Das Fundament – Der Basisplot

FrankK

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Das Fundament – Der Basisplot
Jeder Geschichtenerzähler folgt mit seiner Geschichte mehr oder weniger bewusst einer bestimmten Struktur, um seine Geschichte „an den Mann“ zu bringen. Diese „Strukturen“ ähneln sich nicht nur, es gibt nur eine begrenzte Anzahl. Christopher Booker hat 2004 mit den „Seven Basic Plots“{*1} sieben grundlegende Erzählstrukturen definiert, die sich durch die gesamte Menschheitsgeschichte ziehen und die man bis heute in Werbespots, erfolgreichen Kinoproduktionen, einfachen Kurzgeschichten in Boulevardblättern und Romanen in Millionenauflage finden kann.

Die sieben Grundplots
Plot 1: Der Kampf
(David gegen Goliath)
Gut gegen Böse, Arm gegen Reich, der Schwache gegen den Starken. Die Leser lieben die Geschichte vom sympathischen Niemand, der den bösen Unterdrücker bezwingt – oder zumindest in die Schranken verweist.

Plot 2: Die Wandlung
(Vom Tellerwäscher zum Millionär, vom Saulus zum Paulus)
Fast jeder kennt wohl die Geschichten um „Rocky“, dem mittelmäßigen Boxer, der durch harte Arbeit und Ausdauer zum Champion wurde. Oder die Geschichte von Ebenezer Scrooge, der sich in Charles Dickens „A Christmas Carol“{*2|*3} von einem alten, grantigen Geizhals innerhalb einer Nacht zu einem Menschenfreund verwandelt.

Plot 3: Die Suche
(Wo ist es denn?)
Schnitzeljäger, Schatzsucher – dies sind Themen, mit denen die Abenteuer aufwarten können. Nicht nur Gold und Schätze sind das Ziel, auch Ruhm und Ehre. Wir sind vertraut mit Helden wie Indiana Jones. Wie gerne wären die Leser so wie diese Helden. Werbespots nutzen diesen Traum, um ihre Produkte an den Mann (oder die Frau) zu bringen. Eine Fahrt zum Einkauf mit dem neuen Auto wird zum Erlebnis, der Geschmack einer bestimmten Zigarette versetzt einen in den wilden Westen. Reisebüros vermarkten ihre „Erlebnisreisen“ als „das Event“. Das Abenteuer suchen – wo ist es denn?

Plot 4: Die Reise
(Einmal hin – und wieder zurück)
Die klassische Heldenreise – Odysseus auf seinen Irrfahrten. Der Weg ist das Ziel, könnte man sagen. Dorothy muss den Weg nach Hause finden, von Oz nach Kansas, Theseus findet den Weg durchs Labyrinth. Irgendwie sind alle immer irgendwo unterwegs.

Plot 5: Die Komödie
(Lachen ist gesund)
Große Hollywood-Streifen nutzen das Potential dieses Themas genauso wie pfiffige Werbespots. Sie findet ihn – er findet sie. Mit dem nötigen Witz und Charme, da ist der Italiener, der gar kein Auto hat, aber einen tollen Kaffee kochen kann. Jeder Leser ist mit diesem Thema vertraut, entspringt es doch den ureigensten Antrieben: dem Wunsch nach dem Partner für die Ewigkeit.

Plot 6: Das Drama
(Ganz großes Kino – klassisches Theater)
Wenn es am Ende nicht gut ausgeht sind alle betroffen. Romeo und Julia, die wohl größte Tragödie. Aber auch „Love Story“ mit Ali MacGraw und Ryan O’Neal darf nicht unerwähnt bleiben oder „Die Reifeprüfung“ mit Dustin Hoffman und Anne Bancroft. Der Held erreicht sein Ziel nicht oder kommt beim Versuch sogar ums Leben. Es darf alles passieren, es darf nur nicht gut ausgehen.

Plot 7: Die Rückkehr
(Die Auferstehung, der Phönix aus der Asche)
Nein die Rückkehr hat nichts mit einer Reise zu tun, es ist das Comeback, der vertriebene König, der wieder den Thron besteigt. „Ben Hur“ und „Spartakus“ sind großartige Beispiele dafür. Geistergeschichten, in denen der (oder die) Tote noch weiter kämpfen, sei es, um einen Mord zu rächen oder die Kinder zu beschützen. Modern inszeniert taugt dieses Thema sogar zur Science Fiction: „Auf der Suche nach Mister Spock“ bringt den tot geglaubten Freund zurück.


Die Grenzen sind nicht starr, es gibt unterschiedliche Differenzierungen und Ausprägungen. Insbesondere das umfangreiche Thema „Der Kampf“ lässt sich weiter unterteilen.


Der Kampf im Detail
Kampf 1: Gegen die Natur
Der einsame Held, der gegen Naturgewalten antritt. Sei es, weil er nach einem Erdbeben das Hundebaby aus den Trümmern eines Hauses rettet, oder wenn er während eines Waldbrandes die Camper-Familie aus der Flammenhölle führt. Die Gunst der Stunde trifft ihn. Es kann einen ganz normalen Menschen treffen, der in der Not plötzlich über sich selbst hinaus wächst.

Kampf 2: Gegen seinesgleichen
Mensch gegen Mensch im direkten Zweikampf. Das ist Rocky im Boxring, das ist nahezu jeder Krimi, schon fast jeder Scheidungskrieg. Üblicherweise sind die spektakulärsten Schlusskämpfe Teil dieses Erzähltypus.

Kampf 3: Gegen die Umgebung
Hier setzt sich der einzelne Kämpfer gegen sein Umfeld durch. Robin Hood im Sherwood Forrest gegen den Sheriff von Nottingham, Zorro, große Erzählungen von einsamen Helden, die auf scheinbar verlorenem Posten stehen und tapfer für Recht und Freiheit der Unterdrückten kämpfen.

Kampf 4: Gegen die Technik
Diese Geschichten haben Thriller-Potential. Nicht nur für Science Fiction geeignet, ein U-Boot mit Maschinenschaden, eine Ölbohrinsel, die auf eine riesige Gasblase stößt, ein Flugzeug außer Kontrolle.
Oder humoristische Varianten mit simplen Haushaltsgeräten. Wenn die Kaffeemaschine plötzlich mit dem Kühlschrank flirtet und der Toaster daraufhin eifersüchtig wird und droht, die ganze Küche abzufackeln …

Kampf 5: Gegen das Übernatürliche
Der typische Horrorfall, Frankensteins Monster oder irgendein schlotternder Vampir, Monster aus dem Dunkeln, der schwarze Mann, die böse Hexe.

Kampf 6: Gegen sich selbst
Der Klassiker hier ist Dr. Jekill. & Mr. Hyde. Er muss sich selbst besiegen, sich selbst unter Kontrolle bringen.

Kampf 7: Gegen Gott und die Religion
Der ultimative Battle. Gott oder Teufel, Hell oder Dunkel, Schwarz oder Weiß. In solchen Geschichten werden die einfachen Menschen zu Randfiguren.


Ein Standardplot könnte zum Beispiel „Die Reise“ sein. So ein einfacher Plot besteht – bitte nicht lachen – aus drei Teilen.
  • Der Anfang
  • Die Mitte
  • Das Ende
Ist schon klar, einige können sich jetzt das Grinsen nicht verkneifen. Ich könnte diese Punkte auch anders benennen: Die Notwendigkeit – die Reise – die Ankunft.
Damit die Geschichte überzeugt, muss es eine Notwendigkeit für die Reise geben, sie ist die Basis für den Konflikt. Dann erfolgt die Reise selbst, hier kommt es (natürlich) zu widrigen Umständen, die den Verlauf der Reise aufhalten, der Konflikt (und damit die Spannung) steigert sich. Schließlich erreicht der Held das Ziel, der Konflikt wird aufgelöst, es kommt zur Erlösung.
Dieses Grundmuster sollte für eine gute Geschichte beibehalten werden, es funktioniert für alle Basisplots.
Eine umfangreiche Geschichte besteht aber nicht nur aus diesen drei Punkten. Es sind Zwischenaufgaben (Quests) zu lösen und zu bewältigen, Irrwege und Kämpfe zu bestehen, Rätsel zu lösen. Es kann sich ein Drama abspielen, wenn die Heldengruppe auseinanderbricht oder unterwegs ein ganzes Dorf „unter die Räder“ kommt. Mittendrin ist alles möglich, es sollte nur immer wieder zum Basisplot zurückführen.

Es gibt unterschiedliche Ansätze, einen Plot umzusetzen. Oben wurde die einfachste Form gezeigt, das sogenannte „3-Punkte-Schema“. Es gibt noch weitere Formen wie das „5-Punkte-Schema“ oder das „7-Punkte-Schema“, dies sind alles nur Verfeinerungen bzw. detailliertere Varianten der ursprünglichen Struktur. Wer Lust hat, kann sich auch ein 365-Punkte-Schema zulegen und sich völlig darin verzetteln. Egal wie fein man es unterteilt, die Reise läuft darauf hinaus: Die Notwendigkeit – die Reise – die Ankunft.

Schauen wir uns einmal exemplarisch den Basisplot von Tolkiens „Der Herr der Ringe“{*4|*5|*6} an:
  • Frodo Beutlin, ein Hobbit, zieht mit seinen Gefährten aus, um den Ring der Macht zu zerstören, einem Ring, der nicht nur Frodos Heimat, das Auenland, sondern ganz Mittelerde in ewige Finsternis und Verderben stürzen könnte.
  • Frodo erfährt, dass der Ring der Macht nur im Schicksalsberg, tief im feindlichen Land, zerstört werden kann. Zusammen mit seinen Gefährten macht er sich auf den Weg. Unterwegs werden die Freunde getrennt und Frodo begegnet dem Hobbit Gollum, der vom Ring der Macht besessen ist.
  • Endlich, nach weiten und widrigen Wanderungen und vielen Umwegen erreicht Frodo den Schicksalsberg. Als Gollum mit aller Gewalt den Ring an sich bringen will, stürzt er gemeinsam mit seinem Schatz in die Lavaströme des Schicksalsberges.
Das war es, Anfang, Mitte und Ende des Basisplots „Die Reise“, oder auch: Die Notwendigkeit – die Reise – die Ankunft.

Basierend auf diesem Plot kann man nicht nur den „Herr der Ringe“ umsetzen, je nach Ausstattung könnte darauf basierend auch eine Kindergeschichte entstehen:
  • Die junge Fee Flirry findet zufällig in ihrem Heimatwald den Zauberstab der Feenkönigin. Zusammen mit ihren Freundinnen Sumsa und Brummi macht sie sich auf den Weg, den Zauberstab ins Schloss, zurück zur Königin zu bringen, damit diese die Schönheiten des Feenlandes bewahren kann.
  • Flirry erfährt, dass der direkte Weg zum Schloss der Königin versperrt ist. Die Königin wird von ihrem Erzfeind, dem finsteren Zwerg Kapur, belagert. Zusammen mit ihren Gefährtinnen macht sie sich auf den Weg, die Belagerung zu umgehen. Unterwegs werden die Freundinnen getrennt und Flirry begegnet dem Faun Mixnix, der vom Zauberstab der Königin fasziniert ist.
  • Endlich, nach weiten und widrigen Wanderungen und vielen Umwegen erreicht Flirry einen versteckten Zugang zum Schloss. Mixnix versucht, den Zauberstab an sich bringen, stürzt aber in eine Schlucht. Flirry gelangt durch den Geheimgang zur Königin und überbringt ihr den Zauberstab.

Tja – irgendwie eine völlig andere Geschichte, obwohl die Basis genau gleich aufgebaut ist.

Aus diesem Basisplot (und natürlich auch aus den andern) kannst du nicht nur eine Kurzgeschichte konstruieren, sondern (wie Tolkien) auch einen mehrbändigen Roman.
Der Umfang einer Geschichte ist kein Garant für seine Qualität. Wenn es viele Ideen zu der Geschichte gibt, kannst du natürlich versuchen, diese Ideen mit einzubauen. Diese zusätzlichen Elemente müssen aber unbedingt zur Geschichte passen. Sie müssen die Geschichte voranbringen und sie müssen in einer sinnvollen Reihenfolge geschehen. Die Konstruktion eines Basisplots mit weiteren Elementen erfolgt unter Berücksichtigung weiterer Plot-Elemente. Mit vielen Ideen legst du dir am besten eine Strategie zurecht, eine Art „Storyboard“, an dem die Entwicklung und der Aufbau der Geschichte verfolgt werden können.
Basierend auf dem Grundsatz, jeder Plot besteht aus (mindestens) drei Teilen, könnte man sich ein Storyboard wie eine Wäscheleine vorstellen. Auf farbigen Zetteln werden die einzelnen Elemente notiert. In Weiß hängt ganz vorne und ganz hinten jeweils ein Zettel mit den Elementen des Basisplots, ein dritter irgendwo in der Mitte. Zwischen diesen könnten jetzt weitere Zettel verteilt werden, Beispielsweise müsste die junge Fee Flirry einen Weg durch einen verwunschenen Wald finden (rote Zettel, die Notwendigkeit – die Suche – der Ausgang), kurz vor Erreichen des Ausgangs gerät sie noch in eine Falle, und sie muss sich retten (grüne Zettel, die Notwendigkeit – der Kampf gegen die Technik, in diesem Fall die Falle – der Sieg).
Egal wie umfangreich die Geschichte ausgestaltet wird, jede einzelne Zwischenaufgabe muss immer gelöst werden, sonst ist die Geschichte unvollständig.
Die „Farbzettel auf der Wäscheleine“ klingen etwas albern, ich erwarte auch gar nicht, dass es genau so gelöst wird. Es ist nur eine Möglichkeit von vielen.


Eine genauestens durchkonstruierte Geschichte hat, ab einem gewissen Umfang, unschätzbare Vorteile:
  • Du kannst dir sicher sein, dass dein Plot stimmig ist.
  • Du hast beim Schreiben einen Überblick, in welchem Teil der Geschichte du dich befindest.
  • Du weißt immer, wie es weitergeht.
  • Du kannst dich ganz aufs Schreiben konzentrieren; Recherche, Figurenentwicklung usw. hast du ja vorher schon erledigt.
  • Du hast ein klares Ziel vor Augen.
  • Du findest leichter Löcher und lose Enden.
  • Du hast ein Grundgerüst, an dem du dich beim Schreiben (und Überarbeiten!) entlang hangeln kannst.
  • Du weißt, dass du eine Geschichte hast – du musst sie nur noch aufschreiben.
  • Du weißt genau, was du mit welcher Szene bezwecken willst.
  • Du hast weit weniger Stress und Schreibblockaden.



Hauptthema: Eine gute Geschichte

Nächstes Kapitel: 02 Quälgeist oder Freund – Die Prämisse



Quellen:
*1: Christopher Booker, „Seven Basic Plots“, Bloomsbury Academic (10. November 2005), ISBN-13: 978-0826480378 (Englisch)
*2: Charles Dickens, „A Christmas Carol“, Balzer + Bray; Auflage: Reprint (22. September 2009), ISBN-13: 978-0061650994 (Englisch)
*3: Charles Dickens, „Ein Weihnachtslied in Prosa“, dtv Verlagsgesellschaft (1. Oktober 2011), ISBN-13: 978-3423140423 (Deutsch)
*4: J.R.R. Tolkien, „Der Herr der Ringe: Die Gefährten“, Klett-Cotta; Auflage: 5 (20. Juli 2015), ISBN-13: 978-3608939811 (Deutsch)
*5: J.R.R. Tolkien, „Der Herr der Ringe: Die zwei Türme“, Klett-Cotta; Auflage: 5 (9. September 2016), ISBN-13: 978-3608939828 (Deutsch)
*6: J.R.R. Tolkien, „Der Herr der Ringe: Die Rückkehr des Königs“, Klett-Cotta; Auflage: 4 (11. September 2015), ISBN-13: 978-3608939835 (Deutsch)
 



 
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