Der Ansager

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Der Ansager

Das war der Grundstein seines Lebens: Das Besprechen des Anrufbeantworters im zarten Alter von zwei Jahren. Gerade mal erahnt, dass man sich mit Worten besser verständlich machen kann als mit Gebrabbel, wurde er von seiner vor Mutterliebe triefenden Gebärtonne vor den heimischen Anrufbeantworter gesetzt und durfte
„Mama Papa nicht da, nach Piep reden“
sagen.
Nun gut, >Sagen< ist etwas übertrieben – vielmehr stammelte er die Worte, quälte die Begriffe auf den Chip des Apparats.
Als der Zeugungsbolzen nach getaner Arbeit zu Hause einlief und ihm der neue Ansagetext vorgespielt wurde, war er davon nicht so überzeugt wie die Gebärtonne; konnte es doch sein, dass ein Geschäftspartner anrief, vielleicht sogar eines Tages eine heimliche Geliebte, und da wollte er sich mit diesem
„Mama Papa nicht da, nach Piep reden“
nicht blamieren.
Gebärtonne resolut. Dafür.
Deswegen setzte sich der Zeugungsbolzen dann auch am Wochenende und am Wochenende darauf und so weiter, mit dem kleinen Arthur zusammen und lehrte ihm eine korrekte Ansage.
„Wir sind momentan nicht zu erreichen. Bitte sprechen Sie nach dem Pfeifton; wir rufen baldmöglichst zurück.“
„Nicht er´reichen. Bitte sprechen Ton rufen bald“ plapperte der AnsagerArthur nach. Aber dann, er gab sich wirklich Mühe, dass muss man schon sagen, nach zwei Monaten und drei Wochen, erste Erfolgsmeldungen.
„Wir nicht da. Sprechen nach Pfeifpiep, dann zurückruf bald.“
Der Zeugungsbolzen ließ das gerade mal so durch gehen, die Gebärtonne hocherfreut über „Pfeifpiep“ und alles schien gut, bis Arthur vor den Anrufbeantworter gezerrt wurde. Da war die Aufregung groß, als würde er in einem Dom auf der Kanzel stehen und seine Sätzlein runterbeten müssen vor Tausenden professionellen Ansagern. Und dann der Zeitdruck. Schlimm. AnsagerArthur sich also erst einmal verhaspelt, dann versprochen, dann zu langsam, zu undeutlich, ohne Elan ... Aber noch am gleichen Tag
(„Du gehst erst zu Bett, wenn du den Anrufbeantworter richtig besprochen hast“ drohte der Zeugungsbolzen, inzwischen eine heimliche Freundin - wie könnte es anders sein? die Sekretärin im Büro – und jetzt erst richtig Angst vor der Blamage. Auch die Gebärtonne; Gott, ein zwei Jahre vier Monate sechs Tage altes Kind dass noch nicht mal den Anrufbeantworter richtig besprechen kann! Hat man so was schon gehört?)
dann mit allem drum und dran, ein Meisterwerk der Sprachkunst.
Und jetzt natürlich ab ins Bett und später, Jahr um Jahr, neue, kompliziertere Ansagetexte auswendig lernen und aufsprechen. Auch die Liaison des Zeugungsbolzens wurde komplizierter, schließlich so kompliziert, dass er es einfach bleiben ließ. Zum Glück war die Sekretärin keine dieser nachtragenden Frauen, die können gefährlich werden, sondern ein rationeller Mensch mit Angst um den gutbezahlten Arbeitsplatz, also auch keine Szene und dementsprechend keine Kündigung.
Mit Elf das bisherige Highlight seiner Kunst.
„Was rufst du mich, willst Wissen, Antwort gar erhoffen
zu dieser Stund, da Hermes Beine sind gebrochen.
- S´ Orakel schweigt -
Doch sollst du nicht verzagen
und nach dem Pfeifton mir die Nachricht sagen
auf dass ein Rückruf dich ereilt
und endlich, endlich deine Zweifel teilt.“
Schon sehr poetisch, angehaucht von den Griechen; Homer, Zeus, Apollon, die zu lesen ihm in der Schule gelehrt wurde.
Für die Gebärtonne nun eher unverständlich, für den Zeugungsbolzen zu schmalzig, wurde jetzt rigoros gelöscht und jedes weitere Besprechen unter Strafe gestellt.
So kaufte er sich von seinem zusammengespartem Taschengeld einen eigenen Anrufbeantworter, gebraucht, auf dem konnte man keine Nachrichten mehr hinterlassen, wohl aber konnte man ihn mit einem Ansagetext besprechen. Und dann, Steigerung der technischen Möglichkeiten, als Zwölfjähriger stolzer Besitzer eines Kassettenrecorders. Warum nur der Umweg über einen teuren kaputten Anrufbeantworter – die Antwort muss ich schuldig bleiben, die Psychiatrie kann dies bestimmt erklären, ich jedoch mir nur etwas zusammenreimen. Ein Wort:
Anrufbeantworterfixiert!
Mit dem Kassettenrecorder begannen nun völlig neue Dimensionen sich aufzutun. Der Zeitdruck fiel flach. Jetzt konnten 30, ja 45 Minuten am Stück angesagt werden. Da wusste Arthur erst gar nicht, was mit der vielen Zeit anfangen. Dann natürlich auch die Qualität – frage nicht – wesentlich höher und Passagen ausbessern anstatt den ganzen Text wiederholen, die Kassetten aufheben, archivieren, katalogisieren, anhören und aus den Fehlern lernen, ja, dass machte Spaß.
Seine Klassenkammeraden machten diese Wischi Wischi-Handbewegung vor dem Kopf.
„Der ist doch nicht ganz knusper.“
Jedoch: Kassetten vollsprechen ist natürlich besser als sich Gewaltvideos reinziehen und Todesgemetzel computern. Da passiert kein Amoklauf. Die Gebärtonne war zwar nicht besonders glücklich darüber, dass der Sprössling so viel zu Hause rumhängt, jetzt hat sie nämlich einen Lover, quasi als unbewusste Revanche, der arbeitslose Fliesenleger aus dem ersten Stock. Bequem wenn man mal was zu fliesen hat, im Bad zum Beispiel. Bequem auch, weil er die Gebärtonne so richtig gut verfugt hat.
Und Arthur zwischen all den Affären immer schön am Ansagen. In der Pubertät wurden die Sprüche etwas verpickelter, stimmbrüchig und, klar, jetzt kommen auch die Frauenfantasien. Ein ganzer Epos auf Kassette, eine Ansage für seine Klassenkammeradin, die Melanie.
Angebetete.
Angesagt.
Ansage.
Bekam dann aber leider eine Absage von ihr, so ein Spinner, Wischi Wischi. Der Arthur in seiner Pubertät nicht lange getrauert, schon wenig später eine neue Kassette für die Christine, dann eine für die Ulrike, aber erst bei der Renate erfolgreich. Die war nicht so wählerisch, hatte in ihrem Alter schon nen üblen Ruf weg. War Arthur aber egal. Warum auch nicht?
Aber die Liebesansagen wurden im weiterschreitenden Alter eher seltener, dann gar nicht mehr. Rosen kamen besser an. Waren auch einfacher. Die Schule fertig gemacht anstatt sich von der Schule fertig machen zu lassen, jetzt aber echt keine Böcke auf Studium, die schnelle Kohle lockt. Eine Ausbildung beim Rundfunk, sein Traumberuf, das Ansagen von der Pike auf lernen. Richtig professionell, mit Abschlusszeugnis. In der Theorie ist er eher mäßig, aber in der Praxis bravourös. Bei den Kollegen beliebt, nur sein lascher Händedruck, der nervt schon ziemlich, muss ich ehrlich sagen. Muss ja kein Quetschhandschütteln sein, aber ein bisschen fester wäre nicht schlecht gewesen.
Nach der Azubizeit beim Bund als Panzergrenadier, Funker hätte ihm besser zu Worte gestanden, aber da macht der Staatsdiener keine Sonderbehandlungen, außer wenn du Vitamin B hast; davon waren Arthur und sein Zeugungsbolzen aber weit entfernt. Vielleicht hätte die Gebärtonne lieber was mit einem Offizier oder Major oder wie das ganze Gekröse heißt, mit so einem was anfangen sollen, hat sie aber nicht. Inzwischen sowieso den Zeugungsbolzen verlassen und beim Verfuger eingezogen.
Pech gehabt.
Den Arthur hat’s nicht gejuckt, hat sich nach dem Bund eine eigene Bude in der Landeshauptstadt genommen, die große weite Abgaswelt schnüffeln und im Lokalrundfunk Ansage um Ansage geleistet. Supergut war er beim Jingles machen, dass sind so kurze Einspielungen, hat nichts mit Singles zu tun, weder mit Plattensingles noch mit Zweibeinersingles. (Hast du schon gewusst? Ist nicht meine Schuld!)
Leider war keine Karriereleiter für Arthur in Sicht, wäre ihm schon angeboten beziehungsweise angelehnt oder aufgestellt worden, aber der Arthur hat eben nichts anderes gekonnt als Ansagen. Also kam die Moderation von Sendungen á la „Kummerkastenberatung“ oder „Quizfragestunde“ für ihn nicht in die Jutetasche. Überhaupt: Wenn, dann nur Ansage. Schade eigentlich, aber so ist es. Und deshalb ist der Arthur auch heute noch beim Lokalradio und macht Jingles, hat geheiratet und eine Tochter einen Sohn, sind zwar beide noch arg klein, hört man aber schon auf dem Anrufbeantworter sabbeln, wenn man bei der Familie anruft. In Stereo aufgesprochen, aber Telefonhörer leider nur Mono, man verpasst einiges in unserer LowTechZeit. Arthurs Leben läuft also in geordneten Bahnen. Und glücklich? Mein Gott, glücklich, was heißt dass schon? Eher zufrieden, dass ist heutzutage auch schon was, darf man nicht unterschätzen, Zufriedenheit.
So endet die Geschichte fürs erste, mal abwarten was noch alles passiert, vielleicht doch noch der große Durchbruch? Arthur Doppelzeugungsbolzen hat gestern eine Bewerbung rausgeschickt, du errätst es nicht:
Ansager, aber nicht beim Fernsehen, sondern bei der Zeitauskunft im Telefon.
 



 
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