Alles ist gut

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anbas

Mitglied
Alles ist gut

"Ja."

Es war ein kurzes, fast abgehacktes "Ja" mit dem er ihre Frage beantwortete. Obwohl ich den Mann nicht kannte, war ich mir sicher, dass hinter diesem "Ja" eine weitere Aussage verborgen war. Sie lautete "Ja, aber ich will nicht darüber reden. Frag also bitte nicht weiter nach!". Nun kann es durchaus sein, dass dies ein Code ist, den nur Männer entschlüsseln können. Ich war mir jedenfalls sicher, den Mann voll und ganz verstanden zu haben.

Bei seiner Begleiterin verhielt sich das anders. Sie hatte ihn gerade gefragt, ob er eine gewisse Ute angerufen hätte. Das knappe "Ja" reichte ihr nicht aus.

"Und, wie geht es ihr?" fragte sie weiter.

"Gut."

Auch diese Antwort war kurz und – für mein Empfinden jedenfalls – absolut klar und deutlich. Der Mann wollte weder über Ute noch über das Gespräch mit ihr reden.

"Wirklich?"

"Ja."

"Und wie geht es den Kindern?"

"Gut."

"Und was ist mit Alex?"

Der Mann atmete etwas tiefer durch. Leicht gequält setzte er zu einer längeren Antwort an.

"Ihm, Ute und den Kindern geht es gut. Es ist alles in Ordnung."

"Ach Mensch, Olaf, sei doch nicht immer so kurz angebunden. Mich interessiert es schließlich auch, wie es den Fünfen geht. Jetzt hast Du endlich mal Ute angerufen und erzählst nichts. Sie ist schließlich auch meine Tochter!" Ärgerlich und gleichzeitig fordernd sah ihn die Frau an.

Ich verspürte tiefes Mitgefühl für Olaf. Obwohl ihn die Frau, vermutlich seine Ehefrau, schon länger zu kennen schien, verstand sie ihn nicht. Er holte noch tiefer Luft und räusperte sich.

"Marianne", sagte er leicht stöhnend, "du telefonierst fast jeden Tag mit Ute. Heute Morgen habt ihr schon miteinander gesprochen. Glaub mir, seit dem ist nichts Besonderes mehr passiert. Allen geht es gut. Wenn es anders wäre, hätte ich es dir gleich gesagt. Es gibt wirklich nichts Neues zu erzählen!" Genervt verschränkte Olaf seine Arme vor der Brust und starrte auf den Boden.

"Dann ist ja alles gut!" murmelte Marianne und fügte mit einem leicht gekränkten Unterton hinzu: "Aber das hättest Du auch gleich sagen können!"
 
U

USch

Gast
Hallo anbas,
köstlich, voll aus dem Leben von Mann und Frau gegriffen.
Hiermfehlt ein Komma:
Es war ein kurzes, fast abgehacktes "Ja"[blue], Komma[/blue] mit dem er ihre Frage beantwortete.
LG USch
 

anbas

Mitglied
Alles ist gut

"Ja."

Es war ein kurzes, fast abgehacktes "Ja", mit dem er ihre Frage beantwortete. Obwohl ich den Mann nicht kannte, war ich mir sicher, dass hinter diesem "Ja" eine weitere Aussage verborgen war. Sie lautete "Ja, aber ich will nicht darüber reden. Frag also bitte nicht weiter nach!". Nun kann es durchaus sein, dass dies ein Code ist, den nur Männer entschlüsseln können. Ich war mir jedenfalls sicher, den Mann voll und ganz verstanden zu haben.

Bei seiner Begleiterin verhielt sich das anders. Sie hatte ihn gerade gefragt, ob er eine gewisse Ute angerufen hätte. Das knappe "Ja" reichte ihr nicht aus.

"Und, wie geht es ihr?" fragte sie weiter.

"Gut."

Auch diese Antwort war kurz und – für mein Empfinden jedenfalls – absolut klar und deutlich. Der Mann wollte weder über Ute noch über das Gespräch mit ihr reden.

"Wirklich?"

"Ja."

"Und wie geht es den Kindern?"

"Gut."

"Und was ist mit Alex?"

Der Mann atmete etwas tiefer durch. Leicht gequält setzte er zu einer längeren Antwort an.

"Ihm, Ute und den Kindern geht es gut. Es ist alles in Ordnung."

"Ach Mensch, Olaf, sei doch nicht immer so kurz angebunden. Mich interessiert es schließlich auch, wie es den Fünfen geht. Jetzt hast Du endlich mal Ute angerufen und erzählst nichts. Sie ist schließlich auch meine Tochter!" Ärgerlich und gleichzeitig fordernd sah ihn die Frau an.

Ich verspürte tiefes Mitgefühl für Olaf. Obwohl ihn die Frau, vermutlich seine Ehefrau, schon länger zu kennen schien, verstand sie ihn nicht. Er holte noch tiefer Luft und räusperte sich.

"Marianne", sagte er leicht stöhnend, "du telefonierst fast jeden Tag mit Ute. Heute Morgen habt ihr schon miteinander gesprochen. Glaub mir, seit dem ist nichts Besonderes mehr passiert. Allen geht es gut. Wenn es anders wäre, hätte ich es dir gleich gesagt. Es gibt wirklich nichts Neues zu erzählen!" Genervt verschränkte Olaf seine Arme vor der Brust und starrte auf den Boden.

"Dann ist ja alles gut!" murmelte Marianne und fügte mit einem leicht gekränkten Unterton hinzu: "Aber das hättest Du auch gleich sagen können!"
 

anbas

Mitglied
Hallo USch,

danke für Deine Rückmeldung und das Komma. Schön, dass Dir der Text gefällt.

Liebe Grüße

Andreas
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
"Ach und übrigens", sagte Olaf, "wo wir gerade dabei sind, Deine Mutter hat angerufen!" "Meine Mutter?!", kreischte Marianne,"und Du sagst mir das nur so im Nebensatz?? Wie geht es ihr? Meine Güte, die Frau wird bald 90! Gestern ging's ihr jedenfalls gut, aber wenn sie heute wieder angerufen hat ... jetzt sag schon! Was wollte sie???" Ihre Stimme überschlug sich fast.

Olaf zuckte mit den Schultern. "Der Anruf ist drei Wochen her. Also damals ging es ihr gut. Sie wollte nur mal kurz hallo sagen."
Seine Frau schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.

usw. usf.

Dein Text hat mir außerordentlich gefallen. Ähnlichkeiten mit Personen sind natürlich nur zufällig.
:)

LG Doc
 

anbas

Mitglied
Hallo Doc,

schön, dass Dir der Text so gut gefällt. Außerdem freue ich mich, dass ich Deine Phantasie anregen konnte :D.

Danke für Deine Rückmeldung.

Liebe Grüße

Andreas
 

anbas

Mitglied
Hallo Happy End,

ja, ja, so isses - es gibt Themen, die immer wieder Stoff für neue Texte geben :D.

Liebe Grüße

Andreas
 
Hallo Andreas,

wunderschön! Kurz, prägnant, flüssig lesbar, mit wenigen Worten alles ausgedrückt, was zu diesem immerwährenden Thema zu sagen ist.
Und der Schluss ist nochmal ein Sahnehäubchen. Wie im richtigen Leben ...

Gruß Klaus
 

Ilona B

Mitglied
Hallo Andreas,
echt klasse. Wie das Leben so spielt. In ähnlichen Dialogen sogar bei mir und meinem Mann, muss ich leider zu geben. :D
 

anbas

Mitglied
Hallo Klaus,

vielen Dank für Deine Rückmeldung. Über das "Sahnehäubchen" habe ich mich besonders gefreut :).

Liebe Grüße

Andreas
 

anbas

Mitglied
Hi Ilona,

vielen Dank! Ich freue mich stets, wenn ein Text von mir einen hohen Wiedererkennungswert in der Realität hat.

Liebe Grüße - auch an Deinen Mann :D

Andreas
 

Maribu

Mitglied
Hallo Andreas,

sehr gut beobachtet und umgesetzt, diese lakonischen Antworten des Mannes auf Fragen, die ihn fast zu belästigen scheinen.

Deine Feststellung, dass die Frau, mit der er die gemeinsame Tochter Ute und Enkelkinder hat, ihn schon länger kennt und vermutlich seine Ehefrau ist, ist Satire!

Liebe Grüße
Maribu
 

anbas

Mitglied
Hallo Maribu,

vielen Dank für Deine Rückmeldung! Die von Dir erwähnte Stelle war zunächst eher unfreiwillige Satire. Beim Herumdrechseln an dieser Stelle, stand das plötzlich so da - und ich dachte zunächst, dass das gar nicht passt. Aber dann gefiel es mir und ich ließ es stehen.

Liebe Grüße

Andreas
 



 
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