Charlotte

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Celissa

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Charlotte


Der Wind pfiff durch mein Haar, dass es mir durch und durch ging. Ich blickte auf den großen alten Bau aus dem vorigen Jahrhundert und schluckte einige Male, ehe ich mich zur Eingangstür aufmachte. Ein kleiner Weg aus Kieselsteinen führte direkt zum Haus.
Ich hielt vor der schweren Eichentür und stellte meinen Koffer ab um anzuklopfen. Es dauerte eine geraume Zeit, bis ich Schritte auf mich zukommen hörte. Mit einem dumpfen Knarren wurde die Tür langsam geöffnet. Eine kleine ältere Frau mit einer spitzen Nase und einem noch spitzerem Kinn stand vor mir und blickte mich mit großen Augen an.
"Sie wünschen?", fragte sie grimmig.
"Gu... Guten Tag!", stotterte ich und schalt mich eine Närrin, weil ich mich von dieser Frau so leicht aus der Fassung bringen ließ. "Mein Name ist Charlotte Kingston. Mein Wagen hatte eine Panne." Als sie nicht reagierte, fuhr ich hastig fort: "Ich wollte Sie um eine Bleibe für eine Nacht bitten. Es wird bald dunkel und..."
"Wenn es sein muss", unterbrach sie mich und ließ mich eintreten. "Mein Name ist Hannah, ich bin die Haushälterin."
Ich nickte dankbar und schritt durch die Tür. Was mich im Haus für ein Anblick erwartete, raubte mir schier den Atem.
Die Eingangshalle war dunkel, aber prunkvoll eingerichtet. Der Luster spendete nur wenig Licht. Schwere Vorhänge, die bis zum Boden reichten, trugen nicht gerade zur Helligkeit bei. Auf eine gewisse Weise wirkte das Haus bedrückend und auch ein wenig unheimlich.
"Folgen Sie mir", riss sie mich aus meinen Gedanken.
Sie führte mich die Treppe hinauf und am Ende des Ganges blieben wir stehen. Es mussten sich alleine in diesem Stockwerk an die zehn Zimmer befinden und beim Vorbeigehen bemerkte ich eine weitere Treppe, die steil nach oben führte.
"Ich werde morgen einem unserer Mechaniker bescheid geben. Er wird sich dann ihr Auto ansehen", sagte sie ohne mich anzublicken.
"Das ist sehr nett von Ihnen, vielen Dank." Das war meine Chance ein Gespräch mit ihr zu führen. "Wer wohnt hier in diesem wundervollen Haus? Ich habe noch niemanden außer Ihnen gesehen. So ein riesiges Haus benötigt doch bestimmt viel Personal?"
Sie funkelte mich an und blieb bei der letzten Tür des Ganges stehen und während dem Öffnen sagte sie: "Der Graf wohnt hier. Kommen Sie, hier können Sie übernachten."
Die Tür schwang auf und wir traten ein. Ich stellte meinen Koffer neben dem großen Bett ab und wandte mich der Frau zu. Ausdruckslos sah sie mich an, ohne jegliche Regung in ihren Zügen.
Einige Sekunden herrschte unheimliches Schweigen bis ich es nicht mehr aushielt und sagte: "Das Zimmer ist wunderschön. Ich möchte mich nochmals bedanken für Ihre Gastfreundschaft."
Sie nickte und wollte gerade das Zimmer wieder verlassen als sie sich noch mal umdrehte und meinte: "Wenn Sie hungrig sind kommen Sie in einer halben Stunde in die Küche. Die befindet sich neben der Eingangshalle. Ich werde da sein. Doch verhalten Sie sich ruhig, der Herr duldet keinen Lärm."
Als ich gerade antworten wollte, warf sie die Tür ins Schloss und ließ mich alleine zurück. Ich rührte mich nicht von der Stelle bis sich ihre Schritte entfernt hatten, erst dann begutachte ich meine neue Bleibe eingehend. Während ich mich frisch machte grübelte ich noch über ihre Worte nach. Schüttelte dann aber jeden Gedanken ab und sagte mir, dass ich mir ihre abweisende Art nur einbildete.
Eine halbe Stunde später stand ich unten in der Eingangshalle und lauschte in die Stille. Bis jetzt war ich noch keinem Personal oder dem Grafen selbst begegnet. Nicht das kleinste Geräusch war zu vernehmen. Ich ging ein paar Schritte in die Richtung wo sich die meisten Türen befanden und öffnete eine nach der anderen.
Bereits bei der zweiten hatte ich Glück. Ich hatte die Küche gefunden. Ein himmlischer Bratenduft wehte mir entgegen und erst jetzt bemerkte ich wie hungrig ich war.
Da ich mich alleine in der Küche befand, beschloss ich, mich ein wenig umzusehen. Es gab nicht viel Auffälliges zu sehen. Küchengeräte, Geschirr und Lebensmittel, dennoch spürte ich, dass hier etwas nicht in Ordnung war.
Mein Gefühl täuschte mich nicht. Als ich mich der Spüle näherte, fand ich ein großes Messer über und über mit Blut befleckt. Vor Schreck wich ich zurück und stieß dabei an einen Topf, der daraufhin unangenehm laut zu Boden fiel. Ich konnte einen leichten Aufschrei nicht unterdrücken.
"Was machen Sie hier?", zischte es aus der Richtung der Tür.
Es war Hannah, sie stand in der Tür und voller Schrecken bemerkte ich, dass auch ihre Schürze voller Blut war.
"Sie meinten... ich... sollte zum Essen runter kommen", stockte ich. Ich spürte wie mir die Farbe aus dem Gesicht wich.
"Ich habe aber auch gesagt, dass Sie keinen Lärm machen sollten. Folgen Sie mir. Ihr Abendessen ist fertig." Dann setzte sie sich in Bewegung.
Das Esszimmer, ich nahm an für das Personal, lag auf der gegenüberliegenden Seite der Küchentür.
Beim Essen war ich wieder allein. Noch immer saß mir der Schreck in den Knochen und ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Außerdem machte mich die Stille verrückt. Nach dem Essen ging ich auf mein Zimmer und sofort ins Bett. Mein einziger Wunsch war nur noch diesen Tag hinter mich zu bringen und dieses eigenartige Schwindelgefühl loszuwerden.
Mitten in der Nacht schrak ich auf. Ich wusste, dass ich durch ein Geräusch aufgeweckt worden war. Ich lauschte in die Dunkelheit, aber ich konnte nichts außer meinen Atem hören. Gerade als ich mich halbwegs beruhigt und wieder in meine Decke gekuschelt hatte, hörte ich es! Ein Schrei! Ein gellender, lang gezogener Schrei. . Er klang fürchterlich und ging mir durch Mark und Bein.
Trotz meiner Ängste stand ich auf und verließ mein Zimmer um der Sache auf den Grund zu gehen. Ich ging auf Zehenspitzen die Treppe hinunter. In der Eingangshalle war es zwar dunkel, aber der Vollmond spendete mir genügend Licht. Ich spähte vorsichtig in die Küche, doch es war nichts zu sehen.
Ein dumpfes Geräusch, das nach einem Jammern klang, drang an mein Ohr. Es kam eindeutig aus einer anderen Richtung und auch aus einem anderen Stockwerk. Ich hielt nach einer Treppe Ausschau, die in den Keller führte. Die oberen Räume konnte ich mir sparen. Zum einen weil ich vermutete, dass sich dort die Räume des Hausherren befanden und zum anderen, weil die Geräusche eindeutig nicht von oben kamen.
Lange musste ich nicht suchen. Die Kellertür stand einen Spalt breit offen, sodass ich problemlos hindurchhuschen konnte.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals, während ich mit kleinen Schritten hinab stieg. Das Jammern wurde leiser, bis es ganz verstummte. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken runter, dennoch riss ich mich zusammen und ging mutig weiter.
Unten angekommen spähte ich in den vor mir liegenden Raum. Für einen Keller war er überaus groß, was mich aber nicht weiter wunderte, wenn ich an die Größe des Hauses dachte.
Ich sah nichts. Es gab zwei Türen, eine davon stand offen und eine undefinierbare Flüssigkeit breitete sich davor aus. Vorsichtig näherte ich mich der Stelle und ließ mich davor nieder. Mit den Fingerspitzen berührte ich die Flüssigkeit um sie mir genauer anzusehen. Kein Zweifel, es war Blut! Handelte es sich hierbei um dasselbe Blut welches ich in der Küche auf dem Messer und an Hannahs Schürze entdeckt hatte? Was hatte das alles zu bedeuten? In was für eine Hölle war ich hier geraten?
Geräusche, die aus dem anderen Raum drangen, rissen mich aus meinen Gedanken. Blitzartig schreckte ich hoch und stieß mir dabei den Kopf. Ich unterdrückte einen Schrei und suchte mir mit schmerzverzerrtem Gesicht ein Versteck. Ich quetschte mich hinter ein schäbiges Bücherregal und wartete gespannt ab was als nächstes geschehen würde.
Hannah und eine Gestalt mit Buckel und an die zwei Meter groß, kamen aus dem Raum. Sein Gesicht war durch eine Kapuze verdeckt. An dem Kerl klebte ebenfalls Blut. Ein süßlicher Geruch lag in der Luft.
"Du musst dich noch gedulden bis zu deiner Verwandlung. Wir müssen abwarten ob die Kleine ausreichend war", sagte Hannah zu der Gestalt.
Was sie da sagte, machte mir große Angst. Die Art wie sie sich ausdrückte, verlieh dem Gesagten noch einen besonderen Nachdruck.
Der Bucklige grunzte und schmatzte vor sich hin. Ekel überkam mich bei dem Anblick. Ich musste mich ruhig verhalten und konzentrierte mich darauf, mich nicht zu übergeben.
Hannah und dieses Monster stapften an mir vorbei ohne mich zu bemerken. Ich stand wie zur Salzsäule erstarrt da und wagte nicht zu atmen. Nun musste ich herausfinden was hier geschehen war, auch wenn ich Todesängste ausstand.
Der Geruch schnürte mir die Kehle zu und brachte meine Augen zum Tränen. Wer waren diese beiden und wovon hatte Hannah gesprochen? Diese Fragen quälten mich, doch am meisten fürchtete ich mich davor, was ich in dem Raum erblicken würde, aus dem Hannah und die vermummte Gestalt gekommen waren.
Als ich sicher war, alleine im Keller zu sein, kam ich von meinem Versteck hervor. Ich hielt nach etwas Ausschau, das ich im Notfall als Waffe benutzen konnte, aber ich fand nichts, was sich zur Verteidigung eignete. Also ging ich tapfer weiter.
Schritt für Schritt näherte ich mich der Tür. Nun war ich nur noch eine Armlänge entfernt. Ich legte meine Hand auf die Klinke, zählte in Gedanken bis zehn und atmete ein paar Mal tief durch, ehe ich die Tür mit einem gewaltigen Ruck aufriss.
Mit schreckensgeweiteten Augen starrte ich auf das, was vor mir lag. Ein verstümmeltes Etwas, zerfressen und angeknabbert lag es mit aufgerissenem Körper vor mir. Beißender Geruch stieg in meine Nase, sodass ich ins Wanken geriet und neben der Leiche hinfiel. Nun war ich mit ihr auf selber Höhe und konnte ihr direkt ins Gesicht blicken.
Zuerst ein gequältes und dann immer hysterischer werdendes Schreien kam über meine Lippen. In diesem Moment verlor ich meinen Verstand und ich konnte nur noch schreien.
Die Leiche war ich selbst!
 



 
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