Liebes Tagebuch

Tonmaler

Tonmaler

Mitglied

11.11.
Liebes Tagebuch!
Gib dir das, Mann! Heute an der S-Station is ne alte Vettel in die Tür eingeklemmt und die S-Bahn is trotzdem los. Mann, hat die Alte geschrien! Als ob ihr die Eierstöcke explodiert wär‛n! Voll lustig!
Haben wir gedacht: Vielleicht kommen wir in RTL, wenn wir der Alten helfen, und Manni is nach vorn gelaufen zum Fahrer und hat voooll Aufstand gemacht! Zum Fahrer: musstu anhalten! – die Alte war nicht komplett Kompost da unten, hat rumgezappelt und so – dann die Sanitäter, weißtu. Reporter war auch da – hat uns interviewt von wegen Lebensretter und so! Bloß RTL nich‛, na ja, mal schauen, was noch geht.


13.11.
Liebes Tagebuch!
Heute war konkret die Presse da und hat Fotos gemacht. Jeder von uns hat fünfzig Euro gekriegt für Bericht vom Retten von der alten Vettel, schon korrekt.
Jetzt is unser Bild in so'nem Scheißgoldenenblatt drin oder wie das heißt. Zum Glück liest keiner von den Checkas Zeitung und so, Mann. Nachrichten, weißtu, der letzte Kack, unsere Meinung. Nur Mutter hat’s gefreut, da kann sie jetzt Orgasmus, ohne Briefträger, ich lach mich schlapp!


3.12.
Liebes Tagebuch!
Voll krass – wir haben Termin beim Oberbürgermeister gekriegt wegen der Alten unter der S-Bahn! Wahrscheinlich gibt’s Urkunde und was Futter und Kohle, Mann! Voll die Rendite, weißtu!


20.12.
Liebes Tagebuch!
Mann – was geht ab? Wir gestern zum Bürgermeister, denken voll, wir sind die Helden wegen der Alten, Lebensretter und so, da gibt der uns den Text: Was uns eingefallen is? Staatskassen alle leer, müssen zu viel Renten zahlen, gibt viel zu viele von den alten Schachteln und uns fällt nix Besseres ein, als noch eine unter der S-Bahn rauszuziehn?! War voll über die Kante, das is seine Meinung. Ich zu ihm: «Okay, Alter, wir machen ab jetzt das korrekt und stoßen morgen zum Ausgleich ne Alte vor die U-Bahn.»
– Da musser grinsen und klopft uns auf die Schulter. Hält Vortrag: Die Jugend soll wissen, was wichtig ist, und das Wichtigste is: das ‘Wollen von all der Gemeinheit‛ oder so. Hab ich zwar noch nie gehört, aber: Wo ist das Problem? Machen wir! Wir bringen jede Woche ne Alte um – Unfall, weißtu? Entlasten Staatskasse, Mann – wo ist das Problem?
 
Sammis

Sammis

Mitglied
Hallo Tonmaler,

Bitterböse, wenig lustig.
Mit Jugendslang ist das ja immer so eine Sache. Das als nicht mehr ganz so junger Mensch hinzubekommen ist allein schon eine Herausforderung, hinzu kommt dann noch Regionalität. Für meine Ohren ist es dir weitgehend gelungen, trotzdem klingt es gewollt.
Noch schwerer wiegt für mich jedoch: Dass so ein Typ Tagebuch führen soll? Und dann seine Einträge auch noch mit Liebes Tagebuch überschreibt?
Und die Pointe: Satire mit dem Holzhammer. Kann man machen.

Beste Grüße,
Sammis
 
P

petrasmiles

Mitglied
Sammis schrieb:
Hallo Tonmaler,

Bitterböse, wenig lustig.
Mit Jugendslang ist das ja immer so eine Sache. Das als nicht mehr ganz so junger Mensch hinzubekommen ist allein schon eine Herausforderung, hinzu kommt dann noch Regionalität. Für meine Ohren ist es dir weitgehend gelungen, trotzdem klingt es gewollt.
Noch schwerer wiegt für mich jedoch: Dass so ein Typ Tagebuch führen soll? Und dann seine Einträge auch noch mit Liebes Tagebuch überschreibt?
Und die Pointe: Satire mit dem Holzhammer. Kann man machen.

Beste Grüße,
Sammis
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Ging mir auch so.

Liebe Grüße
Petra
 
Tonmaler

Tonmaler

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Hi Sammis,

danke für deine Kommentierung ;)

Sammis schrieb:
Bitterböse, wenig lustig.
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Da hast du recht. Je lustiger das jemand finden sollte, desto bedenklicher; das ist ja das Interessante: Was jemand lustig findet. Hier entblößt sich die Ödnis des Herzens.


Sammis schrieb:
Für meine Ohren ist es dir weitgehend gelungen, trotzdem klingt es gewollt.
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Gewollt war es auch; war lang dran an Leuten mit So-Sprech. Hier sollte es natürlich komprimiert sein und ist daher übertrieben. Weltliteratur sieht anders aus.


Sammis schrieb:
Dass so ein Typ Tagebuch führen soll? Und dann seine Einträge auch noch mit Liebes Tagebuch überschreibt?
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Genau, das ist der Hinweis. Früher hieß es Tagebuch, heute heißt es ‘Blog‛ und du findest es im Intanett. Def.: Laut Wikipedia ist ein Blog ein meist auf einer Website geführtes und damit meist öffentlich einsehbares Tagebuch oder Journal, in dem mindestens eine Person (genannt: Blogger), Aufzeichnungen führt, Sachverhalte protokolliert („postet“) oder Gedanken niederschreibt.
Das ist der Witz – es heißt jetzt nicht mehr Tagebuch, daher ist wieder erlaubt, ohne als Poesiedussel dazustehn. Was zum Stolpern und stehen bleiben.


Sammis schrieb:
Und die Pointe: Satire mit dem Holzhammer. Kann man machen.
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Du würdest dich wundern (oder auch nicht?) über den Zynismus, der vorherrscht, da wird es immer schwerer, noch mit Satirischem drüber zu kommen. Schlug doch vor ca. 3 Jahren ein FDP-Politiker vor, man solle den Rentnern helfen, indem man das Flaschenpfand erhöht, sodass sie für die igefundenen Pfandflaschen mehr bekommen beim Abgeben. Ich schlug vor, da könnte man doch auch noch ein Gewinnspiel einbauen: in jedem 100. städtischen Mülleimer könnte man ein Fresspaket verstecken; so als Anreiz für die Rentner.

Sammis schrieb:
Eins noch vergessen: musstu, weißtu, ...
du als tu – ist mir noch nicht untergekommen
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Klang!

Gruß
T.
 
Sammis

Sammis

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In jedem Einhundertsten ist eine sehr gute Idee. Weil sie vermutlich zuvor schon auf der Streke bleiben.

Schon klar, sprech das ja vor mich hin. Funktioniert für mich aber auch phonetisch nicht. Muss wohl regional bedingt sein.
 
Tonmaler

Tonmaler

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Sammis schrieb:
In jedem Einhundertsten ist eine sehr gute Idee. Weil sie vermutlich zuvor schon auf der Strecke bleiben.
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Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Oder wenigstens die FDP. Ein bisschen freier Wettbewerb an den Müllcontainern schadet sicher nichts und kostet sozialverträglich auch den einen oder anderen etwas früher als erwartet das Leben.
2003 hatte die FDP vorgeschlagen, Rentner könnten doch gesellschaftlich re-integriert werden, indem man sie ehrenamtlich in der Offenen Jugendarbeit einsetzt (womit man noch dazu teure Sozialpädagogen einspart). Nach einem arbeitsreichen Leben könntest du dann deinen Lebensabend im trauten Kreis gewaltbereiter Jugendlicher verbringen. Im Idealfall würde der Lebensabend dann auch nicht mehr allzu lange ... dauern ...
aber das hatten wir schon.
 
L

lightandsoundofbirds

Mitglied
Sammis schrieb:
Dass so ein Typ Tagebuch führen soll? Und dann seine Einträge auch noch mit Liebes Tagebuch überschreibt?
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Tonmaler schrieb:
Genau, das ist der Hinweis. Früher hieß es Tagebuch, heute heißt es ‘Blog‛ und du findest es im Intanett. Def.: Laut Wikipedia ist ein Blog ein meist auf einer Website geführtes und damit meist öffentlich einsehbares Tagebuch oder Journal, in dem mindestens eine Person (genannt: Blogger), Aufzeichnungen führt, Sachverhalte protokolliert („postet“) oder Gedanken niederschreibt.
Das ist der Witz – es heißt jetzt nicht mehr Tagebuch, daher ist wieder erlaubt, ohne als Poesiedussel dazustehn. Was zum Stolpern und stehen bleiben.
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Ich glaube, es liegt nicht am "Poesiedussel". Was es unglaubwürdig macht, ist die Tatsache, dass jemand, der sich extra die Mühe macht, "Gedanken nieder[zu]schreiben", auch ein wenig Freude an Sprache insbesondere in ihrer schriftlichen Form haben muss. Wer mündlich schon nur grammatikalische Bruchstücke hervorbringt, wird umso weniger wahrscheinlich bemüht sein, seine Gedanken in eine schriftliche Form - welcher Art auch immer - zu bringen.

Was du schreibst, wäre vielleicht als Transkription von Sprachnachrichten beispielsweise in einem WhatsApp -Chat denkbar. Diese sind unter jungen Leuten ohnehin häufig beliebter als Textnachrichten.
Was das "Gewollte" angeht, denke ich, dass es daran liegt, dass da immer noch zu viel grammatikalische Komplexität und Korrektheit in deinen Sätzen enthalten ist, um die Stilebene zu erreichen, die du eigentlich anstrebst. Diese wäre meiner Beobachtung nach noch bruchstückhafter.

Ich probier mal:

Sprachnachricht vom 11.11.

Gib dir das, Mann! Heute an der S-Station! Ne alte Vettel klemmt in Tür und S-Bahn fährt trotzdem los.! ...

Inhaltlich überzeugt mich das Ende leider nicht.
"Ich schlug vor, da könnte man doch auch noch ein Gewinnspiel einbauen: in jedem 100. städtischen Mülleimer könnte man ein Fresspaket verstecken; so als Anreiz für die Rentner."
Das finde ich origineller als dein Ende, welches im Vergleich auf mich unterkomplex wirkt. Nix für ungut, ich lese deine Geschichten sonst sehr gerne!
 
Tonmaler

Tonmaler

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Hallo, danke für deinen Kommentar!

lightandsoundofbirds schrieb:
Was du schreibst, wäre vielleicht als Transkription von Sprachnachrichten beispielsweise in einem WhatsApp -Chat denkbar. Diese sind unter jungen Leuten ohnehin häufig beliebter als Textnachrichten.
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Ja, das stimmt. Im Grunde hab ich das auch 'phonetich' geschrieben; in einem Dialog wär das so okay. Was tatsächlich vermutlich nicht der Fall wäre, dass das einer dann so hinschreibt. Für das Sprechen ist es allerdings nicht zu komplex. Da kenn ich mich aus, allerdings ging auch deine Version.
Ich hab das etwas schnell runtergeschrieben, als kleinen 'Spaß', ohne lang zu überlegen. Mir gefiel der Kontrast der Sprache zu dem einleitenden 'Liebes Tagebuch'. Verstehe die Einwände natürlich.


lightandsoundofbirds schrieb:
Was das "Gewollte" angeht, denke ich, dass es daran liegt, dass da immer noch zu viel grammatikalische Komplexität und Korrektheit in deinen Sätzen enthalten ist, um die Stilebene zu erreichen, die du eigentlich anstrebst. Diese wäre meiner Beobachtung nach noch bruchstückhafter.
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Nein, das nicht. 'Passt schon'. Nur würd er es nicht hinschreiben, das stimmt, es ist 'speech'.

lightandsoundofbirds schrieb:
Das finde ich origineller als dein Ende, welches im Vergleich auf mich unterkomplex wirkt. Nix für ungut, ich lese deine Geschichten sonst sehr gerne!
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Danke. Ja, das wurd ja schon gesagt, das ist etwas der Holzhammer. So was wie: wenn der kultivierte Politker auch Klartext reden würde ...


Weiß nicht, ob ich da noch mal was dran mache, war nur ne Spielerei.
 
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