Roland Knappe
Mitglied
Der Ästhet
Keiner der wenigen Bekannten, mit denen er heute hin und wieder Worte wechselt, weiss, dass Paul Buschweg vor Jahren Maler gewesen ist, und das nicht ohne Erfolg: Unlängst noch stand der Name seiner Familie in einem kleinen Dorf unweit der Stadt, in der er heute lebt, für einen seit Generationen renommierten Malerbetrieb, der mehreren Gesellen Arbeit bot und sich die besten Lehrlinge aussuchen konnte. Als Jugendlicher hatte sich Paul wohl einige Male gefragt, ob er wirklich den Pfad der Familientradition beschreiten sollte, doch letztlich stand die Übernahme nie ernsthaft zur Diskussion. \"Wo kommen wir hin, wenn niemand recht zu streichen weiss?\", fragte er sich irgendwann nur noch, wie um sich vor sich selbst zu rechtfertigen; er erwarb den Meistertitel, machte sich mit der Geschäftsführung vertraut und löste schliesslich, gerade dreissig Jahre alt, seinen Vater ab.
Was drei oder vier Jahre später in Paul vorging, konnte nie jemand erfahren. Offenbar fühlte er sich von seiner Arbeit nicht mehr ganz ausgefüllt. Hin und wieder griff er zum Pinsel, um auf Schränken oder gar an Wänden kleinere Verzierungen anzubringen, bunt ausgemalte Ornamente aus geometrischen Figuren, Blumenblüten und Blumensträusse, ein einfaches Haus in einer idyllischen Landschaft, ein Dorf im Hochgebirge; weil aber seine in dieser Weise gestalteten Arbeiten keinen besonderen Absatz fanden, verkleinerte er arglos seinen Betrieb, um Kosten einzusparen. Nicht lange dauerte es, und ihm kündigten nacheinander die verbliebenen Gesellen - wohl ohne dass Paul bemerkte, mit welcher Skepsis seine Umgebung seine künstlerischen Anwandlungen wahrnahm. Sein Vater starb früh, voll Sorge um seinen Sohn und seinen Betrieb und, wie gemunkelt wurde, nicht zuletzt Pauls Eskapaden wegen. Weil aber auch dies ihn nicht von seiner Überzeugung abbringen konnte, dass sich gewöhnliche Malerarbeiten für den Erwerb seines Lebensunterhalts nicht eigneten, gab er sein Geschäft auf und zog in die Stadt. Der Name Buschweg stand für eine Familie, die ein missratener Sohn dem Gespött des ganzen Dorfes preisgegeben hatte.
Freilich wissen Pauls wenige neue Bekannte davon so gut wie nichts. Sie haben davon gehört, dass er es irgendwann als Kunstmaler versucht hat. Tatsächlich: Obwohl er manchmal selbst von dem Misstrauen gegen seine schöpferischen Eingebungen angesteckt wurde, konnte er mit Genugtuung feststellen, dass seine Landschaftsbilder, seine Dorf- und Stadtszenen und seine teilweise abstrakten Porträts von Menschen, denen er nie begegnet war, bei bescheidener Lebensführung und unter gelegentlicher Annahme einfacher Nebenbeschäftigungen ihm immerhin so viel an Auskommen einbrachten, dass er nicht in finanzielle Nöte kam, als seine Familie jeden Kontakt zu ihm abbrach - ja die Freiheit ermutigte ihn noch.
Paul feilte lange an der Darstellung seiner Lieblingsmotive, er konnte Stunden damit verbringen, eine Stimmung, einen Eindruck auf der Leinwand festzuhalten; doch kaum hatte er die ersten grösseren Auftragsarbeiten bekommen, da geschah etwas, worüber selbst die Freunde seines Metiers nur den Kopf schütteln konnten: Er verschenkte all seine Bilder, lehnte weitere Aufträge ab und gab auf Nachfrage die unklare Auskunft, dass er sich \"neu orientieren\" müsse - und wenn es einmal doch gelang, tiefer in ihn zu dringen, blieb seine Antwort völlig unverständlich: Nicht nur sei ihm schon immer bewusst gewesen, dass das vulgäre Anbieten von Streicharbeiten nur sehr oberflächlichen Zwecken verhaftet sei, und nicht nur habe es ihn längst gestört, dass jeder Verkauf von Bildern die Zweckfreiheit der Kunst verrate, nein, inzwischen habe er zudem mit Notwendigkeit einsehen müssen, dass allein schon die Abbildung von Motiven, konkreter wie abstrakter - nein, nicht nur dieses: sondern auch die Erzeugung von Stimmungen mithilfe künstlerischer Mittel an sich! - schon einen Schritt zu weit gehe und von einer unzureichenden, ja jämmerlichen Wahrnehmungsfähigkeit zeuge, die sich vom Sosein der Dinge offenbar überfordert fühle. Dass er dies bei klarem Verstand sagte, ging zumindest aus der Tatsache hervor, dass er sich nicht darüber wunderte, wenn andere ihm deshalb mit einer Mischung aus Verwunderung und Mitleid begegneten. \"Sie sind doch ein blinder Ästhet!\", spottete sein Vermieter, als er ihn nach einigen Monaten der Zahlungsunfähigkeit vor die Tür setzte, und auch sein Bekanntenkreis hatte sich nach und nach mit ähnlichen Begründungen von ihm zurückgezogen.
Paul störte sich nicht daran. Inzwischen arbeitet er manchmal als Eingangskontrolleur bei Kunstausstellungen, aber nicht öfter, als er in der Fussgängerzone Lose für Sonderziehungen der Lotterie verkauft, und wenn seine Einnahmen den Betrag übersteigen, mit dem er überleben kann, verschenkt er sie an kleine Kinder, die darüber noch mehr Freude als Unverständnis empfinden.
Keiner der wenigen Bekannten, mit denen er heute hin und wieder Worte wechselt, weiss, dass Paul Buschweg vor Jahren Maler gewesen ist, und das nicht ohne Erfolg: Unlängst noch stand der Name seiner Familie in einem kleinen Dorf unweit der Stadt, in der er heute lebt, für einen seit Generationen renommierten Malerbetrieb, der mehreren Gesellen Arbeit bot und sich die besten Lehrlinge aussuchen konnte. Als Jugendlicher hatte sich Paul wohl einige Male gefragt, ob er wirklich den Pfad der Familientradition beschreiten sollte, doch letztlich stand die Übernahme nie ernsthaft zur Diskussion. \"Wo kommen wir hin, wenn niemand recht zu streichen weiss?\", fragte er sich irgendwann nur noch, wie um sich vor sich selbst zu rechtfertigen; er erwarb den Meistertitel, machte sich mit der Geschäftsführung vertraut und löste schliesslich, gerade dreissig Jahre alt, seinen Vater ab.
Was drei oder vier Jahre später in Paul vorging, konnte nie jemand erfahren. Offenbar fühlte er sich von seiner Arbeit nicht mehr ganz ausgefüllt. Hin und wieder griff er zum Pinsel, um auf Schränken oder gar an Wänden kleinere Verzierungen anzubringen, bunt ausgemalte Ornamente aus geometrischen Figuren, Blumenblüten und Blumensträusse, ein einfaches Haus in einer idyllischen Landschaft, ein Dorf im Hochgebirge; weil aber seine in dieser Weise gestalteten Arbeiten keinen besonderen Absatz fanden, verkleinerte er arglos seinen Betrieb, um Kosten einzusparen. Nicht lange dauerte es, und ihm kündigten nacheinander die verbliebenen Gesellen - wohl ohne dass Paul bemerkte, mit welcher Skepsis seine Umgebung seine künstlerischen Anwandlungen wahrnahm. Sein Vater starb früh, voll Sorge um seinen Sohn und seinen Betrieb und, wie gemunkelt wurde, nicht zuletzt Pauls Eskapaden wegen. Weil aber auch dies ihn nicht von seiner Überzeugung abbringen konnte, dass sich gewöhnliche Malerarbeiten für den Erwerb seines Lebensunterhalts nicht eigneten, gab er sein Geschäft auf und zog in die Stadt. Der Name Buschweg stand für eine Familie, die ein missratener Sohn dem Gespött des ganzen Dorfes preisgegeben hatte.
Freilich wissen Pauls wenige neue Bekannte davon so gut wie nichts. Sie haben davon gehört, dass er es irgendwann als Kunstmaler versucht hat. Tatsächlich: Obwohl er manchmal selbst von dem Misstrauen gegen seine schöpferischen Eingebungen angesteckt wurde, konnte er mit Genugtuung feststellen, dass seine Landschaftsbilder, seine Dorf- und Stadtszenen und seine teilweise abstrakten Porträts von Menschen, denen er nie begegnet war, bei bescheidener Lebensführung und unter gelegentlicher Annahme einfacher Nebenbeschäftigungen ihm immerhin so viel an Auskommen einbrachten, dass er nicht in finanzielle Nöte kam, als seine Familie jeden Kontakt zu ihm abbrach - ja die Freiheit ermutigte ihn noch.
Paul feilte lange an der Darstellung seiner Lieblingsmotive, er konnte Stunden damit verbringen, eine Stimmung, einen Eindruck auf der Leinwand festzuhalten; doch kaum hatte er die ersten grösseren Auftragsarbeiten bekommen, da geschah etwas, worüber selbst die Freunde seines Metiers nur den Kopf schütteln konnten: Er verschenkte all seine Bilder, lehnte weitere Aufträge ab und gab auf Nachfrage die unklare Auskunft, dass er sich \"neu orientieren\" müsse - und wenn es einmal doch gelang, tiefer in ihn zu dringen, blieb seine Antwort völlig unverständlich: Nicht nur sei ihm schon immer bewusst gewesen, dass das vulgäre Anbieten von Streicharbeiten nur sehr oberflächlichen Zwecken verhaftet sei, und nicht nur habe es ihn längst gestört, dass jeder Verkauf von Bildern die Zweckfreiheit der Kunst verrate, nein, inzwischen habe er zudem mit Notwendigkeit einsehen müssen, dass allein schon die Abbildung von Motiven, konkreter wie abstrakter - nein, nicht nur dieses: sondern auch die Erzeugung von Stimmungen mithilfe künstlerischer Mittel an sich! - schon einen Schritt zu weit gehe und von einer unzureichenden, ja jämmerlichen Wahrnehmungsfähigkeit zeuge, die sich vom Sosein der Dinge offenbar überfordert fühle. Dass er dies bei klarem Verstand sagte, ging zumindest aus der Tatsache hervor, dass er sich nicht darüber wunderte, wenn andere ihm deshalb mit einer Mischung aus Verwunderung und Mitleid begegneten. \"Sie sind doch ein blinder Ästhet!\", spottete sein Vermieter, als er ihn nach einigen Monaten der Zahlungsunfähigkeit vor die Tür setzte, und auch sein Bekanntenkreis hatte sich nach und nach mit ähnlichen Begründungen von ihm zurückgezogen.
Paul störte sich nicht daran. Inzwischen arbeitet er manchmal als Eingangskontrolleur bei Kunstausstellungen, aber nicht öfter, als er in der Fussgängerzone Lose für Sonderziehungen der Lotterie verkauft, und wenn seine Einnahmen den Betrag übersteigen, mit dem er überleben kann, verschenkt er sie an kleine Kinder, die darüber noch mehr Freude als Unverständnis empfinden.