Atemstille

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Alpha

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Atemstille

Es war noch so früh am Abend. Ich hatte nichts dagegen im Bett zu liegen, aber schlafen war was anderes. Zu kussarm. Zu still. Ich hätte gern ein wenig mit dir geplaudert. Über das Buch vielleicht, das ich angefangen habe und das mir so gefällt. Oder darüber, ob dein Chef zum Anzug wieder seine Biolatschen an hatte.
Es war still um uns. Atemstill. Du schautest hier und da ein paar Löcher in die Luft, aber selbst das schien so anstrengend, dass dir die Augen zu fielen. Ich wartete kurz um zu sehen, ob es nur ein langanhaltendes Zwinkerns gewesen war. „Du“, fragte ich in kindlich schüchternem Ton, „darf ich meine Lippen so auf deine tun, so wie die machen, die sich lieb haben? So ganz kurz nur?“ Und ich zog meine Lippen zu einem Schmollmund zusammen und blickte dich an wie ein Kind, das um Schokolade bettelt. Du blinzeltest mich an und ein Lächeln begleitete dein gestelltes „Na gut, aber mach schnell“. Ich richtete mich auf und gab dir einen Kuss aus jener Zeit, als man noch dachte, es gäbe nichts Aufregenderes, was zwei Menschen miteinander tun könnten. Ich sah von dir auf, wollte grinsen, weil es eigentlich eine urkomische Situation war. Ich fiel mitten in deine Augen.
Als ich wieder auftauchte, ich atmete schwer wie nach einer ungeheueren Anstrengung, legte ich besonnen meinen Kopf auf deinen Oberkörper. Meine Linke wanderte hinunter zum Bauch, strich flaumhoch über deine weiche Haut, unter der sich in der Atembewegung spielende Muskeln abzeichneten. Ich hätte vor Schmach gern geseufzt, doch ich brachte kein Wort heraus. Atemstille. Dein Herz schlug wohlwollend vor sich hin. Ich lauschte gedämpften Tönen, es sprach von Frieden.

Ein Scheinwerferlicht fiel stumm in den Raum. Mir war warm, ich fühlte einen Puls am Innenschenkel, den ich nicht zuordnen konnte. Auch in den Fingerspitzen.
Atmen, lauschen, fühlen. Manchmal braucht es nicht mehr zum Glück. Ich hätte gern mehr davon gehabt. Mehr von dir. Trotz all der Innigkeit litt ich wie ein Mäuschen, das auf seinem Lieblingskäse saß, ihn aber nicht anknabbern durfte. Der Kuss, aus dem gerne mehr geworden wäre. Deine Augen. Dein Bauch. Ich durfte nicht daran denken. Mir lief das Wasser im Mund zusammen.
Ich legte mich in deinen Arm zurück und zog die bauchverliebte Hand auf deine linke Brust. Es war gescheiter, sie aus der Gefahrenzone zu holen, ich wollte dich nicht wecken. Dein Atem wurde flacher, ich folgte ihm mit geschlossenen Augen. Deine Atemzüge waren kurz, und nach dem Ausatmen machtest du immer eine Pause, als müsstest du deinen nächsten Atemzug erst beschließen. Dann atmetest du wieder ein, ich hätte dich so gern noch ein mal geküsst.
Fast unmerkliche klappertest du mit den Zähnen. Öfter als sonst, ich zählte nicht über drei hinaus. Ich lächelte in mich hinein. Atmen, lauschen, fühlen. Ich folgte deinem Herzschlag in die Nacht hinein. Ein Lichtkegel fiel durchs Fenster und durchwanderte den Raum. Atemstille.
 

Yamana

Mitglied
hallo alpha

ein mildes, melancholisches stück prosa, so genau und "einfach" im ton, dass eine worterfindung wie kussarm darin fast gespreizt klingt (obwohl eigentlich wohl nichts dagegen spricht)
liebe grüsse
yamana
 



 
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