Ein Maler

Morfy

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Aus dem Nebel erschien der Kunde und zu meinem Entsetzen war er nicht alleine gekommen; ein winziges Mädchen (kaum zehn Jahre alt) begleitete ihn Händchen haltend: so jung und unschuldig, sie sah ihm gar nicht ähnlich. Ein Hut und ein Mantel umhüllten des Mannes kahles Gesicht samt seiner Falten. „Das ist meine Tochter“, erklärte er. Ich frage mich bis heute noch, warum er seine Tochter zu solch einem Ereignis mitnahm.

Seitlich schlüpften wir in ein Gebäude hinein und am Ende des lichtarmen Flures, den wir schweigend durchschritten, war ein Raum, den der Mann mietete. Ich schaukelte dabei eine menschengroße Leinwand unter dem einen Arm und meine Utensilientasche unter dem anderen. „Warte doch bitte im Flur, Kleines“, flüsterte der Herr zu seiner Tochter und zu zweit gingen wir tiefer hinein; er verriegelte die Tür zweifach hinter uns, vergrub dabei eines der Schlüssel in einer seiner Jackentaschen und den anderen in einer anderen, dann schaute er mich an und es wurde so still wie im Auge des Sturms.

Wir befanden uns in einem kleinen Einzelschlafzimmer. Wenige nicht identifizierbare Möbel standen mit Laken bedeckt in den Ecken, ein einziges Fenster mit dichtem Vorhang schenkte uns genug Licht für das geplante Vorhaben. Im schiefen Lichtkegel stand ein rot seidener Sessel im hohen Kontrast zum staubigen Zimmer. „Entschuldigen Sie die Unordnung“, sagte der Kunde. „Nichts der Rede wert“, erwiderte ich. „Malen Sie schon lange?“, fragte er mich und ich antwortete: „Schon seit ich ein Kind bin“. Er lächelte und begann, sich auszuziehen. Ein Kleidungsstück nach dem anderen fiel zu Boden bis er völlig nackt vor mir stand. Ich hatte keinen Vertrag unterschrieben; keine rechtlich Pflicht verband mich mit diesem Fremden und trotzdem war es so unvorstellbar schwer gewesen, zurückzurudern. „Haben Sie keine Sorge“, flüsterte er und legte seine Hand auf meine Schulter, als er merkte, dass meine Zweifel wuchsen. Seine Stimme war kurz Sorgen befreiend, sodass ich meine Nervosität verdrängte. Ich stellte meine Tasche ab und errichtete die Leinwand, während der Nackte sich langsamen Schrittes dem Sessel näherte und seinen Hintern tief darin hineingrub.

Er saß glücklich auf seinem Thron und starrte mich mit aufgerissenen Augen an. Ich legte mir die Pastellkreide auf einem Nachttisch zurecht und brachte schneller als ich denken konnte Farbe auf die Leinwand: der dunkle Hintergrund, das knallige Rot und dann das bleiche Wesen, das darin saß. Er schaffte es, mich gefangen zu halten, aber ohne Gewalt, denn ich war ja freiwillig hier, obwohl ich am liebsten aus dem Fenster springen und fliehen wollte. Durch Widersprüchen verwirrt stockt einem fast das Entscheidungsorgan. Schneller und schneller malte ich; diesen seltsamen Akt zu beenden, war mein einziges Ziel, denn ein ekelerregendes Geschlecht saß drei Meter vor mir und ich kopierte es auf eine Leinwand, sodass seine Abbildung mir nur Zentimeter entfernt war. Wie direkt an mich gerückt schniefte sein nacktes Gesicht, das ich selber befreit hatte. Er war der Kunde und ich war sein Maler; eine bloße Verbringung einer Dienstleistung geschah hier, im rechtlichen Rahmen uninteressant, möchte ich sagen. Und trotzdem reisten meine Finger nur zitternd über seine skizzierte Haut, die ihm ledrig von den Gliedern hing, und ich zerrieb schwitzend die Farben seiner Schattierungen, und füllte mit Gänsehaut seinen Intimbereich mit kleinen Pinselstrichen aus. Ein schmieriges Bild hatte ich aus dem Nichts erschaffen; rückblickend hätte ich es nie soweit ausarten lassen, wen kann ich also anklagen außer mich selbst?

Wann dieser Prozess ein Ende fand, kann ich nicht recht sagen. Beunruhigt erinnere ich mich, wie er nach Beendigung des Aktes wieder wie ein gewöhnlicher Mensch in Hut und Mantel umhüllt im Nebel verschwand; in der linken Hand hielt er locker das eingerollte Bild, in der rechten fest die Hand seiner Tochter.
 

lietzensee

Mitglied
Hallo Morfy,
der Text gefällt mir sehr. Er funktioniert für mich so gut, weil du dich auf das Unbehagen des Malers konzentrierst. Diese Idee ist stark und du setzt sie stark um.

Für meinen Geschmack könnte man das Drumherum der Geschichte noch ein klein wenig eindampfen. Den Nebel finde ich etwas zu dick aufgetragen, er erinnert mich zu sehr an 50er Jahre Horrorfilm. Die kleine Tochter erhöht das Unbehagen des Lesers, scheint mir aber auch etwas zu viel. Schließlich würde ich auch darauf verzichten, dass der Erzähler aus großem, zeitlichen Abstand berichtet. Dass das Ereignis in "sicherer" Vergangenheit stattfand, nimmt ihm etwas von seiner Wirkung.
Hier und da finde ich auch einige Formulierungen etwas ungelenk, aber nichts von dem hat mein Lesevergnügen geschmälert.

Viele Grüße
lietzensee
 
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