Der Doppelgänger

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Hagen

Mitglied
Der Doppelgänger

Da hatten die mich drei Tage in Untersuchungshaft gesteckt und sich noch nicht mal entschuldigt als sich herausgestellt hatte, dass ich nicht derjenige gewesen sein konnte, der die Bank an der Ecke unmaskiert überfallen und um mindestens hunderttausend Mark erleichtert hatte.
Als ich dann durch die obligate kleine Tür in der großen Tür trat, aus der in guten Filmen immer der Hauptprotagonist rauskommt und stets entweder von einer wunderschönen Braut oder einem der Jungs abgeholt wird, die auf ihn gewartet haben, um wieder ein neues, großes Ding zu drehen, dass sie ohne ihn niemals schaffen würden, weil sie seine überragende Intelligenz und sein ausgereiftes Organisationstalent benötigten, regnete es nur. Auf mich wartete niemand.
Ich kaufte mir erst mal ein halbes Dutzend Schokoriegel sowie Zigaretten, rauchte eine, und in der Straßenbahn traf ich auch nicht die gute Bekannte von früher, die mich zunächst mit zu sich nach Hause und ins Bett nahm, in dem sie sich dann in ungezügelter Leidenschaft erging, weil sie sich die ganze Zeit in unsagbarer Sehnsucht und unübertroffener Keuschheit nach mir verzehrt hatte. Nichts dergleichen; - und in dem Bäckereifachgeschäft um die Ecke, das ich aufsuchte um vier Mohnbrötchen und frisch gemahlenen Kaffee zu erwerben, stand nicht die schlanke Blondine, die mich immer so nett anlächelte, wenn ich Mohnbrötchen kaufte, sondern eine fremde Frau in geblümter Kittelschürze, Zähnen wie Hohlspitzgeschossen und einem Hintern wie ein Omnibus.
Überhaupt schien sich viel geändert zu haben, in den drei Tagen, die ich in der Untersuchungshaft verbracht hatte, denn meine Frau war auch nicht mehr da; - klar, die Beamten waren hereingestürmt, hatten behauptet, ich sei ein Verbrecher und hatten mich abgeführt. Meine Frau war immer irgendwelchen Typen in Amt und Würden mehr gefolgt als mir; - sofern sie eine Uniform, einen Talar, eine Robe oder wenigstens eine Armbinde auf der Aufsicht stand, trugen, und Frau Rohrbach-Kirchner von nebenan tat so, als ob ich die Abluft einer Kanalisationsanlage war.
War nicht so ganz die Atmosphäre, wie ich sie mir für eine ausgeglichene Gemütslage vorstellte, zumal ich in den nächsten Tagen zwei sehr unangenehme Briefe bekam, einen von dem Anwalt meiner Frau, der meinte, ich müsste meiner Frau viel Geld überweisen und einen von der Bank an der Ecke, die meinte, ich müsste ihr viel Geld bringen, und zwar das, was meine Frau abgehoben hatte.
Ich hatte noch etwas Geld und ging, was für einen Mann aus der Situation heraus völlig verständlich ist, in die Kneipe an der anderen Ecke um mal in Ruhe über die Situation nachzudenken. Der Wirt, der sonst in dem Moment ein Henkelglas unter den Zapfhahn gestellt hatte, wenn er mich hatte kommen sehen, tat diesmal nichts dergleichen, und aus irgendeiner Ecke wehte das unschöne Wörtchen 'Bankräuber' zu mir herüber. Sie mussten die Zeitung sehr intensiv gelesen haben; - dagegen kam ich nicht an. Mir blieb nichts andere übrig, als mich drei Kneipen weiter, wo mich keiner kannte, an die Theke zu setzen.
Ich war gerade bei meinem zweiten Bier und der Überlegung, ob der Zufall göttlichen Ursprungs, die Chance dessen, der ihn zu erkennen vermag, die Grundlage der kosmischen Gerechtigkeit, oder nur die Korrektur des Notwendigen war, kam einer entlang, schlug mir auf die Schulter und fragte mich, wieso ich denn so schnell aus Spanien wieder zurück sei. Ich verstand zuerst nicht, aber er behauptete, mich noch gestrigen Tages gesehen zu haben, wie ich mit einem Superschlitten, den ich überführen sollte, nach Spanien aufgebrochen war. Er gab mir erst mal einen aus und während des folgenden Gesprächs die Gewissheit, dass er mich für jemanden anders hielt, und da ich mir zufällig gerade Gedanken über den Zufall gemacht hatte, lag es durchaus im Bereich des Möglichen, dass mir der Typ, der die Bank überfallen, und für den ich gebrummt hatte, mir zufällig sehr ähnlich sah.
Als ich mir eine Zigarette anzündete, tat ich so, als hätte ich Probleme dabei, die Probleme, die sich nach ausgiebigem Alkoholgenuss wie von selber einstellen, und nach einem weiteren Bier bat ich ihn, mich nach Hause zu bringen. Das tat er dann auch, und er wollte mich sogar, nachdem er mich an der Gartenpforte eines gutbürgerlichen Zweifamilienhauses abgesetzt hatte, noch nach oben bringen. Das konnte ich gerade noch verhindern, schwankte den Weg entlang zur Eingangstür und merkte mir den Namen an der oberen Klingel. Zurück leistete ich mir ein Taxi, aber ich bat den Fahrer, mich zwei Straßen vorher herauszulassen.

Meine große Chance, die sicherlich göttlichen Ursprungs war, die ich erkannt hatte und als Grundlage der kosmischen Gerechtigkeit zu nutzen gedachte, weil sie Korrektur des Notwendigen war, nahm ich am nächsten Morgen wahr.
Ich parkte mein Auto hinter einigen geputzten Familienlimousinen, ging auf einem sorgsam vom Moos befreiten Plattenweg zum Eingang des Hauses, vor dem mich der Typ gestern abgesetzt hatte und senkte meinen Daumen auf den unteren Klingelknopf. lch war gespannt, wer mir öffnen würde.
Tatsächlich machte mir eine Frau auf, die ihrem äußeren Erscheinungsbild nach aus einer Putzmittelwerbung der Zielgruppe 'ich kaufe jeden Scheiß, wenn ihn mir das Fernsehen nur oft genug um die Ohren schlägt' entsprungen zu sein schien.
"Guten Tag, liebe Frau Lobenthal", sagte ich betont treuherzig, "ich habe leider meinen Schlüssel verloren; - können Sie mir nochmal helfen?"
"Herr Pfeiffer! Sie müssen besser aufpassen! Sowas darf nicht passieren! Jetzt müssen wir ein neues Schloss einbauen lassen, wenn der Schlüssel nun in falsche Hände gerät? Dann kann hier doch jeder ein und ausgehen!"
"Es tut mir ja leid, liebe Frau Lobenthal, ich werde das sofort in die Wege leiten, aber wie komme ich jetzt rein?"
"Ich sag' mal eben meinem Mann Bescheid. - Mein Gott, wie kann man bloß seinen Schlüssel verlieren."
Die Ähnlichkeit mit Herrn Pfeiffer schien wirklich verblüffend, und das Mietverhältnis nicht das allerbeste zu sein.
Die brave Frau kam mit einem Mann der gleichen Kategorie wieder und zeterte natürlich weiter, von Wegen, dass ich das Treppenhaus sauber machen sollte und endlich den Rasen hinter dem Haus ordentlich mähen, das wäre ein absoluter Kündigungsgrund wenn ich immer Querstreifen anstatt längs zu mähen, wie alle anderen Nachbarn auch, machen würde. Das sollte ich auch gleich mal eben tun und ich sollte ja gleich einen Schlosser anrufen, wegen der neuen Schlösser.
Ich versprach ihr alles, sogar den Rasen das nächste Mal längs zu mähen, im Moment könnte ich leider nicht, weil ich nachher noch nach Budapest müsste, aber gleich Anfang der Woche, wenn ich wieder zurück wäre, ließ mir von ihrem Mann den Reserveschlüssel geben und ging in die Wohnung meines Doppelgängers.
Zwei Zimmer, Küche, Dusche; - die Wände waren alle weiß, von dem Weiß, dass man streicht, wenn man auszieht und vorher noch schnell diverse Dübellöcher zugekleistert hat, und die Einrichtung ähnelte mehr der eines Notquartiers. Die Möbel waren alle neu und den Baumarktkatalogen entnommen, die jede Woche einmal erbarmungslos von irgendwelchen Analphabeten, die geflissentlich den Zettel daran, der freundlich darum bittet, keine Werbung in die Briefkästen zu werfen übersehen, gestopft werden. Sie waren nur insofern aufeinander abgestimmt, dass sie alle schwarz waren. Fernseher und Stereoanlage waren von etwas besserer Qualität, allerdings keine Markenartikel. Ich schaltete die Stereoanlage an, ließ alle Einstellungen unverändert und setzte mich in den Sessel auf den Platz, auf den die Lautsprecher ausgerichtet waren. Das Radio stand auf einem Sender mit klassischer Musik; - der Bursche schien mir nicht nur Äußerlich zu ähneln.
Ich saß eine Weile und versuchte mich in die Persönlichkeit des Mannes zu versetzen, der dieses hier zustande gebracht hatte. Beethoven rieselte aus den Lautsprechern, Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur Op. 73, in einer Lautstärke, die eigene Gedanken oder entspannendes Lesen zuließ. Die Bücher waren in Reichweite, vorwiegend Bildbände über Autos, meistens Oldtimer und einige Romane der Standardliteratur wie Stephen King oder Erica Jong. Einige Autozeitschriften lagen in dem Ständer neben dem Sessel, alle sahen gelesen aus, ebenso die Bücher; - die standen nicht nur zur Dekoration da. Auf Besuch, speziell auf Damenbesuch, war diese Bude nicht eingerichtet.
Sollte dieser, mein Doppelgänger, wirklich die Bank überfallen haben, war die Beute hier sicherlich nicht anzutreffen, hinter der obligaten losen Kachel im Duschbecken brauchte ich gar nicht erst nachzusehen.
Ich blätterte die Zeitschriften durch, einige Herrenmagazine, Autozeitschriften, ein Katalog über Auto-, Schiffs- und Flugzeugmodelle und die Fernsehzeitung, aufgeschlagen am Montag. Sah nicht so aus, als ob das hier was hergeben würde.
Ich inspizierte das Schlafzimmer; - ein Bukowski auf dem Nachttisch, ein Radiowecker, ein Schrank, eine Kommode, ein Korb mit Schmutzwäsche, fast leer.
Ich ging wieder ins Wohnzimmer und zum Telefon, nahm ab, drückte die Wahlwiederholungstaste und wartete einen Moment.
“Telekom Störungsstelle, Guten Tag."
"Tschuldigung", sagte ich und legte wieder auf. Es hätte so schön sein können. Irgendjemand, vielleicht sogar eine schöne Frau, hätte sich melden und mich auf die Spur des geraubten Geldes bringen können.
Ich öffnete die Schrankwand, vielleicht hatte der Bursche irgendwo sein privates Telefonbüchlein. Eine Fernsteuerung lag darin, 4 Kanal, möglicherweise ließ der Bursche hin und wieder ein Modellauto rumfahren, einen Fotoapparat ohne Film, Stativ, Blitzgerät, zahlreiche Spielzeugautos diverser Maßstäbe, aber alle ohne Motor und endlich sein Telefonbüchlein. Ich blätterte erwartungsvoll, aber keine Telefonnummern junger Damen waren darin, nur die einiger Herren, hinter einigen standen die Buchstaben SMBCU.
Vielleicht ein Saunaclub mit Massagen, Badespielen, Coitus und Umtrieben oder sowas; - sollte der Typ eventuell schwul oder pervers sein?
Konnte ich mir nicht vorstellen, denn in der Ablage neben dem Sessel waren Herrenmagazine. Ich sah mir die Zeitschriften nochmal an, keine Pornos, nur wohlgebaute, nackte Mädchen; - gemein einem Mann gegenüber, der gerade aus der U-Haft entlassen worden war.
Ich blätterte weiter in dem Modellkatalog, ordentlich von vorne nach hinten. Da waren zuerst die Schiffsmodelle - hinter einige hatte er handschriftlich die Preise geschrieben - die Flugzeuge und hinten die Autos. Ich wollte den Katalog gerade weglegen, da fiel mir auf, dass bei den Automodellen keine Preise eingetragen waren, bei den Flugzeugen auch nicht; - nur bei den Schiffen!
Seltsam für einen Typen, der die Schrankwand voller Autobücher hat. Hatte sich der Bursche etwa ein Schiffsmodell gebaut?
Das würde die Fernsteuerung erklären, die ich in der Schrankwand gesehen hatte; - ich sah mir die Abbildungen der Schiffsmodelle nochmal genau an. Das Zweischrauben Frachtschiff 'Gry Maritha' war mit Kugelschreiber dick eingekastet. 469 Euro sollte das Schiff kosten; - aber wo war es?
Wo eine Fernsteuerung ist, ist meistens auch ein Modell. Ich ging nochmal zur Schrankwand und schaltete die Fernsteuerung an. Die Kontrolllampe flammte auf, die Batterien darin mussten also noch frisch sein, ansonsten sah das Ding noch fast neu aus, wenig, aber doch gebraucht. Ich schaltete sie wieder aus und klemmte mir die Fernsteuerung und den Modellkatalog unter den Arm. Hinten war der Stempel eines Händlers in der Nähe drauf, da fuhr ich hin.
Ein hübscher Laden war das, mit kleinen und großen Schiffen in den Regalen und kleinen und großen Flugzeugen an der Decke und zwei ratlos dreinblickenden Männern, die vor den Regalen mit mannigfaltigem Zubehör rumstanden.
Der Mann hinter dem Tresen zwischen zwei Ständern mit kleinen Schiffsschrauben und Ankern klappte eine Fachzeitschrift für detaillierten Modellbau zu als ich kam und den Katalog mit dem Bild des Zweischrauben Frachtschiffs 'Gry Maritha' hochhielt.
"Tach auch", sagte ich, "hab' da kürzlich dieses entzückende Modell fertiggestellt, da hätte ich gerne noch ein paar Abziehbilder."
"Wofür? War der Bausatz nicht komplett?"
"Doch, doch, nur möchte ich dem Schiff einen anderen Namen geben. Haben sie auch Christine Keeler oder Annemarie Renger'?"
"Nein, sowas macht man auch nicht! Sie haben doch die 'Gry
Maritha' originalgetreu nachgebaut, da können sie dem Schiff doch nicht einfach einen anderen Namen geben."
"Nicht? Schade. - Wo kann ich es denn mal schwimmen lassen?"
"Im Seel"
"Ach, tatsächlich? - Ich dachte eigentlich an einen Verein mit Vereinsgaststätte, wo man ein gepflegtes Bier trinken und sich 'n paar Tipps holen kann, ich mach' das ja noch nicht so lange."
"Ach so. Ja.“
Ich wartete eine Weile bis er einem der Männer dreiundzwanzigachtzig für zwei Leuchtdioden, komplett mit Vorwiderständen, abgeknöpft hatte und hörte andächtig zu, wie er mir die Adresse des SMBCU, des Schiffsmodellbauclubs Unterweser gab und mir auch den Weg dorthin beschrieb; - war auch dicht bei.
"Wenn Sie Glück haben, ist schon jemand da."
Ich hatte Glück, zwei Männer saßen am Teich, ließen einen Seitentrawler und einen Dampfschlepper fahren, fragten mich, warum ich mich solange nicht hatte sehen lassen und wollten wissen, wann ich denn endlich den längst fälligen Mitgliedsbeitrag entrichten würde.
"Nächste Woche", sagte ich, setzte mich dazu, zündete mir eine Zigarette an und schaute zu den Schiffen hinüber. Da musste mein Doppelgänger hier doch tatsächlich schon Mitglied geworden sein; - sicher hatte er sein Modell im Clubhaus stehen.
Überhaupt schien er den Banküberfall von langer Hand geplant zu haben.
Die Beiden unterhielten sich über die Wellenbilder ihrer Schiffe und wollten wissen, ob ich denn schon mit dem 'Clyde Puffer' angefangen hätte, und ob ich demnächst denn auch in Lehrte sein würde, zur 'mini sail'.
"Ich denke doch", sagte ich und überlegte, was zur Hölle ein 'Clyde Puffer' sein könnte, "eigentlich wollte ich nur mein Schiffchen abholen. 'will am Wochenende noch neue Windhutzen einbauen."
"Ja, ja, macht viel Arbeit, so ein Modell", sagte der eine, "ist aber schön", der andere.
Ich pflichtete ihnen bei und drückte meine Zigarette aus.
"Moment", sagte der zweite und steuerte seinen Schlepper zum Steg, "ich komm' mal eben mit."
Der andere ließ sein Schiffchen auch herbei schwimmen und die beiden Herren hoben ihre Schiffe vorsichtig aus dem Wasser und stellten sie in bereitstehende Ständer. Wir gingen zu dem leicht baufällig wirkenden Häuschen und einer schloss auf. Zwischen einer Motorsegeljacht und einem Bergungsschlepper stand das blaue Zweischrauben Frachtschiff 'Gry Maritha'.
Ich ging selbstsicher hin und fasste es vorsichtig, wie ich es bei den beiden Herren gesehen hatte, unter den Rumpf.
"Die Schrauben musst du aber noch verschwinden lassen", sagte einer und deutete auf die Köpfe dreier Spax-Schrauben, die wirklich wie Fremdkörper aus dem Deck ragten.
Ich nickte.
"Ja, das hab' ich auch schon gedacht. Ich kleb' da Figuren drauf. Das wirkt ja wie ein Geisterschiff, so ganz ohne Menschen.“
Wir fachsimpelten noch ein wenig über Figuren während ich das Modell zum Auto trug und vorsichtig auf die Rückbank legte. Eigentlich sind Modellbauer liebenswerte Menschen, sie sind glücklich dabei, eine eigene Welt im Kleinen zu schaffen, viele Stunden an einem Modell zu bauen, mit Sinn für Kleinigkeiten selbst etwas zu schaffen um dann ruhig am See zu sitzen und sich still über ihr Werk zu freuen, auf diese Weise Kraft für den Alltag zu schöpfen.
Wenn alle Menschen so wären, würde es sicher weniger Kriege geben; - und weniger Banküberfälle.
Ich fuhr nach Hause, kaufte beim Tabakmann um die Ecke noch schnell Zigaretten, nahm mir nicht die Zeit, das Auto in die Garage zu fahren, brachte das Modell vorsichtig ins Wohnzimmer und zündete mir erst mal eine Zigarette an. Nahezu rituell löste ich die drei Spaxe. Die Lukendeckel ließen sich nun leicht abnehmen; - darunter lagen viele Geldbündel.

Zur Zeit überlege ich ernsthaft, sie zu behalten.
Irgendwie habe ich das Gefühl, mir das Geld erarbeitet zu haben, und was man reell erarbeitet hat, kann man ruhig behalten.
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Das doppelte Hagen (chen)

Weißt Du was der Clou an deiner Story ist? Normalerweise kann ich schon in der Mitte einer Geschichte die Pointe prognostizieren, so es überhaupt eine gibt. Und die ist in vielen der sonst so angebotenen Plots gähnend langweilig oder glänzt ganz durch Abwesenheit.

Irgendwie dachte ich mir schon, dass dein Protagonist den Bankräuber final um seine Beute erleichtern wird. Du hast die Auflösung aber quasi erst im vorletzten Satz gebracht und ich war bei dieser Wendung der Dinge fürbass erstaunt.

Das ist großes Kino, spannend geschrieben, mit dezentem Hagenwitz und einer gehörigen Portion Lebenserfahrung bei der Schilderung von Alltagssituationen, wie der Strichrichtungsvorgabe in Deutschen Vorgärten und bei Charakterstudien allgemein.

Aber tu mal etwas langsamer – ich komm bei deiner Schreibgeschwindigkeit langsam mit dem Lesen nicht mehr mit :).

Ein Leseschmaus für die Feiertagspaus' ... Ironbiber
 

Hagen

Mitglied
Der Doppelgänger

Da hatten die mich drei Tage in Untersuchungshaft gesteckt und sich noch nicht mal entschuldigt als sich herausgestellt hatte, dass ich nicht derjenige gewesen sein konnte, der die Bank an der Ecke unmaskiert überfallen und um mindestens hunderttausend Euro erleichtert hatte.
Als ich dann durch die obligate kleine Tür in der großen Tür trat, aus der in guten Filmen immer der Hauptprotagonist rauskommt und stets entweder von einer wunderschönen Braut oder einem der Jungs abgeholt wird, die auf ihn gewartet haben, um wieder ein neues, großes Ding zu drehen, dass sie ohne ihn niemals schaffen würden, weil sie seine überragende Intelligenz und sein ausgereiftes Organisationstalent benötigten, regnete es nur. Auf mich wartete niemand.
Ich kaufte mir erst mal ein halbes Dutzend Schokoriegel sowie Zigaretten, rauchte eine, und in der Straßenbahn traf ich auch nicht die gute Bekannte von früher, die mich zunächst mit zu sich nach Hause und ins Bett nahm, in dem sie sich dann in ungezügelter Leidenschaft erging, weil sie sich die ganze Zeit in unsagbarer Sehnsucht und unübertroffener Keuschheit nach mir verzehrt hatte. Nichts dergleichen; - und in dem Bäckereifachgeschäft um die Ecke, das ich aufsuchte um vier Mohnbrötchen und frisch gemahlenen Kaffee zu erwerben, stand nicht die schlanke Blondine, die mich immer so nett anlächelte, wenn ich Mohnbrötchen kaufte, sondern eine fremde Frau in geblümter Kittelschürze, Zähnen wie Hohlspitzgeschossen und einem Hintern wie ein Omnibus.
Überhaupt schien sich viel geändert zu haben, in den drei Tagen, die ich in der Untersuchungshaft verbracht hatte, denn meine Frau war auch nicht mehr da; - klar, die Beamten waren hereingestürmt, hatten behauptet, ich sei ein Verbrecher und hatten mich abgeführt. Meine Frau war immer irgendwelchen Typen in Amt und Würden mehr gefolgt als mir; - sofern sie eine Uniform, einen Talar, eine Robe oder wenigstens eine Armbinde auf der Aufsicht stand, trugen, und Frau Rohrbach-Kirchner von nebenan tat so, als ob ich die Abluft einer Kanalisationsanlage war.
War nicht so ganz die Atmosphäre, wie ich sie mir für eine ausgeglichene Gemütslage vorstellte, zumal ich in den nächsten Tagen zwei sehr unangenehme Briefe bekam, einen von dem Anwalt meiner Frau, der meinte, ich müsste meiner Frau viel Geld überweisen und einen von der Bank an der Ecke, die meinte, ich müsste ihr viel Geld bringen, und zwar das, was meine Frau abgehoben hatte.
Ich hatte noch etwas Geld und ging, was für einen Mann aus der Situation heraus völlig verständlich ist, in die Kneipe an der anderen Ecke um mal in Ruhe über die Situation nachzudenken. Der Wirt, der sonst in dem Moment ein Henkelglas unter den Zapfhahn gestellt hatte, wenn er mich hatte kommen sehen, tat diesmal nichts dergleichen, und aus irgendeiner Ecke wehte das unschöne Wörtchen 'Bankräuber' zu mir herüber. Sie mussten die Zeitung sehr intensiv gelesen haben; - dagegen kam ich nicht an. Mir blieb nichts andere übrig, als mich drei Kneipen weiter, wo mich keiner kannte, an die Theke zu setzen.
Ich war gerade bei meinem zweiten Bier und der Überlegung, ob der Zufall göttlichen Ursprungs, die Chance dessen, der ihn zu erkennen vermag, die Grundlage der kosmischen Gerechtigkeit, oder nur die Korrektur des Notwendigen war, kam einer entlang, schlug mir auf die Schulter und fragte mich, wieso ich denn so schnell aus Spanien wieder zurück sei. Ich verstand zuerst nicht, aber er behauptete, mich noch gestrigen Tages gesehen zu haben, wie ich mit einem Superschlitten, den ich überführen sollte, nach Spanien aufgebrochen war. Er gab mir erst mal einen aus und während des folgenden Gesprächs die Gewissheit, dass er mich für jemanden anders hielt, und da ich mir zufällig gerade Gedanken über den Zufall gemacht hatte, lag es durchaus im Bereich des Möglichen, dass mir der Typ, der die Bank überfallen, und für den ich gebrummt hatte, mir zufällig sehr ähnlich sah.
Als ich mir eine Zigarette anzündete, tat ich so, als hätte ich Probleme dabei, die Probleme, die sich nach ausgiebigem Alkoholgenuss wie von selber einstellen, und nach einem weiteren Bier bat ich ihn, mich nach Hause zu bringen. Das tat er dann auch, und er wollte mich sogar, nachdem er mich an der Gartenpforte eines gutbürgerlichen Zweifamilienhauses abgesetzt hatte, noch nach oben bringen. Das konnte ich gerade noch verhindern, schwankte den Weg entlang zur Eingangstür und merkte mir den Namen an der oberen Klingel. Zurück leistete ich mir ein Taxi, aber ich bat den Fahrer, mich zwei Straßen vorher herauszulassen.

Meine große Chance, die sicherlich göttlichen Ursprungs war, die ich erkannt hatte und als Grundlage der kosmischen Gerechtigkeit zu nutzen gedachte, weil sie Korrektur des Notwendigen war, nahm ich am nächsten Morgen wahr.
Ich parkte mein Auto hinter einigen geputzten Familienlimousinen, ging auf einem sorgsam vom Moos befreiten Plattenweg zum Eingang des Hauses, vor dem mich der Typ gestern abgesetzt hatte und senkte meinen Daumen auf den unteren Klingelknopf. lch war gespannt, wer mir öffnen würde.
Tatsächlich machte mir eine Frau auf, die ihrem äußeren Erscheinungsbild nach aus einer Putzmittelwerbung der Zielgruppe 'ich kaufe jeden Scheiß, wenn ihn mir das Fernsehen nur oft genug um die Ohren schlägt' entsprungen zu sein schien.
"Guten Tag, liebe Frau Lobenthal", sagte ich betont treuherzig, "ich habe leider meinen Schlüssel verloren; - können Sie mir nochmal helfen?"
"Herr Pfeiffer! Sie müssen besser aufpassen! Sowas darf nicht passieren! Jetzt müssen wir ein neues Schloss einbauen lassen, wenn der Schlüssel nun in falsche Hände gerät? Dann kann hier doch jeder ein und ausgehen!"
"Es tut mir ja leid, liebe Frau Lobenthal, ich werde das sofort in die Wege leiten, aber wie komme ich jetzt rein?"
"Ich sag' mal eben meinem Mann Bescheid. - Mein Gott, wie kann man bloß seinen Schlüssel verlieren."
Die Ähnlichkeit mit Herrn Pfeiffer schien wirklich verblüffend, und das Mietverhältnis nicht das allerbeste zu sein.
Die brave Frau kam mit einem Mann der gleichen Kategorie wieder und zeterte natürlich weiter, von Wegen, dass ich das Treppenhaus sauber machen sollte und endlich den Rasen hinter dem Haus ordentlich mähen, das wäre ein absoluter Kündigungsgrund wenn ich immer Querstreifen anstatt längs zu mähen, wie alle anderen Nachbarn auch, machen würde. Das sollte ich auch gleich mal eben tun und ich sollte ja gleich einen Schlosser anrufen, wegen der neuen Schlösser.
Ich versprach ihr alles, sogar den Rasen das nächste Mal längs zu mähen, im Moment könnte ich leider nicht, weil ich nachher noch nach Budapest müsste, aber gleich Anfang der Woche, wenn ich wieder zurück wäre, ließ mir von ihrem Mann den Reserveschlüssel geben und ging in die Wohnung meines Doppelgängers.
Zwei Zimmer, Küche, Dusche; - die Wände waren alle weiß, von dem Weiß, dass man streicht, wenn man auszieht und vorher noch schnell diverse Dübellöcher zugekleistert hat, und die Einrichtung ähnelte mehr der eines Notquartiers. Die Möbel waren alle neu und den Baumarktkatalogen entnommen, die jede Woche einmal erbarmungslos von irgendwelchen Analphabeten, die geflissentlich den Zettel daran, der freundlich darum bittet, keine Werbung in die Briefkästen zu werfen übersehen, gestopft werden. Sie waren nur insofern aufeinander abgestimmt, dass sie alle schwarz waren. Fernseher und Stereoanlage waren von etwas besserer Qualität, allerdings keine Markenartikel. Ich schaltete die Stereoanlage an, ließ alle Einstellungen unverändert und setzte mich in den Sessel auf den Platz, auf den die Lautsprecher ausgerichtet waren. Das Radio stand auf einem Sender mit klassischer Musik; - der Bursche schien mir nicht nur Äußerlich zu ähneln.
Ich saß eine Weile und versuchte mich in die Persönlichkeit des Mannes zu versetzen, der dieses hier zustande gebracht hatte. Beethoven rieselte aus den Lautsprechern, Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur Op. 73, in einer Lautstärke, die eigene Gedanken oder entspannendes Lesen zuließ. Die Bücher waren in Reichweite, vorwiegend Bildbände über Autos, meistens Oldtimer und einige Romane der Standardliteratur wie Stephen King oder Erica Jong. Einige Autozeitschriften lagen in dem Ständer neben dem Sessel, alle sahen gelesen aus, ebenso die Bücher; - die standen nicht nur zur Dekoration da. Auf Besuch, speziell auf Damenbesuch, war diese Bude nicht eingerichtet.
Sollte dieser, mein Doppelgänger, wirklich die Bank überfallen haben, war die Beute hier sicherlich nicht anzutreffen, hinter der obligaten losen Kachel im Duschbecken brauchte ich gar nicht erst nachzusehen.
Ich blätterte die Zeitschriften durch, einige Herrenmagazine, Autozeitschriften, ein Katalog über Auto-, Schiffs- und Flugzeugmodelle und die Fernsehzeitung, aufgeschlagen am Montag. Sah nicht so aus, als ob das hier was hergeben würde.
Ich inspizierte das Schlafzimmer; - ein Bukowski auf dem Nachttisch, ein Radiowecker, ein Schrank, eine Kommode, ein Korb mit Schmutzwäsche, fast leer.
Ich ging wieder ins Wohnzimmer und zum Telefon, nahm ab, drückte die Wahlwiederholungstaste und wartete einen Moment.
“Telekom Störungsstelle, Guten Tag."
"Tschuldigung", sagte ich und legte wieder auf. Es hätte so schön sein können. Irgendjemand, vielleicht sogar eine schöne Frau, hätte sich melden und mich auf die Spur des geraubten Geldes bringen können.
Ich öffnete die Schrankwand, vielleicht hatte der Bursche irgendwo sein privates Telefonbüchlein. Eine Fernsteuerung lag darin, 4 Kanal, möglicherweise ließ der Bursche hin und wieder ein Modellauto rumfahren, einen Fotoapparat ohne Film, Stativ, Blitzgerät, zahlreiche Spielzeugautos diverser Maßstäbe, aber alle ohne Motor und endlich sein Telefonbüchlein. Ich blätterte erwartungsvoll, aber keine Telefonnummern junger Damen waren darin, nur die einiger Herren, hinter einigen standen die Buchstaben SMBCU.
Vielleicht ein Saunaclub mit Massagen, Badespielen, Coitus und Umtrieben oder sowas; - sollte der Typ eventuell schwul oder pervers sein?
Konnte ich mir nicht vorstellen, denn in der Ablage neben dem Sessel waren Herrenmagazine. Ich sah mir die Zeitschriften nochmal an, keine Pornos, nur wohlgebaute, nackte Mädchen; - gemein einem Mann gegenüber, der gerade aus der U-Haft entlassen worden war.
Ich blätterte weiter in dem Modellkatalog, ordentlich von vorne nach hinten. Da waren zuerst die Schiffsmodelle - hinter einige hatte er handschriftlich die Preise geschrieben - die Flugzeuge und hinten die Autos. Ich wollte den Katalog gerade weglegen, da fiel mir auf, dass bei den Automodellen keine Preise eingetragen waren, bei den Flugzeugen auch nicht; - nur bei den Schiffen!
Seltsam für einen Typen, der die Schrankwand voller Autobücher hat. Hatte sich der Bursche etwa ein Schiffsmodell gebaut?
Das würde die Fernsteuerung erklären, die ich in der Schrankwand gesehen hatte; - ich sah mir die Abbildungen der Schiffsmodelle nochmal genau an. Das Zweischrauben Frachtschiff 'Gry Maritha' war mit Kugelschreiber dick eingekastet. 469 Euro sollte das Schiff kosten; - aber wo war es?
Wo eine Fernsteuerung ist, ist meistens auch ein Modell. Ich ging nochmal zur Schrankwand und schaltete die Fernsteuerung an. Die Kontrolllampe flammte auf, die Batterien darin mussten also noch frisch sein, ansonsten sah das Ding noch fast neu aus, wenig, aber doch gebraucht. Ich schaltete sie wieder aus und klemmte mir die Fernsteuerung und den Modellkatalog unter den Arm. Hinten war der Stempel eines Händlers in der Nähe drauf, da fuhr ich hin.
Ein hübscher Laden war das, mit kleinen und großen Schiffen in den Regalen und kleinen und großen Flugzeugen an der Decke und zwei ratlos dreinblickenden Männern, die vor den Regalen mit mannigfaltigem Zubehör rumstanden.
Der Mann hinter dem Tresen zwischen zwei Ständern mit kleinen Schiffsschrauben und Ankern klappte eine Fachzeitschrift für detaillierten Modellbau zu als ich kam und den Katalog mit dem Bild des Zweischrauben Frachtschiffs 'Gry Maritha' hochhielt.
"Tach auch", sagte ich, "hab' da kürzlich dieses entzückende Modell fertiggestellt, da hätte ich gerne noch ein paar Abziehbilder."
"Wofür? War der Bausatz nicht komplett?"
"Doch, doch, nur möchte ich dem Schiff einen anderen Namen geben. Haben sie auch Christine Keeler oder Annemarie Renger'?"
"Nein, sowas macht man auch nicht! Sie haben doch die 'Gry
Maritha' originalgetreu nachgebaut, da können sie dem Schiff doch nicht einfach einen anderen Namen geben."
"Nicht? Schade. - Wo kann ich es denn mal schwimmen lassen?"
"Im Seel"
"Ach, tatsächlich? - Ich dachte eigentlich an einen Verein mit Vereinsgaststätte, wo man ein gepflegtes Bier trinken und sich 'n paar Tipps holen kann, ich mach' das ja noch nicht so lange."
"Ach so. Ja.“
Ich wartete eine Weile bis er einem der Männer dreiundzwanzigachtzig für zwei Leuchtdioden, komplett mit Vorwiderständen, abgeknöpft hatte und hörte andächtig zu, wie er mir die Adresse des SMBCU, des Schiffsmodellbauclubs Unterweser gab und mir auch den Weg dorthin beschrieb; - war auch dicht bei.
"Wenn Sie Glück haben, ist schon jemand da."
Ich hatte Glück, zwei Männer saßen am Teich, ließen einen Seitentrawler und einen Dampfschlepper fahren, fragten mich, warum ich mich solange nicht hatte sehen lassen und wollten wissen, wann ich denn endlich den längst fälligen Mitgliedsbeitrag entrichten würde.
"Nächste Woche", sagte ich, setzte mich dazu, zündete mir eine Zigarette an und schaute zu den Schiffen hinüber. Da musste mein Doppelgänger hier doch tatsächlich schon Mitglied geworden sein; - sicher hatte er sein Modell im Clubhaus stehen.
Überhaupt schien er den Banküberfall von langer Hand geplant zu haben.
Die Beiden unterhielten sich über die Wellenbilder ihrer Schiffe und wollten wissen, ob ich denn schon mit dem 'Clyde Puffer' angefangen hätte, und ob ich demnächst denn auch in Lehrte sein würde, zur 'mini sail'.
"Ich denke doch", sagte ich und überlegte, was zur Hölle ein 'Clyde Puffer' sein könnte, "eigentlich wollte ich nur mein Schiffchen abholen. 'will am Wochenende noch neue Windhutzen einbauen."
"Ja, ja, macht viel Arbeit, so ein Modell", sagte der eine, "ist aber schön", der andere.
Ich pflichtete ihnen bei und drückte meine Zigarette aus.
"Moment", sagte der zweite und steuerte seinen Schlepper zum Steg, "ich komm' mal eben mit."
Der andere ließ sein Schiffchen auch herbei schwimmen und die beiden Herren hoben ihre Schiffe vorsichtig aus dem Wasser und stellten sie in bereitstehende Ständer. Wir gingen zu dem leicht baufällig wirkenden Häuschen und einer schloss auf. Zwischen einer Motorsegeljacht und einem Bergungsschlepper stand das blaue Zweischrauben Frachtschiff 'Gry Maritha'.
Ich ging selbstsicher hin und fasste es vorsichtig, wie ich es bei den beiden Herren gesehen hatte, unter den Rumpf.
"Die Schrauben musst du aber noch verschwinden lassen", sagte einer und deutete auf die Köpfe dreier Spax-Schrauben, die wirklich wie Fremdkörper aus dem Deck ragten.
Ich nickte.
"Ja, das hab' ich auch schon gedacht. Ich kleb' da Figuren drauf. Das wirkt ja wie ein Geisterschiff, so ganz ohne Menschen.“
Wir fachsimpelten noch ein wenig über Figuren während ich das Modell zum Auto trug und vorsichtig auf die Rückbank legte. Eigentlich sind Modellbauer liebenswerte Menschen, sie sind glücklich dabei, eine eigene Welt im Kleinen zu schaffen, viele Stunden an einem Modell zu bauen, mit Sinn für Kleinigkeiten selbst etwas zu schaffen um dann ruhig am See zu sitzen und sich still über ihr Werk zu freuen, auf diese Weise Kraft für den Alltag zu schöpfen.
Wenn alle Menschen so wären, würde es sicher weniger Kriege geben; - und weniger Banküberfälle.
Ich fuhr nach Hause, kaufte beim Tabakmann um die Ecke noch schnell Zigaretten, nahm mir nicht die Zeit, das Auto in die Garage zu fahren, brachte das Modell vorsichtig ins Wohnzimmer und zündete mir erst mal eine Zigarette an. Nahezu rituell löste ich die drei Spaxe. Die Lukendeckel ließen sich nun leicht abnehmen; - darunter lagen viele Geldbündel.

Zur Zeit überlege ich ernsthaft, sie zu behalten.
Irgendwie habe ich das Gefühl, mir das Geld erarbeitet zu haben, und was man reell erarbeitet hat, kann man ruhig behalten.
 

Hagen

Mitglied
Hallo mein Eisenbiber!

Danke erstmal für's Lob.
Ich hatte in der letzten Zeit mächtig was um die Ohren, was mir so gar keinen Spaß gemacht hat. Da hilft nur eins:
Was machen, was mir Spaß macht, und das ist schreiben.
Guck doch mal bei Kurzgeschichten rein.

Das hast Du nun davon, Redakteur zu werden!

Herzliche Grüße ins Ländle
yours Hagen


________
nichts endet wie geplant!
 

SanneZwei

Mitglied
Lieber Hagen,

Bravo! Lebendig und spritzig verfasst. Das hätte auch bei "Humor und Satire" einen Platz gefunden.
Habe ich sehr gerne gelesen.

Liebe Grüße
Susanne
 

Hagen

Mitglied
Liebe Susanne!

Danke erstmal für's Lob.
Aber bei 'Humor und Satire' stelle ich Anderes ein, was von den geneigten Lesern der Leselupe meistens falsch aufgefasst wird.
'Richtige Literatur' mache ich eigentlich nur bei den 'Erzälungen', aber die sind meistens sehr lang, handeln von Flugzeugen und werden möglicherweis deshalb nicht beachtet.

Sei es drum!

Ich grüße Dich
yours Hagen



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SanneZwei

Mitglied
Lieber Hagen,
verstehe! Deine drei neuen Erzählungen hatte ich zuvor gelesen. Aber es lag nicht unbedingt am Thema, das mein Interesse nicht geweckt hatte, denn auch Bankräuber und Schiffsmodelle, wie sie in dieser Geschichte vorkommen, wecken gewöhnlich nicht mein Interesse. Und trotzdem hattest du hier mein Interesse sofort, brachtest mich dazu, wissen zu wollen, wie es weitergeht, hast mich involviert und zum Mitdenken angeregt, und schlussendlich mochte ich das Tempo und die Überraschungsmomente.
Liebe Grüße
Susanne
 

Hagen

Mitglied
Hallo Susanne,

ja,ja, so ist das Leben!

Ich habe inzwischen auch was von Dir Gelesen. Liegt zwar auch nicht unbedingt in meinem Interessenbereich, aber trotzdem:
Chapeau!
Möglicherweise trifft das längst vergessene 'wochenende mit Irene' Dein geneigtes Interesse. Es liegt bei 'Erzählungen' 4.
Da hast Du genug 'Überraschungsmomente' und ordentlich Tempo.
Viel Spaß!

Viele liebe Grüße
yours Hagen


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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Genüßlich gelesen! Allerdings würde ich "schwul und pervers" nicht in einem Atemzug nennen.
Dein Text ist übrigens von der Wirklichkeit eingeholt worden. In dieser Woche hat ein Strafgefangener die Ähnlichkeit mit seinem Zellennachbarn ausgenutzt, welcher entlassen werden sollte. Die Beamten haben nicht gemerkt, dass der Falsche die Anstalt verließ......(hab vergessen, in welcher Stadt das war.)

FF (frohe Pfingsten),
Doc
 

Hagen

Mitglied
Hallo Doc!

Mensch, dass es Dich noch gibt; - lange nichts mehr voneinander gehört.
Danke für's Lob - aber 'schwul' und 'pervers' muss man sogar in eine Satz erwähnen!
Meine Geschichte ist als garnicht soweit hergeholt, das freut mich.
Schon mal bei den 'Erzählungen' reingeguckt?

Viele liebe Grüße
yours Hagen


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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber Hagen, ich stimme nicht mit Dir überein, dass man schwul und pervers in einem Atemzug nennen muss. Schwulsein ist eine "Normvariante" und keinesfalls pervers. Dieser Ausdruck ist ein Schlag ins Gesicht aller Schwulen und Lesben.
Pervers ist Sex mit Kindern, Tieren und andere Abartigkeiten.
LG Doc
 

Hagen

Mitglied
Hallo Doc!

Auf die Gefahr hin, dass ich mich für immer bei Dir unbeliebt mache, was ich natürlich nicht möchte, aber ich gebe auf allgemeine Meinungen garnichts!
Mein Vorurteil Schwulen gegenüber wird nur immer wieder bestätigt!
Über kurz oder lang haben mir Schwule und Lesben beruflich und privat immer wieder Ärger gemacht; - mehr als Normalos.
Aber das diskutier bitte mit Dominik Klama, Paul Schubert oder ähnlichen Typen. Mir ist die Zeit zu schade, ich schreibe lieber Stories.

In diesem Sinne
und nix für ungut.
Herzlichst
yours Hagen


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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Hagen, ich gebe auf Voruteile gar nichts. Sind wir eben unterschiedlicher Meinung, soll durchaus vorkommen.
Wie gesagt, ich finde die Textstelle schwul und pervers eben falsch, aber es ist Dein Recht, sie so zu lassen.
LG Doc
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Merwürdiges Argument …

"Mein Vorurteil Schwulen gegenüber wird nur immer wieder bestätigt!
Über kurz oder lang haben mir Schwule und Lesben beruflich und privat immer wieder Ärger gemacht; - mehr als Normalos."
Mit dem Argument sollten dir wohl Deutschsprachige extrem "pervers" vorkommen, denn die allerallerallermeisten derer, die dir Ärger machen, sind (so vermute ich) welche.
 

Hagen

Mitglied
Ach Doc, Du treue Leserin,
es gibt für uns Literaten wichtigers, als sich über soeinen Mist die Köpfe einzuschlagen. Das gehört, wie gesagt, ins Forum Lupanum und da ist es gut aufgehober; - da kümmert sich sowieso keine Sau drum.
Solltest Du statt dessen nicht lieber ein Paar von Deinen genialen Geschichten, ich denke da an 'SISSI-SAUFEN u.Ä., ablassen, anstatt Deine Zeit für Sowas zu verschwenden?

Viele liebe Grüße
yours Hagen


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Hagen

Mitglied
Hallo Jon!

Ich wiederhole mich ungern, aber ich bitte Dich den Beitrag an Doc Schneider zu lesen.

Viele Grüße
yours Hagen


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DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Lieber Hagen, Literaten transportieren Worte und sie können sich auch darüber austauschen. Wenn ich es recht sehe, heißt es nun: "Schwul oder pervers" und nicht mehr und. Und wir hauen uns nicht die Köpfe ein - mit mir schon gar nicht -, sondern pflegen hier einen Austausch!
Gerne schriebe ich einen genialen Artikel, doch dazu müsste mich erst die Muse küssen. Ich warte mal darauf. ;-)
LG Doc
 

Hagen

Mitglied
Hallo Doc,

ich hoffe, dass Dich die Muse recht bald küsst!

Viele liebe Grüße
yours Hagen


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Hagen

Mitglied
Da hatten die mich drei Tage in Untersuchungshaft gesteckt und sich noch nicht mal entschuldigt als sich herausgestellt hatte, dass ich nicht derjenige gewesen sein konnte, der die Bank an der Ecke unmaskiert überfallen und um mindestens hunderttausend Euro erleichtert hatte.
Als ich dann durch die obligate kleine Tür in der großen Tür trat, aus der in guten Filmen immer der Hauptprotagonist rauskommt und stets entweder von einer wunderschönen Braut oder einem der Jungs abgeholt wird, die auf ihn gewartet haben, um wieder ein neues, großes Ding zu drehen, dass sie ohne ihn niemals schaffen würden, weil sie seine überragende Intelligenz und sein ausgereiftes Organisationstalent benötigten, regnete es nur. Auf mich wartete niemand.
Ich kaufte mir erst mal ein halbes Dutzend Schokoriegel sowie Zigaretten, rauchte eine, und in der Straßenbahn traf ich auch nicht die gute Bekannte von früher, die mich zunächst mit zu sich nach Hause und ins Bett nahm, in dem sie sich dann in ungezügelter Leidenschaft erging, weil sie sich die ganze Zeit in unsagbarer Sehnsucht und unübertroffener Keuschheit nach mir verzehrt hatte. Nichts dergleichen; - und in dem Bäckereifachgeschäft um die Ecke, das ich aufsuchte um vier Mohnbrötchen und frisch gemahlenen Kaffee zu erwerben, stand nicht die schlanke Blondine, die mich immer so nett anlächelte, wenn ich Mohnbrötchen kaufte, sondern eine fremde Frau in geblümter Kittelschürze, Zähnen wie Hohlspitzgeschossen und einem Hintern wie ein Omnibus.
Überhaupt schien sich viel geändert zu haben, in den drei Tagen, die ich in der Untersuchungshaft verbracht hatte, denn meine Frau war auch nicht mehr da; - klar, die Beamten waren hereingestürmt, hatten behauptet, ich sei ein Verbrecher und hatten mich abgeführt. Meine Frau war immer irgendwelchen Typen in Amt und Würden mehr gefolgt als mir; - sofern sie eine Uniform, einen Talar, eine Robe oder wenigstens eine Armbinde auf der Aufsicht stand, trugen, und Frau Rohrbach-Kirchner von nebenan tat so, als ob ich die Abluft einer Kanalisationsanlage war.
War nicht so ganz die Atmosphäre, wie ich sie mir für eine ausgeglichene Gemütslage vorstellte, zumal ich in den nächsten Tagen zwei sehr unangenehme Briefe bekam, einen von dem Anwalt meiner Frau, der meinte, ich müsste meiner Frau viel Geld überweisen und einen von der Bank an der Ecke, die meinte, ich müsste ihr viel Geld bringen, und zwar das, was meine Frau abgehoben hatte.
Ich hatte noch etwas Geld und ging, was für einen Mann aus der Situation heraus völlig verständlich ist, in die Kneipe an der anderen Ecke um mal in Ruhe über die Situation nachzudenken. Der Wirt, der sonst in dem Moment ein Henkelglas unter den Zapfhahn gestellt hatte, wenn er mich hatte kommen sehen, tat diesmal nichts dergleichen, und aus irgendeiner Ecke wehte das unschöne Wörtchen 'Bankräuber' zu mir herüber. Sie mussten die Zeitung sehr intensiv gelesen haben; - dagegen kam ich nicht an. Mir blieb nichts andere übrig, als mich drei Kneipen weiter, wo mich keiner kannte, an die Theke zu setzen.
Ich war gerade bei meinem zweiten Bier und der Überlegung, ob der Zufall göttlichen Ursprungs, die Chance dessen, der ihn zu erkennen vermag, die Grundlage der kosmischen Gerechtigkeit, oder nur die Korrektur des Notwendigen war, kam einer entlang, schlug mir auf die Schulter und fragte mich, wieso ich denn so schnell aus Spanien wieder zurück sei. Ich verstand zuerst nicht, aber er behauptete, mich noch gestrigen Tages gesehen zu haben, wie ich mit einem Superschlitten, den ich überführen sollte, nach Spanien aufgebrochen war. Er gab mir erst mal einen aus und während des folgenden Gesprächs die Gewissheit, dass er mich für jemanden anders hielt, und da ich mir zufällig gerade Gedanken über den Zufall gemacht hatte, lag es durchaus im Bereich des Möglichen, dass mir der Typ, der die Bank überfallen, und für den ich gebrummt hatte, mir zufällig sehr ähnlich sah.
Als ich mir eine Zigarette anzündete, tat ich so, als hätte ich Probleme dabei, die Probleme, die sich nach ausgiebigem Alkoholgenuss wie von selber einstellen, und nach einem weiteren Bier bat ich ihn, mich nach Hause zu bringen. Das tat er dann auch, und er wollte mich sogar, nachdem er mich an der Gartenpforte eines gutbürgerlichen Zweifamilienhauses abgesetzt hatte, noch nach oben bringen. Das konnte ich gerade noch verhindern, schwankte den Weg entlang zur Eingangstür und merkte mir den Namen an der oberen Klingel. Zurück leistete ich mir ein Taxi, aber ich bat den Fahrer, mich zwei Straßen vorher herauszulassen.

Meine große Chance, die sicherlich göttlichen Ursprungs war, die ich erkannt hatte und als Grundlage der kosmischen Gerechtigkeit zu nutzen gedachte, weil sie Korrektur des Notwendigen war, nahm ich am nächsten Morgen wahr.
Ich parkte mein Auto hinter einigen geputzten Familienlimousinen, ging auf einem sorgsam vom Moos befreiten Plattenweg zum Eingang des Hauses, vor dem mich der Typ gestern abgesetzt hatte und senkte meinen Daumen auf den unteren Klingelknopf. lch war gespannt, wer mir öffnen würde.
Tatsächlich machte mir eine Frau auf, die ihrem äußeren Erscheinungsbild nach aus einer Putzmittelwerbung der Zielgruppe 'ich kaufe jeden Scheiß, wenn ihn mir das Fernsehen nur oft genug um die Ohren schlägt' entsprungen zu sein schien.
"Guten Tag, liebe Frau Lobenthal", sagte ich betont treuherzig, "ich habe leider meinen Schlüssel verloren; - können Sie mir nochmal helfen?"
"Herr Pfeiffer! Sie müssen besser aufpassen! Sowas darf nicht passieren! Jetzt müssen wir ein neues Schloss einbauen lassen, wenn der Schlüssel nun in falsche Hände gerät? Dann kann hier doch jeder ein und ausgehen!"
"Es tut mir ja leid, liebe Frau Lobenthal, ich werde das sofort in die Wege leiten, aber wie komme ich jetzt rein?"
"Ich sag' mal eben meinem Mann Bescheid. - Mein Gott, wie kann man bloß seinen Schlüssel verlieren."
Die Ähnlichkeit mit Herrn Pfeiffer schien wirklich verblüffend, und das Mietverhältnis nicht das allerbeste zu sein.
Die brave Frau kam mit einem Mann der gleichen Kategorie wieder und zeterte natürlich weiter, von Wegen, dass ich das Treppenhaus sauber machen sollte und endlich den Rasen hinter dem Haus ordentlich mähen, das wäre ein absoluter Kündigungsgrund wenn ich immer Querstreifen anstatt längs zu mähen, wie alle anderen Nachbarn auch, machen würde. Das sollte ich auch gleich mal eben tun und ich sollte ja gleich einen Schlosser anrufen, wegen der neuen Schlösser.
Ich versprach ihr alles, sogar den Rasen das nächste Mal längs zu mähen, im Moment könnte ich leider nicht, weil ich nachher noch nach Budapest müsste, aber gleich Anfang der Woche, wenn ich wieder zurück wäre, ließ mir von ihrem Mann den Reserveschlüssel geben und ging in die Wohnung meines Doppelgängers.
Zwei Zimmer, Küche, Dusche; - die Wände waren alle weiß, von dem Weiß, dass man streicht, wenn man auszieht und vorher noch schnell diverse Dübellöcher zugekleistert hat, und die Einrichtung ähnelte mehr der eines Notquartiers. Die Möbel waren alle neu und den Baumarktkatalogen entnommen, die jede Woche einmal erbarmungslos von irgendwelchen Analphabeten, die geflissentlich den Zettel daran, der freundlich darum bittet, keine Werbung in die Briefkästen zu werfen übersehen, gestopft werden. Sie waren nur insofern aufeinander abgestimmt, dass sie alle schwarz waren. Fernseher und Stereoanlage waren von etwas besserer Qualität, allerdings keine Markenartikel. Ich schaltete die Stereoanlage an, ließ alle Einstellungen unverändert und setzte mich in den Sessel auf den Platz, auf den die Lautsprecher ausgerichtet waren. Das Radio stand auf einem Sender mit klassischer Musik; - der Bursche schien mir nicht nur Äußerlich zu ähneln.
Ich saß eine Weile und versuchte mich in die Persönlichkeit des Mannes zu versetzen, der dieses hier zustande gebracht hatte. Beethoven rieselte aus den Lautsprechern, Klavierkonzert Nr. 5 Es-Dur Op. 73, in einer Lautstärke, die eigene Gedanken oder entspannendes Lesen zuließ. Die Bücher waren in Reichweite, vorwiegend Bildbände über Autos, meistens Oldtimer und einige Romane der Standardliteratur wie Stephen King oder Erica Jong. Einige Autozeitschriften lagen in dem Ständer neben dem Sessel, alle sahen gelesen aus, ebenso die Bücher; - die standen nicht nur zur Dekoration da. Auf Besuch, speziell auf Damenbesuch, war diese Bude nicht eingerichtet.
Sollte dieser, mein Doppelgänger, wirklich die Bank überfallen haben, war die Beute hier sicherlich nicht anzutreffen, hinter der obligaten losen Kachel im Duschbecken brauchte ich gar nicht erst nachzusehen.
Ich blätterte die Zeitschriften durch, einige Herrenmagazine, Autozeitschriften, ein Katalog über Auto-, Schiffs- und Flugzeugmodelle und die Fernsehzeitung, aufgeschlagen am Montag. Sah nicht so aus, als ob das hier was hergeben würde.
Ich inspizierte das Schlafzimmer; - ein Bukowski auf dem Nachttisch, ein Radiowecker, ein Schrank, eine Kommode, ein Korb mit Schmutzwäsche, fast leer.
Ich ging wieder ins Wohnzimmer und zum Telefon, nahm ab, drückte die Wahlwiederholungstaste und wartete einen Moment.
“Telekom Störungsstelle, Guten Tag."
"Tschuldigung", sagte ich und legte wieder auf. Es hätte so schön sein können. Irgendjemand, vielleicht sogar eine schöne Frau, hätte sich melden und mich auf die Spur des geraubten Geldes bringen können.
Ich öffnete die Schrankwand, vielleicht hatte der Bursche irgendwo sein privates Telefonbüchlein. Eine Fernsteuerung lag darin, 4 Kanal, möglicherweise ließ der Bursche hin und wieder ein Modellauto rumfahren, einen Fotoapparat ohne Film, Stativ, Blitzgerät, zahlreiche Spielzeugautos diverser Maßstäbe, aber alle ohne Motor und endlich sein Telefonbüchlein. Ich blätterte erwartungsvoll, aber keine Telefonnummern junger Damen waren darin, nur die einiger Herren, hinter einigen standen die Buchstaben SMBCU.
Vielleicht ein Saunaclub mit Massagen, Badespielen, Coitus und Umtrieben oder sowas; - sollte der Typ eventuell schwul oder pervers sein?
Konnte ich mir nicht vorstellen, denn in der Ablage neben dem Sessel waren Herrenmagazine. Ich sah mir die Zeitschriften nochmal an, keine Pornos, nur wohlgebaute, nackte Mädchen; - gemein einem Mann gegenüber, der gerade aus der U-Haft entlassen worden war.
Ich blätterte weiter in dem Modellkatalog, ordentlich von vorne nach hinten. Da waren zuerst die Schiffsmodelle - hinter einige hatte er handschriftlich die Preise geschrieben - die Flugzeuge und hinten die Autos. Ich wollte den Katalog gerade weglegen, da fiel mir auf, dass bei den Automodellen keine Preise eingetragen waren, bei den Flugzeugen auch nicht; - nur bei den Schiffen!
Seltsam für einen Typen, der die Schrankwand voller Autobücher hat. Hatte sich der Bursche etwa ein Schiffsmodell gebaut?
Das würde die Fernsteuerung erklären, die ich in der Schrankwand gesehen hatte; - ich sah mir die Abbildungen der Schiffsmodelle nochmal genau an. Das Zweischrauben Frachtschiff 'Gry Maritha' war mit Kugelschreiber dick eingekastet. 469 Euro sollte das Schiff kosten; - aber wo war es?
Wo eine Fernsteuerung ist, ist meistens auch ein Modell. Ich ging nochmal zur Schrankwand und schaltete die Fernsteuerung an. Die Kontrolllampe flammte auf, die Batterien darin mussten also noch frisch sein, ansonsten sah das Ding noch fast neu aus, wenig, aber doch gebraucht. Ich schaltete sie wieder aus und klemmte mir die Fernsteuerung und den Modellkatalog unter den Arm. Hinten war der Stempel eines Händlers in der Nähe drauf, da fuhr ich hin.
Ein hübscher Laden war das, mit kleinen und großen Schiffen in den Regalen und kleinen und großen Flugzeugen an der Decke und zwei ratlos dreinblickenden Männern, die vor den Regalen mit mannigfaltigem Zubehör rumstanden.
Der Mann hinter dem Tresen zwischen zwei Ständern mit kleinen Schiffsschrauben und Ankern klappte eine Fachzeitschrift für detaillierten Modellbau zu als ich kam und den Katalog mit dem Bild des Zweischrauben Frachtschiffs 'Gry Maritha' hochhielt.
"Tach auch", sagte ich, "hab' da kürzlich dieses entzückende Modell fertiggestellt, da hätte ich gerne noch ein paar Abziehbilder."
"Wofür? War der Bausatz nicht komplett?"
"Doch, doch, nur möchte ich dem Schiff einen anderen Namen geben. Haben sie auch Christine Keeler oder Annemarie Renger'?"
"Nein, sowas macht man auch nicht! Sie haben doch die 'Gry
Maritha' originalgetreu nachgebaut, da können sie dem Schiff doch nicht einfach einen anderen Namen geben."
"Nicht? Schade. - Wo kann ich es denn mal schwimmen lassen?"
"Im Seel"
"Ach, tatsächlich? - Ich dachte eigentlich an einen Verein mit Vereinsgaststätte, wo man ein gepflegtes Bier trinken und sich 'n paar Tipps holen kann, ich mach' das ja noch nicht so lange."
"Ach so. Ja.“
Ich wartete eine Weile bis er einem der Männer dreiundzwanzigachtzig für zwei Leuchtdioden, komplett mit Vorwiderständen, abgeknöpft hatte und hörte andächtig zu, wie er mir die Adresse des SMBCU, des Schiffsmodellbauclubs Unterweser gab und mir auch den Weg dorthin beschrieb; - war auch dicht bei.
"Wenn Sie Glück haben, ist schon jemand da."
Ich hatte Glück, zwei Männer saßen am Teich, ließen einen Seitentrawler und einen Dampfschlepper fahren, fragten mich, warum ich mich solange nicht hatte sehen lassen und wollten wissen, wann ich denn endlich den längst fälligen Mitgliedsbeitrag entrichten würde.
"Nächste Woche", sagte ich, setzte mich dazu, zündete mir eine Zigarette an und schaute zu den Schiffen hinüber. Da musste mein Doppelgänger hier doch tatsächlich schon Mitglied geworden sein; - sicher hatte er sein Modell im Clubhaus stehen.
Überhaupt schien er den Banküberfall von langer Hand geplant zu haben.
Die Beiden unterhielten sich über die Wellenbilder ihrer Schiffe und wollten wissen, ob ich denn schon mit dem 'Clyde Puffer' angefangen hätte, und ob ich demnächst denn auch in Lehrte sein würde, zur 'mini sail'.
"Ich denke doch", sagte ich und überlegte, was zur Hölle ein 'Clyde Puffer' sein könnte, "eigentlich wollte ich nur mein Schiffchen abholen. 'will am Wochenende noch neue Windhutzen einbauen."
"Ja, ja, macht viel Arbeit, so ein Modell", sagte der eine, "ist aber schön", der andere.
Ich pflichtete ihnen bei und drückte meine Zigarette aus.
"Moment", sagte der zweite und steuerte seinen Schlepper zum Steg, "ich komm' mal eben mit."
Der andere ließ sein Schiffchen auch herbei schwimmen und die beiden Herren hoben ihre Schiffe vorsichtig aus dem Wasser und stellten sie in bereitstehende Ständer. Wir gingen zu dem leicht baufällig wirkenden Häuschen und einer schloss auf. Zwischen einer Motorsegeljacht und einem Bergungsschlepper stand das blaue Zweischrauben Frachtschiff 'Gry Maritha'.
Ich ging selbstsicher hin und fasste es vorsichtig, wie ich es bei den beiden Herren gesehen hatte, unter den Rumpf.
"Die Schrauben musst du aber noch verschwinden lassen", sagte einer und deutete auf die Köpfe dreier Spax-Schrauben, die wirklich wie Fremdkörper aus dem Deck ragten.
Ich nickte.
"Ja, das hab' ich auch schon gedacht. Ich kleb' da Figuren drauf. Das wirkt ja wie ein Geisterschiff, so ganz ohne Menschen.“
Wir fachsimpelten noch ein wenig über Figuren während ich das Modell zum Auto trug und vorsichtig auf die Rückbank legte. Eigentlich sind Modellbauer liebenswerte Menschen, sie sind glücklich dabei, eine eigene Welt im Kleinen zu schaffen, viele Stunden an einem Modell zu bauen, mit Sinn für Kleinigkeiten selbst etwas zu schaffen um dann ruhig am See zu sitzen und sich still über ihr Werk zu freuen, auf diese Weise Kraft für den Alltag zu schöpfen.
Wenn alle Menschen so wären, würde es sicher weniger Kriege geben; - und weniger Banküberfälle.
Ich fuhr nach Hause, kaufte beim Tabakmann um die Ecke noch schnell Zigaretten, nahm mir nicht die Zeit, das Auto in die Garage zu fahren, brachte das Modell vorsichtig ins Wohnzimmer und zündete mir erst mal eine Zigarette an. Nahezu rituell löste ich die drei Spaxe. Die Lukendeckel ließen sich nun leicht abnehmen; - darunter lagen viele Geldbündel.

Zur Zeit überlege ich ernsthaft, sie zu behalten.
Irgendwie habe ich das Gefühl, mir das Geld erarbeitet zu haben, und was man reell erarbeitet hat, kann man ruhig behalten.
 



 
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