Das Leben ist hart

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masi

Mitglied
„Das Leben ist hart!“ pflegte meine Mutter stets zu sagen, Heute weiß ich, sie hatte Recht. Das Leben war sehr hart gewesen. Wirklich leicht hatte ich es seit meinen Kindertagen nicht mehr gehabt. Doch wen interessierte das schon? Um ehrlich zu sein, niemanden. Schließlich haben alle Menschen eigene Probleme. Und nun stehe ich hier. Und komme mir auf eine nicht zu erklärende Art und Weise verloren vor. Was war geschehen? Wie hatte ich so abrutschen können? Seit Monaten hielt ich mich fast ausschließlich in meiner Wohnung auf. Nur mit meinen Gedanken beschäftigt. Ab und zu kamen Menschen zu mir, die sich Sorgen machten und mir etwas zu essen mitbrachten. Doch viel gegessen hatte ich nicht in der letzten Zeit.
Das Leben geht weiter. Das war ein Satz, den ich wirklich oft gehört habe. Aber geht das Leben wirklich weiter? Ich bin mir da nicht mehr sicher. Schließlich habe ich den Inhalt meines Lebens verloren. Inwiefern geht denn jetzt noch das Leben weiter?
Mir fällt auf, dass ich das Erste Mal seit langem wieder klare Gedanken habe. Nicht so verworrene und vor allem verwirrende Gedanken, die mich immer mehr zu ‚entseelen’ schienen. Vielleicht war ich ja wirklich auf dem Weg der Besserung. Vielleicht würde ich in ein paar Wochen wieder ganz normal meinem Alltag nachgehen. Wer weiß das schon?
Aber wie würde mein Alltag aussehen? Ich bin alt. Alt und trotzdem unerfahren. Ich habe keine Kinder, die mich erfüllen könnten. Natürlich nicht. Ich wollte auch nie Kinder haben. Ich wollte meiner Karriere nachgehen. Das hatte ich so weit auch alles geschafft. Nur mittlerweile war ich in Rente. Was hatte ich nun? Mein Mann war vor Monaten gestorben. Altersschwäche. Er war friedlich gestorben. Wenigstens etwas. Und nun war ich ganz alleine. Als er noch bei mir war, brauchte ich auch niemanden sonst. Aber nun frage ich mich, ob es mir nicht besser gehen würde, wenn ich Kinder hätte, die aus der Liebe von uns beiden entstanden wären. Die mich noch Jahre lang an meinen Mann und unsere Liebe erinnern würden. Aber ich habe nichts, was mich an ihn und die Liebe zu ihm erinnert. Nichts. Wieder laufen Tränen über meine Wangen. Warum musste mir das passieren? Was hatte ich denn verbrochen, dass das Schicksal mich so straft? Ich sehe aus dem Fenster, auf die Straße. Ich sehe dieselben Häuser, wie immer. Dieselben Straßenschilder. Dieselben Straßen. Vielleicht kommt er ja gleich um die Ecke und zu mir in die Wohnung, wie er es so oft getan hatte in all den Jahren, die schon unendlich weit entfernt schienen. Für einen kurzen Moment ist mein Schmerz fort. Ich empfinde nur Aufregung. Angespannt gucke ich zur Ecke und warte auf meinen Mann. Doch schon in der nächsten Sekunde verfluche ich mich für dieses dumme Verhalten. Und mir fällt ein, dass ich alleine bin und es bleiben werde. Nun hält mich nichts mehr. Ich weine hemmungslos, schaue aber weiter aus dem Fenster. Dort draußen findet das Leben statt. Auch dort müsste es Sorgen geben, doch mir scheint, alle Sorgen, Ängste und vor allem die ganze Trauer befinden sich nur bei mir. Vielleicht sollte ich auf die Strasse gehen, raus aus diesen stickigen Räumen, bestimmt würde es mir gut tun. Aber bei diesem Gedanken erfasst mich die Angst, dass ich dadurch die anderen Menschen in Gefahr bringe, weil ich die Trauer und die Verzweiflung mit mir nehmen würde. Und obwohl ich weiß, dass dieser Gedanke lächerlich ist, bleibe ich drinnen. Ich stehe am Fenster und bin allein. Die Tränen sind mittlerweile zu einem Teil von mir geworden. Unwillkürlich frage ich mich, ob ich sie vermissen würde, wenn sie weg wären. Doch ich beruhige mich. Sie lassen mich nicht allein. Sie werden bei mir bleiben.
 
D

Denschie

Gast
Hallo Masi,

wenn ich dein Profil richtig verstanden habe, bist du noch recht jung und versuchst, dich in diesem Text in eine ältere Frau hinein zu versetzen. Eine, die sich allein und verloren fühlt am Ende ihres Lebens.
An einigen Stellen reißt mich das nicht sonderlich mit. Ein Grund dafür ist, dass die Dame recht konturlos bleibt. Charakterisiert wird sie durch Allgemeinplätze, wie "Karriere statt Kinder", das Nachdenken über Aussagen wie "Das Leben ist hart", "Das Leben geht weiter" etc. Vom Ansatz her ist das gut, aber es dürfte ruhig etwas spezieller sein, etwas abwechslungsreicher im Ausdruck.

Andererseits ist dieses die Tagebuchrubrik. Ich kann deinen Text also auch als die Phantasie einer jungen Frau lesen, die sich überlegt, wie ihr Leben später mal aussehen könnte/wird. Das ist als Experiment auf jeden Fall spannend. Die darin zum Ausdruck kommende Unsicherheit macht auf jeden Fall Eindruck. Glücklicherweise weiß man nicht, wie es in irgendeiner fernen Zukunft mal sein wird.
Doch auch aus dieser Perspektive fehlt es mir etwas an "Feuer". Wenn dieses nicht gewünscht ist, um die hoffnungslose Stimmung nicht zu zerstören, könnte man vielleicht einfach hier und da etwas straffen.

Du merkst schon: ich bin sprachlich nicht ganz überzeugt, auch wenn mir die Idee an sich gefällt.

Viele Grüße,
Denschie
 



 
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