"Wie schnell die Zeit vergeht..."

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Corinna Thiers

Mitglied
Wie schnell die Zeit vergeht...


Mondlicht fällt fahl durch das Fenster. Es ist nur ein kleines, stickiges Zimmer in dem er schläft. Nicht viel Platz, nicht viel Raum. Er braucht auch nicht viel.
Heute liegt er wach, während die Sterne am Himmel glitzern. Heute atmet er Gewissheit.
Er steht auf und zieht sich eine alte Cordhose und ein schäbiges, ausgeleiertes Unterhemd an, ausgelatschte Hausschuhe stehen verlassen neben seinem Bett als gehörten sie nirgends hin. Er lässt sie unbeachtet stehen und geht barfuss mit kantigen Knien in den Korridor. Knipst das Licht an, um seine Stirnlampe zu suchen. Seine Frau brachte sie eines Tages als Werbegeschenk mit. Nicht ahnend, dass diese Stirnlampe je zum Einsatz kommen würde, hatte er sie gedankenlos in irgendeine Schublade gelegt. Wie gut, dass nicht mehr viele Möbel übrig sind. Trotzdem quillt jede einzelne Schublade über. Krimskrams aus Äonen von Lebensjahren versammelt, staut sich hier zu einem Wirrwarr von Gedanken- und Erinnerungsfetzen. „Weißt Du noch damals?“, schießt es ihm in den Kopf. Seine schmalen Lippen bilden einen dichten Strich in Halbmondform. Er seufzt, als er die Stirnlampe aufsetzt. Ohne Schwierigkeiten knipst er sie zielsicher an als hätte er in seinem ganzen Leben nie etwas anderes getan. Starr bewegt er sich zur Tür, öffnet sie und findet die Türklinke mit knorrigen, alten Fingern, um sie niederzudrücken. Die Nachtluft steht still, erleuchtet von dem endlos hellen Mondlicht. Vollmond. Er schaltet die Stirnlampe aus und nimmt sie mit einem Seufzen ab. Mit einem kaum hörbaren 'plumps' fällt die Lampe auf die oberste Stufe der kleinen Treppe. An die Häuserwand gelehnt steht links neben ihm die Schaufel. Er ergreift sie und tritt auf den Rasen hinaus. Graben und schaufeln. Alles braucht seine Zeit. Ist ja auch etwas besonderes, was er heute sichtbar machen wird. Etwas, was lang verborgen blieb. Kann er sich ja auch mal Zeit lassen. Er atmet schwer. Das kleine, zerfallene Häuschen steht hell erleuchtet bei dem kleinen, zerfallenden Mann und schweigt mit Gebrüll. Feuchte Erde macht das Graben zäh. Kalte Hände machen Herzen stumpf. Tiefer Schmerz macht den Glauben stark. Endlose Hoffnung macht das Irren lebendig.
Da ist es schon. Er geht auf die Knie. Gräbt den zähen, lehmigen Boden nun mit den Händen weg. Vorsichtig, aber entschieden. Das Holz ist schon morsch geworden. 40 Jahre. Wie schnell die Zeit vergeht...

Sein Blick gleitet zum Tisch direkt ihm gegenüber. Leer und schonungslos liegt er vor ihm da. Nur ein paar Krümel längst verzehrter Mahlzeiten liegen hier verstreut. Sein Blick ist müde und traurig. Eine Tasse kalten Kaffees, noch vom Abend, steht verloren im Zentrum des Tisches. Naja, immerhin. Er nimmt einen versifften Schwamm in die Hände, um ihn achtlos in den Müll zu schmeißen. Soweit er sich erinnert hat er mal eine neue Packung Schwämme gekauft. Er greift einen heraus und wischt den Dreck von vielen, vielen Morgenden weg. Endlich. Nun er. Nun ist er dran.

Das Kistchen ist nicht schwer. Das Holz noch dreckig vom Lehmboden. Nicht alles konnte er mit den blanken Händen säubern. Manches ist auch gar nicht so wichtig wie man denkt. Er wird unruhig und atmet zittrig ein und aus. Sein Blick: Starr und fixiert als er das Kästchen öffnet. Zitteriger Atem, zittrige Finger.
Leise grummelt er etwas vor sich hin und lächelt flüchtig, verstohlen. Der Gegenstand fühlt sich für ihn wie Freude an: leicht und wie Balsam, erfrischend. Er fühlt sich jung und einen Moment glaubt er, dass seine Knie nun jüngelhaft federn würden als machte er Sprünge. Sprüüüüünge. Welch' ausgelassen - fröhliche Bewegung. Jüngelhaft, frei und voller Elan. Er streichelt den Gegenstand liebevoll und legt ihn dann beiseite. Seine Hände greifen erneut in das Kästchen. Sein Blick wird weich und ganz ruhig. Seine Bauchdecke hebt und senkt sich, als er den Gegenstand aufklappt. Er muss leise lachen. Es war schön. Sein Bauch fühlt sich an wie ein Schwarm Schmetterlinge und Wärme breitet sich überall in seinem Inneren aus. Dankbarkeit zwingt ihn zu einem stillen Gebet. Danke. Vielen Dank. Herzlichen Dank. Dankeschön. Ergebenheit. Demut.
Er seufzt und sein Blick wird wieder ernster. Er legt den kleinen Gegenstand beiseite. Er erinnert sich sehr wohl, dass er den nächsten Gegenstand nicht in das Kästchen legen konnte. Es tat ihm zu weh ihn noch einmal zu sehen. Und so verharrt er kurz in stiller Trauer um sein kleines Mädchen, dass ihm so schnell, so unglaublich schnell, genommen worden ist. Es hatte gerade gereicht, um sie zum Mittelpunkt ihres Glückes zu erheben. Zu erleben wie sie läuft, spricht, trotzt und all' dies weit höher anzusiedeln als das, was man zwangsläufig opfert, wenn man für die Entwicklung eines kleinen Menschen verantwortlich ist. - Man hat den Mann nie gefunden. Aber er weiß, dass die Strafe immer kommen wird. Er muss sie nicht selbst ausführen. Sie kommt auch so.
Wie lange das alles schon her ist. Wie schnell die Zeit verging...


Der nächste Gegenstand lässt ihn alles fassen und markiert den Moment seines Alleinseins. Er nimmt ihn in die Hand und geniesst seine Beschaffenheit: Weich, zart und mit einem leichten Duft nach ihrem Parfum liegt er in seinen Händen. Nach so langer Zeit kann er ihn noch riechen, diesen blumigen Duft nach treuer Liebe und jungen Wünschen bis hin in mögliche hohe Altersspannen. Nichts bestätigt den Schein außer die Erkenntnis der Beschaffenheit des Scheinens. Schönes weicht Erkenntnis. Schönes weicht. Was ist real und was real erdacht? Nichts verbleibt weiß und tadellos im Angesicht der Lehren des Lebens. So auch nicht dieser Duft: Hier, in seinen Händen ist er wie er wurde, dem Voranschreiten des Lebens anheimfallend wurde der Duft traurig und modrig, verliert Wunsch und Hoffnung, Plan und Vertrauen. Alles weicht der lebendigen Erkenntnis und dem, was am Ende steht. Ob wahr. Ob war. Ob falsch. Es ist. Es war – was es nun ist. Er hebt das Taschentuch an seine Nase und atmet den Duft noch einmal intensiv ein. Er ist so wohlig, so voller Liebe, dass er die Augen dabei schließt und seine sonst so schmalen Mundwinkel in einem genussreichen Anheben gipfeln. „Hmmm.“ Er nimmt es von der Nase und strahlt. Seine Augen leuchten erst. Dann erstirbt sein Lächeln - wie damals sie. Er wusste ja nicht, was sie vor hat. Er merkte nur, dass sie sie nicht verwinden konnte: Die Leere am Tisch und die Leere im Herzen. 'Mein rechter, rechter Platz ist leer...' Ihre Kleine kam eines Tages nicht mehr, um sich dort hinzusetzen. Das Mutterherz brach. Das Herz brach für immer.
Er beobachtete ihr Befinden mit zunehmender Nervosität, aber er wusste nicht, was er sagen oder tun sollte. Dann war sie tot und er bereute all die Dinge, die er ihr nicht gesagt hatte. Alles, was er nicht getan hatte. Alles, was er nicht versucht hatte. Alles, was er gefühlt und nicht mit ihr geteilt hatte. Auch was er hätte mit ihr teilen können, um sein Leid mit ihrem zu teilen. Leid und Leid gesinnt sich gern. Er seufzt. Freud und Freud ebenfalls. Er erinnert sich an beides: hier, in dieser Nacht. Im strahlenden Mondlicht. Mit einem Himmel an dem die Sterne glitzern. Und sein Herz ist so voller Dankbarkeit, dass es fröhlich schlägt und sich in seinen Augen Tränen sammeln. Demut. Nur durch Dich.
Der letzte Gegenstand lässt ihn erneut lächeln. Er zieht ihn auf und lauscht. Sein Gesicht wird so hell – alles in ihm leuchtet. Er seufzt mit einem Lächeln im Gesicht. Dann steht er auf und verlässt den Tisch.


Barfuß, mit dreckigen Füssen, läuft er ins Schlafzimmer. Stickig und karg das Zimmer, das Bett liegt zerwühlt da und lädt ein, darin zu schlafen oder es frisch zu beziehen. Auf seinem Nachttisch liegt ein Zettel: Me-di-ka-men-ten-plan. Er gähnt und setzt sich auf sein Bett. Mit knackenden Knien und seligen Augen streckt er sich und legt sich schlafen. Wie schnell die Zeit vergeht... Die Zeit verging so schnell.

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Der Tisch liegt verlassen da: Im Zentrum ein Pott Kaffee. Kalt. Wie lange der dort steht, lässt sich nur erahnen, denkt der Nachbar. Die Tür stand offen. Auch wenn dieser Geselle hier – zurückgezogen – nicht unbedingt ein landläufig bekannt hoch frequentiertes Leben geführt hatte: Seine Haustür hatte er nie offen stehen lassen. Irgendwie seltsam das alles. Der Nachbar ruft den Namen des Hausbewohners: verstummt. Irgendwie nicht passend, ihn zu rufen. Der Nachbar schweigt wieder. Geht langsam durch das kleine Häuschen. Im Schlafzimmer liegt der Mann: Ein entspanntes Gesicht. Trotzdem weiß der Nachbar, dass der Mann tot ist. Stimmte es also doch, was er da gehört hatte. Krebs und so. Stimmte also doch. Unheilbar und so. Stimmte also doch. Noch mit dem Blick auf dem Toten verharrend, seufzt er: „Tja. Ja ja.“ Er zuckt die Schultern. „Die Zeit vergeht halt. Und irgendwann ist jeder mal dran. Tja. Stimmte also doch mit dem Krebs.“
Unachtsam verlässt er das Haus und geht an dem Esstisch in der Küche vorüber. Bemerkt nichts weiter. Zückt das Telefon schon im Gehen. Wählt. „Ja, hallo! Ich wollte hier einen Todesfall melden.“ Steht draußen vor dem Haus und telefoniert.


Der Esstisch liegt verlassen da: Im Zentrum ein Pott kalten Kaffees. Ein altes, morsches Holzkistchen.
Daneben: Eine kleine Bleistiftzeichnung. Ein Junge fängt einen Ball, daneben ein hüpfender Hund und ein schleichendes Kätzchen. Kindheit.
Daneben: Eine kleine Karte. Scheinbar selbstgebastelt. Eine Foto von einer Frau mit einem Babybauch.
Daneben: Ein kleines bisschen Leere... Sollte hier nicht etwas liegen?
Daneben: Das kleine Taschentuch... Ihres. Welch' wunderbarer Geruch davon ausgeht.
Daneben: Die kleine Spieluhr, die sie in gemeinsamer Vorfreude für die Kleine gekauft haben. Doch das ist schon so lange her. Wie schnell die Zeit vergeht... alles verweilt nur... ein kleines bisschen.
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe Corinna Thiers,

ich bin Deinem Rat gefolgt und habe mir diese Kurzgeschichte angesehen.
Fraglos sehr gut geschrieben, und doch spüre ich da ein Missverhältnis von der Elaboriertheit des Textes, der die Gedanken und Gefühle eines Mannes wiedergeben soll, der ja eigentlich sprachlos zu Ende gelebt und gelitten hat.
Das ist alles so ausformuliert und zielt auf den Kopf, und ich gaube, so ein trauriges, wenn auch nicht trostloses Ende hätte sein Ziel im Herzen finden sollen - also eine viel zurückhaltendere Sprache, die dem Leser die Möglichkeit gibt, dieses Schicksal selbst zu erfühlen. So ein bisschen versperrt da die Autorin den Blick auf den Protagonisten.
ich weiß nicht, ob ich mich verständlich machen konnte - und vielleicht sehen das andere ja auch ganz anders.

Liebe Grüße
Petra
 

Corinna Thiers

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Hi,

Krass! Mit dem Urteil habe ich auch nicht gerechnet.
Aber da sieht man mal wieder: was für den Einen so ist, ist für den Anderen so.
Geschmackssache!?

Du hättest Dir hier mehr Zurückhaltung in den Beschreibungen gewünscht, hab ich das richtig verstanden?

Auf jeden Fall danke ich Dir,dass Du dem Text eine Chance gegeben hast! Ich habe angefangen hier zu veröffentlichen, weil ich gelesen werden wollte. Das habe ich bisher zwar gewollt, mich aber nicht getraut. Erst seit Anfang letzten Jahres gehe ich mit meinen Texten 'nach draußen'. Zuerst mit einem Buch, das hat nicht gut hingehauen, jetzt eben so.

Ich habe in diesem Forum erst 3 Texte veröffentlicht.
Derzeit werd ich dann Pause machen, auf Grund eines größeren Projektes, dass sich mein Umfeld von mir gewünscht hat.
Vielleicht fließt mir aber mal wieder zufällig ein Wortsport aus der Feder.

Danke, dass Du Dir Zeit für meine Texte genommen hast!!!

Grüßle,
Corinna
 

petrasmiles

Mitglied
Liebe Corinna,

aber das war doch kein Urteil! Das ist immer nur eine Leseeindruck von einer Person mit ganz eigenen Vorlieben, Erfahrungen und Ansichten. Das ist auch nicht 'erschütternd' oder 'abqualifizierend' gemeint, sondern soll die Eröffnung einer anderen Perspektive auf den Text sein. Das gelingt nicht immer, und anscheinend ist mir das hier nicht gelungen. Ich gehe da von meiner Erfahrung aus, dass ich mich mit der als 'negativen' gelabelten Kritik auseinandergesetzt habe und im Nachhinein vor allem mich selbst und mein Schreiben besser verstanden habe.

Es gibt Kritik, da spürt man gleich, das hat mehr mit dem Rezensenten zu tun, als mit mir oder dem Text, denn man muss auch als Rezensent ein Stück weit auf den Autor zugehen und ihn versuchen, in seinem Zusammenhang zu ergründen. Da nur zu sagen, das macht 'man' aber so und so, ist wenig hilfreich.
Aber so ein erster Leseeindruck, so individuell er auch sein mag, kann auch ein wertvoller Hinweis sein. Wenn ich mit dem Gefühl aus Deinem Text komme, dass ich mehr von der Eloquenz der Autorin mitbekommen habe, als vom Schicksal dieses Mannes, wenn die Perspektive desjenigen von außen den Mann selbst überlagert, dann kann das auch ein Hinweis darauf sein, dass etwas noch nicht rund ist.

Ich nehme jetzt mal als Beispiel die Stirnlampe:
Er sucht nach ihr
Seine Frau brachte sie mal mit
sie liegt in irgendeiner Schublade
nicht mehr viele Möbel
trotzdem quillt alles über
er findet sie dennoch gleich
er kann sie gleich anmachen
geht nach draußen
macht die Stirnlampe wieder aus
lässt sie fallen

Das könnte man im Grunde in einen Satz packen und bei Dir ist es ein Absatz und das, was es mit dem Protagonisten macht, verschwindet hinter diesen ganzen Sachinformationen. Teilweise sind sie die Basis für Reflexionen, die aber gleich von der nächsten Sachinformation verdrängt weren. Vielleicht sollte ich auch 'die Autorin' oder den Perspektivengeber außen vor lassen und eher darauf hinweisen, dass Sachinformationen und Reflexionen des Protagonisten (für mich) nicht im Gleichgewicht sind?
Damit kein Missverständnis aufkommt: Da, wo Du Dich auf den Protagonisten konzentrierst und ihn von sich 'erzählen' lässt, wird die Person wunderbar erfahrbar; Du stellst es gut heraus, dass er in Frieden geht mit sich und seinen Toten.

Es gibt sicher Leser, die gerade in der Fülle an Sachinformationen eine gewisse Lakonie sehen, die das Vorgehen entdramatisiert - und eben das gut findet.
Und auch das ist nur eine Perspektive von vielen und Du hast die Möglichkeit, aus den Rückmeldungen Deine eigene zu schärfen.

Ich hoffe, ich habe es jetzt nicht schlimmer gemacht ...

Liebe Grüße
Petra
 

fee_reloaded

Mitglied
Daneben: Ein kleines bisschen Leere... Sollte hier nicht etwas liegen?
finde ich einen spannenden Satz, liebe Corinna,

denn er könnte auch das Wesen deines Textes bezeichnen. Der aus der Welt der Kunst stammende Begriff des "horror vacui" - die Angst vor der Leere (in einem Gemälde) - durchzieht deinen Text vom ersten bis zum letzten Satz. Du führst den Leser an sehr kurzer Leine durch die von dir erschaffene Bildwelt, ja, man könnte eigentlich auch von einem Genre-Bild sprechen, das du hier malst. Und das tust du mit größter Sorgfalt und einem Blick, der durch eine Lupe schauend auch die kleinsten Dinge wahrnimmt und sichtbar macht.

Dem stellst du den Nachbar gegenüber:
Unachtsam verlässt er das Haus und geht an dem Esstisch in der Küche vorüber. Bemerkt nichts weiter
Der Protagonist aber vollzieht, was auch der Text selbst abbildet:
Alles braucht seine Zeit. Ist ja auch etwas besonderes, was er heute sichtbar machen wird
Es geht um ein achtsames Rückschauen und Wahrnehmen dessen, was war. Und was ihn in das Hier und Jetzt geführt hat. Um das Annehmen des Lebens das man hatte. Um das Sichtbar-Machen dessen, was dieses Leben mit dem Protagonisten macht und gemacht hat. Wie sich seine Sichtachse immer mehr ins Innen verschoben hat mit dem Fortschreiten der Einsamkeit, der Krankheit und der Trauerbewältigung.

Insofern finde ich Beobachtungen wie
geht barfuss mit kantigen Knien in den Korridor
...
Mit einem kaum hörbaren 'plumps' fällt die Lampe auf die oberste Stufe der kleinen Treppe.
...
Das kleine, zerfallene Häuschen steht hell erleuchtet bei dem kleinen, zerfallenden Mann und schweigt mit Gebrüll.
...
Der Esstisch liegt verlassen da: Im Zentrum ein Pott kalten Kaffees. Ein altes, morsches Holzkistchen.
Daneben: Eine kleine Bleistiftzeichnung. Ein Junge fängt einen Ball, daneben ein hüpfender Hund und ein schleichendes Kätzchen. Kindheit.
Daneben: Eine kleine Karte. Scheinbar selbstgebastelt. Eine Foto von einer Frau mit einem Babybauch.
Daneben: Ein kleines bisschen Leere... Sollte hier nicht etwas liegen?
Daneben: Das kleine Taschentuch... Ihres. Welch' wunderbarer Geruch davon ausgeht.
Daneben: Die kleine Spieluhr, die sie in gemeinsamer Vorfreude für die Kleine gekauft haben.
als ein gelungenes Sichtbar-Machen der "verdichteten Zeitlupe", die der Text darstellt.
Ich dachte auch beim ersten Lesen des ersten Absatzes, dass da die Erzähl- bzw. Schilderungs-Lust mit der Autorin durchgegangen zu sein scheint, musste jedoch meine Ersteinschätzung spätestens zwei Absätze weiter revidieren. Die sonst nicht unberechtigte Kritik an zu großer Detailgenauigkeit im Beschreiben, das Verwenden zu vieler Adjektive, greift hier nicht, denn es geht ja genau um dieses Weben einer ganz dichten, höchst achtsamen Wahrnehmung durch den Protagonisten. Und das finde ich mit jedem Lesen hier mehr und mehr gelungen. Einige wenige Formulierungen können zwar m.E. nicht mit dem aus meiner Sicht recht gelungenen Text mithalten, aber das ist zum Teil auch Geschmackssache. Lediglich der Tisch, der verlassen da liegt, fällt mir an beiden Stellen im Text unangenehm auf. Ein Tisch liegt nun mal nicht. Er steht verlassen da.

Manches ist ev. auch wirklich ein wenig zu viel in die Länge gezogen in den leicht variierenden Wiederholungen. Allerdings träfe der Ansatz zu Verkürzen hier die Absicht des Textes nicht. Die rechte Balance zwischen dem Detailgenauen, im Moment achtsam Verharrenden, das den Text trägt und auszeichnet, und der vielleicht an manchen Stellen doch wünschenswerten Verdichtung, ist hier nur schwer zu finden, glaube ich.

Klar - man hätte den "aktiven" Inhalt auch bewusst verdichtet und in gradezu karger Bildhaftigkeit transportieren können, um vieles für den Leser offen zu lassen. Aber dann wäre die Geschichte des Mannes in den Vordergrund getreten und nicht das, was mit ihm geschehen ist (durch diese Geschichte) und wie es seine Wahrnehmung geformt hat. Also ein ganz anderes Ziel für einen anderen Fokus. Darum geht es hier aber nicht, wie ich es sehe.

Insofern lese ich deinen Text als eine sehr individuelle, gelungene und sich wohltuend vom Mainstream abhebende Reise, auf die ich mich wirklich gerne habe mitnehmen lassen!

LG,
fee
 
Zuletzt bearbeitet:

Corinna Thiers

Mitglied
Liebe Petra,

Was glaubst Du denn schlimm(er) gemacht zu haben? Nein, es ist alles gut und wars auch vorher. Offensichtlich konnte ich das nicht gut rüberbringen.

Ich habe etwas mehr verstanden was Du mir sagen wolltest. Es ist zumeist aber bewusst so gewählt. Für mich nur interessant,dass es auch anders verstanden werden kann. Was aber nicht schlimm ist. Wirst Du ja bei Deinen Texten auch kennen. Kennt sogar Goethe.

Ich freue mich einfach wahnsinnig, dass Du meinem Text eine Chance gegeben hast! Ich fands so schade, dass der so ungelesen da rumhing. Danke,dass Du das geändert hast!

Vielen Dank dafür!
Grüßle,Corinna
 

Corinna Thiers

Mitglied
Fee,

Dankeschön!
Auch für die Bewertung.

An einigen Stellen habe ich innerlich laut 'yes' gerufen. Jemand hat verstanden, warum ich das so und nicht anders gemacht habe. Das war cool irgendwie.

Danke für dieses 'Yes-Gefühl'! Und natürlich für Deine Mühe.

Grüße,
Corinna
 

fee_reloaded

Mitglied
Jemand hat verstanden, warum ich das so und nicht anders gemacht habe. Das war cool irgendwie.
Das kann ich nur zu gut nachvollziehen und freu mich daher umso mehr, dass ich bei meiner Interpretation richtig liege, liebe Corinna.

Ich kenn das - wie die meisten - ja auch: man hat keine Garantie, - egal, wie "gut" man einen Text jetzt die eigenen Absichten betreffend hinbekommen hat - dass er auch so gelesen wird, wie man ihn meinte und fühlte beim Schreiben. Da treffen viel zu viele unterschiedliche Leseerwartungen und Erfahrungshorizonte auf einen Text, als dass er - vor allem wenn er so speziell mit der Art der Darstellung des Inhalts spielt wie deiner - bei allen dort "auftrifft", wo wir uns das erhoffen. Jeder trägt in gewissem Sinne eine Art Lesebrille mit ganz eigener Tönung und Fokussierung.

Aber das sollte einen nicht davon abhalten, einen Text genau so anzulegen, wie man das für sich selbst als stimmig empfindet. Ich sehe daher jeden meiner Texte als eine Art Experiment mit ungewissem Ausgang. Zu sehr verbiegen sollte man sich definitiv nicht, nur um möglichst viele Leser zu erreichen, denn dann wird es schnell "mehr vom schon Bekannten und Gängigen" da draußen. Dennoch hat man auch in manchen Fällen so einen kleinen blinden Fleck und dann tut Rückmeldung gut, denn sie erweitert die Perspektive auf den eigenen Text.
Was man mit dieser Rückmeldung anfängt, hängt dann auch davon ab, wohin man mit seinem Text möchte bzw. wollte und für ein wie breites Lesepublikum man schreiben möchte. Da wird die Entscheidung vermutlich jedes Mal anders ausfallen. Insofern sind alle Rückmeldungen von Wert. Denn letztlich treffen sich Autor und Leser genau in der Mitte des Textes - der eine hat was aus seiner Gedanken- und Sichtwelt reingepackt, der andere liest das heraus, was ihm seine Welt ermöglicht.

Bei mir hat dein Text offensichtlich genau die richtigen Synapsen getriggert. Das liegt aber auch daran, dass ich diese Art des genauen Hinschauens selbst auch pflege und mag.

LG!
 

petrasmiles

Mitglied
Bei mir hat dein Text offensichtlich genau die richtigen Synapsen getriggert. Das liegt aber auch daran, dass ich diese Art des genauen Hinschauens selbst auch pflege und mag.
Ich denke mal, das ist genau der Punkt, der unsere Perspektiven unterscheidet. Ich bin so froh, dass Du hier auch drauf geschaut hast!
Ich möchte offensichtlich, dass mein Gefühl angesprochen wird und ich in den inneren Kosmos eintauchen kann. Ob das auch Synapsen sind?

Ich glaube, das haben wir jetzt gemeinsam rund bekommen!

Liebe Grüße
Petra
 

fee_reloaded

Mitglied
Ich denke mal, das ist genau der Punkt, der unsere Perspektiven unterscheidet. Ich bin so froh, dass Du hier auch drauf geschaut hast!
Ich möchte offensichtlich, dass mein Gefühl angesprochen wird und ich in den inneren Kosmos eintauchen kann. Ob das auch Synapsen sind?
Du hast an anderer Stelle hier im Forum geschrieben, dass du neben der eigentlich Toughen auch irgendwo drinnen ein Seelchen bist, liebe Petra.
Coole Logik auf der einen Seite und dann das Gefühl auf der anderen - was für eine Mischung. Da könnte es auch an der jeweiligen Tagesverfassung liegen, welche Seite beim Lesen grade das Sagen hat. ;)
Ich muss manche Texte auch immer wieder mal an mehreren Tagen lesen, wenn ich mir wirklich sicher sein möchte, dass ich dem Text in einer Rezension überhaupt gerecht werden kann. Da kommt dann oft an jedem Tag ein anderes Empfinden und Resultat für mich dabei raus. Synapsen-Duell sozusagen. :cool:
 



 
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