Das T-Shirt

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jimKaktus

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Das T-Shirt

Sein Bruder war zurück, zurück aus der Dominikanischen Republik. Und wie immer, wenn sein Bruder oder seine Eltern verreist waren, traf sich hinterher die Familie im elterlichen Haus zur Video- und Foto-Show und zum Verteilen der Souvenirs.

Mutter bekam einen Sonnenhut, handgemacht. Oma bekam eine Dose aus Holz, auch handgemacht, Opa eine spanische Galeere, handgemacht in China. Thomas hatte sich eine handgemachte Ukulele erhofft. Er bekam ein buntes T-Shirt.

Noch bevor Thomas die drei fröhlichen bunten Rastafaris mit ihren Musikintrumenten gesehen und die fröhlichen bunten Fische mit Sonnenbrillen gesehen und die grüne und die lila Palme, beide fröhlich, und auch die Möwen, die nur gelbe Häkchen waren, gesehen hatte; und noch bevor Thomas "NO PROBLEM" gelesen hatte sowie "WE'RE HAPPY" und "RIO SAN JUAN, REPUBLICA DOMINICANA", hasste Thomas dieses T-Shirt.

Genügte es nicht, dass der Bruder mit seiner attraktiven Freundin in die Karibik gefahren war, während andere Menschen nicht in die Karibik gefahren waren? Musste er, der Bruder, diese anderen Menschen nun auch noch mit obszönen T-Shirts beleidigen?

Es war wahrscheinlich das Beleidigendste, das er (der Bruder!) ihm (Thomas), je zugemutet hatte. Jahrelang waren das Beleidigendste die Mädchen und Frauen gewesen, die, als Thomas und sein Bruder beide noch zuhause wohnten, dürftig bekleidet aus seinem, des Bruders, Zimmer kamen, nach Nächten voller Geräusche. Jetzt dieses T-Shirt.

Es gab doch überall diese T-Shirts, wo drauf stand: 'Mein Bruder, meine Schwester, mein irgendwas war da und da, und ich Vollidiot krieg bloß so ein verdammtes T-Shirt.' So ein T-Shirt wäre ein ehrliches Geschenk gewesen. Das Beste wäre eine Flasche Rum gewesen. Aber die hatte sein Bruder für sich behalten, denn man durfte nur zwei Flaschen unverzollt mitbringen. Die zweite hatte Vater bekommen. Vater bekam kein T-Shirt.

Auf dem T-Shirt gab es auch ein lila Meer, eine rote Spiralsonne und lustige Noten, die durch die Luft flogen. In Deutschland gab es kein lila Meer, keine Spiralsonne und es flogen auch keine lustigen Noten durch die Luft. Dort Noten, Meer und Sonne; und bunt und grinsende Fische und NO PROBLEM - hier: Deutschland und Mutters Kartoffelsalat.

Er hatte sich von der Familienfeier zurückgezogen. Die Beleidigung lag flach vor ihm auf dem Tisch. Mit Daumen und Zeigefinger hob er nacheinander die Rastafaris auf; die grüne Palme, die lila Palme und die Möwen, die nur gelbe Häkchen waren: hob er auf. Und was er so mit Daumen und Zeigefinger aufhob, da schnitt rein, mit einer Schere, mehrmals. Er genoss das Knirschen der Schere.

Die Rastafaris sahen danach nicht mehr glücklich aus. Und die Fische sahen nicht mehr glücklich aus. Er hatte Sushi aus ihnen gemacht, Sushi mit Sonnenbrillenstückchen. Und die glücklichen grün-violetten Palmen hatte er durch ein Sägewerk geschickt. Die Rastafaris hatte er auch durch ein Sägewerk geschickt. Und die Möwen, die nur gelbe Häkchen waren, gewesen waren, und die er genau darum am meisten gehasst hatte, waren nicht mehr zu identifizieren.

Er legte das T-Shirt in den Hamsterkäfig. Nach zwei Tagen war es weg.

"Das T-Shirt, das wir dir mitgebracht haben: Mutter sagt, dein Hamster hat es zerfressen. Ihr musstet es wegschmeißen", sagte Thomas Bruder.

"Das tut mir leid", sagte Thomas Bruder.

"Ich schenk dir dafür meins", sagte Thomas Bruder und nahm aus der Tüte ein buntes T-Shirt mit fröhlichen Rastafaris und Fischen und Palmen und auch die Möwen, die nur gelbe Häkchen waren, fehlten nicht. Obendrein war das T-Shirt ihm, Thomas, viel zu groß, andererseits ...

"Danke." sagte Thomas, und fühlte sich mies. Sein Bruder besaß dieses zweite T-Shirt nicht, damit es ihn, Thomas, ärgerte ... ... Und eigentlich waren die Rastafaris und die Möwen gar nicht so übel.
 

Pritt

Mitglied
Hi Jim!

Eine schöne Geschichte, wie ich finde. Ich denke, die bisweilen recht komplizierten Einschübe und auch Wiederholungen sollen Stilmittel sein? Also z.B. ...er, Thomas, ... oder ...er (der Bruder) ihm (Thomas)...
Ich finde, sowas kann man ein paarmal machen. Bin mir gerade nicht ganz sicher, ob Du hier überstrapazierst.

Das Ende... Auf der einen Seite gelungen, weil überraschend. Andererseits enttäuschend, weil das schlechte Gewissen des Beschenkten nicht so recht zum sowohl bissigen Ton der Geschichte als auch zur Handgreiflichkeit des Prots (Zerschneiden des T-Shirts) passt. Du nimmst hier unnötig den Pep raus. Was kann man noch so Fieses mit einem hässlichen T-Shirt machen? Am besten so, dass er NIEMALS wieder eines geschenkt bekommt! :) Dir fällt bestimmt was ein...
Ansonsten: Klasse Thema, schön erzählt
Gruß ... Pritt
 

jimKaktus

Mitglied
Hi Pritt,

du hast zielsicher die wunden Punkte erwischt. Bei manchen Sätzen ist der Bogen wohl überspannt. Das "ihn, Thomas" nutzt sich ab. Und das Ende ist problematisch. - Naja, vielleicht lohnt sich hier das Überarbeiten.

Gruß,
jim
 



 
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