Augenschmaus

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Walther

Mitglied
Augenschmaus


Die Augen sind ganz trüb, der Atem flach,
Die Hände liegen kraftlos an den Beinen.
Sie reicht nicht einmal mehr zum Weinen.
Die Fliegen sitzen überall, zu schwach,

Sie zu verscheuchen, keucht das kleine Kind
Und führt die Zunge an die trocknen Lippen.
Die Mutter blickt nach innen, und ihr Wippen,
So hilflos, dass das Lächeln schnell gerinnt,

Will gar nicht enden; ihre dumpfen Worte
Sind Laute, die das Atemrasseln übertönt:
Man muss sie nicht verstehn. Das sind die Orte

Und Bilder, an die niemand sich gewöhnt:
Der Wohlstandsmensch sieht sie bei Sahnetorte,
Durch Farbbrillianz zum Augenschmaus geschönt.
 
I

Ivor Joseph

Gast
Dazu kann man nichts weiter sagen. Seltsam...

... es erinnert mich an eine Hochglanzzeitschrift für Fotografen, die ich vor Jahren mal gekauft habe und die mir beim durchblättern der Testsieger-Fotos fast aus der Hand gefallen war. Dort war es nicht Afrika, sondern Indien. Eine alte Frau in einer schäbigen Straßenecke; so dürr, fast schon im Sterben, mit hilflosen dunklen Augen; streckte dem Betrachter eine Bettelschale entgegen.

Die einzige lapidare Unterschrift:
»Leica R3, Sumicron, Blende 8, 1/128. Kodak Ektachrome.«

Huch. Ivor.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo walther,
gut beobachtet und ansprechend geschrieben
allein, die frage bleibt, wer ist der täter?
der zuschauer oder der betroffenheitsproduzent

lg
ralf
 

Walther

Mitglied
Augenschmaus


Die Augen sind ganz trüb, der Atem flach,
Die Hände liegen reglos an den Beinen.
Die Kraft reicht nicht einmal zum stillen Weinen.
Die Fliegen sitzen überall, zu schwach,

Sie zu verscheuchen, keucht das kleine Kind
Und führt die Zunge an die trocknen Lippen.
Die Mutter blickt nach innen, und ihr Wippen,
So hilflos, dass das Lächeln schnell gerinnt,

Will gar nicht enden; ihre dumpfen Worte
Sind Laute, die das Atemrasseln übertönt:
Man muss sie nicht verstehn. Das sind die Orte

Und Bilder, an die niemand sich gewöhnt:
Der Wohlstandsmensch sieht sie bei Sahnetorte,
Durch Farbbrillianz zum Augenschmaus geschönt.
 

Walther

Mitglied
Hallo Ivor,

das war der Effekt, den ich mit diesem Sonett erzielen wollte. Danke, daß Du mir bestätigt hast, daß mir das wenigstens partiell gelang.

LG W.

Hallo Ralf,

die Täter sind wir alle. Es ist ein Geflecht von Interessen, Abhängigkeiten, der Lust, sich am Leiden anderer zu weiden, und der, sich selbst etwas richtig Gutes zu tun.

Danke und Gruß W.

Liebe Marie-Luise,

danke für Dein aufmerksames Lesen und Deine hilfreichen Hinweise - einmal mehr sage ich das und schade, daß man hier nichts mehr von Dir liest im Moment. Ich habe die Strophe 1 überarbeitet und eingestellt - dank Deiner Tipps ist sie hoffentlich ausgereifter und fehlerfreier.

Lieber Gruß W.
 
Lieber Walther,
so gefällt mir die Strophe besser, doch habe ich noch etwas zu sagen.
Wenn du einmal vom flachen Atem sprichst und dann vom Atemrasseln, ist ein Widerspruch zu erkennen. Oder liege ich da ganz falsch?
Ich lese deine Gedichte meistens sehr interessiert, wenn ich auch nicht immer dazu Stellung nehme.
Du musst wissen, dass ich durch deine Hinweise auf die Metrik viel gelernt habe.
Es grüßt dich
Marie-Luise

Ps.Doch dieses muss ich dir auch noch sagen: Ich werde mich nie daran gewöhnen, dass du jede Zeile mit einem Großbuchstaben beginnst, besonders, wenn es sich um ein Enjambement handelt.
 

sedna

Mitglied
ich weiß nicht, ich würde den täter lieber im tatbestand der einweggrenzen sehen, als die "schuldfrage" an das betrachten oder produzieren von hochglanzbildern zu hängen...

hi walther, deine verse wollen sich nur anfangs vorsichtig, fast zögernd in den leidenden menschen einfühlen, um schließlich ganz im distanzierten betrachten eines blossen fotos stecken zu bleiben.
als realistische darstellung des so "handelnden" bzw. denkenden wohlstandsmenschen sehr gelungen und treffend.

schöne verse, aufmerksam und gerne gelesen
LG sedna
 

Walther

Mitglied
Hallo Marie-Luise,

danke für Deinen Hinweis mit dem Atem. Ich meine, auch ein flacher Atem kann rasseln. Vielleicht liege ich da falsch, das will ich nicht abstreiten. Das Rasseln kommt auch vom Flüssigkeitsmangel und der Schwäche.

Ich finde es trotzdem schade, daß man von Dir hier gerade gar nichts liest, und fühle mich sehr geehrt, daß Du meine Gedichte zur Kenntnis nimmst. Ich selbst halte sie nicht für so furchtbar wesentlich, aber es macht Spaß, sie zu schreiben und kritisiert zu bekommen.

LG W.

Hallo Sedna,

danke für Deine einfühlsame Beschreibung des Texts und des durch in hervorgerufenen Bilds. Letztlich geht es hier nicht um Schuldzuweisungen, sondern um Erkennen. Gedichte sind zu kurz, um Schuldfragen aufzuwerfen, sie können allenfalls Anstoß für das eigene Nachdenken und das der Leser sein.

Mir schien der gewählte Blickwinkel einer, der einen weiteren Aspekt zu einer komplexen Problemstellung eröffnet. In der Tat ist der Hunger ein globales Problem, aber eben auch eins, bei dem jeder seinen Teil zur Beseitigung tun kann.

LG W.
 

HerbertH

Mitglied
Sind Laute, die das Atemrasseln übertönt:
Lieber Walther,

da hat sich wohl eine Hebung zuviel in Dein sehr eindringliches und fotographisches Gedicht geschlichen.

Solche Gedichte, die uns an unser schlechtes Gewissen erinnern, werden meist nicht so gut bewertet, wie sie es verdienen.

Liebe Grüße

Herbert
 

Walther

Mitglied
Augenschmaus


Die Augen sind ganz trüb, der Atem flach,
Die Hände liegen reglos an den Beinen.
Die Kraft reicht nicht einmal zum stillen Weinen.
Die Fliegen sitzen überall, zu schwach,

Sie zu verscheuchen, keucht das kleine Kind
Und führt die Zunge an die trocknen Lippen.
Die Mutter blickt nach innen, und ihr Wippen,
So hilflos, dass das Lächeln schnell gerinnt,

Will gar nicht enden; ihre dumpfen Worte
Sind durch das Atemrasseln übertönt:
Man muss sie nicht verstehn. Das sind die Orte

Und Bilder, an die niemand sich gewöhnt:
Der Wohlstandsmensch sieht sie bei Sahnetorte,
Durch Farbbrillianz zum Augenschmaus geschönt.
 

Walther

Mitglied
Hallo Herbert,

in der Tat sind das 6 Hebungen gewesen, die so auf 5 reduziert wurden. Der Text hat damit eher gewonnen. Vielen vielen Dank.

Dieses Gedicht ist nicht auf Effekthascherei gemacht. Es ging mir durch den Sinn, als mal wieder ein Spendenbrief kam und im Fernsehen die Spendengalas angekündigt wurden. Die Bilder kennen wir. Irgendwann landete das Gesehene - aus einer anderen Perspektive betrachtet - in der Dichterfeder - und dann in der Lupe. Die Gedanken gehen da manchmal interessante Wege, ganz ungesteuert. Aber wem sage ich das.

Die Bewertungen spielen in diesem Fall für mich gar keine Rolle, weil das Gedicht gear nicht schön sein sollte. Es sollte zum Nachdenken anregen. Und wenn es das tut, ist es gut. Wobei ich gerne zugebe, wie alle armen Schreiberlinge, dem Beifall durch den Leser durchaus etwas abgewinnen zu können. ;)

Danke und liebe Gruß

W.
 



 
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