Am Abgrund

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Goya

Mitglied
Am Abgrund

Auf der anderen Seite des Flusses hatten sie angefangen, Gerüste aufzufahren. Wir reagierten sofort damit, Truppen zusammenzuziehen und die Wachen zu verdoppeln. Zunächst war nicht auszumachen, was sie vorhatten. Aber bald sahen wir, dass sie eine Rampe bauten. Wir vermuteten eine Schussvorrichtung für schwere Artillerie, bis J. uns überzeugte, man wolle sie nutzen, um mit Fahrzeugen im Sprung herüberzugelangen und einzufallen. Die große Invasion. Die Zeit war also gekommen. Man ließ die Experten berechnen, ob J.’s Vermutung überhaupt plausibel sei. Ergebnis der Untersuchung: Sie würden Schwierigkeiten haben, die Rampe weit genug über den Fluss herüberzubauen. Für kleine, leichte Fahrzeuge jedoch sollte die Überwindung der großen Distanz kein Hindernis darstellen, wohl aber der Aufprall auf unserer Seite. Wir betonierten unser Ufer und erwogen den Bau einer Sperrmauer. Unsere Maßnahmen wurden allem Anschein nach bemerkt. Man höhnte unser anscheinend, grüßte tollkühn herüber. Was nur hatten sie vor? Im Sicherheitsrat beschlossen wir den Mauerbau, mehr aus kriegspsychologischen Gründen denn als Präventivmaßnahme. Die ungewöhnliche Größe des Bauvorhabens nahm unser Land sehr in Anspruch, und wir sahen uns gezwungen, mit unseren Ressourcen zu haushalten. Jedoch zeigte unsere Entschlossenheit Wirkung. Scharen von Beobachtern erschienen auf der begonnenen Rampe, man sah herüber und schüttelte Köpfe. Die Bauarbeiten auf der anderen Seite stagnierten, wurden jedoch offensichtlich nicht ganz aufgegeben. Wir entschieden uns ebenfalls zur Suspension der Bautätigkeit. Eine Weile herrschte Ruhe, angespannte Ruhe. Schließlich erschienen die Maschinen wieder am gegenüberliegenden Ufer. Sie hatten offensichtlich ihr Projekt im Hinterland vorangetrieben und fuhren große, vorgefertigte Stahlteile auf. Da der Fluss sich sehr tief unter uns befindet, so tief, dass wir streng genommen seine Existenz nur mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten, hatten sich unsere Gegenüber wohl gezwungen gesehen, die Rampe von ihrer Seite aus durch eine immense Vorrichtung zu stabilisieren. Ihre Ingenieure, den unseren mindestens ebenbürtig, jedoch in ihren Fähigkeiten durch den übertriebenen, boshaften Sinn, der den Bewohnern der anderen Seite eigen ist, gestärkt und geschärft, hatten sich für eine Art Schrägseilkonstruktion als Lösung entschieden. An langen Stahldrähten wird die Rampe nun steil in die Höhe gezogen. Wir berieten uns, und V. erläuterte den taktischen Wandel unserer Gegenüber: Man wolle die Rampe angesichts unserer Verteidigungsmaßnahmen sicher soweit verlängern, dass sie ganz herüberreiche, um mit Truppen einzumarschieren. Wir befragten erneut unsere Experten. Es sei ganz unmöglich, beruhigten sie uns. Endlich. Wir sind wieder sicher. Ihre Ingenieure haben sich offensichtlich verkalkuliert. Beobachter haben nun die Einstellung ihres Projekts festgestellt. Die Rampe reicht immerhin bis genau zur Hälfte über den Abgrund herüber, weiter hat es nicht gereicht, dass mussten auch die vom anderen Ufer feststellen. Man habe alle Baufahrzeuge abgezogen, berichtet man von der Front. Unsere Mauer steht.
 

Goya

Mitglied
Am Abgrund

Auf der anderen Seite des Flusses hatten sie angefangen, Gerüste aufzufahren. Wir reagierten sofort damit, Truppen zusammenzuziehen und die Wachen zu verdoppeln. Zunächst war nicht auszumachen, was sie vorhatten. Aber bald sahen wir, dass sie eine Rampe bauten. Wir vermuteten eine Schussvorrichtung für schwere Artillerie, bis J. uns überzeugte, man wolle sie nutzen, um mit Fahrzeugen im Sprung herüberzugelangen und einzufallen. Die große Invasion. Die Zeit war also gekommen. Man ließ die Experten berechnen, ob J.’s Vermutung überhaupt plausibel sei. Ergebnis der Untersuchung: Sie würden Schwierigkeiten haben, die Rampe weit genug über den Fluss herüberzubauen. Für kleine, leichte Fahrzeuge jedoch sollte die Überwindung der großen Distanz kein Hindernis darstellen, wohl aber der Aufprall auf unserer Seite. Wir betonierten unser Ufer und erwogen den Bau einer Sperrmauer. Unsere Maßnahmen wurden allem Anschein nach bemerkt. Man höhnte unser anscheinend, grüßte tollkühn herüber. Was nur hatten sie vor? Im Sicherheitsrat beschlossen wir den Mauerbau, mehr aus Kriegspsychologie denn als Präventivmaßnahme. Die ungewöhnliche Größe des Bauvorhabens nahm unser Land sehr in Anspruch, und wir sahen uns gezwungen, mit unseren Ressourcen zu haushalten. Jedoch zeigte unsere Entschlossenheit Wirkung. Scharen von Beobachtern erschienen auf der begonnenen Rampe, man sah herüber und schüttelte Köpfe. Die Bauarbeiten auf der anderen Seite stagnierten, wurden jedoch offensichtlich nicht ganz aufgegeben. Wir entschieden uns ebenfalls zur Suspension der Bautätigkeit. Eine Weile herrschte Ruhe, angespannte Ruhe. Schließlich erschienen die Maschinen wieder am gegenüberliegenden Ufer. Sie hatten offensichtlich ihr Projekt im Hinterland vorangetrieben und fuhren große, vorgefertigte Stahlteile auf. Da der Fluss sich sehr tief unter uns befindet, so tief, dass wir streng genommen seine Existenz nur mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten, hatten sich unsere Gegenüber wohl gezwungen gesehen, die Rampe von ihrer Seite aus durch eine immense Vorrichtung zu stabilisieren. Ihre Ingenieure, den unseren mindestens ebenbürtig, jedoch in ihren Fähigkeiten durch den übertriebenen, boshaften Sinn, der den Bewohnern der anderen Seite eigen ist, gestärkt und geschärft, hatten sich für eine Art Schrägseilkonstruktion als Lösung entschieden. An langen Stahldrähten wird die Rampe nun steil in die Höhe gezogen. Wir berieten uns, und V. erläuterte den taktischen Wandel unserer Gegenüber: Man wolle die Rampe angesichts unserer Verteidigungsmaßnahmen sicher soweit verlängern, dass sie ganz herüberreiche, um mit Truppen einzumarschieren. Wir befragten erneut unsere Experten. Es sei ganz unmöglich, beruhigten sie uns. Endlich. Wir sind wieder sicher. Ihre Ingenieure haben sich offensichtlich verkalkuliert. Beobachter haben nun die Einstellung ihres Projekts festgestellt. Die Rampe reicht immerhin bis genau zur Hälfte über den Abgrund herüber, weiter hat es nicht gereicht, dass mussten auch die vom anderen Ufer feststellen. Man habe alle Baufahrzeuge abgezogen, berichtet man von der Front. Unsere Mauer steht.
 

Val Sidal

Mitglied
Goya,

ich habe deinen Text als Parabel gelesen. Wenn die Lesart deiner Intention entspricht, dann würde ich einige Bemerkungen zur Umsetzung der Idee machen, sonst -- Pardon!
 
U

USch

Gast
Hallo Goya,
ja, ja, der Rüstungswahn. Wo führt er hin? ... zur Mauer, in uns und außerhalb von uns.
Gut geschriebene Geschichte in seiner Intensität.
Eine Kleinigkeit:
Die Rampe reicht immerhin bis genau zur Hälfte über den Abgrund herüber, weiter hat es nicht gereicht[red], dass[/red] mussten auch die vom anderen Ufer feststellen
Die Rampe reicht immerhin bis genau zur Hälfte über den Abgrund herüber, weiter hat es nicht [blue]gereicht. Das mussten[/blue] auch die vom anderen Ufer feststellen.
LG USch
 

sonah

Mitglied
Eine Parabel?

Für meinen Geschmack ist es ein wenig zu trocken und langatmig geschrieben. Auch Absätze wären nicht schlecht gewesen.
 

Goya

Mitglied
Am Abgrund

Auf der anderen Seite des Flusses hatten sie angefangen, Gerüste aufzufahren. Wir reagierten sofort damit, Truppen zusammenzuziehen und die Wachen zu verdoppeln. Zunächst war nicht auszumachen, was sie vorhatten. Aber bald sahen wir, dass sie eine Rampe bauten. Wir vermuteten eine Schussvorrichtung für schwere Artillerie, bis J. uns überzeugte, man wolle sie nutzen, um mit Fahrzeugen im Sprung herüberzugelangen und einzufallen.

Die große Invasion. Die Zeit war also gekommen. Man ließ die Experten berechnen, ob J.’s Vermutung überhaupt plausibel sei. Ergebnis der Untersuchung: Sie würden Schwierigkeiten haben, die Rampe weit genug über den Fluss herüberzubauen. Für kleine, leichte Fahrzeuge jedoch sollte die Überwindung der großen Distanz kein Hindernis darstellen, wohl aber der Aufprall auf unserer Seite. Wir betonierten unser Ufer und erwogen den Bau einer Sperrmauer. Unsere Maßnahmen wurden allem Anschein nach bemerkt. Man höhnte unser anscheinend, grüßte tollkühn herüber. Was nur hatten sie vor? Im Sicherheitsrat beschlossen wir den Mauerbau, mehr aus Kriegspsychologie denn als Präventivmaßnahme. Die ungewöhnliche Größe des Bauvorhabens nahm unser Land sehr in Anspruch, und wir sahen uns gezwungen, mit unseren Ressourcen zu haushalten. Jedoch zeigte unsere Entschlossenheit Wirkung. Scharen von Beobachtern erschienen auf der begonnenen Rampe, man sah herüber und schüttelte Köpfe. Die Bauarbeiten auf der anderen Seite stagnierten, wurden jedoch offensichtlich nicht ganz aufgegeben. Wir entschieden uns ebenfalls zur Suspension der Bautätigkeit.

Eine Weile herrschte Ruhe, angespannte Ruhe. Schließlich erschienen die Maschinen wieder am gegenüberliegenden Ufer. Sie hatten offensichtlich ihr Projekt im Hinterland vorangetrieben und fuhren große, vorgefertigte Stahlteile auf. Da der Fluss sich sehr tief unter uns befindet, so tief, dass wir streng genommen seine Existenz nur mit großer Wahrscheinlichkeit vermuten, hatten sich unsere Gegenüber wohl gezwungen gesehen, die Rampe von ihrer Seite aus durch eine immense Vorrichtung zu stabilisieren. Ihre Ingenieure, den unseren mindestens ebenbürtig, jedoch in ihren Fähigkeiten durch den übertriebenen, boshaften Sinn, der den Bewohnern der anderen Seite eigen ist, gestärkt und geschärft, hatten sich für eine Art Schrägseilkonstruktion als Lösung entschieden. An langen Stahldrähten wird die Rampe nun steil in die Höhe gezogen. Wir berieten uns, und V. erläuterte den taktischen Wandel unserer Gegenüber: Man wolle die Rampe angesichts unserer Verteidigungsmaßnahmen sicher soweit verlängern, dass sie ganz herüberreiche, um mit Truppen einzumarschieren. Wir befragten erneut unsere Experten. Es sei ganz unmöglich, beruhigten sie uns. Endlich. Wir sind wieder sicher. Ihre Ingenieure haben sich offensichtlich verkalkuliert.

Beobachter haben nun die Einstellung ihres Projekts festgestellt. Die Rampe reicht immerhin bis genau zur Hälfte über den Abgrund herüber, weiter hat es nicht gereicht. Das mussten auch die vom anderen Ufer feststellen. Man habe alle Baufahrzeuge abgezogen, berichtet man von der Front. Unsere Mauer steht.
 

Goya

Mitglied
Danke an alle für die hilfreichen Kommentare! "Trocken und langatmig" klingt für mich gar nicht negativ: der Sprecher soll gerade klingen wie ein rein instrumentell denkender Ingenieur, so dass man als Leser_in ein gewisses Misstrauen gegenüber seinen Äußerungen entwickelt.
 



 
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