After Death...

lron

Mitglied
Es hatte ja doch alles keinen Zweck mehr...

Sein Leben lag als einziger Scherbenhaufen vor ihm. Seine Frau hatte ihn schon vor Jahren verlassen, und auch seine Kinder hatten sich seit Ewigkeiten nicht mehr bei ihm sehen lassen. Sein Chef hatte ihm fristlos gekündigt und so konnte er auch die Miete für seine Wohnung nicht mehr bezahlen. Deswegen lebte er jetzt auf der Straße. Jeden Tag durchsuchte er die Müllcontainer nach etwas Essbarem. Am liebsten ging er zum chinesischen Restaurant drei Ecken weiter. Es schmeckte zwar mehr als eigenartig, so alles durcheinandergemengt, aber wenigstens gab der Magen Ruhe. Zum Schlafen konnte er sich wunderbar auf dem Rasen des Stadtparks niederlassen, da es bisher immer noch einigermaßen warm war. Doch nun kam der Herbst, die Blätter fielen von den Bäumen und die Nächte wurden kälter und kälter. Niemals hätte er es für möglich gehalten, dass ein paar Zeitungen so viel Wärme spenden konnten. Außerdem war er auf die Parkbänke umgezogen, von denen ihn jedoch des öfteren Polizisten vertrieben. Und ins Obdachlosenasyl - nein, das kam für ihn nicht in Frage. Schließlich war er nicht irgendein dahergelaufener Landstreicher, im Gegenteil. Er hatte sogar studiert. Damals... Aber dafür konnte er sich heute nichts mehr kaufen. Arbeitslosengeld bekam er keins, da er selbstständig gewesen war, und Sozialhilfe war seiner Meinung nach nur etwas für Schmarotzer. Und ein Schmarotzer, der dem Staat nur auf der Tasche lag - das wollte er auf keinen Fall sein!

Und jetzt stand er da, das Seil in der einen Hand, einen auf Papierresten verfassten Abschiedsbrief in der anderen. Niemand würde um ihn trauern, das wusste er. Und eigentlich war es ihm auch egal. Seine wenigen ihm noch verbliebenen Habseligkeiten sollten an andere Obdachlose verteilt werden, das was er am Körper trug und das, was er in seiner kleinen Reisetasche bei sich hatte. Alles war noch tipptopp in Ordnung, wenn auch zum Teil schon etwas fadenscheinig. Dafür hatte er gesorgt, indem er seine Socken gestopft und seine Kleidung genäht hatte. Bestimmt würden sich die glücklichen Empfänger freuen.

Er hatte viele Geschichten über das "Leben" auf der anderen Seite gehört. Früher hatte er sie immer als Humbug oder haltlose Wunschvorstellungen abgetan. Und heute? Heute stützte er sich auf eben diese Geschichten, denn sie waren alles, was ihm geblieben war. Er hoffte darauf, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen, welches ihn in ein besseres Leben geleiten sollte. Oft hatte er in den vielen Journalen von für kurze Zeit klinisch toten Patienten gelesen, die nach ihrer Operation von wundersamen Erscheinungen berichteten. Da war von Lichterscheinungen die Rede gewesen, von einem Tunnel und von Stimmen, die ihnen erklärten, dass ihre Zeit noch nicht gekommen sei und dass sie wieder in die Welt zurück müssten. Diese Menschen hatten keine Angst vor dem Tod mehr. Sie freuten sich teilweise sogar darauf zu sterben, denn sie vermissten die Ruhe, die sie während dieses kurzen Moments des Glückes empfunden hatten.
All das ging ihm durch den Kopf, als er auf den Baum kletterte, aus dem Seil eine Schlinge knotete und das andere Ende an einem starken Ast befestigte. Zur Probe hielt er sich an dem Seil fest und ließ die Füße baumeln. Der Ast knarrte nur ein wenig. Daraufhin stieg er noch einmal herab und drapierte den Abschiedsbrief so, dass er einem sofort ins Auge fiel, wenn man die Tasche sah. Es war noch einmal warm geworden, und der Mond erhellte die Nacht. Die Turmuhr der nahen Kirche zeigte kurz vor Mitternacht. Morgen hatte er Geburtstag. Irgendwann am Morgen würde man ihn finden, an einer schönen Eiche hängend. Vermutlich würde man noch versuchen ihn wiederzubeleben, aber es würde zu spät sein. Wenn alles nach seinem letzte Willen geschähe, würde er eingeäschert und seine Asche unter eben jener Eiche begraben werden. Es war sein Lieblingsbaum, unter dem er oft geschlafen hatte. Wenn es regnete hatte er ihn beschützt, und in klaren Nächten hatte er oft im Geäst gesessen und zu den Sternen hinauf geschaut. Und heute würde sich sein Schicksal an diesem Baum erfüllen.

Die Turmuhr schlug Zwölf. Von seinem letzten gesparten Geld hatte er sich noch eine kleine Flasche Sekt gekauft, die er jetzt zu Ehren seines letzten Geburtstages im alten Leben und auf den ersten Tag in der neuen Existenz leerte. Dann kletterte er wieder auf den Baum und legte sich die Schlinge um den Hals. Ein letztes mal sah er zu den Sternen hinauf. Bald, ja, bald würde er auch irgendwo dort oben sein... und vielleicht seine Eltern wiedersehen... und seinen Bruder, der vor vier Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommen war... Nie wieder diese Demütigungen! Er atmete ein letztes Mal tief durch und ließ sich fallen.

Er hatte die Länge des Seils gut berechnet. Der Fall brach ihm sofort das Genick. Sein Körper zuckte noch ein wenig, und dann hing er da - leblos. Sein Geist fing an, sich langsam von seinem Körper zu lösen. Er sah sich am Ast hängen, er sah all die Sterne und den Mond, er schwebte über all dem dahin. Und da war auch der Tunnel mit dem Licht am Ende. Immer mehr löste er sich von seiner sterblichen Hülle und schwebte durch den Tunnel. Das Licht kam näher und näher. Er hörte viele Stimmen, die durcheinander redeten. Zu Anfang konnte er sie nicht unterscheiden, aber mit der Zeit lösten sich einzelne Stimmen heraus. Von allen Seiten sah er andere Seelen ankommen. Alle schwebten auf ein riesengroßes Gebäude zu, dessen Ausmaße praktisch unendlich zu sein schienen. Instinktiv wusste er, dass auch sein Weg dort enden würde. Im Näherkommen bemerkte er, dass das gesamte Areal wie ein riesiger Bienenstock aufgebaut war, aus unendlich vielen Zellen bestand. Er war sich dessen noch nicht bewusst, aber seine Seele steuerte einen ganz bestimmten Punkt an, eine ganz spezielle Zelle. Irgendwie gelangte er in das Innere. Drinnen war es absolut dunkel und totenstill. Kein Lichtstrahl, kein Laut drang von außen herein. Er tastete links und rechts - überall Wände, undurchdringlich und allgegenwärtig. Dies war seine neue Heimstatt. Sein Leben in der unendlichen Ewigkeit hatte begonnen.
 

catsoul

Mitglied
Hallo lieber Lron :)

[Irgendwie gelangte er in das Innere. Drinnen war es absolut dunkel und totenstill. Kein Lichtstrahl, kein Laut drang von außen herein. Er tastete links und rechts - überall Wände, undurchdringlich und allgegenwärtig. Dies war seine neue Heimstatt. Sein Leben in der unendlichen Ewigkeit hatte begonnen.]

Nicht gerade sehr tröstlich Deine Vision von unserer Zukunft in der Ewigkeit, ganz ehrlich.. so möchte ich nicht enden.. ich stell mir das alles etwas freundlicher vor *lächel* aber wer weiss, vielleicht hast ja auch Du Recht... würd ich mir aber nicht wünschen ;)

liebe Grüße

cat
 

lron

Mitglied
nun - vielleicht ist er ja in der hölle gelandet... weil er es gewagt hat, hand an sich zu legen... wär doch zumindest möglich, nicht? aber ich kann nur mutmaßen... ist ja nicht von mir...

was? wie? es ist doch von mir? echt?? hmmm... das gibt mir zu denken...

also ich glaube, kein licht, kein laut - das ist schlimmer als alles andere. wenn du nur mit dir allein bist... und das in alle ewigkeit... also bei den "herkömmlichen" höllenqualen stumpfst du irgendwann ab... in siedendem öl stehen? pfff - irgendwann hast du sonne hornhaut!! bis zum hals inner sch... ähhh... in exkrementen stehen? kleinigkeit! mit der zeit nimmst du's nicht mehr wahr... 24 stunden "herzilein" hören? pah!! was glaubst du, wie schnell du es schaffst, deine ohren auf permanenten durchzug zu stellen...
aber nichts... absolut NICHTS... ich glaub, da drehst du früher oder später durch. eine zeitlang kannst du zwar singen und tanzen und wasweißichwas machen, aber irgendwann... irgendwann kennst du alles, alles ist langweilig, nichts neues in sicht... und DANN wird's echt hart. denke ich...
 

catsoul

Mitglied
Hi Lron :)

ja, ich denke das ist das schlimmste was passieren kann :(
deshalb halte ich es eher mit meiner Vision *g*

liebe Grüße und ein *knuddel*

cat
 

lron

Mitglied
visionen

hallo cat,
erzähl doch mal mehr über deine vision eines lebens nach dem leben... würde mich auf jeden fall sehr interessieren. :)

und vielleicht ringt sich auch noch derdie eine oder andere andere (mit)leser durch, mal was zum thema zu sagen...
 



 
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