Bunt sind schon die Wälder
„Hei, Fidi! Na, wieder über die alten Schriften?“ Alana klappte ihre Gleitflügel ein, schlüpfte aus dem Reiseanzug und setzte sich zu dem jungen Mann, der sich über vergilbte Papiere gebeugt hatte.
„Ja, es nimmt kein Ende. Bin gerade sehr nachdenklich über den Text eines Liedes. Hör mal zu: Bunt sind schon die Wälder, das ist gewiss eine Umschreibung für gebunden sind die Wälder, denn sie können ja nicht die Farbe wechseln, sie sind ja aus Polymer. Dann geht es weiter: gelb die Stoppelfelder, da denke ich, ist von einem unrasierten blonden Mann die Rede. So was gab es damals. Dann kommt: rote Blätter fallen, das stelle ich mir sehr romantisch vor, aber es wird gleich gekillt von der nächsten Zeile: graue Nebel wallen, kühler weht der Wind. Das finde ich sehr verwirrend.
In der nächsten Strophe heißt es: Wie die volle Traube aus dem Rosenlaube purpurfarbig strahlt. Das begreife ich ja nun überhaupt nicht. Was ist eine Traube, und womit ist sie voll? Und dann muss es doch heißen: aus der Rosenlaube, aber was soll das Kitschbild an der Stelle? Und wie kann eine Traube, was auch immer das sein mag, purpurfarbig strahlen? Womit mag sie nur verseucht sein?
Dann heißt es weiter: Am Geländer reifen, das muss doch wohl heißen: Im Gelände reifen, oder weißt du, was ein Geländer ist? Außerdem hatten sie ja damals sehr viel Platz auf der Erde. So, und was reift? Pfirsiche in Streifen rot und weiß bemalt. Das beweist doch eindeutig, dass schon die Menschen der Altzeit Sehnsucht nach unnatürlichem Obst hatten, nicht wahr.
Die dritte Strophe ist wieder recht romantisch: Geige tönt und Flöte . . .“
„Was tönt?“
„Geige und Flöte, das sind mittelalterliche Musikinstrumente aus Holz und Metall. Also Geige tönt und Flöte bei der Abendröte und im Mondesglanz. Ach, wer schreibt heutzutage noch so anrührende Texte?
Die letzte Zeile krönt das Ganze: Junge Winzerinnen, was für eine Spezies das ist, weiß ich leider nicht, wahrscheinlich irgendwelche Insekten, die finden ja überall etwas zu ernten, singen und beginnen ihren Erntetanz.
Stell dir nur vor, sie ernten und es sieht wie Tanzen aus! Ist das nicht überaus romantisch?“
„Ja, aber nun küss mich endlich. Du hast doch selber gesagt, dass ich jetzt im richtigen Alter für die Paarung bin. Schmeiß den alten Kram weg.“
Und zwei hübsche junge Menschen mit dem einheitlichen Grauton der Haut, den die Jahrhunderte lange Vermischung der Rassen erzeugt hatte, neigten sich einander zu und verschmolzen im Liebesspiel.
So geschehen in der Großstadt Luna Acht am 23. 5. 3142
„Hei, Fidi! Na, wieder über die alten Schriften?“ Alana klappte ihre Gleitflügel ein, schlüpfte aus dem Reiseanzug und setzte sich zu dem jungen Mann, der sich über vergilbte Papiere gebeugt hatte.
„Ja, es nimmt kein Ende. Bin gerade sehr nachdenklich über den Text eines Liedes. Hör mal zu: Bunt sind schon die Wälder, das ist gewiss eine Umschreibung für gebunden sind die Wälder, denn sie können ja nicht die Farbe wechseln, sie sind ja aus Polymer. Dann geht es weiter: gelb die Stoppelfelder, da denke ich, ist von einem unrasierten blonden Mann die Rede. So was gab es damals. Dann kommt: rote Blätter fallen, das stelle ich mir sehr romantisch vor, aber es wird gleich gekillt von der nächsten Zeile: graue Nebel wallen, kühler weht der Wind. Das finde ich sehr verwirrend.
In der nächsten Strophe heißt es: Wie die volle Traube aus dem Rosenlaube purpurfarbig strahlt. Das begreife ich ja nun überhaupt nicht. Was ist eine Traube, und womit ist sie voll? Und dann muss es doch heißen: aus der Rosenlaube, aber was soll das Kitschbild an der Stelle? Und wie kann eine Traube, was auch immer das sein mag, purpurfarbig strahlen? Womit mag sie nur verseucht sein?
Dann heißt es weiter: Am Geländer reifen, das muss doch wohl heißen: Im Gelände reifen, oder weißt du, was ein Geländer ist? Außerdem hatten sie ja damals sehr viel Platz auf der Erde. So, und was reift? Pfirsiche in Streifen rot und weiß bemalt. Das beweist doch eindeutig, dass schon die Menschen der Altzeit Sehnsucht nach unnatürlichem Obst hatten, nicht wahr.
Die dritte Strophe ist wieder recht romantisch: Geige tönt und Flöte . . .“
„Was tönt?“
„Geige und Flöte, das sind mittelalterliche Musikinstrumente aus Holz und Metall. Also Geige tönt und Flöte bei der Abendröte und im Mondesglanz. Ach, wer schreibt heutzutage noch so anrührende Texte?
Die letzte Zeile krönt das Ganze: Junge Winzerinnen, was für eine Spezies das ist, weiß ich leider nicht, wahrscheinlich irgendwelche Insekten, die finden ja überall etwas zu ernten, singen und beginnen ihren Erntetanz.
Stell dir nur vor, sie ernten und es sieht wie Tanzen aus! Ist das nicht überaus romantisch?“
„Ja, aber nun küss mich endlich. Du hast doch selber gesagt, dass ich jetzt im richtigen Alter für die Paarung bin. Schmeiß den alten Kram weg.“
Und zwei hübsche junge Menschen mit dem einheitlichen Grauton der Haut, den die Jahrhunderte lange Vermischung der Rassen erzeugt hatte, neigten sich einander zu und verschmolzen im Liebesspiel.
So geschehen in der Großstadt Luna Acht am 23. 5. 3142