Alles Watte

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Alles Watte

Die Mutter rief zum x-ten Mal aus der Küche: „ Conny, jetzt geh‘ doch bitte ins Bad und putz‘ dir deine Zähne. Ich möchte es nicht noch einmal sagen!“ „Ja gleich, Mama, ich gehe gleich“, kam aus dem Kinderzimmer zurück, begleitet von allerhand Klapper –und Raschelgeräuschen. Conny räumte mal wieder um, oder aus, wie man es nimmt. Es war ihre Lieblingsbeschäftigung, ihre Spielzeugkisten mitten in ihr Zimmer zu kippen und zu sortieren, wenn sie eigentlich längst ins Bett gehen sollte. Dabei war es völlig egal, wie sie ihre Figuren, Puppen und Bausteine neu ordnete, Hauptsache sie konnte das Schlafengehen noch hinauszögern. Und gegen Aufräumen konnte Mutti immerhin kaum etwas sagen, dachte zumindest die kleine Conny. Sie war vor ein paar Tagen gerade sieben Jahre alt geworden und hatte heute ihren ersten Milchzahn verloren. Wenn sie jetzt lachte, und das tat Conny oft, dann sah sie mit der Zahnlücke, ihrem langen, blonden Wuschelhaar und den blitzenden, blauen Augen noch süßer aus. Sie war ein aufgewecktes, hübsches Mädchen, das nur einfach nicht gerne schlafen ging. Und das hatte einen guten Grund, wie Conny meinte.
Seit einiger Zeit kamen nachts nämlich gruselige Gestalten in Conny’s Zimmer wenn sie schlief und weckten sie auf. Manchmal waren es Menschen mit roten Augen und schwarzen Mänteln, ein anderes Mal waren es Hunde mit grünem Fell oder riesige Raben mit langen, gelben Schnäbeln. Jedenfalls fürchtete sich Conny sehr, wenn eine solche Gestalt in ihrem Zimmer war. Einmal hockte so ein Vogel mitten auf Conny’s Decke und klapperte mit dem Schnabel. Sie hatte sich furchtbar erschreckt und da war der Vogel auch schon weg. Aber trotzdem hatte sie furchtbar Angst gehabt und nach Mama gerufen. Die kam auch ganz schnell und tröstete sie. Sie hatte Conny in den Arm genommen und ihr ganz lieb gesagt:
„ Du hast nur geträumt, mein Schatz, hier ist kein Vogel in deinem Zimmer, glaub‘ mir.“ Und dann hatte Mama das Licht angeschaltet und Conny gezeigt, dass alles in Ordnung und an seinem Platz war. „Aber wenn der Hund wieder kommt, der mit dem grünen Fell und der in meinem Zimmer immer im Kreis läuft, was dann, Mama?“ , fragte Conny und drückte sich fest an ihre Mutter. „ Es kommt kein Hund, Kind, wo soll der denn auch herkommen? Das sind nur böse Träume, die alle Menschen mal haben. Laß‘ dich nicht erschrecken, Conny, mach‘ dir einfach klar, dass kein Hund in dein Zimmer kommen kann, auch niemand mit roten Augen und kein Vogel mit langem Schnabel. Schau, das Fenster ist zu. Und jetzt schlaf‘ schön weiter, wir lassen die kleine Leuchte hier auf deinem Nachttisch an.“

Nun stand Mama im Türrahmen und ermahnte Conny: „ Geh‘ jetzt bitte sofort ins Bad, Cornelia!“ Oh, oh, Mama hatte „Cornelia“ gesagt. Das war ein Zeichen, besser sofort zu gehen. „ Na gut, Mama, ich gehe jetzt.“ Conny ließ das Spielzeug liegen und schlich ins Bad, ziemlich langsam, denn jede Sekunde, die sie noch nicht schlafen musste, war ihr lieb.
Ein paar Minuten und noch eine Ermahnung später lag Conny in ihrem Bett und Mama kam, um Gute-Nacht zu sagen. „Mama?“ „Ja, Conny?“ „ Und wenn heute wieder der Hund kommt? Oder vielleicht sogar ein blauer Tiger, oder ein Elefant mit lila Rüssel..?“ Conny schaute ihre Mutter mit großen Augen an. „Mein kleiner Schatz,“ sagte Mama, „ ich verspreche dir, es kommt kein Hund, kein Tiger und kein Löwe. Auch kein Elefant und schon gar kein Nilpferd. Und falls doch, dann sag‘ dem Tier doch einfach, dass es besser zurück in den Zoo gehen soll, anstatt ein kleines Mädchen beim Schlafen zu stören. Und dann sagst du noch, dass du viel stärker bist, als dieses aufgeblasene Watte-Traumtier. Ok?“ Conny kicherte und sagte:
„ Ok, Mama, das mache ich. Gute Nacht. Aber lass das kleine Licht an, ja?“ Und Mama gab ihr einen lieben Gute-Nacht-Kuss und ging.
Conny schloss die Augen, nahm ihren Teddy fest in den Arm und versuchte einzuschlafen. Einige Male noch blinzelte sie im Zimmer umher, prüfte alle Ecken und Winkel und schaute auf das Fenster, ob es auch geschlossen war. Sie versuchte an etwas Anderes zu denken, als an diese Gestalten, aber es wollte ihr nicht gelingen. Schließlich machte sich Conny einen Schlachtplan. Mama hatte gesagt, sie solle mit den Gestalten reden und sie seien aus Watte. Pah, Watte! Damit würde sie locker fertig, mit Watte! Sie dachte an Onkel Klaus und seinen Bart aus Watte, als der im letzten Jahr, als Nikolaus verkleidet, im Kindergarten Geschenke brachte. Und ihr fiel ein, dass Mama letztens ihren Teddy an der Pfote reparieren musste, weil vom vielen Knuddeln ein Stück Watte aus dem Fuß hervorkam. Und während Conny noch an Watte dachte, ging die Tür von ihrem Kleiderschrank langsam auf. Conny erschrak und schaute gebannt auf ihren Schrank. Und auf einmal kamen drei Raben mit langen, gelben Schnäbeln aus dem Schrank gehüpft und setzten sich ausgerechnet auf die Kante von Conny’s Bett. Sie klapperten mit den langen Schnäbeln und Conny traute sich nicht, sich einen Millimeter zu bewegen. Sie wollte nach Mama rufen und hatte große Angst, aber mit einem Mal dachte sie wieder an Watte. Sie setzte sich in ihrem Bett gerade auf, schaute die Raben streng an und sagte:
„ Was wollte ihr hier, ihr komischen Vögel. Ihr seid ja aus Watte! Und außerdem haben Raben keine gelben Schnäbel! Und es gibt keine Hunde mit grünem Fell, sagt ihnen das! Die Elefanten mit den lila Rüsseln brauchen gar nicht erst zu kommen! Alles Watte! Und die Leute mit den schwarzen Mänteln und den roten Augen, pah, alles aus Watte!“
„Conny, Conny, du träumst....“ Mama saß auf der Bettkante und zog das Mädchen an sich. „Alles Watte...“ murmelte Conny halb im Schlaf, lächelte und schlief weiter.
Die grünen Hunde und Raben mit gelben Schnäbeln kamen nie mehr wieder.
 



 
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