Anita

IDee

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Anita

Wie erstarrt saß sie vor dem Bildschirm. Sie konnte es nicht glauben, daher sah sie noch einmal hin, genauer. Das ist nicht möglich, dachte sie und hätte es nicht darunter gestanden wäre sie noch immer nicht davon überzeugt gewesen. Das, was sie dort sah, war die Wahrheit, die Gegenwart.
Ihr Mund verzog sich zu einem breiten Grinsen, sie sah noch einmal hin und konnte ein schallendes Lachen nicht mehr unterdrücken.
Sie hatte es vergessen, in all den Jahren.
Wie war das damals?
Ich war jung, so jung, dass zwei Jahre unterschied schon eine Ewigkeit bedeuteten, aber reif genug um dein Treiben zu durchschauen.

Anita! Wahrscheinlich war dieser Name gerade in Mode, als du geboren wurdest. Mit Sicherheit haben deine Eltern nicht über die Bedeutung nachgedacht, Gottes Gnade.
Vielleicht besitzt diese Welt viele Anitas, wenn auch nicht mit deinem Namen.

Ja du hattest diese Art, die Art mit der du dich immer in den Mittelpunkt stelltest. Schon in der Schule, nicht das Du die klügste warst, nein das nicht, aber du hattest die Eigenschaft es so aus-sehen zu lassen. Immer warst du umringt von anderen Schülern, auch Schülerinnen. Sie klebten förmlich an deinen Lippen, als würdest du das Heil verkünden. Das war ganz sicher nicht der Fall. Kein Zweifel, du warst hübsch, nur es gab auch andere schöne Mädchen.
Auf seltsame Weise zogst du sie in deinen Bann. Sie merkten nicht einmal das Du sie nur benutzt hast. Sie feierten dich als Partyqueen, sogar als Göttin.
Die die dich nicht verehrten, sei es, weil sie andere Interessen hatten, sei es das Sie einfach einen anderen Geschmack hatten, straftest du mit Missachtung. Naserümpfend hast du schlecht über jene geredet, ohne sie überhaupt zu kennen.

Alle Türen standen dir offen, du hast sie hinter dir zugeschlagen. Die Welt lag dir zu Füßen, du hast sie genau damit getreten. Du hast dir genommen, was du wolltest, wenn es dir nur von Nutzen war.
Du hast auch meinen Freund genommen, ihn beansprucht, solange er dir einen Vorteil verschaffte.
Nein ich war nicht eifersüchtig, damals. Eher glaubte ich, ich sei nicht gut genug, nicht attraktiv genug, dass ich zu wenig Sex-Appeal habe. Ja, ich habe geweint, viele Nächte lang.
Die Scherben die zurückblieben habe ich zusammengekehrt, dass habe ich nie bereut. Denn wer durch deine Hölle gegangen war, wurde glücklich in meinem Himmel.
Ich sah die Tränen, die gebrochenen Herzen, die Verwüstung und den Hass, den du hinterlassen hast. Es hat dich nicht gekümmert. Du hattest nur einen Blick für dich.
Erleichterung kam in mir auf, als du endgültig aus meinem Gesichtsfeld verschwunden warst.
Ab und zu hörte ich noch von dir, dann verebbte auch das.

Wieder sah sie auf den Bildschirm, wieder musste sie grinsen. Ein seltsames Gefühl beschlich sie.
Das Gefühl der Genugtuung.
Alles rächt sich auf Erden, dachte sie.
„Sieh dich an, Anita! Was ist aus dir geworden? Aus dem einstigen Star! Der viel umjubelten, der Betrügerin, der Buhle, der Verräterin!“, sagte sie laut vor sich hin.
Ein Wort schoss ihr durch den Kopf.
Nein, das ist kein Wort aus meinem Wortschatz. Ein solches benutze ich nicht und dennoch es passt, dachte sie wieder. Noch einmal geisterte das üble Wort, Prollfresse, durch ihr Gehirn, bevor es wieder verschwand.

„Sieh dich an Anita! Dein Gesicht ist voller Falten, obwohl es aufgedunsen ist, eben nur noch eine Fratze. Deine Haut ist grau, die Haare struppig.
Von deiner aufregenden Figur ist nichts mehr zu sehen. Nein, krank bist du nicht, einfach nur ver-lebt, verbraucht. Da sieht meine achtzigjährige Mutter ja besser aus!“, sagte sie wieder laut vor sich hin.

Sie stand auf, trat vor den großen Spiegel und drehte sich hin und her. Sie begutachtete sich von allen Seiten.
„Ja so ändern sich die Zeiten. Heute sehe ich besser aus als du! Nicht das mir das wichtig ist. Trotzdem, meine Falten halten sich in Grenzen, mein Teint ist makellos, ich brauche auch jetzt noch kein Make-up. Meine Figur ist zweifelsohne toll, da träumt so manche Zwanzigjährige von“, sprach sie zu sich selbst und war zufrieden mit dem, was sie sah.

„Obwohl, wenn ich jetzt vor dir stehen würde ich sähe nicht auf dich herab. Ich möchte nicht mit dir auf einer Stufe stehen. Nein, heute würde ich dich schlichtweg übersehen!“
 



 
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