Alter Weg

lester

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Wie erwartet. Auch dort Kastanien, Aststücke, Laubreste auf dem Weg, faserig, zertreten, hier kamen viele lang, den Tag über. Der Fluß in seiner Mulde, das Ufer mit Holzplanken verhauen, gefestigt, aber Johann wusste, das hatte er erfahren damals, dass die Pfähle faulten im Schlick, dort wuchs Schilf ins Wasser, auch um den Kahn und um die Ankerkette, die in die Entengrütze hing. Das Paddel über dem Querholz war zerbrochen. Wellen kreiselten weiter draußen um Weideäste, ein Baum, der aus einer Insel wuchs, ein Trauerkloß, dort, dessen Ruten über die Wellen strichen bei jeder Windbö. War es so?, es war, sagte Johann, anders, damals. Noch war die Steintreppe, fünf Stufen hinab am Holzgeländer, verstärkt wie damals mit Rohren, dreifach verschränkt, Latten, verkeilt und mit Dachnägeln befestigt. Dort die Bank, beim Rhabarber, der alles deckte mit seinem Grün.

Bist du dir sicher, nach der Zeit? Johann winkte ab, das wollte er nicht auch noch beantworten, Fragen waren nicht seine Sache, es waren die Spuren in den Steinen, die waren zu finden, Holz, das dort gelegen, neben dem Zufluss zur Aue. Bohlen von den Bahngleisen, Eiche, Hartholz, damals waren Arbeiter, Bahner, kräftige Männer, die sie heben konnten, ihr Deputat, auf denen sie im Garten saßen beim Abendbier. Hier waren sie gelegen, gestapelt zweireihig, und hoch, dass das Holz die Bank zur Straße verdeckte.

Er trug eine schlabbrige, gelbe Joppe über einem weiten, schwarzen Leinenhemd, aufgesetzte, große Taschen, ausgebeult an den Knien die Manchesterhose, grüne Anglerstiefel, glänzend vom fetten, gelben Matsch des Grabens. Er strich mit dem Handteller über das Holz, stockte, dann noch einmal. Schüttelte den Kopf.

Es war wieder Herbst. Seit der Frühe hatte das Tief Wolken getrieben, hierher vom Westen über den Himmel, über den Fluß, Nieselregen, der schräg heran wehte.

Johann hatte sich gesetzt, saß auf der Holzbank, den noch feuchten Latten, die Knie weit auseinander, darauf die Unterarme gestützt, seine Hände berührten sich, Kopf und Augen zum Steinboden gesenkt. In den Ritzen, zwischen den Steinplatten, wuchs Giersch. Links eine Birkenhecke und gleich dahinter Rhododendron nahe am Ufergeländer.

Johann, warum weinst du? Johann berührte mit den Fingern die Banklehne. Die Einritzungen waren alt, nicht mehr zu lesen., er strich darüber, drückte den Daumennagel hinein, fuhr mit der flachen Hand über das Holz. Feucht war es, schmierig. Der Himmel war klarer geworden, der Wind war geblieben. Er stand auf, lehnte sich mit der Hüfte ans Geländer, blickte über das Wasser.


Nun kam eine. Schwarz gekleidet. Anne, wie gehts denn immer? Sie ging schräg über den Weg, strich sich die Strähne aus den Augen. Der Krückstock, ihn brauchte sie nicht zum Gehen, ebenfalls schwarz, der Griff etwas heller vom vielen Berühren. Nein, sie trug keinen Hut, einen Mantel hatte sie angezogen, mit einer Kapuze, darunter weiß man nicht, sie hatte den Mantel hochgeschlossen. So kam sie. Und Johann? Er sah sie kommen, die fünf Stufen herab. Und blieb vor ihm stehn.

Johann nickte ihr zu. "Dass du gekommen bist", sagte er dann. "Ja", sie nickte jetzt auch und setzte sich auf das Holz nieder. "Ich habe es dir in die Hand versprochen, damals. Ich habe die Tage mit Warten verbracht, die Tage und die Jahre, Johannes."

Sie sah ihn an. Dunkle, schwarze Augen, in denen es schimmerte. Aber es waren keine Tränen, er kannte diese Augen lange.

Er blickte weg. "Du bist, wie du warst", sagte er dann, er sprach bedächtig, und immer mehr in der kehligen Aussprache seiner alemannischen Herkunft. "Hast du es mitgebracht?"

Sie gab ihm das Schächtelchen, es war rund und es war blau.

"Danke", sagte er leise, "dass wird helfen. Ich werde es jeden Tag brauchen".

Sein Gesicht war weicher geworden, die Furchen auf der Stirn weniger, so sieht es aus, wenn Johann sich freut. Es hatte sich die Zeit gelohnt. Nun würde er gehen, den Weg am Fluss zurück. Er knöpfte seine Joppe unten zu, steckte das Schächtelchen in die Brusttasche und ging. Nein, umsehen wollte er sich nicht mehr. Johann, was ist mit Anne, du kannst nicht gehen ohne Gruß. Aber jetzt wollte er kein Adieu. Er stieg die fünf Stufen hoch, hohe Stufen, vom Niesel angefeuchtete Steine, glitschig waren sie, aber das konnte er erinnern, so war es zur Herbstzeit ein jedes Mal. Dann ging es nach links. Manchmal spürte er ihren Blick hinter sich, dann musste er das eine Bein nachziehen, erst bei den Kastanien, jenseits der Bogenleuchte war er wieder für sich.
 



 
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