Der Blitz ins Glück

Ruedipferd

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Schluchzend schließt sie die Wohnungstür auf. Es ist also aus. Fünf Jahre Beziehung und nun hat er ihre Liebe weggeworfen, einfach so, auf den Müll. Sie fühlt sich zutiefst gedemütigt, lässt die Tür zufallen, knallt die Post auf die Flurgarderobe und reißt sich die Pumps von den Füßen. Das wirst du mir büßen, denkt sie. Was hat dir die andere mehr zu bieten, als ich? Gut, sie ist zehn Jahre jünger und …
Sie blickt in den Spiegel und erkennt sofort, dass sich an den Hüften ein paar Pölsterchen zu viel abgesetzt haben. Die Post fällt ihr wieder ein. Werbung, nochmal Werbung und ein weiterer Brief. Auch das noch, denkt sie, als sie ihr Konterfei in ihrem Wagen sitzend erblickt. Zu schnell gefahren, Fünfzig Euro Strafe! Zeuge Polizeimeister Werner Mainz. Sie überlegt. Wieso Zeuge? Da war doch nur der dämliche Blitzer gewesen und sie hatte ihn leider etwas zu spät bemerkt. Und überhaupt! Wie kann sich ein wildfremder Mensch erdreisten, sich als Zeuge zu melden, ohne sich ihr ersteinmal vorzustellen! Diesen Polizisten werde ich mir ansehen und ihm gehörigst die Meinung sagen, denkt sie resolut.
„Ordnungsamt, Guten Tag, was kann ich für Sie tun?“ „Carola Peters, guten Tag, ich hätte gerne gewusst, wo ich bei Ihnen einen Herrn Werner Mainz finde.“ „Einen Moment, bitte. Ja, Herr Mainz sitzt in Zimmer 554, aber er ist heute nicht mehr im Hause. Sie treffen ihn morgen früh wieder an, zwischen 8 Uhr und 12 Uhr vormittags.“ „Danke, auf Wiederhören.“
Zufrieden legt sie das Handy zur Seite.
Am nächsten Morgen hat sie mehr Wert als sonst auf ihre Kleidung gelegt und ein recht jugendliches Kostüm angezogen. Nein, sie will ihn nicht bezirzen, nur zur Rede stellen. Das ist etwas ganz anderes. Wenn sie auf mehr aus gewesen wäre, hätte sie ohnehin ein stärkeres Make up verwendet. Entschlossen klopft sie an die Tür mit der Nummer 554.
„Ja, bitte! Guten Tag, gnädige Frau, was kann ich für sie tun?“ Werner Mainz ist seit einem halben Jahr wieder Single, nachdem ihn seine Frau verlassen hat. Oh, die sieht aber gut aus. Das wäre genau das Richtige, für Vaters Sohn. Leider sicher verheiratet. Noch ehe er weiterdenken kann, hält sie ihm ihren Bußgeldbescheid unter die Nase. „Junger Mann, ich gebe ja zu, an dem besagten Tag etwas zu schnell unterwegs gewesen zu sein und es geht mir nicht um die Fünfzig Euro Strafe. Die zahle ich aus der Portokasse. Aber, wie können Sie es wagen, sich als Zeuge zu präsentieren, obwohl Sie gar nicht anwesend waren? Da ist nämlich weit und breit niemand gewesen, außer meinem Fahrzeug und mir.“
„Äh, das ist so üblich, gnädige Frau. So sieht es das Gesetz vor. Ich habe das Gerät aufgestellt, also bin ich auch Zeuge, wenn es vorschriftsmäßig gearbeitet hat, und das hat es doch auch, wenn ich Sie richtig verstanden habe?“
„Aha, dann sind Sie aber ebenso dafür verantwortlich, wenn das Gerät, welches unter Ihrer Aufsicht steht, einmal nicht richtig gearbeitet hat, oder sehe ich das falsch?“
Ihm wird heiß. So etwas ist ihm noch nie untergekommen. „Hm, ich glaube, Sie haben Recht. Aber, in wie fern hat das Gerät denn nun falsch geblitzt, wenn Sie sagen, dass die Geschwindigkeitsmessung richtig war?“
„Das will ich Ihnen sagen, oder besser, ich kann es Ihnen hier einmal zeigen, junger Mann.“ Sie wedelt mit dem Foto auf dem Bescheid.
„Sehen Sie sich das an. Ihr Blitzgerät mag vielleicht die Geschwindigkeit eines Autos richtig messen können, von Frauen hat es absolut keine Ahnung. So unvorteilhaft fotografiert man keine Dame! Ich konnte mir noch nicht einmal die Nase pudern, geschweige denn, die Lippen nachziehen, da hatte mich dieses vermaledeite Ding schon in einer Weise abgelichtet, dass ich mich jetzt am liebsten von der Brücke stürzen würde!“ Sie hat sich so in Rage geredet, dass ihr nun große Tränen über die Wangen kullern. „Ich weiß, ich bin im Augenblick kein schöner Anblick, wissen Sie, mein Freund hat mich gerade nach fünf Jahren wegen einer Jüngeren sitzen lassen. Aber, so etwas auch noch auszunutzen und ein derart fürchterliches Bild von mir zu machen, das Recht hat wirklich niemand!“ Sie weint nun hemmungslos.
Er hat ihr sofort seinen Platz angeboten und reicht ihr umständlich sein Taschentuch. „Liebe gnädige Frau, Sie haben ja Recht. So etwas geht wahrhaftig nicht. Ich werde mit meinem Vorgesetzten darüber sprechen, wie wir in Zukunft die Geräte so einstellen können, dass die Damen genug Zeit bekommen, sich vor dem Fotoshooting entsprechend in Szene zu setzen. Leider kann ich Ihnen die Fünfzig Euro nicht erlassen. Aber, vielleicht erlauben Sie mir, Sie heute Abend zum Essen einzuladen? Bitte sagen Sie ja, damit ich wenigstens einen Teil des Schadens, den mein Blitzgerät bei Ihnen angerichtet hat, wieder gut machen kann.“ Sie schluckt. Er gefiel ihr von Anfang an ausgesprochen gut. Aber sie hatte den Gedanken sofort wieder verworfen, weil nett aussehende Männer in der Regel schon vergeben sind.
„Steinstraße 45, erster Stock, Carola Peters, aber das wissen Sie ja. Sagen wir um 19 Uhr?“
Er nickt lächelnd. „Grüßen Sie ihr Blitzgerät von mir. Ich erwarte Sie dann heute Abend um Sieben“, haucht sie und entschwindet wie eine Elfe aus der Tür.

Ein Jahr später.
Ein Polizeibeamter in Uniform und seine frisch vermählte Gattin verlassen die Kirche. Zehn seiner Kollegen stehen Spalier. Neben jedem hat sich eine Freundin der Braut postiert. Vor den Damen sind zehn Blitzgeräte in Position gebracht und werden just in dem Moment betätigt, als das glückliche Paar seinen ganz eigenen Blitzmarathon abschreitet. Am Ende des Weges steht noch ein Gerät. Werner Mainz verlässt seine Frau, während eine Freundin ihr einen Lippenstift reicht. Schmunzelnd zieht Carola Mainz ihren Mund nach. Dann stellt sie sich wie ein Fotomodell vor die Kamera.
Sie lacht ihren Mann strahlend an.
„Wenn es eines Tages in Pension geht und ausgemustert wird, bekommt es einen Ehrenplatz bei uns im Wohnzimmer, versprichst du mir das, Schatz?“
 



 
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