Anhalter Bahnhof-Alles aussteigen-Dieser Zug endet hier Zwei

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Hinterher fragt mich B: „Kommst du mit in die Grenadierstraße, da kannst du 94 prozentigen Schnaps probieren?“ Da lasse ich mir natürlich nicht zwei Mal sagen.

„Hier in der Grenadierstraße, deren Läden mit den hebräischen Aufschriften und den merkwürdigsten Namen das Fremdartige sofort erkennen lassen, herrscht im Sommer ein lebhaftes Treiben wie auf einem öffentlichen Markt in Galizien oder Polen.”

Ein Mann läuft auf der Straße.

“Bei der matten Beleuchtung einer Straßenlaterne erkennt man in dem müden Wanderer einen Ostjuden mit langem schwarzem Kaftan, dunklem struppigem Vollbart und den ringelnden Stirnlöckchen unter dem breitrandigen schwarzen Hut.”


“Ich kenne ihn. Das ist ein gewisser Herr Pufeles”, sagt B zu mir.

Der Herr klopft an eine Haustür an, und eine Frau öffnet ihm.

B und ich werden Ohrenzeugen folgenden Dialogs.

„Ich hab ä schein Stübl for Euch, gestern de Bett'n frisch bezog'n. ...

»Das is mei Zimmer, um das Se gehandelt hab'n ä Stund?« fragte Herr Pufeles entsetzt, als ihm die Wirtin die kleine Türe zu dem engen Hintergemach öffnete, »und de weißen Gardien'n, von den Se geredd' hab'n stundenlang?!«

»Noch nich schain genug for den Krakauer Jüd«, murrte Frau Machschewes,»was kann ich davor, wenn Se hab'n ä groß Hintergestell vorn und hinten, daß Se nich reinpassen in de Stub? Und de Gardien? Kiek'n Se nach oben, was is 'n das anders als 'ne Gardien?!«

»Das nenn ich ä Wimpel an de Fahnenstang, das Streif'che da oben.
Adolf Sommerfeld; Das Ghetto von Berlin 1923

Nicht weit entfernt vom Ostjudenviertel liegt die Schönhauser Allee. „Hier ist das ehemaliges Baruch-Auerbachsches Waisenhaus. Dort bin ich aufgewachsen.“ sagt B, und zeigt auf ein Gebäude am Senefelder Platz. “Unser Direktor war der Autor Martin Salomonski. Kennst du das Buch „Zwei im anderen Land“? Das hat er geschrieben. Er hat allen ein Buch mit Widmung geschenkt, zur Erinnerung. Ich habe ein Exemplar dabei.“

Ich staune, dass B ein Jude ist, schlage es auf und lese:

„Als die Juden um die Mitternachtsstunde sich in einem ungeheuren, riesenhaften Zuge versammelt hatten, erschienen vor ihnen ein Mann und eine Frau. Diese befahlen ihnen, immer dichter zusammenzurükken, bis sie sich berührten und die Leiber aller so eng aneinander preßten, daß sie ein Ganzes bildeten…In tiefster Nacht, wie einst beim Auszug aus Ägypten – so heißt es in dem merkwürdigen Buche – entfernten sie sich; bei strahlendem Sonnenschein kamen sie auf dem Monde an.«Martin Salomonski; Zwei im anderen Land 1933

Wir eilen

“hinunter zur Untergrundbahnstation Senefelder⸗Platz. Hier bot sich ... das tägliche Bild. Der Bahnsteig war angefüllt mit Menschen der verschiedensten Art, Angestellte beiderlet Geschlechts, die auf schnellstem Wege zu ihrer Beschäftigungsstätte gelangen wollten; ein jeder nur auf sich bedacht, stehend oder sitzend mit dem einfahrenden Zuge befördert zu werden. Ein Drängen und Schieben beginnt, gewalttätig und rücksichtslos. Die Fahrgäste, die bereits bei der Einfahrt im Zuge saßen, weil sie auf vorhergegangenen Stationen eingestiegen waren, betrachten mit höhnischer Schadenfreude und ironischen Zurufen den Menschenstrom, der sich wie eine zähe Masse durch die weit geöffneten Türen quetscht.” Adolf Sommerfeld; Das Fräulein vom Spittelmarkt 1923

B und ich steigen Spittelmarkt aus.

Der Untergrundbahnhof Spittelmarkt speit die schwarze Menschenflut aus, wie eine aus einem tiefen Schlunde hervorquillende Masse, die im Freien nach allen Richtungen auseinanderläuft und mit dem Gewirr der Straßenbahnen, Autoomnibusse, Autodroschken und den am frühen Morgen besonders eiligen Fußgängern zu einem buntbewegten Großstadtbild verschmilzt. Die Rufe der Zeitungshändler und Kutscher sowie die dumpfen oder kreischenden Huppensignale der Autos und die schrillen Glockenzeichen der Straßenbahnen vervollständigen das nervenzerrüttende und beängsti⸗ gende Getriebe auf diesem Platze, der, im Mittelpunkt des Geschäftsviertels gelegen, zu den belebtesten Ber⸗ lins gehötr.*Adolf Sommerfeld; Das Fräulein vom Spittelmarkt 1923

„Kommst du mit zum Arbeitsamt. Ich muss mein Stempelgeld abholen.“ sagt Freund B zu mir.

„Es war nicht mehr weit bis zum Arbeitsamt. Man sah schon deutlich den Weg dahin, viele liefen in der gleichen Richtung, junge Mädchen, halbwüchsige Burschen, und die abgebauten Angestellten waren daran zu erkennen, daß sie noch etwas Wert auf ihre Kleidung legten, die Männer zum Beispiel kamen alle mit Kragen und Schlips. … Auf einer Uhr war es 8 Uhr 25. Sie mußten sich beeilen, wenn sie den Stempel noch rechtzeitig bekommen wollten. … Die Schlange begann an der Tür des Konferenzzimmers, ging durch den langen Gang der zweiten Etage, machte eine Wendung um die Ecke, kletterte im Seitenflügel die Treppe herab, zog durch einen schmalen Gang der ersten Etage, stieg in kurzen Windungen ins Erdgeschoß und endete hier, etwa zehn Meter von der Hoftür entfernt. Es hatte sich schon einige Male ereignet, daß die Schlange bis in den Hof gekommen war.“ Rudolf Braune; Junge Leute in der Stadt 1932

Wir haben jetzt etwas Geld und gehen hungrig zu Aschinger am Alex, einem Selbstbedienungsrestaurant. Mit einmal sehe ich das junge Mädchen, das Sekretärin ist. Sie heißt Erna, und ist mit mir zusammen auf dem Anhalter angekommen. Sie erzählt uns: “Ich bin hier mit meinem Freund Fritz verabredet.”

“Erna muss vorsichtig dem bedienenden Personal ausweichen, denn sie hat kein Geld. Sie kann sich nicht einmal ein Würstchen kaufen. Und heute, am Ende eines aufregenden Tages, verspürt sie wirklich Hunger. Das bißchen schmale Gasthausessen hilft natürlich nicht über einen vollen Tag hinweg. Zwanzig Jahre und kein Frühstück und keine Abendbrot, das ist vielleicht zu wenig. Gerade heute wünscht sie sich etwas Gutes, Warmes, Nahrhaftes. Fritz wird sicher noch etwas Geld haben oder zu Hause Brot und Aufschnitt. Ja, Fritz wird ihr sicher etwas zu essen geben. Vielleicht bestellt er ein paar warme Würstchen.” Rudolf Braune; Das Mädchen an der Orga Privat 1930

Aber Fritz kommt nicht, und so laden B, der ein gutes Herz hat, und ich Erna ein.

Neben uns am Tisch sitzen ein Mann und eine weinende Frau.

„Martha, du musst verstehen, dass ich dich nicht heiraten kann.” Sie läuft verzweifelt aus der Tür, und ruft: „Ich bringe mich um.“ B und ich machen uns Sorgen um sie, und laufen ihr hinterher. Der Mann bleibt sitzen.

„Vor der Brücke hemmte sie ihren Schritt. Dann hatte das Dunkel sie plötzlich verschluckt. Und mich faßte der entsetzliche, vorwärts reißende Gedanke: »Wenn sie sich ein Leid's anthäte? Wenn sie in's Wasser spränge?« ...

Sie stand an dem Geländer und schaute hinab. Unter ihr schlummerte der dunkle Kanal, in dessen Fluten zwei Omnibuslaternen unheimlich zitternde Blutstropfen ergossen.

Ich trat an sie heran: »Fräulein Martha!« und legte die Hand auf ihre Schulter, ohne daß sie sich rührte.

»Fräulein Martha! Gehen Sie nach Hause! Gehen Sie von hier. Wie können Sie so spät Nachts auf dieser Straße stehn bleiben!«

Aber sie riß sich los.

»Lassen Sie mich! Sonst rufe ich die Polizei.«

Mir krampfte sich das Herz zusammen. Warum sagte sie mir ein solches Wort?...

Auf der Weidendammerbrücke wiederholte sich dasselbe wie vorhin. Sie blieb stehen und sah in die Spree hinab. Aber ich war an ihrer Seite. Ich flehte, bat, ich weinte fast, sie möge doch nach Hause gehen. Doch sie hörte mich nicht, wollte nicht hören.

…Ich belog mich mit trügerischem Trost, daß sie vergessen, daß, wenn sie nur diese Nacht überwand, sie wieder gesunden würde.“


B fasst mich am Arm. „Komm, wir können ihr nicht helfen. Damit muss sie selber klar kommen.“ „Vielleicht hat er recht.“ denke ich und laufe trotzdem weiter hinter ihr her.

…Endlich, gegen Morgen, als ich nicht mehr wußte, in welcher Gegend wir uns befanden, schloß Martha ihre Hausthür auf, ohne sich noch einmal nach mir umzuwenden.“


Am nächsten Morgen zeigt B auf die Zeitungen im Ständer vor dem Kiosk.

„Alle enthielten in denselben Worten die kurze Notiz des Selbstmordes der Martha Kl“Wilhelm Hegeler; Martha 1894

B sagt zu mir: “Komm mit, dann lernst du meine Schwestern kennen.” Er kauft Süßigkeiten.

“Eine entlegene Straße draußen im Südosten der Riesenstadt. Draußen hört man die Lokomotiven der Bahn pfeifen, aber kein sichtbares Zeichen des pulsierenden Lebens dringt in die triste Hofwohnung der vierstöckigen Mietskaserne.”

B erzählt mir, dass seine Schwestern, von denen die eine Witwe ist, hier mit seinen vier Neffen wohnen. Die beiden leben von Heimarbeit.

“Trostlos und einförmig spielt sich das Leben der beiden ab. Frühmorgens erheben sie sich, bringen schnell die Wohnung in Ordnung und sorgen dafür, dass die beiden ältesten Kinder zur Schule kommen. Dann geht die Stepperin zur Werkstätte, während sich die ältere Schwester an die Maschine setzt. Die beiden jüngsten Kinder wartet sie nebenbei. ... So leben die beiden Frauen Tag für Tag ohne jede Abwechslung in diesem öden Einerlei. Trotz aller Mühe und Anstrengung gelingt es ihnen nicht, sich aus dieser elenden Lage herauszuarbeiten, und selbst in der Hochsaison kommen sie nur in Ausnahmefällen auf einen wöchentlichen Gesamtverdienst von zwanzig oder zweiundzwanzig Mark.”Hans Ostwald; Berlin Anfänge einer Großstadt 1904

Die Kinder freuen sich über die Süßigkeiten, aber B und ich verabschieden uns bald wieder.

Wir schlendern weiter durch die Stadt.

An einer Kreuzung ist das Straßenpflaster längs der Schienen aufgerissen; im Wechsel schlagen vier Arbeiter mit Vorschlaghämmern auf einen Eisenpfahl ein; der erste trifft, und schon senkt der zweite seinen Hammer mit wei tem, akkuratem Schwung; der zweite Hammer saust nie der und erhebt sich gen Himmel, während der dritte und dann der vierte in rhythmischer Folge zuschlagen. Ich lau sche ihrem geruhsamen Klang, wie vier sich wiederholen den Noten eines eisernen Glockenspiels. Ein Bäckerjunge mit weißer Mütze kommt auf seinem Dreirad vorbeigeflitzt; ein mehlbestäubter Bursche hat et was Engelhaftes. ... Ein Postfah rer hat die Öffnung eines Sackes unter einen kobaltblauen Briefkasten geschoben, befestigt ihn von unten, und heimlich, unsichtbar leert sich der Kasten mit gemächli chem Rascheln, und der Postfahrer klappt den viereckigen Rachen des nunmehr voll und schwer gewordenen Beutels zu. Wladimir Nabokow; Berlin - Ein Stadtführer 1925

„Willst du mal eine Lasterhöhle sehen, dann folge mir.“ sagt mein rothaariger Stadtführer zu mir.

„In einem unansehnlichen vierstöckigen Gebäude der Flottwellstraße befinden sich zwei Keller. In dem einen wird ein Produktengeschäft betrieben, …während der andere Keller, dessen tiefliegendes Fenster mit schmutzigweißem Stoff behängt ist, oberhalb des Einganges auf einem verwitterten Schild die Aufschrift trägt: »Bouillon und Kaffee zu jeder Tageszeit.« Darunter in unauffälliger kleiner Schrift: Inh. Robert Mürich. …Was sich in dem Raum an Schmuck und Inventar befindet, ist schmutzig, verbraucht und morsch, wie die Menschen, die auf den Bänken längs der Wände sitzen, hocken, liegen oder vornübergebeugt die Tischplatte als Stütze für Kopf und Arme verwenden.Diese merkwürdige Gaststätte wird im Kreise der eingeweihten Besucher »der Kokskeller« genannt, was mit dem Brennstoff nichts zu tun hat, sondern von Kokain abgeleitet ist. Und alle Gäste, die hier verkehren, haben nicht das geringste Bedürfnis nach Bouillon oder Kaffee, sondern nur nach Kokain und Morphium, welche Gifte ihnen von dem ebenso geschäftsgewandten wie gewissenlosen Wirt in jeder gewünschten Menge und natürlich zu sehr hohen Preisen verabfolgt werden.”Adolf Sommerfeld; Das Ghetto von Berlin 1923

Als wir aus der Tür kommen, hat sich auf der Straße ein Menschenauflauf gebildet. Alle stehen um ein kleines Mädchen rum. “Sie hat sich verlaufen”, sagen die Leute. Ein Mann in einer blauen Schürze bietet sich an, sie in ein Kinderheim zu bringen.

“Kommt ihr mit?, fragt er uns beide. “Geht klar”, antwortet B, und wir gesellen uns dazu.

“Er führt das Mädchen nun die Alte Jakobstraße entlang, wobei der Unterarm des Mädchens in seiner riesigen, etwas geröteten Hand fast verschwindet. Beinahe trägt er jetzt das namenlose Kind, da das arme Wesen seine Mattigkeit nun erst zu empfinden scheint und die mageren Beinchen schleifend über den Asphalt nachschleppt.

Unfern der Reichsdruckerei befindet sich in der Alten Jakobstraße ein Waisenhaus der Heilsarmee für Knaben und Mädchen. Dort wird sicherlich Platz für das Kind sein, wenigstens in der ersten Zeit. Vielleicht kann er später in seiner eigenen Behausung für das Kind Raum schaffen. Am liebsten trüge er es sofort heim wie ein Vögelchen in einem neu gekauften Bauer.

Er kommt zu dem hohen, grauen, in der Morgendämmerung gewaltig erscheinenden Bau des Waisenhauses und drückt auf die Klingel, während der müde, kleine, von feinen zarten Haaren reich umflaumte Kopf sich warm an seine Kniescheibe preßt. ...

Aber schon öffnet die Türhüterin. Es ist eine ältere Frau mit hellblauem Holländerhäubchen. ... Die Schwester Türhüterin sieht die beiden staunend an, schweigt aber und hüllt sich nur dichter in ihr schottisches Tuch.”
Ernst Weiß; Die Feuerprobe 1923

B und ich verabschieden uns, und schlendern weiter.

An einer Litfaßsäule lese ich einen Anschlag:

“Weit im Osten draußen, im Hause Petersburger Str. 39, hat eine Arbeiterkunstausstellung ihre Pforten geöffnet.”

Wir müssen unbedingt in die Petersburger Straße sage ich zu B. „Ich bin leider ein Kunstbanause, aber dir zuliebe gehe ich mit.“ erwidert er mir. Wir gehen in der Ausstellung umher.

Diese etwa 300 Bildwerke sind an sich durchaus ungleichwertig. Durchschnittlicher Dilettantismus wechselt in bunter Reihenfolge mit Streben nach äußerster Naturwahrheit und Verlangen nach eigener Ausdrucksform. … Das alles ist nach schwerem Tagewerk entstanden, oft genug wohl müde gearbeiteten Händen und vorzeitig trübe gewordenen Augen abgerungen. Von den beigegebenen Lebensläufen prägt sich die stereotype Formel ein: »es fehlten die Mittel zur Ausbildung.« Carl von Ossietzky; Berliner-Volkszeitung 1921

B und ich schlendern weiter durch die Räume.

“Doch vor einer Wand in der Nähe des großen Saales blieb ich stehen...Ich weiß nur noch, dass ich dort, vor dem Porträt einer Frau im Pelzmantel, wie angewurzelt stehenblieb. Die anderen an den Bildern vorbeiziehenden Besucher drückten mich mit ihren Körpern nach rechts und links, doch ich bewegte mich nicht vom Fleck. Was war das Besondere an diesem Porträt? Ich weiß nur, dass es mir immer noch unerklärlich ist; doch in diesem Anlitz lag ein eigenartiger, halb wilder, halb hochmütiger, auf jeden Fall äußerst starker Ausdruck, wie ich ihn bis dahin noch bei keiner Frau gesehen hatte. Obwohl mir vom ersten Augenblick an bewusst war, dass ich dieses Gesicht nirgends und noch nie gesehen hatte, ergriff mich das Gefühl, dass wir einander kannten. ...Mit zitternden Händen blätterte ich im Katalog. ...Ganz zum Schluß fand ich am Ende der Seite neben der Nummer des Bildes diese drei Worte: Maria Puder, Selbstporträt. Sabahattin Ali, Die Madonna im Pelzmantel 1940

Auf der Ausstellung treffen wir einen Reporter der Berliner Volkszeitung, einen gewissen Carl v. Ossietzky, und lernen auch einen mageren, bärtigen, schwarzhaarigen Mann kennen. Er erzählt uns: “Ich bin Künstler. Wenn ihr wollt, könnt ihr mich mal besuchen, und er erzählt uns von seiner Kommune.

„Am Müggelsee, in Friedrichshagen, wurde die Fahne aufgepflanzt. Ein Teil der jungen Stürmer siedelte sich dort an, die anderen kamen als regelmäßige Gäste, zum Diskutieren, zum Revolutionieren, zum Aufbauen und Schaffen neuer geistiger und sozialer Werte.”

Das lassen wir und nicht zweimal sagen, und gleich am nächsten Tag folgen B und ich seiner Einladung. Er freut sich, und zeigt uns sein Reich, und wir lernen auch seine Kumpels kennen. Er erzählt uns:

“Zum Unglück fand sich in ganz Friedrichshagen kein leeres Wohnzimmer, sondern nur ein höchst primitiver Nebenraum zu einer Waschküche im Hofe eines Hauses in der Ahorn-Allee. Dort mietete ich mich ein. Ein Ofen war nicht vorhanden, auch keine Tapete, dafür aber eine Kalkwand, die früher von weißer Farbe gewesen sein sollte. Die Tür war ein gewaltiges, ungehobeltes Brett, außen wie innen ohne Klinke; sie schnappte beim Zuschlagen ins Schloß und konnte nur mit einem mächtigen Scheunentorschlüssel geöffnet werden. Der unbezahlbare Vorzug der Behausung war aber das Fenster, das, vom Hofe aus nicht erreichbar, in die das ganze Anwesen rückwärts abschließende Mauer eingelassen war und ins dichte Kieferngehölz hinauszeigte. Verließ ich mein Zimmer auf diesem Wege, so brauchte ich bloß einiges Gebüsch und Gestrüpp zur Seite zu kämpfen und befand mich auf der schönen Waldchaussee zwischen Friedrichshagen und Köpenick. So gelang es mir mehrmals, unwillkommenen Besuchern behördlicher Persönlichkeiten auszuweichen, ...“ Erich Mühsam; Unpolitische Erinnerungen 1927

erzählt er uns.

B und ich lernen in der Kommune den Maler Paul Grulich kennen. Er erzählt uns, dass er vorhat eine Weile auf der Straße zu leben, und einen Bericht darüber zu schreiben. “Macht ihr mit?, fragt er uns. Ich antworte: “Wenn B mitmacht, bin ich dabei.” Wir drei treffen uns abends an der Fröbelstraße.

„Die Fröbelstraße ist übrigens in einer Gegend Berlins, in der überhaupt eine ziegelrote Atmosphäre herrscht. … Vorn ist das Spital, rückwärts das Obdachlosenasyl. … Jeder Obdachlose bekommt eine dünne Decke aus Papierstoff, die allerdings rein und desinfiziert ist. Auf diesen Betten hocken sie, schlafen sie, lagern sie, die Heimatlosen.“
Josef Roth 1920 Berliner Berichte

Morgens machen B und ich uns wieder auf die Socken.

Wir hatten am Müggelsee Freunde gefunden, und beim Abschied hatten sie uns hinterher gerufen: “Kommt bald wieder.”

B und ich sind mit unseren neuen Bekannten aus der Künstlerkommune am Müggelsee im Cafe des Westens an der Gedächtniskirche verabredet. Sie scheinen sich zu verspäten.

Im Café des Westens führt an einem Tisch eine schwarzhaarige Frau mit Bubikopf das große Wort.

„Ich habe die Nacht wieder verbummelt geträumt. Ich schlenderte über den Kurfürstendamm, wie ein Strolch angezogen, in zerlumpten Hosen und grünlich abgetragenem Rock, ich dachte nur stumpfe Dinge, auch war ich angetrunken aus Traurigkeit. – Der Wind heulte meine rote Nase an.“Else Lasker Schüler; Mein Herz 1912

erzählt sie ihren Freunden.

Neben uns sitzt ein Mann mit traurigen dunklen Augen. Er erzählt, das er Romane schreibt.

“In einem Alter, da die meisten Menschen an die Zukunft der Ihren denken müssen, bin ich allein. Von meiner Heimat lebe ich weit entfernt. Ich besitze kaum etwas und strebe nicht nach irgendwelchem Besitz. Ich habe Zeit, mich auf einen würdigen Abgang vorzubereiten und mich im übrigen ganz meiner Arbeit zu widmen. Diese Arbeit, die zu leisten ich mir vornehme, ist sie das Werk eines Romanschriftstellers, sind es philosophische Abhandlungen oder aber politische Essays? Versuche ich, das Zusammenspiel der augenblicklichen politischen und sozialen Strömungen zu erfassen, oder suche ich im Gegenteil nach einem Ort, wo ich mich dauerhaft niederlassen kann?” Ernst Weiß; Notizen über mich selbst-vor 1940

Eine andere Frau erzählt uns, dass sie Journalistin sei und gerade aus Amerika zurückgekommen ist.

„So kam ich nach Columbia, der Hauptstadt South Carolinas, der Hauptstadt von »König Baumwolles Reich«. Hier gibt es nichts anderes als Baumwolle. ..

Ich ging zu dem Bahnhof, auf dem ich angekommen war, hier stellte sich heraus, daß ich zu dem Bahnhof am anderen Ende der Stadt gehen mußte, daß ich am selben Abend allerdings noch nicht weiterfahren, aber einen sehr frühen Zug am Morgen nehmen könnte. … Es war da noch eine andere Frau, die ihren Zug verpaßt hatte. Obwohl wir miteinander sprachen und das Licht eingeschaltet blieb, begannen plötzlich im Warteraum einige Riesenratten herumzuspringen, es schien entschieden gefährlich, einzuschlafen.”Maria Leitner; Eine Frau reist durch die Welt 1932


Langsam wird B und mir klar, dass unsere Freunde heute nicht mehr vorbeikommen.

„Komm mit ins Theater. Mein Bekannter arbeitet dort als Kartenverkäufer. Er schenkt mir oft ein übriggebliebenes Billett.“ sagt B. Es klappt, und wir beide sitzen in der hintersten Reihe.

„Der Vorhang hob sich, und unter feierlicher Stille des ganzen Hauses nahm das soziale Drama »Rache!« seinen Anfang. …Es war eine Szene, der niemand widerstand. Der Racheschrei des ausgesogenen, geschändeten Volkes ging durch das ganze Haus. Er durchschüttelte die Damen, daß ihre Brillanten klirrten. … Die Millionäre auf den Stehplätzen schrien da capo. … ,diesmal ward es ernst. Mehrere Proletarier, im letzten Stadium der Tuberkulose, schleppten zwei unverletzte Frauen unter viehischem Brunstgebrülle hinter das nahe Gebüsch. Die Damen in den Logen erhoben sich von ihren Sitzen, um über die Sträucher wegzusehen, vollständig überzeugt, daß hinter der Szene weitergespielt werde.Heinrich Mann; Im Schlaraffenland 1900

Für den heutigen Abend haben wir uns mit dem Maler in der Wiesenburg in Moabit verabredet.

In der U-Bahnstation warten wir auf den Zug. Neben uns auf der Bank sitzen ein Herr und eine Dame.

Der Mann: „Haben sie eigentlich einen Beruf Fräulein Ursel?“

Die Frau: „Ich gebe Violinstunden. Sehr wenige, leider. Ich müsste verdienen, ich stehe allein. – Und sie?“

Der Mann antwortet: „Ich lebe mit meiner Mutter. Wir haben zwei Zimmer an einen sehr feinen Herrn vermietet. Ich war Lektor in einem Kunstverlag, der Jüngste. Vor zwei Monaten hab ich die Stellung verloren. Ich habe Kunstgeschichte studiert.“

Darauf sie: „Auch ich muss etwas finden, unbedingt, meinetwegen spiel ich zum Tanz auf.“ Anna Gmeyner; Welt überfüllt 1932


Wir treffen vor der “Wiesenburg” auf unseren Bekannten, den Maler, der eine Sozialreportage schreiben will.

Alles, was recht ist, für ein Asyl macht dieses Haus einen ganz anheimelnden Eindruck. Wenigstens im Vergleich mit dem in der Fröbelstraße. Vor allem die Menschen, die es aufsuchen, stehen, in ihrer sozialen Verkommenheit, um eine Stufe höher als die Besucher der "Palme". Man sieht hier das Elend nicht in so unästhetisch anmutender Form wie dort. Den Leuten, die hier zusammenkommen, merkt man es an, daß sie hie und da einmal satt zu essen und wohl auch mal einen Groschen zu Bier oder einem Päckchen Tabak in der Tasche haben. Auch sind die Kleider weniger zerfetzt, die Gesichter blicken minder stumpfsinnig drein. Das Baden geschieht hier freiwillig; ein Zwang besteht nicht. Die Wäsche wird nicht ohne weiteres desinfiziert, sondern erst, wenn sich der Träger auf Befragen als "verlaust" bekennt. Dem wird dann Befreiung von diesen lästigen Gästen zuteil.Auch das Essen geschieht hier unter Umständen, die durchaus erträglich sind, selbst für einen, der noch nicht abgebrüht ist. In der "Palme" ist dies nicht der Fall. Hier, in der "Wiesenburg" liegen Eß- und Schlafraum getrennt. Man sitzt auf Bänken an blitzsauber gescheuerten Tischen und hat weder den Eindruck eines Stalles, noch eines Zuchthaussaales. Die Speise selbst ist natürlich etwas dürftig, aber das Gerät ist von so wohliger Reinlichkeit, daß sie sich sogar mit Appetit verzehren läßt. Es gab Reissuppe mit einem derben Stück groben, nahrhaften Brotes; ein Gericht, das sättigte und auch vorhielt. - Um 8 Uhr heißt es, zur Ruhe gehen. Der Schlafsaal ist hoch und geräumig, als Lager dient eine Drahtmatratze, die immerhin etwas weicher ist als eine Holzpritsche, sich wohl auch besser reinigen läßt, und zum Zudecken bekommt jeder zwei Drelldecken. In kalten Nächten, wie dieser, der ich jetzt entgegen ging, muß man schon im Anzug schlafen, sonst weckt das Frostgefühl einen immer wieder auf. Ich streckte mich aus mit dem Gefühl einer gewissen Behaglichkeit, das hervorgerufen wurde durch die Hoffnung, einmal ein paar Stunden wirklich ruhen zu können, und geriet dabei in so gute Laune, daß ich nicht übel Lust hatte, mit meinen Nachbarn zur Rechten und zur Linken ein Gespräch anzufangen.” Paul Grulich, Dämon Berlin 1907

Am nächsten Morgen sagt B zu mir: „Komm, ich zeige dir mal die Badeanstalt, wo ich im Sommer immer baden gehe.“

“Vor dem Schlesischen Tor war ein großes Stück Spree am Ufer durch einen hohen Zaun abgetrennt. Auf seiner Innenseite zog sich ein Gang an allen Seiten hin, und es liefen Bänke an ihm entlang, über denen Nägel zum Aufhängen der Kleider eingeschlagen waren. Außerdem gab es noch einwackeliges Sprungbett auf einer Art Turm, von dem man »bei Strafe« hinunterspringen mußte, wenn man ihn betreten hatte, und im Wasser lag ein Kreuz aus Balken zur Belustigung der Badenden.

Das war die große Schwimm- und Badeanstalt »Osten«, die größte Berlins. Die Balken und Bretter waren schwarz und morsch vor Alter und die Nägel verrostet, und nie wurde ein neuer eingeschlagen, denn das hätte ja Kosten und Mühe verursacht. Alles war verwahrlost, aber Raum gab es hier in Fülle, und an allen heißen Sommertagen waren die Gänge vom Morgen bis zum Abend dicht besetzt mit vielen Hunderten von nackten, schwitzenden Körpern, und der Lärm in und außer dem Wasser nahm kein Ende, ob am Nachmittag die barfüßige Jugend des Ostens oder am Abend die schwarze Arbeiterschaft nach ihrem Tagewerk anrückte. Das Bad kostete einen Groschen, und den ganzen Sommer konnte man hier für einen Taler baden.” John Henry Mackay; Der Schwimmer 1900


Ein Freund von B muss sich auf dem Polizeipräsidium am Alexanderplatz melden, wegen einer Passangelegenheit. Wir bringen ihn hin.

“An der Südseite des Platzes lag der große, schmutzigrote gewaltige Häuserblock – das Berliner Polizeipräsidium. Hier waren Hirn und Herz der Ordnung Berlins. Tausend Fäden und Linien führten unsichtbar und unterirdisch aus allen Winkeln und Ecken der Millionenstadt zusammen: In die grauen nüchternen Amtsstuben, in die Kartotheken, in die aufgestapelten Aktenbündel mit Steckbriefen, Fotografien und Fingerabdrücken. Hier waren die Räume der politischen Abteilung IA, mit den Namen sämtlicher kommunistischer Funktionäre auf den Aktendeckeln. Der große rote Ziegelbau auf dem »Alex«, in dem es wimmelte von Ungeziefer und hohen Beamten. »Wanzenburg« nannten die Berliner das Haus. Hier hatte einmal der rote Polizeipräsident Emil Eichhorn regiert, hier hatte Spartakus gekämpft, hier waren zahllose revolutionäre Arbeiter misshandelt und verurteilt worden.” Klaus Neukrantz; Barrikaden am Wedding 1931

Wir warten im Flur auf seinen Kumpel.Im Nebenzimmer unterhalten sich zwei Beamte.

“Ich habe Ihnen gesagt, daß dem Polizeipräsidium innerhalb einiger Wochen vier Vermißtanzeigen zugegangen sind. Es handelt sich um folgende Fälle: Ein Mädchen, laut Meldeschein Trude Müller aus Berlin, dreiundzwanzig Jahre alt, hat am ersten Juli bei der Witwe Wendler, Waterloo-Ufer sechs, ein Zimmer gemietet. …

Zweiter Fall: Am fünften Juli erschien in der Pension der Frau Zinkenbach in der Nürnbergerstraße ein Mädchen und mietete ein Zimmer mit voller Verpflegung. ...

Dritter Fall: Am fünfzehnten Juli mietete ein Fräulein Annemarie Jensen, ebenfalls in Hamburg geboren, vierundzwanzig Jahre alt, ein bescheidenes Zimmer in der Fremdenpension der Frau Lestikow in der Motzstraße. Sie erzählte, sie sei eben aus Nordamerika zurückgekehrt und suche in Berlin eine Stelle als Hausdame. Einige Tage später aber vertraute sie der Frau Lestikow an, einen Herrn kennen gelernt zu haben, der sie zu verehren scheine. Er sei sehr wohlhabend, in den besten Jahren, ein hochgebildeter Mann, Naturforscher und beabsichtige, sich unweit von Berlin anzukaufen, um in Ruhe seinen Forschungen leben zu können.” Hugo Bettauer; Der Frauenmörder 1922


B steht auf. Es dauert wohl noch länger, bis er abgefertigt wird. „Komm wir sehen uns hier ein bisschen um.“

„Auf dem Alexanderplatz dröhnten und fauchten die Dampfhämmer des Untergrundbahnbaus. Polternd und schwankend fuhren die Autobusse über die dicken Holzbohlen, unter denen die Arbeiter in den Stollen und Schächten umherkrochen. Durch die engen Passagen zwischen den Bretterzäunen schoben sich die Menschen. Über die mit mächtigen Balkenpfosten gestützte Eisenbahnbrücke ratterten die Stadtbahnzüge und hielten mit kreischenden Bremsen in der Bahnhofshalle. Alexanderplatz – ein Tag und Nacht wild hämmernder Pulsschlag der Arbeit, umspült von Rauch, Schmutz und Lärm, von hastenden und gehetzten Menschen.” Klaus Neukrantz; Barrikaden am Wedding 1931

An einer Litfaßsäule hängt ein Plakat. Statisten wurden gesucht. „Fragen sie bitte nach dem Regisseur Schönthaler.“ Das wäre doch das richtige für uns. Endlich kommt sein Kumpel aus dem Polizeipräsidium, und wir drei gehen in Richtung U-Bahn, um zu dem Filmatelier zu fahren.

wird fortgesetzt
 
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Lokterus

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Liebe Friedrichshainerin,

deine offensichtliche literarische Bildung in den von dir beschriebenen Sphären besitze ich nicht. Eben so wenig die Akribie und Geduld, welche mich dazu befähigt hätte, ein solches Projekt auf die Beine zu stellen. Auch im zweiten Teil der Erzählung, diesmal mit mehr Hintergrundwissen versehen, möchte ich dir meinen Respekt aussprechen. Und mich für die unterhaltsame Lektüre bedanken.

Es ist nicht meine Welt. Dieses Berlin. Weder das wirkliche, von mir erlebte, noch das in den dargestellten Zitaten beschriebene. Sie ist zu laut. Aber faszinierend ist sie.

Ich habe mir diesmal mehr Zeit genommen und einige Verbesserungsvorschläge zusammengetragen. Es war etwas schwer zu erkennen, was Fehler, Flüchtigkeit und was Stilmittel ist. Vielleicht helfen dir meine Anmerkungen, deinen Text noch etwas zu verbessern.

Der Bahnsteig war angefüllt mit Menschen der verschiedensten Art, Angestellte beiderlet Geschlechts,(...)


(…) beiderlei Geschlechts

Die Rufe der Zeitungshändler und Kutscher sowie die dumpfen oder kreischenden Huppensignale der Autos(…)


Hupensignale

Zwanzig Jahre und kein Frühstück und keine Abendbrot, das ist vielleicht zu wenig.


(…) kein Abendbrot

An einer Kreuzung ist das Straßenpflaster längs der Schienen aufgerissen; im Wechsel schlagen vier Arbeiter mit Vorschlaghämmern auf einen Eisenpfahl ein; der erste trifft, und schon senkt der zweite seinen Hammer mit wei tem, akkuratem Schwung; der zweite Hammer saust nie der und erhebt sich gen Himmel, während der dritte und dann der vierte in rhythmischer Folge zuschlagen. Ich lau sche ihrem geruhsamen Klang, wie vier sich wiederholen den Noten eines eisernen Glockenspiels. Ein Bäckerjunge mit weißer Mütze kommt auf seinem Dreirad vorbeigeflitzt; ein mehlbestäubter Bursche hat et was Engelhaftes. ... Ein Postfah rer hat die Öffnung eines Sackes unter einen kobaltblauen Briefkasten geschoben, befestigt ihn von unten, und heimlich, unsichtbar leert sich der Kasten mit gemächli chem Rascheln, und der Postfahrer klappt den viereckigen Rachen des nunmehr voll und schwer gewordenen Beutels zu. Wladimir Nabokow; Berlin - Ein Stadtführer 1925


mit wei tem -> weitem
Ich lau sche -> lausche
Ein Postfah rer -> Postfahrer
Kasten mit gemächli chem -> gemächlichem

Wörter auseinandergerissen. Stilmittel?

Was sich in dem Raum an Schmuck und Inventar befindet, ist schmutzig, verbraucht und morsch, wie die Menschen, die auf den Bänken längs der Wände sitzen, hocken, liegen oder vornübergebeugt die Tischplatte als Stütze für Kopf und Arme verwenden.Diese(...)


Zwischen „verwenden“ und „Diese“ gehört ein Leerzeichen

Kommt ihr mit?, fragt er uns beide. “Geht klar”, antwortet B, und wir gesellen uns dazu.


Das Fragezeichen kennzeichnet bereits das Ende der wörtlichen Rede. Das Komma ist nicht notwendig:

“Kommt ihr mit?“ fragt er uns beide. “Geht klar”, antwortet B, und wir gesellen uns dazu.

B und ich verabschieden uns, und schlendern weiter.


Der Satz wird bereits durch das und geteilt. Komma auch hier unnötig.

Wir müssen unbedingt in die Petersburger Straße sage ich zu B. „Ich bin leider ein Kunstbanause, aber dir zuliebe gehe ich mit.“ erwidert er mir. Wir gehen in der Ausstellung umher.


"Wir müssen unbedingt in die Petersburger Straße", sage ich zu B. „Ich bin leider ein Kunstbanause, aber dir zuliebe gehe ich mit“, erwidert er mir. Wir gehen in der Ausstellung umher.

Ich weiß nur, dass es mir immer noch unerklärlich ist; doch in diesem Anlitz lag(…)


Antlitz

Er erzählt uns: “Ich bin Künstler. Wenn ihr wollt, könnt ihr mich mal besuchen, und er erzählt uns von seiner Kommune.


Er erzählt uns: “Ich bin Künstler. Wenn ihr wollt, könnt ihr mich mal besuchen“, und er erzählt uns von seiner Kommune.

“Macht ihr mit?, fragt er uns. Ich antworte: “Wenn B mitmacht, bin ich dabei.” Wir drei treffen uns abends an der Fröbelstraße.


“Macht ihr mit?“ fragt er uns. Ich antworte: “Wenn B mitmacht, bin ich dabei.” Wir drei treffen uns abends an der Fröbelstraße.

Er erzählt, das er Romane schreibt.


Er erzählt, dass er Romane schreibt.

„Komm mit ins Theater. Mein Bekannter arbeitet dort als Kartenverkäufer. Er schenkt mir oft ein übriggebliebenes Billett.“ sagt B. Es klappt, und wir beide sitzen in der hintersten Reihe.


„Komm mit ins Theater. Mein Bekannter arbeitet dort als Kartenverkäufer. Er schenkt mir oft ein übriggebliebenes Billett“, sagt B. Es klappt, und wir beide sitzen in der hintersten Reihe.

Dem wird dann Befreiung von diesen lästigen Gästen zuteil.Auch(...)


Leerzeichen zwischen „zuteil“ und „Auch“.

Außerdem gab es noch einwackeliges Sprungbett auf einer Art Turm, von dem man »bei Strafe«


Bei „einwackeliges“ Wörter trennen.

Wir warten im Flur auf seinen Kumpel.Im Nebenzimmer unterhalten sich zwei Beamte.


Leerzeichen zwischen den Sätzen setzen.

Wir lesen und in Teil drei.

Liebe Grüße
loki
 
Hallo Lokterus,
das was Du bemängelt hast, hat mir auch schon jemand anders gesagt, der ich den Link zu diesen Geschichten gesandt hatte. Die Rechtschreibfehler in den Zitaten sind dadurch zustande gekommen, weil ich die meisten Textstellen bei Projekt Gutenberg herauskopiert habe. Aber auch andere frei zugängliche Textquellen im Internet habe ich kopiert. Außerdem habe ich noch bei amazon ein paar Kindlbücher gekauft, meist für nur 99 Cent. Dort war die Rechtschreibung genauso wie in den rauskopierten Zitaten. Das stand dort so und nicht anders. Wenn ich Lust und Laune habe, gehe ich noch Mal drüber.

Du schreibst, dass Dich die Handlung mitgenommen hat. Mein Befürchtung war, dass dort einfach zu wenig Action aufkommt, es sind ja meist nur Textzitate, und die Geschichte, außer natürlich auf Fans der Stadt B, einschläfernd wirkt. Es geht mir ja nicht um die Handlung, sondern darum Schriftsteller dem Vergessen zu entreißen. Außerdem hat das alles einen gewissen Vintagecharme. Die Zeit damals war ja ein Tanz auf dem Vulkan. Nur ein paar Jahre später, von 33 bis 45, war es aus mit der freien Literatur und die Autoren konnten froh sein, wenn ihnen die Emigration gelang.

Ich finde interessant, dass Dir schon in dem B vor hundert Jahren eine gewisse Hektik auffällt. Das heutige Berlin und das damalige nehmen sich wohl nicht so allzuviel. B ändert sich wohl nicht, und bleibt immer dasselbe. Deshalb habe ich auch die Szenen in den U-Bahnen mit reingenommen. Es ist alles noch das gleiche, die Obdachlosen in den Parks findest du heute genauso, ebenso die Schwulentreffs im Tiergarten und am Märchenbrunnen in Friedrichshain. Leider gibt es das jüdische Viertel rund um die Grenadierstraße nicht mehr.

Damals gab es sogar schon Drogensüchtige. Ich spreche über den Abschnitt in dem Kokskeller in Kreuzberg. In ebendiesem Kreuzberg gibt es über hundert Jahre später genug Leute, die mit demselben Problem zu kämpfen haben.
Ich fand auch die Schilderung des Waisenhauses in der Alten Jakob Straße, ein Gebäude, das den Krieg überlebt hat, den ich in einem Roman von Erst Weiß gefunden habe, sehr mitteilenswert.

Die Schilderung der Wiesenburg und der Fröbelstraße, die ich in den alten Schriften fand, wollte ich unbedingt mit aufnehmen, deshalb ist der Abschnitt über die Wiesenburg auch so umfangreich geworden.
Merkwürdigerweise war so etwas vor hundert Jahren besser organisiert als heute. Da spreche ich aus Erfahrung, da ich mal eine ABM-Stelle im Kiezcafe in der Wühlischstraße, hier im Friedrichshain, hatte. Dort waren die Verhältnisse für die Leute, die dort übernachtet haben, viel schlechter als damals in der Wiesenburg und in der Fröbelstraße.

Hoffentlich ist es mir gelungen, ein paar Leute für alte Romane über B zu interessieren. Übrigens, fand ich es bei diesem Text sehr angenehm, dass ich nichts persönliches über mich zu erzählen brauchte.
Gruß Friedrichshainerin
 
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petrasmiles

Mitglied
Liebe Friedrichshainerin,

da schlagen jetzt zwei Herzen in meiner Brust - einerseits finde ich das Projekt Klasse: Versatzstücke von historischen Texten in eine eigene Geschichte zu gießen und ich mag auch dieses alte - brutal ehrliche - Berlin. Aber. Ich habe festgestellt, dass mich die fremden Romanteile durch den Text tragen und mich die 'Rahmenhandlung' am wenigsten interessiert.
Das war bestimmt eine Heidenarbeit, aber im Grunde ist es viel zu wenig 'Dein Text', um hier als Dein Text eingestellt zu werden. Auf der anderen Seite finde ich es enorm wichtig, dass Du diese alten Schätzchen wieder zum Leben erweckt hast - und eigentlich ist es ein Kunstwerk für sich, nur eben nicht als Autorin.

Liebe Grüße
Petra
 
So, da kann ich mich ja jetzt auch aus der Deckung wagen und bekennen, dass ich mich trotz beträchtlichem Interesse am Stoff mit der gewählten Form nicht anfreunden konnte und daher mehrere Lektüre-Versuche abgebrochen habe. (Eine Beurteilung des Textes ist von meiner Seite damit nicht verbunden und mir auch nicht möglich.)
 
Hallo Petra, Hallo Arno,
viele haben scheinbar damit gerechnet, dass das hier so etwas ähnliches wie der "Nasse Fisch" ist. Sowas kann ich nicht schreiben. Dafür habe ich zu wenig Ahnung von der Situation in Berlin zwischen der Jahrhundertwende bis zum Zeitpunkt, wo die Nazis die Macht übernommen haben.
Deshalb habe ich die Romane von Schriftstellern aus dieser Zeit verwendet und zu Zitaten daraus, die ich besonders gekennzeichnet habe, eine Rahmenhandlung konstruiert.

Diese habe ich gewollt blass gestaltet, da sie bloß ein Vehikel ist. Die beiden Hauptgestalten haben praktisch kein eigenes Profil, um nicht von der Hauptsache abzulenken. Es geht um Autoren, die zum Teil vergessen worden sind, und von denen viele die Nazis und den Holocaust nicht überlebt haben.

Ein junger Mann, B genannt, redet eine Berlinbesucherin auf dem Bahnhof an und bietet ihr an, ihr an, sie durch seine Stadt zu führen. Dabei erleben die Beiden die Stadt B in all ihren Freuden und Härten. Sie übernachten in Parks, werden in einer Kneipe verhaftet, lernen das Viertel der Ostjuden kennen, werden in einen Mord reingezogen usw. gehen aber auch ins Theater und in eine Arbeiterkunstausstellung.
Ich hatte mir das so vorgestellt, dass das neugierig macht, mal nach den Autoren, ihren anderen Werken und ihrem Leben zu googeln.
Gruß Friedrichshainerin
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe Friedrichshainerin,

so etwas in der Art hatte ich mir auch gedacht, darum habe ich mich auch sehr vorsichtig ausgedrückt, weil ich Dir nur beste Absichten unterstelle.
Jetzt werde ich mal googeln.

Liebe Grüße
Petra
 



 
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