordersten Kante seines Stuhls, die Beine gestreckt und weit unter dem Tisch, der Rücken in die Lehne gepresst. Er umfasste mit beiden Händen die leere Kaffeetasse und grinste, als ich mich an den Tisch setzte.
„Gibt es einen Grund zu grinsen?“, fragte ich.
„Ja, es läuft alles so, wie ich mir das vorgestellt habe.“
„Ich verstehe Sie nicht“, bemerkte ich. „Wenn Sie das Geld nicht herschaffen, sitzen Sie wegen Untreue und Unterschlagung …“
„… in Tateinheit mit Betrug und Urkundenfälschung.“
Der verrückte Kerl hatte sich über alles informiert, das wurde immer deutlicher. Vielleicht hat er sich sogar von einem Anwalt beraten lassen. Welcher Laie kennt schon den Begriff der Tateinheit?
„Es werden viele Jahre sein, die Sie einsitzen müssen. Wollen Sie nicht so langsam mal einen Rechtsvertreter in Anspruch nehmen?“
„Nein, das ist nicht nötig. Ich weiß, was auf mich zukommt. Mit oder ohne Anwalt. Und ich habe entschieden, dass ich meine Strafe akzeptieren und absitzen werde. Könnte ich vielleicht noch einen Kaffee …“
„Kriegen Sie, wenn Sie mir sagen, wo das Geld ist.“
„Das kann ich nicht. Jedenfalls kann ich Ihnen keine genauen Angaben machen.“ Er machte eine kurze Pause und fuhr dann fort: „Wann wird es zur Verhandlung kommen? Ich habe mein Waschzeug schon dabei.“ Er deutete auf die Tasche, mit der er zur Dienststelle gekommen war.
„Das kann ich Ihnen nicht sagen. Sie scheinen es ja mit dem Gefängnis ziemlich eilig zu haben. Aber ich kann Sie beruhigen, die Untersuchungshaft beginnt sofort und wird Ihnen angerechnet.“
„Das ist beruhigend zu wissen.“
Ich ließ ihn abführen, setzte mich an meinen Schreibtisch und begann, den Fall nochmal von vorn bis hinten zu durchdenken. Mit so einem verrückten Kerl hatte ich bisher noch nicht das Vergnügen. Alles sprach dafür, dass es für jedes einzelne Wort, sein Verhalten und das beharrliche, entschiedene Schweigen bezüglich der Beute einen Masterplan gab.

Vor Gericht lieferte er zwei Monate später das gleiche Spiel ab. Er beschrieb jede Einzelheit seines Vorgehens, zeigte Unrechtsbewusstsein und erklärte, dass ihm zu jeder Zeit die Schuld bewusst war, die er sich mit dieser Tat aufgeladen hatte. Zum Ende der Verhandlung verhöhnte er noch den Vorsitzenden.
„Ich habe dem Gericht jetzt alle Informationen geliefert, die erforderlich sind, um ein gerechtes Strafmaß zu finden. Bitte tun Sie jetzt Ihre Arbeit. Und fragen Sie bitte nicht noch einmal nach dem Verbleib des Geldes. Selbst wenn ich wollte, ich kann es Ihnen nicht sagen.“
Das Gericht verdonnerte ihn zu 7 Jahren Gefängnis. Es entsprach seinen Erwartungen, und als er aus dem Gerichtssaal geführt wurde, sah er mich grinsend an und nickte, als wollte er sagen „Sehen Sie, klappt doch alles wie am Schnürchen.“ Ich begriff die Welt nicht mehr.

*

Sechs Jahre später, ich war inzwischen zum Hauptkommissar befördert worden, wurde er auf Bewährung entlassen. Wir wurden angewiesen, ihn rund um die Uhr zu observieren, weil wir davon ausgingen, dass er uns zu der Beute führte. Aber dafür war er wohl zu schlau. Statt dessen kam er eines Tages ins Revier, klopfte an die Scheibe meiner Bürotür und trat ein.
„Hallo“, sagte er und stellte mir eine Kilopackung kostbarsten Kaffees auf den Tisch. „Ich hab es Ihnen damals nicht gesagt, aber der Kaffee hier schmeckt sch … unterirdisch“, kam es trocken. „Wollte Ihnen nur sagen, dass ich wieder draußen bin. Ach, da hätte noch etwas. Das hätte ich doch beinahe vergessen: Er griff in die Westentasche seines Jacketts und entnahm ihr eine Plastikhülle mit einem Blatt Papier darin.
Jetzt lüftet er endlich das Geheimnis, schoss es mir sofort durch den Kopf, und ich begann, das Dokument zu lesen. Es war ein Kontoauszug der EcoBank of Dubai. Darauf befanden sich zwei Buchungszeilen. Die eine zeigte ein Guthaben von 2,5 Millionen Dollar, die andere wies eine Überweisung an LangTechnologies über 1,56 Millionen Dollar aus.
„Haben Sie allen Ernstes geglaubt, dass ich das Geld behalten will?“
„Was zum Teufel ist da wirklich abgelaufen?“, fragte ich mit sichtlicher Ungeduld. „Was war das für ein Plan, und warum haben Sie das Geld zurücküberwiesen?“
„Sehen Sie, Herr Kommissar, ich bin im Grunde ein ehrlicher Mensch. Ich würde nie meine Firma betrügen, die mir jahrelang einen anständigen, wenn auch nicht üppigen Lohn gezahlt hat. Aber sie hat mich – ich sagte Ihnen das bereits – in meinen Fähigkeiten und Qualitäten maßlos unterschätzt. Das hat über die Jahre sehr geschmerzt.“
„Das ist aber noch nicht das Ende der Geschichte!“
„Nein, es ist nicht das Ende. Das Ende ist, dass ich das Geld sechs Jahre lang für mich habe arbeiten lassen, während ich einsaß. Ich habe es über einen Broker in Aktien angelegt und tagtäglich auf dem Gemeinschafts-PC die Finanzmärkte im Auge behalten. Hätten Sie gedacht, dass dieser Zeitraum ausreicht, um mich zum Millionär zu machen? Lächerliche 8 Prozent Ertrag pro Jahr reichten dafür. Können Sie nachrechnen. Voraussetzung dafür ist natürlich, dass Sie in dieser Zeit von dem Geld nichts verbrauchen. Das gelingt Ihnen am besten, wenn Sie einsitzen, wie Sie sehen.“
„LangTechnologies wird diese Zinsen auf dem Zivilweg einklagen.“
„Nicht doch, Herr Kommissar“, konterte er mit einer gewissen Hochnäsigkeit. „Als ich ankündigte, das Geld zurückzugeben, habe ich mir bestätigen lassen, dass damit auf alle weiteren Ansprüche gegen mich verzichtet wird.“
 

ThomasQu

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Gute und witzige Geschichte, aber mein erster Gedanke: wenn einer sooo clever ist, findet der bestimmt auch einen etwas angenehmeren Aufenthaltsort, um diese sechs oder sieben Jahre entsprechend billig zu überstehen.
Knast ist kein Vergnügen!
Grüße Th.
 

petrasmiles

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Gut geschriebenes Räuberpistölchen - natürlich vorhersehbar, aber dann doch überraschend.
Ich fürchte nur, die Zeit solcher 'Helden' ist vorbei.
Gerne gelesen.

Liebe Grüße
Petra
 

Bo-ehd

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Hallo Petra,
danke fürs Lesen und Kommentieren.
Ja, die Zeit ist vorbei - und doch wieder nicht. Wenn ich bedenke, wie der Höness im Knast geschont wurde und nach 2 Jahren wieder rauskam, würde ich sagen: Die Chancen, so ein Ding durchzuziehen, sind besser denn je.
Gruß Bo-ehd
 

petrasmiles

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DAS schon! Aber man mag sie nicht mehr - und möchte entsprechend auch nichts über sie lesen.
Dass er das relativ unbeschadet überstanden hat, und sich nicht alle von ihm abwandten, muss am FCB-Gen liegen und diesem 'mir san mir'.
Ganz oft können schon kleinere Fehltritte Verdienste vergessen machen, bei ihm nicht.
Und das ist so das Anerkennendste, was ich über die 'Schikeria' sagen möchte.

Liebe Grüße
Petra
 

Bo-ehd

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Hallo Thomas,
aus Sicht des Täters hast du sicherlich Recht. Aus Sicht des Autors weniger: Der Witz der Geschichte ist ja dadurch verstärkt, dass es zu diesen Dialogen auf der Wache kommt, wo er die Fäden voll in der Hand hält und den Kommissar am langen Arm zappeln lässt.
In der Urfassung hatte die Story eine Rahmenhandlung: Der Kommissar geht in Pension und ein Journalist fragt ihn, welcher seiner Fälle ihn am meisten beeindruckt hätte. Und er sagt: "Weder Mord noch eine Schießerei. Es war ein kleiner Gauner, dessen Fall wir nie hätten lösen können."
Gruß Bo-ehd
 

Bo-ehd

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Hallo Petra,
bin da voll bei dir. Höness hat mal vor Haftantritt sinngemäß verlauten lassen, dass er jetzt endlich Zeit habe, "um sein Herz machen zu lassen". Die Behandlung erfolgte abseits der Mauern in einer Privatklinik.
Gruß Bo-ehd
 



 
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