...und zweitens als man denkt

barracuda

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„Die Schwierigkeit könnte darin bestehen, dass du keinen Parkplatz findest.“
„Werd ich schon, Mama.“, antwortete Henning leise und ließ seinen Blick nochmals über den dunkelrot lackierten Opel Admiral, der auf dem Hof des türkischen Autohändlers stand, gleiten. Mesut, Sohn des Autohändlers, kannte Henning seit dem Kindergarten und der hatte ihm versprochen seinen Vater Ömer beim Preis für den Wagen zu drücken. Der Handel musste noch diese Woche über die Bühne gehen, denn wäre sein Vater erst mal von der Geschäftsreise zurück, müsste er sich damit abfinden, einen von der Pannenstatistik her einwandfreien asiatischen Kleinwagen zu fahren. Auf seine Art, der Henning nichts entgegenzusetzen hatte außer Wut und Hilflosigkeit, würde der Vater sagen: „Nix, aus, basta und damit hat sich’s.“ Bei seiner Mutter aber, hatte er da leichtes Spiel. Abgesehen davon, dass sie von Autos noch weniger Ahnung hatte als er selbst, war sie fest davon überzeugt, ihr wohlgeratener Sohn tue immer das Richtige. Also stand seinem Geschenk zur bestandenen Abiturprüfung eigentlich nichts mehr im Wege. Außer Mesuts Vater, wenn der sich in Bälde nicht erweichen lassen würde, die vierhundert Mark die ihm zum Kauf fehlten, runterzugehen. Gerade als sich Henning wieder einmal in dem Admiral durch die Straßen fahren sah, kam Mesut kopfschüttelnd aus dem Wohnwagen der als Büro diente.
„Achtzig Mark, mehr nicht für heute.“
„Fehlen mir immer noch dreihundertzwanzig, Mesut!“
„Falls du dich erinnerst hab ich vor zwei Jahren Abitur gemacht, rechnen kann ich also auch, Mann. Wir probieren’s Morgen noch mal, Okay?“
„Okay“, stimmte Henning zu. Kam sich aber ziemlich verloren vor, was seine Mutter wohl an seinem Tonfall gehört hatte und sie ihm leicht den Hinterkopf tätschelte, als wolle sie einen Hund für das Apportieren eines Stöckchens belohnen. Wie er das hasste! Im Wagen zurück in die Stadt, seine Mutter am Steuer, er auf dem Beifahrersitz und Mesut im Fond, fasste Henning den Entschluss, trotz der Abmachung die er mit sich selbst geschlossen hatte, am Abend ganz gehörig einen trinken zu gehen und Mesut einzuladen, damit dieser am nächsten Tag vielleicht mehr Motivation bei den Verhandlungen mit seinem Vater aufbringen würde. Im Zentrum stiegen beide aus und blickten kurz dem Corolla der Mutter hinterher, wie er sich wieder in den Verkehr einordnete und der tiefstehenden Sonne entgegenfuhr. Kurz sah sich Henning in dem Admiral mit einem Mädchen neben sich, wie er lässig schaltete und die Musik und das Wetter, alles würde passen und das Leben wie ein Film. Was für ein Gefühl das wohl wäre? Vielleicht sogar besser als Sex? Besser als Cocktails bei Sonnenuntergang und Lalo Schiffrin leise in der Stereoanlage?
Ja, ganz bestimmt! Die Karre war sein Traum seit er sie ein Jahr zuvor in „Auto Motor Sport TV“ gesehen hatte und als ihm Mesut von dem weinroten Admiral auf seines Vaters Autohof erzählt hatte, konnte er keinen anderen Gedanken mehr fassen.
„Nur nicht verzweifeln“, dachte sich Henning und kaufte am Kiosk sechs Flaschen Bier womit sich er und Mesut in den Stadtgarten verzogen.
Hennings Kater war immens, existentieller noch als die Leere in seinem Portemonnaie und die Hitze, die früh schon durch die weit geöffneten Fenster drückte. Obwohl Hennings komatöser Schlaf nur kurz gewesen war, fand er nicht mehr zurück, lag stattdessen schwitzend auf seinem Bett, ertrug das Pochen in seinem Hirn und wünschte sich einen schönen Gedanken. Der kam aber nicht. Die Zweifel, jemals Besitzer und Fahrer seines Traumes zu sein, durch den Kater verstärkt, drückten ihm auf den Magen. Jedoch wusste er nicht so recht, ob die Bauchschmerzen nicht doch vom braunen Tequilla, dem schlechten Gewissen aufgrund seines Rausches oder dem Döner morgens um vier herrührten.
Henning klopfte an Mesuts Tür, der das Glück hatte, nicht mehr bei seinen Eltern Wohnen zu müssen; die Arbeitslosenhilfe reichte aus um ihm ein eigenes Heim zu finanzieren. Wenn auch eher ein dürftiges. Henning stellte fest, dass Mesut noch beschissener aussah als sonst, was aber seinem Plan, Ömer auf der Mitleidschiene auszukontern, nur in die Hände spielte. Sie würden ihm erzählen, die ganze Nacht damit verbracht zu haben, auf eine Idee zu kommen wie Henning das fehlende Geld doch noch auftreiben könne und hätten bei Sonneaufgang frustriert aufgegeben.
Was Vater und Sohn sprachen verstand Henning nicht. Manchmal kam es ihm so vor, als stünden sie kurz vor einem Streit, doch immer wieder senkte sich ihr Tonfall und Harmonie breitete sich aus, woraufhin die nächste Welle der Empörung zwischen den beiden aufzukommen schien. Nach einer knappen halben Stunde drehte sich Mesut zu Henning um und sagte, „Er geht noch mal hundertzwanzig runter, also fehlen dir nimmer noch zwei Blaue.“
Henning überlegte, ob er die Mitleidstour nicht zur Spitze treiben sollte und vielleicht die ein oder andere Träne vergießen um das Herz des bärtigen Türken zu erweichen versuchen sollte. Obwohl er in seinem Zustand ohne Probleme hätte losheulen können, entschied er sich eines Besseren und versuchte einen Gesichtsausdruck anzunehmen, der stoisch, stur und mutig zugleich wirken sollte. Was Mesuts Vater aber keineswegs beeindruckte. Henning musste sich eingestehen, dass seine schauspielerischen Fähigkeiten eher gegen Null tendierten.
Henning lief neben Mesut her und hatte dabei eine Haltung, als hätte der Schulrowdy ihm gerade das Pausenbrot geklaut. Er drehte sich zur Einfahrt des Autohofes um und sprach leise: „Verbannt all eure Hoffnung, ihr, die ihr hier eintretet.“, und bekam kaum noch einen Fuß vor den anderen.
So ganz glaubte Henning nicht mehr an Mesuts beteuerten Optimismus. Kaum hatten die beiden sich die ersten Biere im Schatten eines Baumes genehmigt, begann er Henning davon überzeugen zu wollen, dass morgen der perfekte Tag sei um seinen Vater rumzukriegen, den Wagen doch noch für achtzehnhundert Mark herzugeben. Henning wunderte sich ein wenig über Mesuts Bereitschaft, jeden Tag nach Niehl rauszufahren und völlig uneigennützig Zeit und Energie zu verschwenden. Aber der leichte Schleier der sich über Blickfeld und Gedanken legte, besänftigte ihn und ließ nur noch an das Gute im Menschen denken. Er hätte nicht schlecht Lust gehabt, Mesut zu umarmen, wusste aber nicht ob dieser das als irgendeine Schwulität auffassen könnte und schließlich wollte es sich Henning mit ihm nicht verscherzen. Er war der Schlüssel zum Admiral.
Ein neuer Tag begann mit einem mächtigen Kater und dem Traum stolzer Besitzer seines Traumautos zu werden. Was Henning zusätzlich Kopfschmerzen bereitete war der Gedanke, dass er nur noch diesen und den darauffolgenden Tag Zeit hatte, bevor sein Vater zurückkommen würde. Würde er seinen Vater vor die Tatsache stellen, dass er einen Haufen alten Schrotts gekauft hatte, würde dieser nicht mehr viel ausrichten können, außer vielleicht den starken Mann zu markieren. Aber hätte er durch seine schiere Anwesenheit ein Mitspracherecht, so wäre der Kauf eines langweiligen Kleinwagens schon besiegelte Sache.
Henning schwor sich, noch im Bett liegend und mit Übelkeit und Kopfschmerzen ringend, dass der Wagen am heutigen Tage ihm gehören würde. Nach einem dürftigen Frühstück nahm er sein ganzes Geld aus seiner Kommode, rollte es zusammen und schob sich das Bündel in den Socken. Durch die ständigen Saufgelage vermehrte sich das Geld auch nicht gerade, aber leben musste der Mensch schließlich auch noch. Mesut schien es schlimm erwischt zu haben. Er öffnete nicht. Nach einer viertel Stunde des Klingelns und des Klopfens ging Henning um das Haus um durch den Hinterhof ans Schlafzimmerfenster zu kommen. Er kletterte auf den kleinen Balkon und spähte durch das Fenster, auf dem Bett nur zerwühlte Laken, ein paar Ausgaben des amerikanischen Penthouse auf dem Boden verstreut, sonst nichts. Kein Mesut. Neben die Haustür gekauert, verbrachte er noch einige Zeit. Vom Brötchen hohlen wäre Mesut längst zurück, vom Arbeitsamt wahrscheinlich auch.
In der Stadt war er auch nicht zu finden. In den Einkaufsstrassen nicht, nicht in den Spielhallen und auch nicht im Stadtgarten. Als Henning fürs Erste die Suche aufgab, entschloss er sich, seine Anspannung und den Rest des Katers mit einem Konterbier zu bekämpfen. Er wunderte sich über sich selbst, als er feststellte, dass er im Moment nicht mal Interesse an den schönen, leichtbekleideten Frauen hatte, die überall umhergingen und in den Parks in der Sonne lagen. Nachdem er mittelmäßig betrunken mit entfernten Bekannten (die Mesut auch nicht gesehen hatten) Fußball gespielt hatte, ging er nochmals auf die Suche; sprach zum zwanzigsten Mal auf Mesuts Mailbox und seinen Anrufbeantworter, bekam keine Antwort und ging schließlich deprimiert und krebsrot nach Hause. Auf dem Küchentisch fand er eine Nachricht. Mesut hatte angerufen. Ein Cousin sei umgezogen und hatte ihn vor Tagen schon um seine Hilfe gebeten, was er ganz vergessen habe, deshalb müsse er den ganzen Tag schleppen, würde aber bestimmt heute Abend noch mit seinem Vater sprechen und tun was er könne. Eine zweite Nachricht, die seine Mutter auf die Rückseite eines Kassenbons gekritzelt hatte, ließ Henning unbeachtet liegen und ging zu Bett.
Henning traf Mesut vor dem Autohof. Es war nicht ganz so heiß wie die Tage zuvor. „Gutes Verhandlungswetter“, sagte Mesut und ging vor.
„Stichtag“, war alles was Henning entgegnete als er hinter ihm hertrottete. Im Wohnwagen saß Ömer über Wagenpapiere gebeugt hinter seinem Schreibtisch und machte sich nicht die Mühe aufzublicken als die beiden eintraten. Ein leicht gereiztes Seufzen war alles, was er von sich gab. Mesut sprach auf türkisch mit seinem Vater, erst ernsthaft und schnell ohne das Kopfschütteln des Vaters zu beachten, dann wurde sein Ton flehend und süßlich. Henning wusste nicht, ob er ihm Honig um den Bart schmierte oder sich völlig zum Deppen machte. Das Gespräch verlief einseitig. Mesut sprach und sein Vater schüttelte den Kopf; am Anfang nur langsam und geduldig bis er zu seinem Sohn aufschaute, ernsthaft aber gelassen. Er schien langsam sauer zu werden und Henning dachte sich, dass das wohl nicht die richtige Taktik war. Womit er recht behielt als Ömer aufstand, mit den Händen auf der Tischplatte abgestützt in einer Art Angriffsposition seinen Sohn Anstarrte und ihn, seinem Tonfall nach zu urteilen, völlig zur Sau machte. Mesut wich die Farbe aus dem Gesicht. Mit einem Funken Entsetzen in den Augen, als wäre er gerade enterbt worden, drehte er sich zu Henning, starrte ihn kurz an, bevor er verschämt den Blick senkte und mit dem Zeigefinger Richtung Tür deutete. Henning verstand was das Zeichen zu bedeuten hatte, wollte es sich aber nicht eingestehen und Sprach Ömer das erste mal direkt an. „Hören sie“, sagte er und postierte sich vor dem furchteinflößenden Mann so eindrucksvoll wie es nur ging. „Sie müssen mir den Wagen verkaufen. Ich kann das Geld das fehlt abarbeiten, ich kann die Autos waschen und polieren, alles was sie wollen. Bitte!“ Nach einer kurzen Pause fügte Henning noch ein elend klingendes „Bitte“, hinzu, wobei der dem Wort mindestens fünfzehn T’s einschob. Ömer lächelte nur und schüttelte den Kopf während er sich wieder setzte und leise sagte: „Raus“.
Als sie wieder im Hof standen und Henning den Opel Admiral betrachtete, war er den Tränen nahe. Der Traum war geplatzt, Hoffnungen waren falsch investiert worden, das Leben war scheiße. Mesut hatte ihm erklärt, dass sein Vater den Wagen gestern verkauft hatte. Telefonisch an einen Mann der ohne das Auto gesehen zu haben den vollen Preis bezahlte. „Er ist Geschäftsmann“, fügte er mit einem Schulterzucken hinzu.
„Er ist Geschäftsmann“, fügte er mit einem Schulterzucken hinzu.
Langsam schritt Henning zu dem Wagen, er versuchte so würdevoll wie nur möglich zu wirken. „Man kann einem Mann die Träume rauben, aber nicht seinen Stolz“, dachte er sich, musste aber innerlich über das Gedachte lachen. Er kam sich so lächerlich vor, dass er vor Pein das Gesicht verzog als er mit einer Hand über den Lack des Wagens strich, ihn liebkoste. „Scheiße Mann“, drückte Henning zwischen den Zähnen vor, als er vor seinem inneren Auge den Typen in dem Wagen fahren sah, wie er Bräute aufriss, den Arm lässig zum geöffneten Fenster herausbaumelnd durch die Stadt fahrend. „Noch mal Scheiße und noch mal Scheiße. Arschloch.“ Hätte er den Kerl jetzt zu sehen bekommen, er war sich sicher, dass er ihm sofort an die Gurgel gehen würde und ihm seinen reichen Arsch versohlen würde. Aber der Kerl war nicht zu greifen, das einzige das ihm blieb um seine Wut auszulassen war der Opel. Henning blickte wütend auf das Auto und während er schrie „Du Dreckskarre“, schlug er mit der bloßen Faust auf das Wagendach. Er hämmerte drauflos bis sich die ersten Dellen im Blech zeigten, was ihm noch nicht genug war. Währenddessen stand Mesut regungslos da und hoffte, dass sein Vater eingreifen würde. Henning nahm einen großen Bruchstein, der unter einem Reifen lag damit der Wagen nicht wegrollte und warf ihn in die Windschutzscheibe die zerbarst. Das Glas lag in der Fahrgastkabine und auf der Motorhaube verstreut und Henning rieb es mit den Handflächen über den Lack. Als er den Schmerz spürte kam er zu sich, stand reglos da und betrachtete seine Hände, die blutend und blau zitterten. Der Wagen sah mies aus, ruiniert. Henning setzte sich auf den gelben Kies, wäre am liebsten gestorben und sofort verfault und als Henning Ömer aus dem Wohnwagen kommen sah, wusste er, dass es jetzt an der Zeit war seinen Frieden mit Gott zu machen. Mesut schien ebenso verzweifelt zu sein als er seinen Vater kommen sah. Er raufte sich die Haare und alles was er sagen konnte war: „Du Idiot, du Idiot, du Idiot.“ Ömer kam langsam auf Henning zu, er hörte wie der Kies unter seinen Schuhen knirschte und bekam eine solche Angst, dass ihm fast schwarz vor Augen wurde. Ein Knopf sprang ab, als Ömer ihn am Hemdkragen packte und hoch hob. Aus seinen dunklen Augen funkelte er ihn an, als sein Blick langsam weicher wurde und er mit starkem Akzent und einer Stimme, als würde er zu einem Freund sprechen, sagte: „Du Esel. Weißt du wer den Wagen gekauft hat, weißt du das, hmmm? Dein Vater hat ihn gestern für dich gekauft du Esel.“, und ihn los ließ. Henning fiel auf seinen Arsch und verstand erst gar nichts. „Allah cezani versin“, fügte Ömer hinzu, als er sich umdrehte und zurück zum Wohnwagen ging ging. Henning starrte sein neues Auto an und wusste, dass es jetzt an der Zeit war ein Bier zu trinken.
 



 
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