"Bäume sind cool."

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„Muss Lina auch so einen umfangreichen Vortrag für ihren Leistungskurs vorbereiten?“, fragt meine Freundin beim Kaffee.

Unsere Töchter stehen beide kurz vor dem Abitur.

„Das müssen doch alle. Lina hat ihren zum Glück schon hinter sich.“

„Jojo ist morgen dran. In Gemeinschaftskunde. Sie hat alles mit dem Chatbot vorbereitet.“

In meinem Inneren regt sich Widerstand.
„Aber da lernt sie doch nichts“, gibt die Lehrerin zu bedenken, die ich auch noch bin.

„Ach“, winkt meine Freundin ab. „Die müssen so viel lernen. Manchmal geht es eben nur ums nackte Überleben.“

Die Mutter in mir gewinnt die Oberhand, und so fällt mir kein Konter ein.

„Aber was ist, wenn die Lehrkraft es merkt?“, wage ich kurz darauf einen erneuten Vorstoß.

„Wie soll sie das denn beweisen?“ Meine Freundin hat einen triumphierenden Unterton. „Der Chatbot gibt doch bei jeder Eingabe eine neue Version aus.“

„Man merkt das trotzdem“, behaupte ich aus Überzeugung. "Schüler machen schließlich Fehler.“

Erstaunt blickt meine Freundin mich an. „Aber weißt du das denn nicht? Du musst eben zusätzlich eingeben, welches Niveau der Text haben soll.“

„Dennoch sind die Formulierungen des Chatbots sehr stereotyp.“ Ich bin nicht bereit aufzugeben. „Oft häufen sich leere Begriffe.“

„Aber das stimmt doch alles nicht! Eine Freundin von mir, die Grundschullehrerin ist, konnte ich inzwischen auch überzeugen. Ihre Drittklässler mussten einen Text über Bäume schreiben, und ich habe ihr eine Chatbotversion präsentiert, aus der Perspektive eines Drittklässlers. Sie war sowas von platt. Genauso formulieren ihre Schüler, hat sie gesagt.“

„Aha. Woran macht sie das fest?“

„Der erste Satz lautete: Bäume sind cool. Das ist genau die Sprache dieser Altersgruppe, hat sie gemeint.“

Als meine Freundin wieder weg ist, setze ich mich an meinen Laptop. Der Schalk sitzt mir im Nacken. Ich rufe den Chatbot auf, gebe ein:

Formuliere einen Text über das Gehirn aus der Perspektive eines Dittklässlers!

Sekunden später liegt mir der Text vor. Der erste Satz lautet:

Das Gehirn ist voll cool.

Ein leises Lächeln umspielt spürbar meine Lippen, während ich den Laptop zuklappe.
 
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Sammis

Mitglied
Hallo Sofie!

Vorweg: Ich fand/finde Tattoos cool/okay, konnte mich mit Piercings (musste eben nachgucken, wie man das schreibt) nie anfreunden und angesichts des Heute stattfindenden Körperoptimierungswahn bin ich froh, dass mich das nicht mehr tangiert. Mit drei Worten: Ich bin alt.

Zu meiner Zeit waren es die Taschenrechner, die ähnliche Bedenken befeuerten. Ausschlaggebend ist für mich, ob ich mit einem Chatbot arbeite, oder ihn die Arbeit erledigen lasse. Ersteres halte ich für keine schlechte Sache und glaube, für einen jungen Menschen (bzw. dessen Eltern) wäre dumm, sich einer Technologie zu verschließen, die nicht aufzuhalten ist.

Zum Text:
„Jojo ist morgen dran. In Gemeinschaftskunde. Sie hat alles mit dem Chatbot vorbereitet.“

Hier steht vorbereitet. Lese ich so, dass ihr der Bot bei der Vorbereitung half und sie das dann ausarbeitete und abgab. Damit das Folgende funktioniert, sollte da mMn stehen: Sie hat alles von einem Chatbot schreiben lassen.

Dein Text ließt sich flüssig und funktioniert. Nur transportiert er für mich eine zu klare Haltung ohne jeden Spielraum und das wird dem komplexen Thema KI schlicht nicht gerecht.

Beste Grüße,
Sammis
 
Hi Sammis, danke für deine Rückmeldung!
Deinen Einwand hier kann ich nachvollziehen:
Nur transportiert er für mich eine zu klare Haltung ohne jeden Spielraum und das wird dem komplexen Thema KI schlicht nicht gerecht.
Zwar glaube ich, kann ein einzelner Text dem Thema alleine nicht gerecht werden, dass müssen schon die Leser mit ihren Gedanken tun. Dazu muss der Text aber Spielraum lassen, darin hast du Recht.
Vielleicht war ich einfach zu nahe an der Ideengebersituation - tatsächlich hat mich jemand im richtigen Leben mit genau dem im Text genannten Beispiel zu überzeugen versucht, und ich habe dann spaßeshalber dasselbe für "Gehirn" recherchiert und exakt das hier beschriebene Ergebnis erhalten. Ich fand den ganzen Prozess dann schon lustig, weil es ja einerseits die Stereotypie der Ergebnisse bestätigt ("cool" als grundsätzlich authentisch zu betrachten bei der genannten Altersgruppe, unabhängig von bestehenden individuellen Unterschieden) und andererseits auch nahelegt, dass das Gehirn tatsächlich "cool" sein könnte, wenn man es nämlich benutzt.
Naja, mal sehen. Vielleicht fällt mir noch etwas ein, um den Gedankengang etwas zu öffnen.


„Jojo ist morgen dran. In Gemeinschaftskunde. Sie hat alles mit dem Chatbot vorbereitet.“

Hier steht vorbereitet. Lese ich so, dass ihr der Bot bei der Vorbereitung half und sie das dann ausarbeitete und abgab. Damit das Folgende funktioniert, sollte da mMn stehen: Sie hat alles von einem Chatbot schreiben lassen.
Hierzu dachte ich, dass bei einer Präsentation ohnehin klar ist, dass es mit dem Verfassen von Text nicht getan ist, da man die Inhalte ja noch präsentieren muss. Folglich kann der Chatbot sowieso nur einen Teil der Vorbereitung (Text/Struktur) übernehmen, in irgendeiner Form muss ja der Vortrag noch selbst eingeübt werden.

sonntägliche Grüße!

Sofie
 

Matula

Mitglied
Hallo lightandsoundofbirds,
hallo Sammis !

Kann schon sein, dass dieser Schmarrn nicht aufzuhalten ist, weil sich die Bequemlichkeit schon vordem mit Textbausteinen und Taschenrechnern eingelassen hat. Das Ergebnis kann man jeden Tag erleben: Junge Leute, die nichts im Kopf ausrechnen oder auch nur überschlagen können, die ins Schwitzen kommen, wenn sie ein kurzes Antwortschreiben formulieren sollen und einen gelesenen Text nicht verständlich wiedergeben können. Es sind willfährige Konsumenten, denen man alles andrehen und einreden kann und die mit zwanzig, wenn sie vor dem Privatkonkurs stehen, eine Schulung im "ökonomischen" Denken brauchen. Das ist nicht schicksalhaft, sondern eine maligne Entwicklung, die von verschiedensten gesellschaftlichen Agenten befeuert wird und eine Vielzahl von depressiven Deppen hervorbringt.

Sorry, ich musste das jetzt beisteuern,
schöne Grüße,
Matula
 
Vielen Dank, Matula, für deine freundliche Bewertung!

@Sammis

Nun habe ich doch nur den letzten Teil vom letzten Satz weggelassen. "... und lehnte mich entspannt zurück" ist schon eine etwas überhebliche Geste. Das leise Lächeln wollte ich aber behalten, zumal es auch ein Schmunzeln sein kann.
Bei nochmaliger Überlegung finde ich es gar nicht mehr unbedingt so problematisch, wenn der Erzähler in der Sache klar Position bezieht. Das muss ja nicht unbedingt darauf aus sein, bei der Leserschaft dieselbe Meinung hervorzubringen und muss nicht einmal die Meinung der Autorin widerspiegeln. Genau in diesem Punkt liegt ja vielleicht die eigentliche Offenheit, der Spielraum des Textes.
Schönen Abend noch euch beiden!
Sofie
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Sofie,
der Text gefällt mir sehr gut, vor allem, wie flüssig er sich ließt. Die viele wörtliche Rede treibt nicht nur die Handlung voran sondern bereitet auch selbst Lesefreude. Ich mag auch, wie glaubwürdig die Dialoge sind, es klingt nicht wie ein Text, sondern wie ein wirkliches Gespräch, das hat man selten.

Die Pointe sehe ich ehrlich gesagt als schwächstes Glied in der Kette. Nach der Logik des Texts scheint der Bot beim Prompt "wie Drittklässler" jeden Aufsatz mit "XY ist cool" zu starten. Würde das wirklich eine Grundschullehrerin überzeugen?

Du bist darauf schon weiter oben eingegangen. Aber "Bäume sind cool" klingt für mich nicht danach, als würde es Grundschüler von heute schreiben. Als cooles Wort hatte "Cool" sich schon in meiner Jugend abgenutzt. Das ist jetzt einige Jahrzehnte her.
Auch stelle ich mir vor, dass man in dem Alter noch eher mit mehr oder weniger verdauten Fakten um sich wirft. Mit einer Wertung zu beginnen, scheint mir irgendwie nicht kindlich. Aber wie gesagt, das ist eher Bauchgefühl und verschwommene Erinnerung aus eigener Kindheit.

und ich habe dann spaßeshalber dasselbe für "Gehirn" recherchiert und exakt das hier beschriebene Ergebnis erhalten.
Vielleicht zeigt das dann eine Schwäche des Bots. Oder er wird unsere Erwartungshaltung so prägen, dass alle Kinder sich angewöhnen werden, so zu schreiben.


Übrigens, falls die Leerzeilen zwischen Absätzen nicht gewollt sein sollten: Beim Kopieren und Einfügen in die Leselupe werden nach Absätzen manchmal zusätzliche Leerzeilen eingebaut. Die muss man dann von Hand wieder löschen.

Viele Grüße
lietzensee
 
Zuletzt bearbeitet:
Hallo lietzensee,
vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, so ausführlich zu antworten!

Du bist darauf schon weiter oben eingegangen. Aber "Bäume sind cool" klingt für mich nicht danach, als würde es Grundschüler von heute schreiben. Als cooles Wort hatte "Cool" sich schon in meiner Jugend abgenutzt. Das ist jetzt einige Jahrzehnte her.
Ja, "cool" hat sich allerdings schon gehalten. Es ist einfach gängiger und alltäglicher geworden, dieses Wort, eher im Sinne von "gut". Ich würde es schon für möglich halten, dass ein Kind so schreibt. Aber eben nicht alle. Viele Kinder in dem Alter werden schon verstanden haben, wie du sagst, dass es um Fakten geht. Das muss ja erklärt worden sein. Wenn jemand also mit einer Wertung beginnt, heißt das eher, dass er die Textsorte noch nicht so gut verstanden hat. Aber das kommt natürlich auch tatsächlich öfter vor in dem Alter.
Dass die Geschichte an eine wahre Begebenheit angelehnt ist, muss sie natürlich nicht in jedem Fall überzeugender machen. Da die Ich-Erzählerin aber gerade darauf hinweisen möchte, dass die Formulierungen des Chatbot oftmals "stereotyp" seien, finde ich, passt es schon. Da lässt sich dieses "Gewollte" drin unterbringen.
Die "Pointe" hat mir u.a. auch deswegen gefallen, weil sie mehrdeutig ist. Im echten Leben hat sich das zufällig so gefügt, aber für mich passte es, also wollte ich es in Form bringen und habe den Text oben draus gemacht.

Herzliche Grüße
sofie
 



 
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