Alte Freundinnen

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Lillia

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Alte Freundinnen

Sie hat sich auf ganz leisen Füßen hereingeschlichen. Ich hab sie nicht hereingebeten, sie kam einfach, ungefragt. Stand da mit ihrem rot glänzenden Koffer vor meiner Tür und sah mich herausfordernd an, so als hätte ich sie angerufen und um ihren Beistand gebeten, gar nicht als breche sie in meinen Alltag herein.
“Ich hab Fahrerflucht begangen” sagt sie und ich habe keine Ahnung, wovon sie spricht. Ich nehm's wörtlich und mir macht sich Angst im Bauch breit.
“Nein, nicht so.” Sie schüttelt den Kopf. Ich ärgere mich. Sie sitzt in meiner Küche und trinkt meinen Kaffee, den letzten Rest, ich hatte ihn mir für morgen früh aufgehoben.
Sie hat einen Schlafsack mitgebracht und wird hier bleiben. Ich will sie hier nicht. Weil sie so einnehmend ist.
Sie hat sich die Haare schwarz gefärbt, es sieht grässlich aus. Sie leckt an ihrem Zeigefinger und fährt damit über den Küchentisch, Salz und Pfeffer und Oregano bleiben daran kleben.
Sie füllt den ganzen Raum auf, es scheint nicht mehr genug Luft da zu sein. Sie braucht meine ganze Luft aus, denke ich panisch. Sie wird mir die Haare vom Kopf fressen. Sie wird nichts mehr übrig lassen und mein Leben verschlingen. Mir wird heiß. Ich will das Fenster aufreißen, doch sie legt mir ihre lila lackierten Nägel auf den Unterarm und schüttelt den Kopf.
Sie isst was noch übrig ist von dem Auflauf, den Jana und ich vorhin gemacht haben. Ich denke an Jana und vermisse sie. Warum ist sie nicht hier und hilft mir? Jana würde die richtigen Fragen stellen, sie würde sie fragen, wie lange sie bleiben will und ihr in entschlossenem Ton Grenzen setzen. Jana, mit ihren breiten Schwimmschultern und ihrem zierlichen Kinn.
“Weißt du, ich hab viel an dich gedacht in der ganzen Zeit, in der du weg warst.” sagt sie und blickt mir dabei fest in die Augen.
Ich? Wieso als ich weg war? Sie war weg, nicht ich. Sie hat irgendwann nicht mehr angerufen und auf meine Karten und schließlich Briefe nicht mehr geantwortet. Wie sie da sitzt und so tut als wäre nichts zwischen uns gewesen, als wären wir wie alte Freundinnen auseinandergegangen, die immer aufeinander zählen können, auch wenn sie sich jahrzehntelang nicht beieinander gemeldet haben.
Ich starre auf ihre Nägel und spüre ihr Kratzen auf meiner Haut. Sie sehen widerlich aus.
“Wie meintest du das mit der Fahrerflucht?” meine Stimmte kommt viel leiser heraus, als ich will.
Sie leckt ihren Kopf in den Nacken und lacht. Ihr Lachen ist tief und hässlich. “Du weißt doch, wie ich das meine! Ich hab ein Herz gebrochen und habe mich aus dem Staub gemacht, bevor das herausfließende Blut meine Schuhe ruinieren konnte.” Sie grinst und ich möchte ihr ihre langen Nägel ins Gesicht bohren. Sie sieht hässlich aus und fühlt sich schön und stark und der Welt überlegen.
“Und du? Hast du eine neue Liebe?” fragt sie und ich sehe in ihren Augen Gedanken flackern, die sie davon abhalten werden, meiner Antwort Beachtung zu schenken.
Jana. Ich bin mir nicht sicher, ob Jana sich als meine Liebe bezeichnen lassen würde. Jana kommt und geht. Jana lässt mich alleine, wenn sie nicht mehr will. Sie geht, wenn ich ihr zu weich werde.
“Na?” Ihr Lächeln tut wissend, überheblich. Sie hat mich nie allein gelassen, als sie noch bei mir war. Sie war immer hier, hielt mich fest in ihren dürren Armen, umschlag mich wie eine Krake. Als sie ging, ließ sie mich fallen und dann lag ich da.
“Ich weiß nicht.” meine Stimme klingt jetzt fester. Sie schlägt die Augen nieder. Und drückt ihre noch feuchte Fingerspitze wieder in das verstreute Salz auf dem Tisch.
“Wohnst du alleine?” fragt sie.
“Ja.” sage ich entschieden. Jana wohnt auch hier, aber nur manchmal und deswegen sage ich es ihr nicht. Es geht sie auch überhaupt nichts an, denke ich, und ärgere mich darüber, dass ich überhaupt geantwortet habe.
“Ich bleibe ein paar Tage.” sagt sie und sieht mir fest in die Augen. Ich erstarre. Ich will ihrem Blick standhalten, will ihr sagen, dass sie unverschämt ist und spinnt, dass sie mir weh getan hat und fort bleiben soll, dass ich sie nicht in mein Leben lassen will, doch es kommt nichts, alles steckt mir in der Kehle fest. Unsere Blicke kämpfen ein paar Sekunden und als mir klar wird, dass ich schon längst verloren habe, dass ich schon verloren hatte, bevor sie kam, erschlafft mein Blick und ich sehe statt ihrer grauen Augen das dünne Lächeln um ihre Lippen.
Später schiebt sie im Badezimmer meine Sachen auf der Ablage beiseite um sich auszubreiten. Sie prüft mit abfälligem Blick den Weinvorrat in meiner Küche und kichert, als sie einen Zettel mit Janas kindlicher Handschrift am Kühlschrank kleben sieht.
Sie fährt mir mit ihren langen Nägeln durch den Nacken, dass ich Gänsehaut kriege und zieht ihre Kleidung aus bis auf ein enges T-shirt und ein kurzes enges Höschen.
Sie kocht Milch auf, um sie mir mit Honig ans Bett zu bringen und zerbeißt mir danach die Lippen. Ihre schmecken nach Rotwein.
Als ich einschlafe, habe ich Angst vor früher und morgen.
Am nächsten Tag ruft Jana mich an. Ich sage ihr, dass eine alte Freundin ein paar Tage da sei. Sie versteht sofort, wer hier ist.
“Bist du bescheuert, sie überhaupt reinzulassen? Du setzt sie vor die Tür, oder?” sie klingt klar, einfach.
“Das kann ich nicht so einfach...wir müssen über ein paar Sachen reden.” ich klinge erbärmlich.
“Ist das dein Ernst? Sie bleibt?”
“Erstmal schon...”
Das Klicken peitscht mir ins Ohr wie eine Ohrfeige. Jana hat aufgelegt. Ich bin weich. Sie wird nicht hierherkommen und ich werde sie nicht vor die Tür setzen.
Sie verteilt sich immer weiter in meiner Wohnung, dringt in jede Pore. Im Bad riecht es nach ihrem Shampoo, in der Küche stehen ihre Gewürze. Sie kommt und geht und ich merke, dass sie einen Schlüssel haben muss, doch ich bin zu müde, um sie danach zu fragen. Nachts zerkratzt sie meinen Rücken, morgens streicht sie mir verschwitzte Strähnen aus dem Gesicht und immer lächelt sie.
Jana hat seitdem noch einmal angerufen, eine Woche später. Sie fragte nur “Ist sie weg?” und ich schwieg. Dann sagte sie, sie gebe mir noch drei Tage, dann sei es vorbei. Ich sage nichts. Sie legt auf. Das tut mir weh, doch ich sage ihr nichts davon.
Es vergehen Wochen, glaube ich. Sie ist hier, lebt irgendein Leben. Tagsüber lebe ich meines weiter, mein neues Leben, nur morgens und abends und nachts, da ist es wie früher und ich gehör ihr.
“Wo hast du diese Jana eigentlich kennengelernt?” fragt sie, während sie uns Kartoffelbrei stampft, die Butter schmilzt wie Gold in der weißgelben Masse.
“Sie hat mir beim Umzug geholfen, kam über eine Freundin.”
“Wo wohnt sie?” Sie sieht wirklich so aus, als interessiere es sie.
“Weiß ich nicht. Sie ist immer hier.” Ich sage 'ist' und sie lächelt, denn eigentlich ist es 'war'.
“Wie lange kennt ihr euch? Warst du auch mal bei mir ihr zu Hause?”
“Nein. Wir kennen uns seit drei Jahren, aber sie war immer nur hier.” antworte ich.
“Findest du das nicht komisch? Vielleicht hat sie einen Mann und zwei kleine Kinder.”
“Nein.” sage ich, denn ich weiß ganz genau, dass Jana so lebt wie ich. Das spüre ich an ihrem Atem, lese ich in ihrer hungrigen Haut, so wie sie es in meiner hungrigen Haut lesen kann.
“Lad sie doch mal ein.” sagt sie und klemmt eine Rotweinflasche zwischen ihre Knie, um sie zu entkorken. “Dann können wir uns kennenlernen.” Sie legt Unschuld und Ehrlichkeit in ihren Blick, meine Skepsis schmilzt beinahe wie die Butter im Topf.
Kurz stelle ich mir vor, wie das wäre, die beiden hier zusammen am Küchentisch. Ich stelle mir vor wie Janas Kiefermuskeln nervös mahlen, wie sie ihre Augen zu Schlitzen verengt, wie sie eine Zigarette nach der anderen raucht und kaum ein Wort sagt.
Ich stelle mir vor, wie sie sich schön findet, ihr schwarzes mattes Haar mit den lackierten Nägeln aus dem Gesicht streicht und sich einbildet, sie hätte einen Vergleich gewonnen. Sie würde Jana lächerlich finden, das weiß ich. Und sie weiß es auch, sonst würde sie nicht vorschlagen, sie einzuladen. Um mich zu demütigen.
Ich lade Jana nicht ein, warte darauf, dass sie verschwindet und wieder Platz macht in meinem Leben für Jana. Doch wenn sie fragt, ob es mir zu eng werde mit ihr, sage ich nichts. Sie kratzt mit ihren Nägeln über meinen Bauch, meine Brüste, meine Arme. Fragt, ob sie lieber gehen solle und ich öffne die Augen nicht, tue, als hätte ich nichts gehört. Morgens fahre ich zur Arbeit, als sei alles wie immer. Abends sitzt sie in Unterwäsche mit Rotwein in der Küche und lächelt, als hätte sie nichts getan, als auf mich gewartet. Ich gehe auch nirgendswo mehr hin nach der Arbeit, weder in die Kneipe noch ins Kino noch zur Eislaufhalle. Ich gehe direkt nach Hause, wo sie auf mich wartet.
Wir füttern uns mit Kartoffelbrei in der Badewanne, lieben uns nachts auf dem Balkon, sie haucht mir Rotwein ins Gesicht und hält mich ganz fest, wenn ich Angst bekomme. Manchmal hält sie mich auch morgens noch fest und ich gehe nicht zur Arbeit.
Einmal frage ich sie, warum sie gekommen ist.
“Ich hatte Sehnsucht.” sagt sie und ich merke nicht gleich, dass sie nicht “nach dir” sagt.
Wir haben unseren Rhythmus und ich sage mir immer wieder, es ist nicht so wie früher. Das stimmt auch, früher war sie nicht soviel zu Hause, da zog sie um die Häuser und ich wartete zu Hause auf sie. Sie rief dann an von unterwegs an und sagte, ich könne mich schon ausziehen, sie komme jetzt nach Hause. Sie kam erst Stunden später, hatte den Anruf ganz vergessen und lachte mich aus.
Es ist jetzt anders, sie ist viel zärtlicher, weicher. Manchmal hab ich das Gefühl, sie versucht, gelegentlich etwas Gemeines zu sagen, um nicht zu sanft zu werden.

An einem Dienstagmorgen wache ich auf als sie mir die Haare aus dem Gesicht streichelt. Sie sieht aus, als sei sie schon lange wach. In ihrem Blick liegt etwas seltsam Trauriges, doch das fällt mir erst viel später auf, als ich darüber nachdenke, wann ich sie zum letzen Mal gesehen habe. Als ich von der Arbeit komme, ist sie fort. Alle ihre Sachen sind fort, nichts ist mehr da. Als sei sie nie hier gewesen. Keine Nachricht, kein vergessenes T-shirt, keine Krümel vom Frühstück, kein einziges langes schwarzes Haar. Als sei sie nie hier gewesen.
Ich brauche nicht zu hoffen, dass es eine beruhigende Erklärung gibt, brauche nicht darauf zu warten, dass sie zurückkehrt. Sie ist irgendwohin gefahren und kommt erst wieder, wenn sie sich irgendwann danach fühlt, vielleicht ist das nie.
Warum ist sie hergekommen? Ich sitze alleine mit dieser Frage in einem Leben, das nur noch halb ist. Alles ist fort.
Ich sitze da so einige Stunden, bis ich Janas Nummer wähle. Sie wird wütend auf mich sein. Sie wird mich zusammenfahren und recht haben, ich bin schäbig.
Die Nummer ist nicht vergeben.
 
H

HFleiss

Gast
Eine alte Liebe taucht auf aus dem Nichts. Sie will nichts weiter von dem Erzähler (oder der Erzählerin), sie will nur eine Unterkunft, eine Zeitlang, inclusive Liebe. Sie nistet sich ein. Der Erzähler ist nicht stark genug, sie zu hinauszuwerfen, er hat eine neue Liebe, aber die hält sich raus. Unangekündigt verschwindet sie. Und obwohl sie lästig war, vermisst der Erzähler sie jetzt. Das ist der Inhalt der Geschichte.
Was mir daran gefällt: der offene Schluss, der Tonfall, in dem erzählt wird. Trotzdem, ein wenig stört mich der Erzähler, er betrachtet "sie" (sie ist namenlos) wie ein Insekt, nimmt keinen wirklichen Kontakt auf, erträgt sie nur. Schade finde ich, dass so viel lediglich erzählt wird, dass es keinen Dialog gibt. Sprachlich gibt es ein paar Stellen, die ich nicht als wirklich gut empfinde, zum Beispiel: "Mir macht sich Angst im Bauch breit", "Sie leckt ihren Kopf in den Nacken und lacht" (sie legt?) "Sie wird nicht hierherkommen, und ich werde sie nicht vor die Tür setzen." Hier redest du von zwei Frauen, das geht aber aus der Satzstellung nicht hervor. Unmotiviert wechselst du die Zeiten, vom Präteritum ins Präsens (das kann man natürlich machen, aber dafür muss es einen Grund geben). Solche Dinge harren der Überarbeitung.
Aber mir gefällt die Geschichte, obwohl ich mir auch mehr äußere Korrektheit gewünscht hätte.

Gruß
Hanna
 

Lillia

Mitglied
dankeschön!

Vielen Dank, Hanna!
Die Zeit-sprünge ergeben sich eigentlich dadurch, dass die Erzählerin (deren Weiblichkeit ich offensichtlich erst mal deutlich machen sollte) sich an die Beziehung erinnert, die sie früher mit ihrer Freundin hatte. Das ist wohl auch undeutlich, vielen Dank für den Hinweis!

Das unklare 'sie' war eine Spielerei, die ich mir bewusst erlaubt habe, das ist wahrscheinlich zum Lesen etwas ungemütlich und vielleicht auch einfach doof.

Ich danke Dir sehr für die Hinweise zur Überarbeitung!
-lilli-
 

Mumpf Lunse

Mitglied
hallo lillia,
die weiblichkeit ist klar, du mußt sie nicht besser herausarbeiten.
es ist ein starker text. aus meiner sicht der beste den ich von dir kenne und sicher einer der besten auf der derzeitigen leselupe.
ich bin beeindruckt. ;)
lg
gunter
 
B

Burana

Gast
Hallo,
da ist ja mal wirklich (wieder) ein guter Text in der LL! Respekt und liebe Grüße, Burana
 

maerchenhexe

Mitglied
hallo Lilia,

ein wirklich beeindruckender Text, der mir auch sprachlich, bis auf ein paar Kleinigkeiten sehr gut gefällt. Aber das liegt meist am eigenen Sprachempfinden. Auch für mich einer der besten Werke, die zur Zeit auf der LL unterwegs sind.

ganz lieber Gruß
maerchenhexe
 



 
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