Begebenheiten

Alex

Mitglied
Sein Name war Paul, er war sechs. Am Tag zuvor waren die neuen Nachbarn in das Hochhaus gezogen, in dem der Junge wohnte.
"Papi, ich mag die Neuen nicht!" erklärte er verlegen. Verdutzt schaute sein Vater von der Arbeit auf, den Schraubenzieher noch in der Hand. Die Spüle tropfte schon seit Wochen, die Mutter war am Morgen ziemlich laut geworden, hatte ihren Mann schon ein halbes Dutzend mal daran erinnert. "Wieso, was war denn?" fragte Herr Müller, setzte gerade die neue Dichtung ein. Nervös trat der Kleine von einem Bein aufs andere. "Sie...sie sind schwarz!" brachte er schließlich hervor. "Aber Paul, dass ist doch dumm!"

Nie wieder hatte er etwas gesagt. Er war jetzt elf, saß in der Schule meistens allein. Die Klasse hatte gerade Geschichte, das mochte Paul besonders. Vielleicht lag es nur daran, wie freundlich die Lehrerin immer lächelte, aber bei Frau Luft machte der Unterricht wirklich Spaß. In diesem Augenblick öffnete sich die Tür, ein Junge kam herein, den Paul nicht kannte. Er sah ein bisschen seltsam aus, aber ansonsten war alles in Ordnung. Es folgte ein kurzer Wortwechsel mit der Lehrerin. "Das ist Hakan, euer neuer Klassenkamerad! Setz dich doch am besten...zu Paul!" sagte Frau Luft freundlich, auf den Platz neben dem Jungen deutend.
Ein Schauer lief Paul über den Rücken, als sich sein Blick mit dem des Anderen kreuzte. Der lächelte schüchtern, setzte sich auf den freien Stuhl. "Hallo, ich bin Hakan!" stellte sich der Junge vor, mit einem Akzent der Paul unwillkürlich an die schwarzen Nachbarn denken lies.
Paul traute sich nicht sofort etwas zu sagen, aber nach der Stunde blieb er im Klassenzimmer. "Alles in Ordnung Paul?" fragte Frau Luft freundlich. "Ich mag Hakan nicht!" erklärte er verlegen. "Wieso, was war denn?" ging die Lehrerin auf ihn ein. "Er...er sieht seltsam aus und spricht komisch!" erklärte Paul nach einer Weile. Entrüstet baute sich seine Lehrerin vor ihm auf: "Aber Paul, dass ist doch dumm!"

Dabei war es geblieben. Nun war Paul dreizehn, saß in der Schule noch immer neben Hakan, wenn er denn mal hinging. Gerade spielte er mit Robert und Chris, seinen besten Freunden, die er noch aus der Grundschule kannte, wie so oft Nintendo. Sie waren bei Robi, wo Paul auch übernachten würde, seine Eltern hatten die Nachbarn zum Abendessen eingeladen. "Gewonnen!" krähte Robi laut, sein Auto war über der Ziellinie, Pauls noch eine halbe Runde entfernt. Verdrossen warf Paul das Pad von sich, nahm einen Schluck Cola. "Robi, ist doch okay, wenn Mirko auch noch kommt?" fragte Chris, sich das Pad schnappend. "Jau Mann, voll cool, dann sind wir vier!" erklärte Robi.
Seit Wochen faselten sie ihm schon die Ohren voll, Mirko da, Mirko dort, wie er es hasste. Die beiden waren noch mitten im Spiel, als es klingelte. "Geh mal an die Tür, Paul!" meinte Robi, ohne auch nur den Blick vom Bildschirm zu nehmen.
"Wer bist denn du?" fragte ihn der Junge, wohl Mirko, mit üblem Akzent, lies ihn aber einfach stehen. Im Zimmer tauschte er dann Handschläge mit den Anderen.
"Ich mag Mirko nicht!" erklärte Paul, als der gerade auf der Toilette war. "Wieso, was war denn?" antwortete Robi zerstreut, war voll auf das Spiel konzentriert. "Er...er ist irgendwie anders!" versuchte Paul seine Gefühle in Worte zu fassen. Überrascht sah Robi vom Bildschirm auf, sah ihn scharf an. "Aber Paul, dass ist doch dumm!"

Dass war es dann gewesen. Mit fünfzehn hatte Paul die Schule geschmissen, niemanden mit dem er reden konnte und war von zu Hause ausgezogen. Am liebsten saß er unten am Fluss, in dessen Fluten dann ein Sixpack kühlte, starrte trostlos in die Ferne.
"Hey, was für ein Problem hat denn der?" hörte er jemanden hinter sich sagen. "Ach komm Sepp, lass den doch, dass is ne Gurke!" fluchte ein anderer. Langsam, er hatte schon ein paar Bier intus drehte Paul sich um. Es waren zwei Burschen, vielleicht ein paar Jahre älter als er. Einer von ihnen trat vor ihn hin, grinste ihn herausfordernd an. "Also Kleiner, was ist dein Problem?" Dann spuckte er, Sepp?, auf den Boden. "Ich...ich mag keine Ausländer!" gab Paul niedergeschlagen zu. Einen Moment schaute ihn der Andere ganz seltsam an, dann grinste er: "Wer mag Die schon!" und Paul fühlte sich verstanden.
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Alex,

keine Ahnung, warum hier noch niemand reagiert hat. Ich muß aber zugeben, daß ich mich auch schon eine Weile davor drücke. Woran liegt das? Der Text ist gut geschgrieben - klar und verständlich. Und schnörkellos - so, wie es der Stoff verdient. Liegt es vielleicht daran, daß der Weg des kleinen Jungen zu stark vereinfacht wird? Hast Du hier versucht, einen Romanstoff in eine Kurzgeschichte zu pressen? Die Entwicklung ist jedoch trotz aller Kürze nachvollziehbar geschildert - auch wenn hier nur wenige Begebenheiten herangezogen werden, die allein nicht prägend sein können. Aber die Grundaussage ist o.k.
Oder hängt allen dieses Thema lediglich schon zum Halse raus? Das wäre schade.

Gruß Ralph
 

Alex

Mitglied
Hallo Ralph,
warum keiner reagiert weiß ich auch nicht. Vielleicht liegts am Titel, aber den habe ich bewusst so gewählt, er ist Aussageträger.
Es sind tatsächlich nur Fragmente aus einem längeren Text, allerdings einer Kurzgeschichte mit ca. 50 Normseiten.
Aber ich denke, die Grundaussage kommt auch so herüber, von sich alleine sind drei Begebenheiten natürlich nicht prägend, aber wenn man sie als Beispiele für die Ablehnung nimmt, die dem Jungen immer wieder entgegenschlägt, denke ich ist es glaubhaft.
Auf jeden Fall danke ich dir für die Antwort, vielleicht folgen jetzt ja auch andere deinem Beispiel, mal sehen.

Tschau


Alex

"Der Text ist gut geschrieben - klar und verständlich. Und schnörkellos - so, wie es der Stoff verdient." Da kann ich einfach nur Danke sagen. (Ziel erreicht, Alex-klopf-selbst auf Schulter)
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Alex,
ich bis nur noch mal. Also, wenn das tatsächlich ein Extrakt aus 50 Normseiten ist, dann hast Du deinen Text aber verdammt gut zusammengebastelt. Hochachtung! Ich wollt', mir gelänge so etwas auch.

Gruß Ralph
 

Alex

Mitglied
Hallo Ralph,
Kein Extrakt, es sind Ausschnitte.
Es gibt wichtigere Begebenheiten, aber da hätte ich länger ausholen müssen, da komplizierter.
Da ich aber die Vorliebe der meisten LL-Leser zu kurzen Sachen (nicht du, hab ich ja bei der Diskussion gelesen) inzwischen kenne, habe ich mir die deutlichsten, ohne viel Erklärungen verständlichen herausgesucht.

"wollt', mir gelänge so etwas auch." Das geht nicht immer, kommt auf die Art des Textes an. Ich habe viele längere Sachen geschrieben, aber hier hatte ich zum ersten Mal etwas, wo es ging.
Gerade bei Zusammenhängendem Plot ist es meistens unmöglich, weil die Charaktere ohne Hintergrund völlig unverständlich handeln.

Bin aber trotzdem stolz, dass es mir anscheinend ganz gut gelungen ist.


Alex
 



 
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