Azhaar

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JeanJeanny

Mitglied
Azhaar

Volle, geschwungene Lippen hinter weicher Gaze. Der Nabel gleich einer Blüte. Augen wie die Unendlichkeit. Das Feuer...
Sie sitzt mir gegenüber in der U-Bahn. Telefoniert mit ihrem Handy. Sie trägt ein dunkelbraunes Kostüm und Schuhe mit Absätzen. Perfekt gestylt, dezentes Makeup, Karrierefrau. Nur ihr Haar sträubt sich.
Sie spricht perfektes Deutsch. Ihr Blick streift mich. Augen wie die Unendlichkeit. Sie sieht zu mir hin. Feuer.
Später unterhalten wir uns. Sie ist auf dem Weg zum Flughafen, eine Geschäftsreise. Meine Augen fixieren ihre Lippen. Sie spricht perfektes Deutsch. Sie ist hier aufgewachsen, sagt sie. Aber sie kommt aus Kairo. Zusammen mit ihren Eltern ist sie als kleines Kind nach Deutschland geflohen. Sie erzählt mir, wie ihre Familie in Kairo diskriminiert wurde nach dem Übertritt vom Islam zum koptischen Christentum. Beschimpfungen, Drohungen, Sabotageakte, ausgeführt von früheren Freunden und engen Verwandten, bestimmten einen Teil ihrer Kindheit.
Sie spricht perfektes Deutsch. Aber ihr Tonfall, die Art, wie sie die Worte dehnt, wie sie auf einigen Silben länger verharrt als auf anderen...
Der Nabel gleich einer Blüte. Augen glänzend schwarz wie ein Onyx, dunkel wie die Unendlichkeit.
Ich frage sie nach ihrem Namen. Ihre vollen, geschwungenen Lippen bilden ein feines Lächeln. Sie sieht mir in die Augen. Dann sagt sie: „Azhaar“, und ihre Augen glühen. Ihr Blick ist Herausforderung. Sie ist sich ihres Sieges gewiss.
Und dann fragt sie mich. Fragt nach meinem Namen und sieht mich an. Feuer. Nabel wie ein Onyx. Lippen hinter weicher Gaze. Schwung ihrer Hüften. Hochmut in ihrem Blick, Siegesgewissheit. Azhaar. Azhaar...
Sie sitzt mir gegenüber in der U-Bahn und sieht mich an, wartet auf meine Antwort mit fragendem Blick. Ein spöttischer Zug spielt um ihre Brauen. Sie herrscht über meine Gedanken. Azhaar, Azhaar. Wie heiße ich? Azhaar.
Plötzlich wendet sie sich ab, zur Seite. Der Schaffner ist zu uns getreten, von mir nicht bemerkt. Ihr Körper dreht sich ihm zu. Schwung ihrer Hüften, Feuer. Ich reiche dem Schaffner meine Fahrkarte mit einer schnellen Handbewegung, um das Zittern zu verbergen. Ich fühle ihr Lächeln, fühle ihren Blick auf mir. Er brennt mir ihren Namen ins Hirn, in die Haut der Wangen, heiß wie Feuer. Mein Kopf spielt verrückt, mein Schädel dröhnt. Wilde Rhythmen hämmern gegen meine Schläfen. Ein geschmeidiger Körper, schlangenhafte Bewegungen voller Anmut. Ein Schleier, ihre Lippen, ihre Haut, ihr Blick. Der Nabel, wie eine Blüte. Azhaar.
„Diese Fahrkarte ist hier nicht mehr gültig“, sagt der Schaffner. Ich brauche eine Weile, bis ich verstehe, dass er mich meint. „Frankfurt Hauptwache war schon vor zwei Stationen. Sie müssen aussteigen.“ Ich fühle das Feuer in meinen Wangen. Ich weiß, dass sie mich ansieht. „Entschuldigung“, sage ich zum Schaffner. „Ich muss die Haltestelle verpasst haben. Ich steige sofort beim nächsten Halt aus.“ Sie sieht mich an, ich fühle es, sie beherrscht meine Gedanken. Mein Kopf glüht unter ihrem Blick. Die Durchsage der nächsten Haltestelle erlöst mich. Ich verabschiede mich von Azhaar, ohne ihr geantwortet zu haben. Über das spiegelnde Fensterglas der Bahn werfe ich einen letzten Blick auf sie: Dunkelbraunes Kostüm, Schuhe mit Absätzen, dezentes Makeup, störrische Locken. Azhaar.
 



 
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