SCHULD VERRAT RACHE und SÜHNE

Sammis

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SCHULD
VERRAT
RACHE und SÜHNE


SCHULD
Tommi sah sich um. Der Raum in der obersten Etage des sechsstöckigen Geschäftshauses war weitläufig und nahezu leer. Es gab zwei Türen. Die, durch die sie hereingekommen waren und eine zweite, durch welche Mo eben verschwunden war. Etwa in der Mitte lag eine Matratze auf dem bloßen Fußboden. Daneben ein von Malerarbeiten gezeichneter Stuhl, das war alles. Die Toilettenspülung rauschte, kurz darauf kam Mo zurück.

„Gefällt es dir?“
„Es ist– groß.“
„Ja, das ist es.“
„Viele Möbel hast du nicht.“
„Ich mag es so.“

Früh am Abend war sie Tommi in einer Bar aufgefallen. Kurz darauf war Mo zu ihm gekommen, hatte ihn angesprochen. Wenig später hatten sie die Bar verlassen, waren umhergelaufen und irgendwann zu ihrem Wagen gegangen. Die Luxuskarosse hatte Tommi durchaus beeindruckt. Aber mehr noch Mo.
Sie war angetrunken, aber nicht sehr. Tommi hegte rasch den Verdacht, dass sie nicht war, wen sie vorzugeben versuchte. Der teure Wagen, die glamouröses Klamotten, all das wollte nicht recht zu dem Mädchen passen, das ihn mehr und mehr bezauberte. Nicht zu den kindlichen Augen, nicht zu dem freundlichen, ehrlichen Lächeln. Anfangs hatte sie sich eloquent Ausgedrückt, später dann einfacher aber auch ehrlicher. Im Wagen waren sie sich rasch näher gekommen.

„Warum hast du mich angesprochen?“
„Weiß ich nicht.“
„Du weißt es nicht?“
„Ja, doch.“
„Und warum?“
„Ich–, ich wollte mit einem Mann schlafen.“
„Mit irgendeinem Mann?“
„Ja. Nein. Ich meine, mit einem, der mir gefällt.“
„Okay. Aber warum?“
„Ich– ich möchte nicht– Kannst du mich einfach festhalten?“

Tommi schloss Mo in seine Arme. Ihr Duft erinnerte ihn an etwas längst vergessen geglaubtes. Jahre zurück hatte er sich lange nicht von einer Frau befreien können, die ihm das Leben zur Hölle gemacht hatte. Mo roch ganz anders als diese Frau. Doch die Intensität, mit der Tommi sie wahrnahm, überwältigte und beängstigte ihn.

„Zieh mich aus, bitte.“
„Möchtest du das wirklich?“
„Ja.“

Ihre Stimme brach und ihr Körper erzitterte. Unschlüssig darüber, ob er ihrer Bitte nachkommen sollte, begannen Tommis Hände längst damit ihr Kleid zu öffnen. Er streifte die feinen Träger über ihre Schultern und das Kleid viel zu Boden. Als Mo aus ihren Schuhen stieg, hüllte nur mehr das Halbdunkel sie ein.
Mo hob den Kopf und sah Tommi in die Augen. Er erwiderte ihren Blick und wagte es nicht, an ihr herabzusehen. Dann wandte sie sich um und ging zur Mitte des Raums. Tommi gewahr die Schönheit ihres Körpers, der sehr weiblich und zugleich zerbrechlich wirkte. Ohne darüber nachzudenken, legte er seine Kleider ab und folgte ihr.
Mo hatte sich auf den Rücken gelegt, die Finger vor ihrem Bauch verschränkt, die Beine kaum merklich gespreizt. Genau wie ihr Gesicht vermittelte ihr Körper Jugend. Die Haut makellos, das Fleisch straff und wohlgeformt.
Zögernd verweilte Tommi neben dem behelfsmäßigen Bett, bis Mo eine Hand nach ihm ausstreckte, er sie ergriff und sie ihn behutsam zu sich zog.

„Halt mich.“

Lange lagen sie beieinander, ehe die Lust sie ergriff, ehe sie miteinander schliefen, ehe Tommi erfüllt ein kleines Stück von ihr wich und er sein Glück weder fassen, noch ihm trauen konnte. Als sein Körper ruhiger und sein Kopf klarer wurde, umfingen ihn dunkle Gedanken. Tommi hatte die Bar aus einem einzigen Grund aufgesucht. Er wollte eine Frau kennenlernen, sie verführen um sich dann möglichst lange auf ihre Kosten zu amüsieren, ehe sie sein Spiel durchschauen würde. Jetzt schämte er sich dafür.

„Tommi.“
„Hm.“
„Ich muss dir etwas sagen.“
„Ich–, ich muss dir auch etwas sagen. Ich war–“
„Nein, lass mich bitte zuerst. Sonst traue ich mich nicht mehr.“
„Okay.“
„Ich habe große Schwierigkeiten, Tommi. Sehr große Schwierigkeiten. Und–, und ich muss etwas tun, etwas –, etwas das falsch ist. Aber mir bleibt keine andere Wahl. Ich muss und–, und ich kann das nicht alleine machen. Es tut mir leid, Tommi. Aber ich habe dich nur angesprochen, damit du mir hilfst. Aber jetzt–, jetzt ist alles anders und ich–“
„Wobei?“
„Tommi, ich schäme mich so!“
„Wobei kann ich dir helfe?“
„Ich kann nun nicht länger–“
„Schon gut. Es ist gut. Ich werde dir helfen, egal um was es geht.“

Mo wurde von Weinkrämpfen geschüttelt und Tommi umfing sie mit seinen Armen. Er zog sie dicht zu sich und ließ sie weinen. Seine eigenen Schuldgefühle veranlassten ihn zu dem Entschluss, ihr zu helfen, was auch immer es kosten würde.


VERRAT Im Treppenhaus war es kalt und dunkel. Mo hatte Tommi erklärt, wohin er gehen und was er tun sollte. Ihren Mann zu töten, hatte er zunächst als schlechten Scherz aufgenommen. Dann war es ihm irrwitzig und schließlich als einzig logischer Ausweg erschienen, nachdem sie ihm alles erzählt hatte.
Tommi klopfte, sagte die vorbereiteten Worte und hoffte, dass Mos Plan aufging. Tatsächlich stellte der Mann keine Fragen und folgte ihm nach draußen.
Tommi schlug den Kragen hoch, es hatte angefangen zu regnen. Jetzt saßen die beiden im Wagen und Tommi vermochte, der beschlagenen Scheiben wegen, nur mehr Schemen zu erkennen. Je länger es dauerte, desto nervöser wurde Tommi. Es beschlichen ihn Zweifel, ob er überhaupt hier sein sollte.
Plötzlich heulte der Motor auf und Tommi wusste sofort, dass etwas nicht stimmte. Der Wagen fuhr ruckend an und nahm rasch Fahrt auf.

„Mo!“, schrie Tommi. „Mo!“

Ein lauter Knall übertönte sein Schreien. Die Bremslichter flammten auf und das Auto kam schlingernd zum Stehen. Tommi rannte los und war noch nicht vollends heran, als die Fahrertür aufschlug und ein Körper auf den Asphalt stürzte. Dann raste der Wagen davon.

„Nimm sie, bitte.“
„Mo!“
„Bitte, Tommi, nimm sie.“
„Mo, was ist passiert?“

Tommi verstand es nicht. Mo lag in seinen Armen und überall war Blut. Sein Kopf war übervoll von diesem Rauschen, das alles andere auslöschte. Er konnte nicht denken. Nicht hören, kaum sehen. Sein Blick trübte sich zunehmend und er fürchtete, das Bewusstsein zu verlieren. Dann spürten er plötzlich winzige, spitze Kieselsteinchen, die sich schmerzhaft in seine Kniescheiben bohrten.
Daran klammerte sich Tommi. Er hielt am Schmerz fest, so wie er Mo festhielt, um nicht den Verstand zu verlieren.

„Nimm sie, Tommi, bitte!“

Tommi ergriff Mos Hand, die sie ihm entgegenstreckte, und sah ihr dabei in die Augen. Ihre Augen. Diese kindlichen Augen, die jetzt so voll von Angst waren.
Tommi fühlte das kalte Metal, das mit ihrer Hand nun in seiner ruhte. Er roch das Blut und klammerte sich weiter an den Schmerz, konzentrierte sich auf die Kieselsteine.

„Verzeih mir, Tommi.“

Dann krümmte sie den Finger.
Der ohrenbetäubende Knall war nur ein leises Ploppen in Tommis Kopf. Mos Augen weiteten sich, dann erloschen sie.


RACHE Erster Brief

Wo soll ich Anfangen?
Meine Frau, Sie haben sie als Mo kennen gelernt, war schwer krank gewesen. So oder so hatte sie nicht mehr lange zu leben. Unserer Tochter drohte das gleiche Schicksal und Monika wollte es nicht wahrhaben.
Dann waren da diese Leute, die behaupteten, unserem Kind helfen zu können. Und natürlich wollten sie Geld. Viel Geld, sehr viel mehr, als uns zur Verfügung stand.
Und Monika wollte es einfach nicht wahrhaben. Sie ersann den Plan, die Versicherung, der Mord. Einige unzureichende Kandidaten und am Ende Sie.
Wenige Wochen darauf starb unsere Tochter, alles war vergebens.
Spätestens da hätte ich es zugeben müssen. Aber ich war feige.
Glauben Sie mir, wenn ich Ihnen schreibe, dass seitdem kein Tag verging, an dem ich mich nicht dafür schämte! Nur was nützt das Ihnen?
Ich habe wieder geheiratet und mein Sohn feiert nächste Woche seinen elften Geburtstag. Warum ich Ihnen das erzähle? Ich weiß es nicht. Vielleicht weil ich hoffe, dass sie es verstehen und uns verzeihen können.
Ich weiß, dass sie bald schon ein freier Mann sein werden. Wenn sie auf Rache aus sind, auf dem Umschlag finden Sie meinen Namen und die Adresse.
Bitte verstehen Sie.
Bitte verzeihen Sie.


Zweiter Brief

Die Ungewissheit bringt mich um! Warum antworten Sie nicht?
Morgen werden Sie entlassen. Ich schlage ein Treffen vor. Soll ich Sie abholen? Wenn Sie das möchten, werde ich da sein. Anbei finden sie meine Telefonnummer.
Ich möchte das aus der Welt schaffen – so oder so.


Antwort

Mittwochabend. 22 Uhr. Wo Mo starb.


Zwei Stunden stand er in der Kälte. Es herrschten Minusgrade, dennoch schwitzte er. Anfangs hatte er sich nach allen Seiten umgesehen, jetzt stand er still, war sich sicher, dass der Mann nicht mehr kommen würde. Das Mitternachtsleuten wollte er noch abwarten, dann nach Hause fahren.

Tommi sah zu, wie er in den Wagen stieg und davonfuhr. Er wartete eine halbe Minute, dann überquerte er die Straße und klopfte an die Tür. Die Frau, die ihm öffnete, schluckte die Geschichte, die er sich zurechtgelegt hatte, ohne Vorbehalte. Sie führte ihn ins Haus, bot ihm Platz und zu trinken an.
Später bereute es Tommi, nicht länger gewartet zu haben. Sie hatte ein schönes Lächeln, das hätte er gern länger genossen.
Tommi betrachtete sich im Spiegel des Kleiderschranks. Ihm gefiel, wie er sie ans Bett gefesselt hatte, mit dem Gesicht nach unten und dem Kissen unter ihrem Becken. Der gewaltige Bauch, den er sich in all den untätigen Jahren angefressen hatte, gefiel ihm hingegen garnicht. Die Frau schluchzte, Tommi nahm es kaum war. Er hörte auch das Wimmern des gespenstisch starrenden Jungen nicht, der mit zerschlagenen Gliedmaßen und verstümmelten Augen, die er nie wieder würde schließen können, vor dem Bett auf dem Boden lag. Was Tommi hörte, war ein Weinen. Ein sehr vertrautes Weinen. Zögerlich hörte er damit auf, sein unerigiertes Glied gegen die Pobacken der nackten Frau zu klatschen. Sein Blick fixierte die tränennassen Augen seines Spiegelbildes und er erstarrte. Minutenlang.
Erst als die Tür unten ins Schloss fiel, fand Tommi zurück. Er stieg von der Frau, zog hastig seine Hosen hoch und eilte zu dem Jungen. Er packte und schleuderte ihn zu seiner Mutter auf das Bett, dann positionierte er sich neben der Tür und wartete.


SÜHNE Ich war kein schlechter Mensch. Kein Engel, das nicht, aber kein schlechter Mensch.

Der Mann starrte Tommi hasserfüllt an. Er war zu seiner Frau und dem Kind geeilt, hatte geschrien, geweint und war schließlich verstummt. Jetzt lehnte er mit dem Rücken gegen das Bett und funkelte Tommi an.
Tommi stand noch immer bei der Tür, mit seiner Rechten hielt er das Messer, mit dem er den Jungen gepeinigt hatte.

„Ich war kein schlechter Mensch“, sagte er ein ums andere Mal, „Ich war kein schlechter Mensch.“ Die monotone Stimme, mit der Tommi diesen einen Satz wiederholte, entfachte in seinem Gegenüber eine Feuersbrunst der Wut. Er sprang auf, stürzte sich auf Tommi und entwand im das Messer. Kaum hielt er es in Händen, stach er zu.
Der Schmerz war beißend. Tommi umschloss das Handgelenk des Mannes, der ihm das Messer bis zum Griff in den Bauch gestoßen hatte. Er zog ihn dicht zu sich, sah im aus nächster Nähe in die Augen. „Ich war kein schlechter Mensch“, wiederholte er, dann stieß er die Stirn nach vorn und brach dem Mann die Nase. Er packte ihn bei den Ohren und schlug seinen Kopf mit aller Kraft gegen die Wand. Besinnungslos sank er zu Boden.

„Ich war kein schlechter Mensch“, wiederholte Tommi wieder und wieder, während er der Frau das Gesicht verstümmelte. Er schnitt ihr die linke Brust ab, ehe er auf sie stürzte und verblutete.

Im Zimmer war es nun still. Der Junge atmete leise, die Frau etwas unregelmäßig. Auch der Mann atmete, so als würden alle nur schlafen. Aber bald schon würden er aufwachen.

***
 
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