Das Lied des Lebens (Auszug)

4,00 Stern(e) 5 Bewertungen

Heinz

Mitglied
Schweigend versammelten sich die Überlebenden nach der Schlacht in der Mitte des Dorfplatzes. Nur das klagende Wimmern derer, die einen geliebten Menschen verloren hatten, schwebte durch die Grotte. Die Verletzten, die nicht aus eigener Kraft kommen konnten, wurden auf Tragen zum Versammlungsort gebracht. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Verwundeten zu den Ausgestoßenen gehörten oder nicht. Schließlich waren alle versammelt, Verletzte und Unverletzte, Freunde und Feinde.
Saihca trat aus einer Hütte, die Flöte in ihrer Hand. Sie ging auf die Menge zu, und vor ihr öffnete sich ein Gang durch die in aller Stille wartenden Menschen. Auch die Trauernden nahmen sich ein Herz und schwiegen um die andächtige Ruhe nicht zu stören.
Saihca begann zu spielen. Die Töne waren ruhig und klar, und wieder ließen sie die Seelen der Menschen schwingen. Doch das Lied war ein anderes. Trauer und Verzweiflung mischte sich in die ergreifende Melodie, und das Leid der gequälten Seelen gab ihr eine andere Farbe. Behutsam und sanft berührten die Töne die schreiende Verzweiflung der in ihrer Hilflosigkeit ertrinkenden Menschen. Nichts konnte das ungeschehen machen, was geschehen war. Und nichts konnte den Verlust der Menschen ausgleichen, die nun nicht mehr waren, die nie wiederkamen. Kein Trost war möglich, keine Worte konnten den Schmerz lindern.
Das Lied schwang mit auf den wogenden Wellen der Empörung über das gnadenlose Schicksal, ließ ihnen freien Lauf, nahm Teil an dem Leid, das das Leben mit sich brachte. Nur langsam kamen die ersten zur Ruhe, und in die kurzen Pausen im Sturm ihrer aufgewühlten Gefühle, legte sich die Frage nach dem Warum. Hilflos in die Augen der Toten blickend, warteten sie auf eine Antwort. Und als diese ausblieb, brandete erneut der Sturm der Verzweiflung auf und fegte alles hinweg. Zurück blieb nur die trostlose Wüste des Leids in ihrer Seele. Wieder und wieder wechselten sich der tosende Sturm und die grausame Stille ab, und nur widerwillig wurde der Sturm schwächer. Eine große Leere begann sich auszubreiten.
Zuerst leise und behutsam legte sich das Lied in diese Leere. Die zarten, spielenden Töne erfüllten die trostlose Leere wieder mit Leben. Wie Pflanzen in einer Wüste nach einem Regen, begannen die Melodien zu wachsen und rankten sich empor.
Sie begannen zu keimen und zu sprießen, zu gedeihen und aufzublühen. Sie wuchsen und reiften, gaben weiter, was sie empfangen hatten an die Früchte ihres Lebens, und schließlich welkten und starben sie. Doch sie hatten neue Keime gelegt, die aus ihnen hervorgingen und fortfuhren mit dem, was die ureigenste Sehnsucht allen Seins war. Das Leben anzunehmen und zu gestalten, weiterzugeben und zu erhalten, und es auszukosten bis zur Neige. Nicht allen waren alle Möglichkeiten gegeben, und manchen wurden sie zu früh genommen, doch das Ziel blieb.
So sehr die Wunden des Schmerzes auch brannten, die Sehnsucht nach dem Leben blieb und die grausame Leere in den Herzen der Menschen wollte ausgefüllt werden. Und der einzige Trost lag in den Armen der Menschen, die geblieben waren.
Das Lied konnte keinen Trost spenden, konnte kein Leid ungeschehen machen und wollte nichts beschönigen oder verdrängen. Doch durch die bunten, aus sich herauswachsenden Melodien, zeigte es einen Weg, der aus der Wüste führen konnte. Und so heilte das Lied etwas von dem Leid der weinenden Seelen, gab neue Hoffnung auf eine Zukunft.
Andächtig und ergriffen lauschten die Menschen und ließen die heilenden Kräfte auf sich wirken. Körper und Seele heilte das Lied, verband beides wieder zu einem Ganzen. Blutungen verebbten und Wunden schlossen sich. Staunend betrachteten die Menschen das Wunder der Heilung, während das größere Wunder den Augen unsichtbar blieb.
Als die Töne verstummten war das Gefühl des Verlustes auf unerklärliche Weise verschwunden. Erwartungsvoll schauten die Trauernden in die Gesichter der Toten, doch die aufkeimende Hoffnung erfüllte sich nicht - nicht in dieser Weise. Die Seelen der Gestorbenen konnten nicht zurückkehren in das vergangene Leben, aber sie waren noch nicht fort.
Jeder konnte ihre Anwesenheit spüren, empfindsam gemacht durch die Melodie des Liedes. Wie in einem unsichtbaren Kreis umgaben sie die Menschen, mit denen sie einen Teil der Ewigkeit durchlebt hatten. Und als sie schließlich gingen, nahmen sie die Erinnerung daran mit sich.
Ein sanfter Lufthauch durchfuhr die Trauernden, als die Vertrauten sie ein letztes Mal berührten und dann in eine andere Wirklichkeit eingingen, die sie selbst nicht erreichen konnten, gebunden an Raum und Zeit. Aber auch das würde nicht ewig dauern.
Wieder zog das Gefühl des Verlustes durch die Verlassenen und zerriss ihnen die Herzen. Doch die letzte Berührung hatte einen Trost gebracht, der nie vergehen würde.
 

Heinz

Mitglied
Hallo flammarion

Der "Rest" ist ein Roman von ca. 117000 Worten. Etwas, das diesen Rahmen um einiges sprengt. Ich stelle hier bewusst nur "Bruchstücke" ein, die ich für interessant halte.

Der Anfang des Romans steht auf meiner Homepage http://www.lemantis.de, noch in einer Vorversion.

Ansonsten suche ich Hände ringend nach einem Lektor dafür, denn ich möchte das Ganze in den nächsten Monaten an einige Verlage schicken.
Sollte als jemand Zeit und Lust haben, ...
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also,

ick habe zeit und lust. schicke es mir, wenn du willst, teilstück für teilstück, so bis zu 20 seiten, mehr frißt meine platte nicht auf einmal, über die lupe. mein server eliminiert alles, was länger als eine seite ist.
lg
 

Heinz

Mitglied
Re: also,

Ursprünglich veröffentlicht von flammarion
ick habe zeit und lust. schicke es mir, wenn du willst, teilstück für teilstück, so bis zu 20 seiten, mehr frißt meine platte nicht auf einmal, über die lupe. mein server eliminiert alles, was länger als eine seite ist.
lg
*freu*
 

Nieselregen

Mitglied
Jaa,

Hallo Heinz,
ich habe das Entsetzen und die Trauer ...und die Hoffnung in mir summen gespührt. ... Mehr kann ich nicht sagen, ohne die vorangegangene Story zu kennen.

Liebe Grüße
Nieselregen
 

Heinz

Mitglied
Re: Jaa,

Ursprünglich veröffentlicht von Nieselregen
Hallo Heinz,
ich habe das Entsetzen und die Trauer ...und die Hoffnung in mir summen gespührt. ... Mehr kann ich nicht sagen, ohne die vorangegangene Story zu kennen.

Liebe Grüße
Nieselregen
Mehr kann ich nicht erwarten.
Vielen Dank für den Kommentar.

Liebe Grüße zurück
Heinz
 



 
Oben Unten