"Gibt es ein Leben nach der Karriere?"

4,30 Stern(e) 6 Bewertungen
„Gibt es ein Leben nach der Karriere ?“

Oder überhaupt nach dem Ausstieg aus einem Berufsleben, auch ohne echte Karrierequalitäten? Was heißt es, jahrelang Morgen für Morgen vom Schrillen des Weckers aus den Träumen gerissen zu werden und im Halbschlaf zur Arbeit zu eilen? Plötzlich wacht man auf und Sekunden später schleicht sich der Gedanke ins Bewusstsein, dass man den ganzen Tag keinen Fuß vor die Tür setzen muss. Was ist das bloß für ein Gefühl? Traumhaft oder schrecklich öde? Nichts für Macher und Nervenbündel.
Es ist eine wahre Freude für jene vom Aussterben bedrohte Spezies: Mütter, die ihre Brut selbst aufziehen möchten, den qualifizierten Kinderkundigen ihre Selbstverwirklichung nicht gönnen, weil sie die angebotenen Kinderbetreuungsplätze verschmähen. Die Karrierefrau von heute hat natürlich nach Auswertung des Schwangerschaftstests bereits diverse Kinderaufbewahrungsplätze organisiert, falls ihr doch der Putz auf den Scheitel zu bröckeln droht, sobald das wonnige Baby da ist.
Kinderhorte muss es geben, keine Frage. Schließlich gibt es Familien, die keine Wahl zu treffen haben. Wer aber freiwillig und bei klarem Verstand Mutter zu sein wünscht, ohne es wirklich sein zu müssen, nimmt lächelnd hin, wenn eilfertige Beamte bei der Berufsangabe in Formularen einen Querstrich mit zwei Punkten malen.

Für die ehemaligen Profit-Center-Chefs mutet es ungeheuerlich an, wenn eine Frau um die dreißig mit einem guten Einkommen jenseits der Armuts- und Beitragsbemessungsgrenzen ohne Not den angebotenen Kinderbetreuungsplatz ablehnt. Wo soll denn hier „Management by objectives“ greifen. Bar jeder professionellen Distanz steht sie da, die ehemals hochgeschätzte Mitarbeiterin, und schildert verklärten Blickes die ersten „dadada“-Laute ihres Sprösslings.

Morgens aufzuwachen, wenn das liebliche Baby die ersten Tönchen kräht, ist ein Hochgenuss. Vorausgesetzt, man hat eines der seltenen Exemplare „Es schläft schon seit seiner sechsten Lebenswoche durch“ abbekommen. Also nehmen wir mal an, das süße Geschöpf gehört zu dieser begehrten Sorte, schließt abends brav seine Kulleraugen und wacht frühestens um 7.30 Uhr wieder auf. Wenn der rechtschaffene Vater dieses Goldkindes um 6.00 Uhr stöhnend aus den Federn steigt, um die Familienkasse aufzufüllen, dreht sich die Berufsverweigerin noch einmal um und schlummert weiter. Für den Mutterjob wird es erst Zeit, wenn sich die Speckbeinchen gen Himmel strecken und die ersten Quietschtöne erklingen. Wer das allmähliche Aufwachen mit einem zufrieden nuckelnden Baby an sich gekuschelt dem Morgenmeeting zum Thema „Rückläufige Kundenzahlen“ nicht vorzieht, sollte spätestens jetzt nicht mehr weiterlesen, sondern sich den Wirtschaftsnachrichten zuwenden.
Die Steigerung des Absatzerfolges kratzt die ehemalige Karrierefrau nur noch selten, wenn die kleinen Patschehändchen Mamas Frisur neu gestalten, ihr Gesicht und ihre Hände erforschen und den wertvollen Schmuck als hilfreichen Haltegriff erachten.

Mit frisch gewickeltem Baby gegen 9.00 Uhr die erste Tasse Kaffee schlürfend den Tag zu planen ist dem Termindruck im Beruf deutlich überlegen. Doch Planung ist ein theoretischer Ansatz. Wehe der, die für ihr Wohlergehen Ordnung und Regeln braucht. Improvisation ist gefragt. Selbst einem noch so anfängerfreundlichen Menschenkind haftet der Hang zum Chaos an. Wer also nachmittags noch im Nachgewand herumläuft und gegen 17.00 Uhr ans eigene Mittagessen denkt, die Haarpracht nur noch an der Luft trocknen läßt und abends den Briefkasten leert, ist nicht etwa schlampig, sondern frischgebackene Mama.

Perfektionistinnen und Planerinnen sind echt gefordert. Wer bisher daran gewöhnt war, nach Feierabend auf erfolgreich erledigte Aufgaben des Tages zurückzublicken, wundert sich, was es heißt, abends nicht zu wissen, wo der Tag geblieben ist. Das Gesamtwerk wird erst Beachtung finden, wenn man die eigenen Kinder als „gelungen“ vorzeigen kann. Doch wann ist das so und wer merkt es ? Eigentlich nur die Seele. Die des Kindes und die eigene.
Welches Kind - besonders das Baby oder Kleinkind - interessiert sich für das mütterliche Styling? Wichtiger als ihr Outfit ist ihre Zeit. Genau die, die ihr Chef auch gerne in Anspruch nehmen möchte. Allerdings ist für ihn das angemessene Business-Outfit ebenfalls wichtig.

Im Laufe eines Berufslebens gilt es hier und da Vorstellungsgespräche zu meistern. Kaum eine Bewerberin kommt an den üblen Fragen nach Kinderwunsch und Familienplanung vorbei. Als wäre die Situation nicht schon stressig genug, wird entweder schlau umschrieben nach „Privaten Zielen“ gefragt oder plump und direkt die Frage „Wollen Sie auch Kinder?“ formuliert. Wer darauf nicht vorbereitet ist, wird dieses Brennen auf den Wangen erleben, das das Wangenrot aus jeder Schminkschatulle in den Schatten stellt. Hier ist Lügen ohne rot zu werden angesagt, wenn man sich den Job nicht abschminken möchte.
Auch das vielgewählte „irgendwann vielleicht mal“ läßt sogleich Mutterschutz und Elternurlaub wie ein Damoklesschwert über dem Haupte der Bewerberin schweben.
Nein, wild entschlossen von sich weisen, die so interessante Welt des beruflichen Erlebens je verlassen zu wollen, ist der einzig wahre unwahre Weg. Kinderlieb sei man ja, aber eigene – niemals, sagt die Favoritin mit ernster Miene.

Ist es dann geschehen, frau ist dennoch schwanger und morgens von Übelkeit gequält, beginnt ein neues Kapitel. Die ersten drei Monate der Schwangerschaft gilt es nun zu überstehen, ohne dass der Chef argwöhnt, was man da ausbrütet. Vor der 12. Schwangerschaftswoche gesteht kaum eine diese umwerfende Neuigkeit, um im Falle eines „Fehlstarts“ wenigstens keinen Karriereknick zu befürchten. Wer also blaß von der Bürotoilette zurückkommt, keinen Kaffee mehr trinkt, den obligatorischen Freitagnachmittagsdrink ablehnt und auf Saft umsteigt, mit häufigen Stimmungsschwankungen und Arztterminen Verdacht erregt, ist schnell entlarvt. Es sei denn, alle Kollegen sind kinderlos. Dann kann eine Grippe, Allergie oder sogar eine Diät als Ausrede herhalten. Doch wehe der, die eine Mutter in der Kollegenschar hat…

Wenn schließlich auch der letzte in der Firma vom bevorstehenden freudigen Ereignis Wind bekommen hat, ist der Abschied in den Mutterschutz meistens nicht mehr weit. Noch ein bißchen Resturlaub und die Mühsal, jeden Morgen den runden Bauch hinter den Schreibtisch zu quetschen, hat ein Ende.
Doch jetzt geht´s erst so richtig rund. Kaum ist die Zeit des Mutterschutzes angebrochen, wird das Kinderzimmer eingerichtet, das Haus umgeräumt, die Liste aller Notwendigkeiten erledigt. Der glückliche werdende Vater zieht allmorgendlich hinaus in die weite Welt, daheim bleibt derweil die behäbig gewordene Gemahlin mit unbegrenztem Ideenreichtum zurück , um ein bisschen Nestbau zu betreiben. Wenn dann der Liebste von der Arbeit nach Hause kommt, wird ihn nach dem Öffnen der Haustür völlige Orientierungslosigkeit überfallen und er malt sich einen Lageplan der Wohnung, um sich noch zurechtzufinden. Doch sollte nicht auch noch die Telefonrechnung in seine Hände geraten – hiervon ist dringend abzuraten – denn sonst wird sich manch liebenswerter Schwiegermuttertraum in ein Nervenbündel verwandeln. Nur Mut, ihr armen Mannsgestalten, es kommt noch viel besser...

Ist das Baby mit Gebrüll in diese Welt eingezogen und hat sich erst mal eingelebt, kommt auch bald wieder die Zeit, wo das elterliche Leben die Unterschiede zwischen Tag und Nacht erkennen lässt und die Figur der frischgebackenen Mama allmählich in die alten Klamotten passt. Bloß in welche ? Das Business-Outfit füllt 90% des Kleiderschrankes. Man kann weder mit kurzem engem Kostüm auf dem Boden herumtollen, noch eignet sich der teure Designer - Blazer für die unvermeidbaren Milchfleckchen auf der Schulter. Wer stillt, wird den engen Tops nicht mehr sehr viel abgewinnen können, es sei denn, man mag durch-schimmernde Stilleinlagen. Eine neue Garderobe muss her. Mit etwas Glück kauft man auch gleich die richtige Größe. Mitunter jedoch wird die neue Kollektion in ein paar Wochen auch wieder schlapp um die Hüften baumeln, denn manch eine wird schlanker denn je bei diesem bewegungsreichen Leben mit einem quietschfidelen kleinen Wirbelwind.
Wenn nun auch die Füße nur noch mit Gesundheitslatschen zufrieden sind, weigern sie sich in die alte schicke Schuhmode zu schlüpfen. Die hochhackigen Pumps muten ohnehin zu Jeans und T-Shirt etwas merkwürdig an. Also wird das Baby in das praktische Tragetuch gebunden, wo es sanft durch alle verfügbaren Schuhgeschäfte geschaukelt wird auf der Suche nach flachen und bequemen Schuhen. In dieser Position ist Mamas Allerliebstes wenigstens vor den aufdringlichen Patschehänden alter Tanten sicher, die immer so gerne „Du, du, du...“ machen. Quasi in den Ausschnitt wird hoffentlich keiner fassen, um das Babygesicht zu befingern.

Nach einigen Monaten oder auch Jahren intensiven Zusammenseins mit dem kleinen Sonnenschein wird die eine oder andere Mutter vielleicht wieder an eine Beschäftigung im alten Job denken. Oft erweckt die Idee an Teilzeitarbeit Sympathie. Leider meist nicht beim alten Chef. So heißt es denn, auf ein Neues Bewerbungsunterlagen zusammentragen und Vorstellungsgespräche meistern. Aber: wer ist denn in der Zeit der Babysitter ? Welch Luxus, wenn die Oma in der Nähe ist. Oder wenn der Kindsvater wohlgemut in der Mittagspause in Schlips und Kragen den Kinderwagen spazieren fährt, beäugt von schaulustigen Passanten. Und wehe, der Inhalt des munter geblümten Gefährts brüllt sich gerade sie Seele aus dem Leib. Dann wird manch ein mitfühlender Vorbeikommender die abwesende Mutter beschimpfen und beifallheischend den hingebungsvollen Vater mustern. Da hilft nur, sich samt schreiender Fracht schleunigst aus dem Staub zu
machen, um weiteren Beileidsbekundungen und schlauen Ratschlägen zu entgehen.

Währenddessen versucht die Bewerberin, das Vorstellungsgespräch in einigermaßen ordentlichem Kleiderzustand und dann auch noch pünktlich zu erreichen. Meist war vor Babyübergabe in irgendeinem abgasgeschwängerten Parkhaus noch ein Windelwechsel auf dem Rücksitz erforderlich, während der Hosenmatz an Muttis neuem Seidentuch nuckelt. Schließlich sitzt sie mit eilig überpuderten Schweißperlen auf der Stirn endlich im Gespräch. Und dann kommt sie wieder: die Frage, ob denn ein Geschwisterchen geplant sei. Hut ab vor der, die lügen kann. Ich würde es nicht können........
 

herb

Mitglied
lach, geht das noch bissiger? Für mich als "Ossi" sehr interessant zu lesen. Übrigens in der DDR waren fast alle Mütter im Berufsleben. Ich glaube mit acht Wochen, später wude es wohl auf zwölf verlängert, kamen die Kinder in die Kinderkrippe, mit drei Jahren in den Kindergarten alles von früh morgens bis zum Abend, und die Schulen hatten für die Nachmittage Horte, alles sehr billig mit Vollverpflegung.
Die Mütter arbeiteten in allen Berufen wie die Männer, es gab Kranfahrerinnen, Elektriker(weiblich), selbst im Straßenbau hatte ich bei schwerer körperlicher Arbeit Frauen gesehen, es gab natürlich auch Ärztinnen und Ingenieure(weiblich), aber ab Betriebsleiter waren es nur Männer, auf politische Ebene so ab Kreissekretär der SED auch nur Männer.
Die meisten Männer übernahmen die Hausarbeiten ganz fair zur Hälfte, es gab aber auch viele, die gingen lieber in die Kneipe, und die Frauen mussten die Hausarbeit allein erledigen.
 
Hallo Michael,
es ist nicht so einfach für mich, den Text noch bissiger, aber dennoch nicht verbittert klingen zu lassen. Es soll sich nicht Richtung "die frustrierten Hausmütter schlagen zurück" bewegen. Aber etwas mehr überzeichnen sollte ich vielleicht schon! Vielen Dank für den Tip.

Hallo herb,
in der DDR waren die Frauen sicher so sehr daran gewöhnt, weiter im Beruf zu bleiben, daß eine Entscheidung für Kinder und Familie sicherlich schon revolutionär gewesen ist, wenn eine Mutter überhaupt die Wahl gehabt hat(rein finanziell), oder?. Für mich jedenfalls eine Horrorvorstellung, mit acht/zwölf Wochen mein Kind abzugeben. Selbst wenn ich dafür Kranfahrerin sein dürfte...


Herzliche Grüße, Heike
 



 
Oben Unten