Damals heute

sarah.w

Mitglied
Hallo an alle :)


Ich veröffentliche hier meine erste Geschichte in diesem Forum. Die Geschichte stammt von meiner Coautorin Nadine d\'Arachart und mir. Sie wurde vergangenes Jahr vom Buchjournal prämiert (Platz 4-20). Viel Spaß beim Lesen, Kritik ist immer willkommen!

Liebe Grüße :)


Damals heute


Erinnerungen. Diese Nacht war perfekt. Ich hatte dich.

Ich lehne die Stirn an deine kalte Wohnungstür. Draußen vor dem Flurfenster regnet sich der Himmel leer und Blitze zucken über den dunklen Nachbarhäusern. Meine dünnen Schuhe sind nass, das Kleid klebt wie ein aufdringlicher Liebhaber an meinen Oberschenkeln. Es ist ekelhaft. Diese ganze Nacht ist es, der vorhergehende Tag war es. Dein Schlüssel wiegt so schwer in meiner Hand, trotzdem hebe ich sie…

Diese Nacht war perfekt. Ich hatte dich schon vorher beobachtet, dich aufgesogen, dich geliebt. Jede unserer Begegnungen, die dir zufällig erschienen, genutzt, um mir dich einzuprägen. Es schien so unwahrscheinlich, dass du mich wahrnimmst. Du, mit deinem perfekten Gesicht. Doch dann hast du es getan.


Ich betrete deine Wohnung. Die Luft ist abgestanden. Ein Foto von uns begrüßt mich. Es hängt im Korridor, damit jeder sofort weiß, wem du gehörst, wem ich gehöre. Wieso sind wir nie zusammengezogen? Weil du immer zu sehr du warst und ich zu wenig? Du irrst dich. Immer wenn du dich mit deinen Nadeln durchbohrt hast, dann war es, als würdest du auch mich durchbohren. Doch das war vergessen, sollte vergessen sein. Jetzt ist die Angst wieder da. Ich durchquere den Flur, die nassen Schuhe in der Hand. Ich flüstere deinen Namen und lege Entschuldigung in meinen Tonfall. Entschuldigung für gestern. Du antwortest nicht. Bist du da?

Dann hast du mich angesprochen, einfach so. Auf dem Geburtstagsfest deines Bruders, in eurem Elternhaus, am Waldrand. Du hast mich in dein Leben gezogen. Mich mitgenommen an deinen Lieblingsort, den alten Dachboden. Wir haben Fotos gemacht. Eins davon, das Schönste, hängt im Flur. Wir haben im warmen Stroh gelegen. Auch deine Hand war warm und deine Lippen waren es. In dieser Nacht.

Die Tür zum Wohnzimmer fehlte. Ich dachte, es würde in deinem Flur spuken und so hast du sie wieder eingehängt. Als du sie angehoben hast, konnte ich die Löcher in deiner Armbeuge sehen und die blauen Flecken, wie dunkle Wolken auf deiner blassen Haut. Du hast mich in die Arme genommen, mich beruhigt. Du würdest alles in den Griff kriegen für mich. Mit mir. Du hast meine Empörung niedergekämpft, die halbe Nacht lang, damals vor fünf Jahren und deine Augen waren opiatisch trüb. Dein Wohnzimmer ist jetzt dunkel, alles ist grau. Windhexen aus Erinnerungen wehen von links nach rechts. Damals warst du das Ungeheuer, weil du dich zerstörtest. Was war ich gestern? Was habe ich zerstört?

In dieser Nacht haben wir darüber gesprochen, einfach ans Meer zu fahren und nie mehr zurückzukehren. Wenn wir alt und grau sind, würden wir Hand in Hand in den Ozean gehen und gemeinsam ertrinken. Du machtest diesen Plan, während die anderen draußen feierten und es gab nur uns zwei. Du blicktest mir in die Augen, als wolltest du fragen, ob ich das mit dir tun würde. Ich liebte alles.

Die ganze Wohnung ist dunkel. Gestern, nachdem wir einander angeschrieen hatten, glaubte ich, dass ich deine Wohnung nie wieder betreten würde. Es war erniedrigend, ich habe mich geschämt. Wie muss es erst für dich gewesen sein? Ich war nackt, mein blutrotes Kleid lag auf dem Boden unter deinen Schuhen. Es war das Hochzeitsfest meiner Schwester. Ich erröte, selbst hier, allein in der Dunkelheit. Ich möchte dir alles erklären. Der Andere gab mir das Gefühl, dass er mich nie durchbohren würde. Du hast mich gefragt, ob ich ihn liebe, ob Gefühle im Spiel sind. Ich habe dir nicht antworten können, die anderen Hochzeitsgäste kamen angelaufen. Du hast die Tür zum Gästezimmer abgeschlossen, hast uns drei darin eingeschlossen, mich, dich und ihn. Deine blauen Augen waren voller Zorn und Trauer. Du warst verletzt. Ich habe dich verletzt, nicht deine Nadeln…

Ich liebte alles an dir, auch deinen Wahn. Unter uns, im Wohnzimmer, tanzten sie und um Mitternacht gab es ein Feuerwerk. Ich beobachtete seinen Widerschein in deinem Blick, während du hinaus in die Nacht sahst. Du sagtest, du hasst Feste wie dieses, doch den Grund wolltest du mir nicht nennen. Deine warme Stirn lehnte an meiner und du sagtest, du wollest süchtig nach mir werden. Mich in deinen Venen spüren. Ich hielt es für Gerede, doch mein Herz raste. Ich sah in den Nachthimmel und glaubte, mich darin verlieren zu müssen.

Du hast mich vom Gästebett gezogen, warst zwischen Hass und Trauer. Ich wollte dich trösten, stattdessen riss ich mich los und bedeckte mich mit dem verschwitzten Laken. Er saß, längst angezogen, schweigend da. So lange hatte er sich um mich bemüht, war besorgt. Er ist das Gegenteil von dir. Ich flüstere wieder deinen Namen, lauter jetzt. Meine Stimme zittert. Gestern bist du einfach abgehauen. Ich habe dich gehen lassen, mit dunklen Wolken in deinen Augen.

Dann sah ich in deine Augen und glaubte, mich darin verlieren zu können. Ich war fünfundzwanzig. Es schien verlockend, für den Rest meines Lebens ein Teil von dir zu sein und dann in dir zu ertrinken. Ich malte mit rosa Lippenstift ein Herz.

Du hast für mich aufgehört, nachdem wir die Tür wieder eingehängt haben. Drei Mal. Beim ersten Mal habe ich mich mit dir hier eingeschlossen. Immer, wenn ich das Schlafzimmer betrete, muss ich daran denken. Wie du geschrieen hast. Ich saß draußen vor der Tür. Zu meiner Sicherheit, hast du gesagt und ich sah Sorge in deinen Augen. Ich saß auf meinen Händen, um die Tür nicht zu öffnen und dir zu geben, wonach du verlangst. Du schriest nach mir, aber ich wusste, dass du etwas anderes meintest. Freiheit. Träume. Wir haben das ganze Gift durchs Klo gespült. Beim zweiten Mal bist du verschwunden, einfach so, für drei Wochen. Als du wieder kamst, haben deine Augen geleuchtet. Nicht durch den Rausch, sondern vor Stolz. Beim dritten Mal gingst du in eine Klinik. Du warst achtundzwanzig, hattest dich krank gefixt. Unter Tränen habe ich dir gesagt, dass es das letzte Mal ist. Du nahmst schweigend meine Hand, in deiner steckte ein Zugang, das Plastik war hellgrün. In deinen Augen lag Entschlossenheit. Es war schwer damals, ich war versunken in Büchern über deine Sucht. Heroin Nummer eins, zwei, drei, vier. Mutter sagte, ich sei obsessiv, eine Co-Abhängige, doch ich glaubte ihr nicht. Heute Nacht weiß ich nicht, was ich glauben soll. Im Schlafzimmer ist es kalt, die Luft ist schneidend. Deine Laken sind zerwühlt. Über dem Bett hängt ein Foto von uns. Deine blauen Augen sehen mich verliebt an. Ich senke den Blick. Auf dem Boden liegt der Anzug, den du gestern getragen hast. Ich lasse meine nassen Schuhe fallen und knie mich hin. Du hasst Anzüge.

Ich malte mit rosa Lippenstift ein Herz auf die Windschutzscheibe deines klapprigen Wagens, genau in dein Sichtfeld. Du solltest es wissen, jeder sollte es wissen. Wir setzten uns auf die Motorhaube, saßen im Sonnenaufgang und erzählten einander unsere Leben, während die anderen in eurem Garten feierten. Wir waren glücklich.

Ich komme mir schlecht dabei vor, deine Taschen zu durchsuchen und dir zu misstrauen. Du hättest mir misstrauen sollen. Wie sich herausgestellt hat, bin ich die Untreue, die Verräterin. Ich will es dir erklären. Ich will dir sagen, was für eine Angst ich hatte, weil du dauernd weg warst in den letzten Wochen und du mir nie sagen konntest, wo. Ich glaubte nicht, dass du eine Andere hast. Ich glaubte, wie Mutter, dass du wieder angefangen hast. In meinem Kopf sah ich dich an Bahnhöfen, sah dich in deinem Wagen, dich mit Nadeln durchbohrend, uns. Er ist ein Freund der Familie, Mutter hatte ihm erzählt, was wir hinter uns haben. Er versprach mir so viel, rief mich an und fragte, wie es mir ging, immer, wenn ich wieder mal auf dich wartete in der letzten Zeit. Er machte mir Komplimente, wie stark ich sei. Umgarnte mich. Du musstest mich dir einfach nur nehmen, damals. Erinnerst du dich? Ich greife in deine Hosentasche, vorsichtig, um mich nicht zu pieksen, doch ich finde keine Nadel. Ich finde eine Schachtel. Öffne sie, erstarre. Der Ring ist perfekt.


Wir waren glücklich, schienen eine Zukunft zu haben. Die Morgensonne war warm und tauchte alles in ein unwirkliches Licht, vor allem dich, mit deinem Lachen. Wir konnten nicht aufhören, einander Dinge zu erzählen. Erinnerungen. Peinlichkeiten. Pläne. Ich habe dir von Vegas erzählt.


Ich stehe auf. Jetzt rufe ich deinen Namen, doch du antwortest nicht. In der Innentasche deiner Anzugjacke waren Flugtickets. Nach Las Vegas. Ich reiße den Wandschrank auf. Einmal habe ich dich darin gefunden. Paranoid, zitternd, high. Jetzt ist er nur voll Kleidung. Ganz am Rand hängen Kleidersäcke. Ich öffne sie. Ein Anzug und ein rotes Kleid, besser als das von gestern. Du hast es gekauft, hast es für Vegas gekauft, das weiß ich. Mir wird schwindelig. Deshalb warst du so oft weg in der letzten Zeit, oder?

Ich habe dir von Vegas erzählt und bin rot geworden. Du mochtest die Idee. Aber was mochtest du nicht an diesem Morgen? Eine neue Liebe, ein romantischer Tod am Meer, eine verrückte Hochzeit in Vegas. Wir haben Luftschlösser gebaut.


Du wolltest meins Wahrheit werden lassen. Ich rufe dich noch mal, die Panik erreicht meine Stimme, bevor sie meinen Kopf erreicht. Willst du es noch, nach gestern? Ich kann nicht glauben, dass ich dich so verletzen konnte. Küche oder Bad. Beides gleich weit. Bad. Ich reiße die Tür auf und finde dich. Dein perfektes Gesicht, deine bläulich marmorierte Haut. Ich stürze zu dir. Die Nadel steckt in deinem Arm, schwarz getrocknetes Blut aus deiner durchbohrten Vene umrahmt sie. Du sitzt vor der Wanne, zusammengekauert, den Gürtel deiner Jeans um den blassen Arm geschlungen. Ich kann nichts tun, außer deinen Namen schreien. Deine blauen Augen starren leblos. Meine Finger tasten zitternd deinen Puls. Doch du bist kalt und dein Blick sagt, dass das unser Ende ist.

Erinnerungen. Erst, als das Fest vorbei war, liefen wir durchs taunasse Gras ins Haus. Du bliebst vor der Tür stehen und sagtest, dass wir jetzt einander gehören und dass es dich umbringen würde, wenn sich das ändert. Ich lächelte und wir küssten uns. Ich liebte alles an dir. Auch deinen Wahnsinn.
 

sarah.w

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Damals heute


Erinnerungen. Diese Nacht war perfekt. Ich hatte dich.

Ich lehne die Stirn an deine kalte Wohnungstür. Draußen vor dem Flurfenster regnet sich der Himmel leer und Blitze zucken über den dunklen Nachbarhäusern. Meine dünnen Schuhe sind nass, das Kleid klebt wie ein aufdringlicher Liebhaber an meinen Oberschenkeln. Es ist ekelhaft. Diese ganze Nacht ist es, der vorhergehende Tag war es. Dein Schlüssel wiegt so schwer in meiner Hand, trotzdem hebe ich sie…

Diese Nacht war perfekt. Ich hatte dich schon vorher beobachtet, dich aufgesogen, dich geliebt. Jede unserer Begegnungen, die dir zufällig erschienen, genutzt, um mir dich einzuprägen. Es schien so unwahrscheinlich, dass du mich wahrnimmst. Du, mit deinem perfekten Gesicht. Doch dann hast du es getan.


Ich betrete deine Wohnung. Die Luft ist abgestanden. Ein Foto von uns begrüßt mich. Es hängt im Korridor, damit jeder sofort weiß, wem du gehörst, wem ich gehöre. Wieso sind wir nie zusammengezogen? Weil du immer zu sehr du warst und ich zu wenig? Du irrst dich. Immer wenn du dich mit deinen Nadeln durchbohrt hast, dann war es, als würdest du auch mich durchbohren. Doch das war vergessen, sollte vergessen sein. Jetzt ist die Angst wieder da. Ich durchquere den Flur, die nassen Schuhe in der Hand. Ich flüstere deinen Namen und lege Entschuldigung in meinen Tonfall. Entschuldigung für gestern. Du antwortest nicht. Bist du da?

Dann hast du mich angesprochen, einfach so. Auf dem Geburtstagsfest deines Bruders, in eurem Elternhaus, am Waldrand. Du hast mich in dein Leben gezogen. Mich mitgenommen an deinen Lieblingsort, den alten Dachboden. Wir haben Fotos gemacht. Eins davon, das Schönste, hängt im Flur. Wir haben im warmen Stroh gelegen. Auch deine Hand war warm und deine Lippen waren es. In dieser Nacht.

Die Tür zum Wohnzimmer fehlte. Ich dachte, es würde in deinem Flur spuken und so hast du sie wieder eingehängt. Als du sie angehoben hast, konnte ich die Löcher in deiner Armbeuge sehen und die blauen Flecken, wie dunkle Wolken auf deiner blassen Haut. Du hast mich in die Arme genommen, mich beruhigt. Du würdest alles in den Griff kriegen für mich. Mit mir. Du hast meine Empörung niedergekämpft, die halbe Nacht lang, damals vor fünf Jahren und deine Augen waren opiatisch trüb. Dein Wohnzimmer ist jetzt dunkel, alles ist grau. Windhexen aus Erinnerungen wehen von links nach rechts. Damals warst du das Ungeheuer, weil du dich zerstörtest. Was war ich gestern? Was habe ich zerstört?

In dieser Nacht haben wir darüber gesprochen, einfach ans Meer zu fahren und nie mehr zurückzukehren. Wenn wir alt und grau sind, würden wir Hand in Hand in den Ozean gehen und gemeinsam ertrinken. Du machtest diesen Plan, während die anderen draußen feierten und es gab nur uns zwei. Du blicktest mir in die Augen, als wolltest du fragen, ob ich das mit dir tun würde. Ich liebte alles.

Die ganze Wohnung ist dunkel. Gestern, nachdem wir einander angeschrieen hatten, glaubte ich, dass ich deine Wohnung nie wieder betreten würde. Es war erniedrigend, ich habe mich geschämt. Wie muss es erst für dich gewesen sein? Ich war nackt, mein blutrotes Kleid lag auf dem Boden unter deinen Schuhen. Es war das Hochzeitsfest meiner Schwester. Ich erröte, selbst hier, allein in der Dunkelheit. Ich möchte dir alles erklären. Der Andere gab mir das Gefühl, dass er mich nie durchbohren würde. Du hast mich gefragt, ob ich ihn liebe, ob Gefühle im Spiel sind. Ich habe dir nicht antworten können, die anderen Hochzeitsgäste kamen angelaufen. Du hast die Tür zum Gästezimmer abgeschlossen, hast uns drei darin eingeschlossen, mich, dich und ihn. Deine blauen Augen waren voller Zorn und Trauer. Du warst verletzt. Ich habe dich verletzt, nicht deine Nadeln…

Ich liebte alles an dir, auch deinen Wahn. Unter uns, im Wohnzimmer, tanzten sie und um Mitternacht gab es ein Feuerwerk. Ich beobachtete seinen Widerschein in deinem Blick, während du hinaus in die Nacht sahst. Du sagtest, du hasst Feste wie dieses, doch den Grund wolltest du mir nicht nennen. Deine warme Stirn lehnte an meiner und du sagtest, du wollest süchtig nach mir werden. Mich in deinen Venen spüren. Ich hielt es für Gerede, doch mein Herz raste. Ich sah in den Nachthimmel und glaubte, mich darin verlieren zu müssen.

Du hast mich vom Gästebett gezogen, warst zwischen Hass und Trauer. Ich wollte dich trösten, stattdessen riss ich mich los und bedeckte mich mit dem verschwitzten Laken. Er saß, längst angezogen, schweigend da. So lange hatte er sich um mich bemüht, war besorgt. Er ist das Gegenteil von dir. Ich flüstere wieder deinen Namen, lauter jetzt. Meine Stimme zittert. Gestern bist du einfach abgehauen. Ich habe dich gehen lassen, mit dunklen Wolken in deinen Augen.

Dann sah ich in deine Augen und glaubte, mich darin verlieren zu können. Ich war fünfundzwanzig. Es schien verlockend, für den Rest meines Lebens ein Teil von dir zu sein und dann in dir zu ertrinken. Ich malte mit rosa Lippenstift ein Herz.

Du hast für mich aufgehört, nachdem wir die Tür wieder eingehängt haben. Drei Mal. Beim ersten Mal habe ich mich mit dir hier eingeschlossen. Immer, wenn ich das Schlafzimmer betrete, muss ich daran denken. Wie du geschrieen hast. Ich saß draußen vor der Tür. Zu meiner Sicherheit, hast du gesagt und ich sah Sorge in deinen Augen. Ich saß auf meinen Händen, um die Tür nicht zu öffnen und dir zu geben, wonach du verlangst. Du schriest nach mir, aber ich wusste, dass du etwas anderes meintest. Freiheit. Träume. Wir haben das ganze Gift durchs Klo gespült. Beim zweiten Mal bist du verschwunden, einfach so, für drei Wochen. Als du wieder kamst, haben deine Augen geleuchtet. Nicht durch den Rausch, sondern vor Stolz. Beim dritten Mal gingst du in eine Klinik. Du warst achtundzwanzig, hattest dich krank gefixt. Unter Tränen habe ich dir gesagt, dass es das letzte Mal ist. Du nahmst schweigend meine Hand, in deiner steckte ein Zugang, das Plastik war hellgrün. In deinen Augen lag Entschlossenheit. Es war schwer damals, ich war versunken in Büchern über deine Sucht. Heroin Nummer eins, zwei, drei, vier. Mutter sagte, ich sei obsessiv, eine Co-Abhängige, doch ich glaubte ihr nicht. Heute Nacht weiß ich nicht, was ich glauben soll. Im Schlafzimmer ist es kalt, die Luft ist schneidend. Deine Laken sind zerwühlt. Über dem Bett hängt ein Foto von uns. Deine blauen Augen sehen mich verliebt an. Ich senke den Blick. Auf dem Boden liegt der Anzug, den du gestern getragen hast. Ich lasse meine nassen Schuhe fallen und knie mich hin. Du hasst Anzüge.

Ich malte mit rosa Lippenstift ein Herz auf die Windschutzscheibe deines klapprigen Wagens, genau in dein Sichtfeld. Du solltest es wissen, jeder sollte es wissen. Wir setzten uns auf die Motorhaube, saßen im Sonnenaufgang und erzählten einander unsere Leben, während die anderen in eurem Garten feierten. Wir waren glücklich.

Ich komme mir schlecht dabei vor, deine Taschen zu durchsuchen und dir zu misstrauen. Du hättest mir misstrauen sollen. Wie sich herausgestellt hat, bin ich die Untreue, die Verräterin. Ich will es dir erklären. Ich will dir sagen, was für eine Angst ich hatte, weil du dauernd weg warst in den letzten Wochen und du mir nie sagen konntest, wo. Ich glaubte nicht, dass du eine Andere hast. Ich glaubte, wie Mutter, dass du wieder angefangen hast. In meinem Kopf sah ich dich an Bahnhöfen, sah dich in deinem Wagen, dich mit Nadeln durchbohrend, uns. Er ist ein Freund der Familie, Mutter hatte ihm erzählt, was wir hinter uns haben. Er versprach mir so viel, rief mich an und fragte, wie es mir ging, immer, wenn ich wieder mal auf dich wartete in der letzten Zeit. Er machte mir Komplimente, wie stark ich sei. Umgarnte mich. Du musstest mich dir einfach nur nehmen, damals. Erinnerst du dich? Ich greife in deine Hosentasche, vorsichtig, um mich nicht zu pieksen, doch ich finde keine Nadel. Ich finde eine Schachtel. Öffne sie, erstarre. Der Ring ist perfekt.


Wir waren glücklich, schienen eine Zukunft zu haben. Die Morgensonne war warm und tauchte alles in ein unwirkliches Licht, vor allem dich, mit deinem Lachen. Wir konnten nicht aufhören, einander Dinge zu erzählen. Erinnerungen. Peinlichkeiten. Pläne. Ich habe dir von Vegas erzählt.


Ich stehe auf. Jetzt rufe ich deinen Namen, doch du antwortest nicht. In der Innentasche deiner Anzugjacke waren Flugtickets. Nach Las Vegas. Ich reiße den Wandschrank auf. Einmal habe ich dich darin gefunden. Paranoid, zitternd, high. Jetzt ist er nur voll Kleidung. Ganz am Rand hängen Kleidersäcke. Ich öffne sie. Ein Anzug und ein rotes Kleid, besser als das von gestern. Du hast es gekauft, hast es für Vegas gekauft, das weiß ich. Mir wird schwindelig. Deshalb warst du so oft weg in der letzten Zeit, oder?

Ich habe dir von Vegas erzählt und bin rot geworden. Du mochtest die Idee. Aber was mochtest du nicht an diesem Morgen? Eine neue Liebe, ein romantischer Tod am Meer, eine verrückte Hochzeit in Vegas. Wir haben Luftschlösser gebaut.


Du wolltest meins Wahrheit werden lassen. Ich rufe dich noch mal, die Panik erreicht meine Stimme, bevor sie meinen Kopf erreicht. Willst du es noch, nach gestern? Ich kann nicht glauben, dass ich dich so verletzen konnte. Küche oder Bad. Beides gleich weit. Bad. Ich reiße die Tür auf und finde dich. Dein perfektes Gesicht, deine bläulich marmorierte Haut. Ich stürze zu dir. Die Nadel steckt in deinem Arm, schwarz getrocknetes Blut aus deiner durchbohrten Vene umrahmt sie. Du sitzt vor der Wanne, zusammengekauert, den Gürtel deiner Jeans um den blassen Arm geschlungen. Ich kann nichts tun, außer deinen Namen schreien. Deine blauen Augen starren leblos. Meine Finger tasten zitternd deinen Puls. Doch du bist kalt und dein Blick sagt, dass das unser Ende ist.

Erinnerungen. Erst, als das Fest vorbei war, liefen wir durchs taunasse Gras ins Haus. Du bliebst vor der Tür stehen und sagtest, dass wir jetzt einander gehören und dass es dich umbringen würde, wenn sich das ändert. Ich lächelte und wir küssten uns. Ich liebte alles an dir. Auch deinen Wahnsinn.
 



 
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