Abschiedsleiden

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Walther

Mitglied
Abschiedsleiden


Ist es ihr Haar, das durch den Lindenbaum
Sich mit den frühen Nebelschwaden windet?
Ist sie es, die sich in dem Wind befindet,
Der mich berührt, als wär er mehr als Traum,

Als könnte ich ihn greifen, streift er mich:
Ich will mich in ihn hüllen, will verstehen,
Will mit den kühlen Nebeln weiter gehen.
Es ist die Feuchte, sie verschattet sich

Auf meinen Wangen, meiner wunden Haut.
Erst gestern habe ich sie angeschaut,
Sie war ganz wächsern, voller Abschiedsleiden.

Mir ist so schwer geworden: Was vertraut
Erscheint, strebt fort; bevor der Morgen graut,
Wird alles, was ich will und bin, verscheiden.
 
B

Benedikt Behnke

Gast
Hi!

Sehr geiles Gedicht, sehr toll, emotionsstark!
Mich stört nur "verschattet sich", weil ich mir nicht so richtig Feuchtigkeit vorstellen kann, die sich verschattet ... vielleicht besser: "Es ist die Feuchte, denn sie bettet sich / Auf meine Wangen" oder "Es ist die Feuchte, so unweigerlich / Auf meinen Wangen" oder kA ... ist auch nicht so schlecht, nur ein wenig komisch, aber gut ... und das in einem sonst perfekten Gedicht! Hallelujah! ^^

Weiterhin frohes Schaffen! ;D

Gruß
Bene
 

Walther

Mitglied
Abschiedsleiden


Ist es ihr Haar, das durch den Lindenbaum
Sich mit den frühen Nebelschwaden windet?
Ist sie es, die sich in dem Wind befindet,
Der mich berührt, als wär er mehr als Traum,

Als könnte ich ihn greifen, streift er mich:
Ich will mich in ihn hüllen, will verstehen,
Will mit den kühlen Nebeln weiter gehen.
Es ist die Feuchte, Nacht verschattet sich,

Auf meinen Wangen, meiner wunden Haut.
Erst gestern habe ich sie angeschaut,
Sie war ganz wächsern, voller Abschiedsleiden.

Mir ist so schwer geworden: Was vertraut
Erscheint, strebt fort; bevor der Morgen graut,
Wird alles, was ich will und bin, verscheiden.
 

Walther

Mitglied
Lieber Benedikt,

vielen Dank für Deinen Hinweis. Ich habe den Vers bearbeitet, so daß seine Aussage klarer wird.

Bester Gruß W.
 

wirena

Mitglied
Ich las gerne und verstand. - meinte ich - doch irgendwo fühlte ich ein Loch, ein Bruch - etwas stimmte nicht, obwohl alles gut, klar war. Wollte echt verstehen können und las wieder. Nicht mehr lyrisch sondern wach und aufmerksam - und bemerkte:

Eindrücklich der Wechsel von 4Zeilern zu 3Zeilern - vom du zum ich - die Feuchte verschattet sich im Nebel im Gegensatz zum klaren Wasser - kann ich verstehen - wenn auch nicht auf Anhieb :) Herzlichen Dank dem Gedichte- und dem Kommentareschreiber!
lg wirena
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Walther,

gleich doppelt belegt ist der Titel, denn (ich nehme mal an, dass es sich um zwei Ehepartner handelt) Du beschreibst sein Abschiedsleiden und ihr Abschiedsleiden.

Sehr gelungen, wie ihr "Wenigerwerden" von dem Mann empfunden wird innerhalb der Nebel und es Windes. Der Wusch, zu verstehen, warum der Andere jetzt gehen muss, kommt gut heraus. Das persönliche Leiden über den Tod des Anderen wird angenehm zurückhaltend geschildert mit den "Verschatteten Wangen" und der "wunden Haut".

Die Schlusszeile steht dem für mein Empfinden inhaltlich etwas enttäuschend gegenüber.

"Wird alles, was ich will und bin verscheiden."

Niemals ist ein Mensch derjenige, der er ist, durch einen anderen Menschen. Gerade deswegen wachsen Menschen aneinander, weil sie aus sich selbst stark und klar werden müssen. Und wenn der Partner ins Jenseits geht, fehlt etwas, aber es fehlt nicht das, was man aus sich sebst herausgearbeitet hat, der zu sein, der man jetzt ist.

Vielleicht ginge es so:

[blue]Wird alles, was ich mit dir will, verscheiden.[/blue]

immer vorausgesetzt natürlich, dass Du in dieser Sache mit mir einer Meinung bist.

Ansonsten habe ich nichts zu meckern. Es ist ein sehr gelungenes Sonett zum Thema "Abschied".

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Walther

Mitglied
Lb. wirena,

in der Tat hat der Hinweis von Benedikt mir den nötigen Gedanken eingegeben, den Vers S2Z4 zu verbessern. ;) Danke für Deinen Eintrag.

LG W.

Lb. Vera-Lena,

Deine Überlegungen sind nicht ganz von der Hand zu weisen. Vielleicht ist der letzte Vers zu stark auf den persönlichen Schmerz des Verlassenen, der nicht mehr aus noch ein weiß, bezogen. Daher habe ich auch diese sehr starke Verlustformulierung gewählt gehabt. Ich habe das aus diesem übermächtigen Schmerz des LyrIchs betrachtet. Schmerz und Trauer machen gerne "ungerecht". Das habe ich in den Vers fassen wollen.

Natürlich ist Deine Formulierung "richtiger". Die Frage ist, ob sie aus der Sicht des frisch Trauernden "wahrer" ist, also den ursprünglichen Empfindungen gleich nach dem Eintritt des Verlusts entspricht.

Ich kann das nicht wirklich letztlich beurteilen, da ich bisher diesen ultimativen Schmerz nicht habe erleben müssen, dem Himmel sei Dank. Meine Formulierung gibt die Beobachtung und die Gespräche mit Menschen wieder, die eine solche Erfahrung erlebt haben. Die Trauer war zu anfangs so extrem, wie ich sie formuliert habe, und dann, zum Glück, Deiner Einschätzung zu weichen.

Daher fällt es mir gerade schwer, eine Entscheidung zu Deinem Vorschlag zu treffen, dessen Berechtigung ich aber sehr wohl sehe.

Danke und lieber Gruß

W.
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Walther,

ja, ok. das kann ich mir auch so vorstellen, dass in der allerersten Verzweiflung solche Gedanken aufkommen könnten, besonders, wenn der Tod des Angehörigen plötzlich eingetreten sein sollte und der Verstand hinter dem Schmerz erst einmal für eine Weile völlig zurückgedrängt wird.

So betrachtet ist es dort sicher nicht fehl am Platz.

Ich freue mich aber, dass Du meinen Überlegungen grundsätzlich zustimmen kannst.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

MarenS

Mitglied
Du hast stark und gut nachempfunden, Walther, die Worte wohl gewählt. Ich würde nichts ändern wollen.

Grüße von der Maren
 

Walther

Mitglied
Liebe Vera-Lena,

danke für Deinen Eintrag und Deine Zustimmung. Sie war und ist mir wichtig.

LG W.

Liebe Maren,

danke für Deine unterstützenden Worte. Nur durch Kritik und Zustimmung kann man versuchen, zu lernen, wie man es das nächste Mal genauso gut und besser formuliert.

LG W.
 
H

Heidrun D.

Gast
Leider habe ich mich verklickt, Walther,

das sollte ne 10 geben. :( (Mir gefällt das Gedicht ganz außerodentlich):

Es ist die Feuchte, Nacht verschattet sich,

Auf meinen Wangen, meiner wunden Haut.
Erst gestern habe ich sie angeschaut,
Sie war ganz wächsern, voller Abschiedsleiden.
Es ist dir gelungen, ein eher schwieriges Thema in wunderbare und sensible Sprache zu kleiden, ohne ein einziges Mal in Übertreibung (Kitsch?) zu geraten.

Sehr, sehr schön.
Heidrun
 

Walther

Mitglied
Hallo Herbert,

danke für Deinen Eintrag. Wie gesagt: Ich kann den Einwänden Vera-Lenas durchaus folgen. Dennoch habe ich mich für den Moment entschieden, diesen Vers so zu belassen.

LG W.

Hallo Heidrun,

danke für Deine lobenden Worte. Es ist immer schwer, Leid und Trauer treffend zu beschreiben. Mir gelingt das sehr selten.

LG W.
 



 
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