Der Doppelgänger VI. Goethe ‘Faust‘ II. Akt

Hagen

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Wie ich später herausbekam, hatte Frau Gronau drei Detektive beauftragt, ihren Mann zu suchen. Der eine daddelt wahrscheinlich immer noch in Rosenheim rum.
Na, gut soll er.
Der zweite hatte wesentlich mehr Informationen als ich, Herr Gronau hatte nämlich Unterlagen über den Kauf seiner Kneipe rumliegen lassen, die der zweite Detektiv schamlos ausgenutzt hat, Herrn Gronau fand und zu seiner Frau gegangen ist, petzen.
Das passierte leider kurz bevor Frau Gronau mich auch losgejagt hatte.
Anstatt mich zurückzurufen, rannte Frau Gronau gleich zum Hoffstett, weiß der Teufel, woher sie den kannte, und beauftragte ihn, ihren Mann umzubringen.
Sie hatte schon einen neuen Kerl in Aussicht, war im vierten Monat schwanger, und wollte ihren Mann ohne den Scheidungsstress loswerden. Die Kneipe von Herrn Gronau, von der sie bis dato nichts wusste, hätte sie auch übernommen; - ein guter Deal!
Frauen sind nun mal so.
Nicht einsichtig war, jedenfalls für mich, dass Hoffstett gleich zweimal versuchte zu kassieren.
Hoffstett, den ich für mich ‘der letzte Sack von Sacramento‘ getauft hatte, der geneigte Leser erinnert sich vielleicht noch, hatte präventiv Aufnahmen von jedem Gast gemacht, der in seiner Lokalität, der ‘Schwarzen Orchidee‘ mit den anwesenden Damen mal ein wenig ‘Die Sau raus gelassen hat‘.
Ob Herr Gronau gezahlt hat, oder ob es ihm völlig wumpe war, dass er bei seinem letzten Besuch in der schwarzen Orchidee fotografiert wurde, als er tüchtig die Sau raus gelassen hat, wird wohl ewig im Nebel der Geschichte herumirren, ich hatte jedenfalls nix gesehen.
Ebenfalls im Nebel der Geschichte wird herumirren, welches Gift der letzte Sack von Sacramento in einen der Bonschen getan hat, von dem er wusste dass Herr Gronau sie zu lutschen pflegte.
War an und für sich genial, die Sache; - er brauchte nur die Tüten austauschen, der vergiftete Bonschen war weiter unten in der Tüte, und Herr Gronau würde irgendwann später mal sanft entschlummern, - nach dem Genuss eines Waldhimbeerbonbons. Der letzte Sack von Sacramento wird weit weg und kaum mit dem Mord in Verbindung zu bringen sein.
Eigentlich genial, hätte von mir sein können; - aber Herr Gronau pflegte, weil er im Grunde ein netter Kerl ist, auch anderen Leuten Bonschen anzubieten.
Es gibt ja so viele fiese Gifte, ich kenne mich damit nicht aus, muss ich ja auch nicht, denn sollte ich mal in die Verlegenheit kommen, jemanden umbringen zu müssen, dann wird es der berühmte ‘Schlag mit dem stumpfen Gegenstand‘ sein. Da hätte ich allerdings das Problem der rumliegenden Leiche. Also lassen wir das auch.
Aber das nebenbei.
Jedenfalls kehrte ich, nachdem ich mit Herrn Gronau mächtig einen getrunken und anschließend dort genächtigt hatte, nach Hause zurück.
Kitty war natürlich nicht da, nur auf dem Schreibtisch lag ein Zettel auf den sie gekritzelt hatte, dass sie sich bis auf weiteres krank melden würde.
Hinzu kommt, dass sie noch nicht mal abgeschlossen hatte. Und das am Anfang ihrer grandiosen Karriere als Chefsekretärin!
Egal, was soll’s. Frauen sind halt so.
Da flippern alleine keinen rechten Spaß macht und ich auf Grund des Alkoholgenusses mit Herrn Gronau noch gar nicht so recht auf dem Damm, sondern eher auf dem Knüppelpfad war, und sonst nichts anlag, legte ich mich ins Bett um noch eine Weile zu schlafen.
Das Telefon scheuchte mich wieder hoch, ich hatte das Gefühl, keine Sekunde geschlafen zu haben.
"Detektei ERAU", gähnte ich.
"Ja, hier Gronau, Grooonau, Grooooonauuu …"
Der schon wieder!
"Ja, doch - äh, sie sind ja ganz aufgeregt, Herr Gronau."
Ich wühlte mir die letzten Schlafpartikel aus den Augenwinkeln.
"Ja, natürlich bin ich aufgeregt! Ich weiß gar nicht, was ich machen soll, ich fahr und fahr hier schon, ich hab' überhaupt keinen Führerschein mit. Ich wollte immer schon anrufen - 'hab überall schon angerufen, den ganzen Tag hab' ich schon angerufen, die ganze Nacht hab' ich schon angerufen, überhaupt nicht durchgekommen - ich weiß gar nicht, was ich machen soll, also, ich bin hier total - öhm öhm - jetzt durcheinander, ich fahr hier mit'n Taxi - nicht dass ich jetzt im Taxi sitze … "
"Dafür brauchen sie ja auch keinen Führerschein", gelang es mir den Redefluss des Herrn Gronau zu unterbrechen.
"Nein, ich fahr ja - nem, nem - selber das Taxi, weil der Taxifahrer - der sitzt neben mir – ist tot!"
"Wie? Tot?"
"Inzwischen tot - schon längst tot!"
"Na, na, Moment mal eben …"
„Tot!"
"Moment mah, ganz langsam bitte."
„Total tot - Wie bitte?"
"Ganz langsam."
Irgendeiner von uns beiden musste jetzt total ausgeknallt sein.
"Wie bitte", fuhr Herr Gronau unbeirrt fort, "ich kann schlecht hören, jetzt hier, im Moment."
"Sie haben mich eben geweckt, ich bin noch in meiner letzten REM-Phase."
"Wo sind sie? Nicht zuhause? Inner Vase?"
"Ich bin noch in meiner letzten REM-Phase."
"Um Gotteswillen! Ich weiß ja gar nicht, was ich machen soll! Ich bin jetzt hier in der Heide, in der Heide …“
"Wie heißt die Dame?"
"Dame? Wieso Dame? Meine Frau? Die ist entführt! Ich wollt' ja gar nicht in die Heide, ich wollt' ja eigentlich nach Padingbütteler Altendeich fahren, und da bin ich mit dem Taxi, meine Frau ist übrigens entführt worden. Wussten sie das schon?"
"Nee"
„Entführt worden ist die, die ist total entführt worden, die ist weg! Nich? Ganz weg."
"Die nette Frau? "
"Ja, meine Frau ist entführt worden, die ist weg! Die ist völlig weg! Nich? - Im Keller, nich, im Keller bei mir zuhause - Waren im Keller …"
Ein Seufzer drang schwer und tief durch die Leitung.
"Moment, sind sie sicher, dass ihre Frau nicht zu einem Damenkränzchen oder so gegangen ist?"
"Ich brauch' 'ne Tablette, ich brauch' 'ne Tablette."
"Wollte ich gerade sagen. Sind sie sich sicher …"
„… und dann die Motorradfahrer, alle beide, ganz schwarz, und immer hinter mir her."
"In den Keller?"
"Nicht im Keller, in der Heide, ich bin ja hier in der Heide, ich wollte ja erst nach Padingbütteler Altendeich, und jetzt bin ich in der Heide, und der Mann ist tot, meine Frau entführt …“
"Herr Gronau - Herr Grooonaul"
„...Ja ...?“
"Bitte beruhigen sie sich, wo sind sie jetzt?"
"Auf der Post - im Postamt - das Taxi steht draußen - der Mann ist tot verstehen sie? - tot!"
"Ja, ich verstehe.“
„… tot …“
"Ja doch! Passen sie auf, ich hohle sie da raus."
"Aus dem Keller?"
"Natürlich aus der Heide, von da, wo sie jetzt sind.“
"Oh, je, oh je.“
"Ach, eins nach dem anderen."
"Aber die Motorradfahrer!“
"Die tun ihnen nichts. - Wie heißt der Ort, wo sie jetzt sind?"
"Weiß ich nicht! Ist in der Heide, ich wollte ja nach Padingbütteler Altendeich."
"Herr Gronau, das muss auf dem Telefon stehen!“
"Ach, so ja - Balle."
"Wie?"
"Balle. Balle heißt das hier."
"Okay, Balle. Hab' ich verstanden, das ist bei Verden, nicht wahr? Gibt es dort eine Gastwirtschaft, wo sie auf mich warten können? Es wird eine Dreiviertelstunde dauern."
"Was? So lange?"
"Ja, das ist ja nun mal 'n Stück weg von hier. Trinken sie 'n Kaffee, und 'n Cognac dazu. Haben sie den Namen einer Wirtschaft gesehen?“
"Ja, Eiche, oder Linde, deutsche Linde - Quatsch Eiche, oder Tanne, ein Baum jedenfalls, war vor dem Ort."
"Gut, ich achte auch auf Kabelbäume und Baumkuchen. Da fahren sie jetzt hin und warten da."
"Mit dem Taxi?"
"Ja, natürlich mit dem Taxi, das schaffen sie ja wohl noch. Die Leiche muss raus aus dem Ort, in eine etwas abgelegene Gegend, - sie verstehen."
"Gut, gut, gut, mach' ich."
"Fein. Bis dann, Herr Gronau."
"Ja, und beeilen sie sich."
Na gut, aber was sollte ich machen?
Nichts half's!
Ich zischte mir Deo unter die Achselhöhlen und zwischen die Beine, weil keine Zeit mehr war, um zu duschen, steckte die letzten Schokoladenriegel ein, griff mir die Aktentasche und flitzte los.
Im Eingang versuchte die Frau aus dem Dritten mich noch aufzuhalten und über Tiefflieger zu diskutieren, aber ich erzählte ihr, dass ich bedauerlicherweise verschlafen hätte und dringend zum Dienst müsste, weil da Einer über dem Campingplatz, wo sie auch ihren Wohnwagen stehen hatte, UFOs gesehen hatte.
Das ging glatt durch, die Frau hatte Verständnis, und kurze Zeit später machte ich auf der Autobahn den Bleifuß.
Ärgerlich war, dass ich meine Zigaretten vergessen, und noch nicht die blasseste Ahnung, wie ich die Motorradfahrer, falls es die wirklich geben sollte, ausklinken konnte, hatte.
Über Rotenburg nach Verden, landschaftlich reizvoll, die Gegend, hier sollte ich mal mit Kitty herfahren und ein Picknick machen, so richtig schon mit hartgekochten Eiern, Kartoffelsalat und unzähligen Ameisen. Zur Not wurden es auch vorbereitete Steaks mit Bohnen und Altbier tun, oder besser noch Käse mit Weißbrot und Rotwein. Karamelpudding wäre anschließend nicht schlecht, oder Bismarckheringe mit Mirabellen, gemeinsam süß-sauer eingelegt.
Ich mampfte Schokoladenriegel, während ich grübelte, wie ich auf die Schnelle zwei Motorradfahrer abhängen konnte.
Irgendwie glitt ich wieder ab und überlegte, was sich die Autoren wohl dabei denken würden, wenn sie diese Story hier mal aufschreiben würden. Einer alleine konnte das ganze Chaos unmöglich schaffen.
Ich nahm mir vor, es gelegentlich mal selber zu tun, vielleicht wurde Kitty ja mitmachen, und überlegte mir auch gleich, wer mich denn dann wohl spielen konnte, wenn das Ding hier auch noch verfilmt werden wurde.
Schade, dass sich Humphrey Bogart zur Ruhe gesetzt hatte.
Nun ja, Clark Gable in jungen Jahren wäre auch nicht schlecht, oder Mickey Rouke, vielleicht auch Heiner Lauterbach.
Endlich, das Kaff, in dem Herr Gronau auf mich wartete, aber davor war keine Kneipe, vor der ein Taxi stand, noch nicht mal 'ne Pinte mit einem Trabbi davor, vielleicht hinter dem Ort, er hatte aber 'davor' gesagt, naja, kommt immer auf die Perspektive an, der alte Einstein hatte ja auch immer alles relativ gesehen.
Aber einen Plan hatte ich schon mal.

Inzwischen konnte Erich Gronau wieder klare Gedanken fassen.
So erschien ihm der Wirt dieses Lokals 'Zur Linde' auch wie ein ganz normaler Wirt, und nicht etwa wie ein Handlanger der Leute, die etwas Unbestimmtes von ihm wollten.
Gronau beschäftigte mich mit dem Inneren der Gastwirtschat:
Abgestandener Bierdunst mit einer frischen Ölung Tschiboduft.
Der Wirt war ungeil wie alle Wirte um diese Zeit.
Gronau setzte sich ans Fenster, von wo aus er die Motorradfahrer und das Taxi durch die Tüllgardine beobachten konnte.
Nach einer Weile kam der Wirt rangeschlurft und bierdeckelte klackernd mit drallen Wurstfingern über die Tischplatte.
Nein, der war ungefährlich.
Gronau blieb sitzen.
"Kännchen Kaffee", blickte er ihn treu an, "ich warte auf einen Kollegen."
Der Wirt nickte mit einem Blick nach draußen und murmelte: "Ist ihr Fahrgast krank?"
"Breit wie Clearance", grinste Gronau, "der pennt. Mein Kollege kommt wohl gleich, mich ablösen."
Der Wirt nickte: "Und sowas am frühen Morgen, oder ist der übergeblieben?"
"Vermutlich."
Eigentlich fühlte Gronau sich augenblicklich in keiner Falle, zumal ihn innerlich immer mehr ein beruhigendes Gefühl anfiel, er wusste nur noch nicht, woher es kam: Daher, dass der Detektiv jetzt bald hier eintreffen würde, oder von was anderem?
Der Kaffee kam.
Gronau goss sich ein, schlürfte, blickte dabei auf die Motorradfahrer und wartete.
"Noch einen Cognac dazu. Trinken sie einen mit?"
"Gerne."
Der Wirt schenkte ein und fummelte mit einem Geschirrtuch über ein paar Armaturen, "prost! - was machen denn die Motorradfahrer da draußen? Kennen sie die?"
"Nee, keine Ahnung."
Sie ritten das Gespräch endlos über Motorräder, der Wirt hatte früher auch mal eins, er war Kradmelder beim Bund, kein anderer Gast, kein nix.
Endlich fuhr ein Auto vor und parkte neben dem Taxi.
"lsser das?" fragte der Wirt, „ihr Kollege?“, die beiden hatten inzwischen den dritten Cognac hinter der Brille.

Ich war inzwischen durch den Ort gefahren, einige Kilometer weiter, und da standen zwei Typen in schwarzen Motorradklamotten rum und hatten die Visiere ihrer Helme runter, wie die Bösen in den schlechten Filmen, und sie hatten auch je einen Fuß auf zwei dicken Yamahas, auch schwarz, aufgebockt.
Dahinter, unter einem Kastanienbaum, ein Taxi mit einem Kerl auf dem Beifahrersitz, es sah so aus, als ob er schliefe.
Die Gastwirtschaft hieß 'zur Linde', und sah so aus wie eine Gastwirtschaft, die am Sonntagnachmittag hordenweise von dicken, gefrusteten Frauen heimgesucht wird, die badewannenweise Kaffee trinken und containerweise Sahnetorten vertilgen.
Herr Gronau war bestimmt drinnen und hatte Angst.
Ich parkte meinen Wagen neben dem Taxi, atmete tief durch und stieg aus.
Die Motorradfahrer wandten sich mir zu.
Ich ging zu ihnen.
"Entschuldigen sie, meine Herren, wie komme ich denn hier wohl am besten nach Rotenburg?" fragte ich mit möglichst treuherzigem Gesichtsausdruck.
"Nach Rotenburg?"
"Ganz Recht. Ich muss zu den Heitmann Fahrradwerken."
"Da müssen sie wieder zurück fahren. Nach Verden und dann immer geradeaus. Ist ausgeschildert."
"Kann ja gar nicht sein. Da komme ich gerade her. Ich frag' mal den Taxifahrer, der muss es ja wissen."
"Das tun sie besser nicht. Der hält gerade ein Schläfchen, da wurde ich nicht stören."
Der Mann sah in etwa so aus, wie der nicht ganz so Gute, der in mittelmäßigen Krimis, der so ziemlich am Ende immer von dem Guten zusammengeschlagen wird, um deutlich zu machen, wer denn nun der Gute in der Story ist, aber ich hatte das Gefühl, wir hätten weder den dramaturgischen Höhepunkt dieser Story noch das vorläufige Ende erreicht.
"Na, dann frage ich doch mal in der Wirtschaft nach. Danke, meine Herren."
Ich ging einfach los und in die Gaststätte.
Herr Gronau saß an einem Tisch am Fenster, mit einem Kännchen Kaffee und einem leeren Cognacglas vor sich, und sah aus wie einer, der einen Krieg angefangen, aber vergessen hatte, Munition zu kaufen.
"Endlich", murmelte er, "ich hab' schon gedacht, sie kommen nicht mehr."
"Wolfgang Graf Berge von Trips konnte auch nicht schneller fahren. - Könnte ich denn dann Vielleicht wohl auch mal einen Kaffee haben? - Und Zigaretten? Lucky Strike ohne Filter!"
Der Wirt nickte und ging in die Küche. Ich ging zum Tresen, sah auf das Telefon, merkte mir die Nummer und kehrte zu Herrn Gronau zurück.
"Die wollen mich fertig machen", murmelte Herr Gronau, "tun sie doch was."
"Was denn zum Beispiel?"
"Herrgott, sie sind doch Detektiv."
"Ach so, ja natürlich. Hätte ich bloß auf meine Mutter gehört und wäre Lehrer geworden", ich sah zur Uhr, "dann hätte ich jetzt Pause. - Überhaupt hätte ich lieber Lehrer werden sollen! Die haben einen gut bezahlten Halbtagsjob und ein halbes Jahr Ferien. Meinen sie nicht auch, Herr Gronau?"
"Mann, ich bezahle sie dafür, dass sie mir helfen!"
"Jep jau! - Na, gut dann wollen wir doch mal wieder! Können sie die Stellung denn hier vielleicht wohl nochmal 'n bisschen halten? Ich bin denn dann auch gleich wieder da."
"Aber sie können mich doch hier nicht alleine lassen, die bringen mich um."
"Dann hatten die es längst getan! Nein, nein, bewahren sie die Nerven, ich bin gleich wieder da. Bisher haben uns die beiden Typen sicher noch nicht miteinander in Verbindung gebracht."
"Aber …"
"Herr Gronau, bitte!"
Der Wirt brachte mir Zigaretten und Kaffee. Ich trank einen Schluck und ging wieder raus und zu den Motorradfahrern: "Sie hatten doch recht. Ich muss mich ja total verfranzt haben! Naja, sowas passiert halt mal, dann fahr' ich eben wieder zurück, nix für ungut, meine Herren. - Schöne Maschinen haben sie. Ich wollte ja auch mal Klasse 1 machen und mir eine Honda anschaffen, aber meine Frau wollte das nicht, meine erste Frau, wissen sie? Ich bin ja geschieden, wissen sie, die wollte lieber, dass wir mal richtig Urlaub machen. Wir waren dann auf Ibiza, das war vielleicht ein Desaster, kann ich ihnen sagen. Die haben uns das Auto geknackt, einen nagelneuen Omega …"
"Können sie das nicht ihrem Friseur erzählen?"
"Ich dachte ja nur naja, dann fahr ich mal wieder. Tschüs denn."
Ich stieg in mein Auto, fuhr wieder zurück und in den nächsten Ort und betrat den dortigen Fahrradladen.
„Ich hätte gerne zwei Zahlenschlösser und eine Klingel“, sagte ich, „das Fahrrad meiner Frau ist nämlich geklaut worden.“
"Dann brauchen sie doch erst mal ein neues Fahrrad für ihre Frau. Wir haben gerade neue Hollandräder rein bekommen, soll ich ihnen mal welche zeigen?"
"Nein, nicht nötig. Auf Hollandräder stehe ich nicht so, weil meine Frau keine Holzschuhe hat."
"Wieso?"
"Na, die Pedalen der Hollandräder sind doch immer so ausgelegt, dass man da nur mit Holzschuhen drauf kann, weil Holländer ja immer Holzschuhe tragen. - Ich nehme erst mal die Schlösser und eine Klingel. Einen Sattel kriegt sie dann zum Geburtstag, und zu Weihnachten den Rahmen, aber nur, wenn sie die Sache mit dem Anwalt wieder rückgängig macht. Man muss ja nicht immer alles auf einmal haben, meinen sie nicht auch?"
"Wie?"
"Naja, sie ist zum Anwalt, weil sie meinte, ich wäre ja wohl etwas geizig - haben sie auch den Eindruck?"
“Weiß nicht …“
"Würden sie denn mal mit mir essen gehen? Aber bitte keinen Tintenfisch. Da werden wir ja sehen, wer denn hier wohl geizig ist! Oder mögen sie gerne Tintenfisch? Ich meine diese Ringe. Ach nein, die erinnern mich immer so an Trauringe …"
"Wieso wollen sie denn mit mir essen gehen?"
"Wir können natürlich auch mal so richtig einen zusammen trinken, sagen wir heute Abend um neun, ach nein, da muss ich ja zum Sparverein, morgen geht auch nicht, da habe ich zuhause Küchendienst, und übermorgen muss ich noch zu Tante Lili, auf ihrer Parzelle die Bohnen hochbinden, vielleicht mal am Wochenende, wenn meine Frau mich nicht wieder zum Rasenmähen verdonnert. - Ach, da stehe ich hier und schwatze, dabei wollte ich ja eigentlich nur Aspirin für Kalle, meinen Tintenfisch besorgen, der hat nämlich wieder Migräne."
"Was?"
"Naja, eigentlich heißt der Tintenfisch ja ‘Kalle Maris‘, wir nennen ihn der Einfachheit aber nur ‘Kalle‘, er wohnt in unserem alten Fernseher.“
"Wie?"
"Naja, der Fernseher war sowieso kaputt, und da haben wir uns ein Flachbild gekauft und die Bildröhre von dem alten oben aufgeschnitten und mit Wasser gefüllt. Am Sonntag darf Kalle allerdings ins Waschbecken in der Küche, naja, denn will ich mal wieder, aber wir trinken nochmal einen zusammen, gelle?"
Die Dame im blauen Kittel schien etwas verwirrt, als ich die Schlösser und die Klingel bezahlte.
Die Klingel tat ich in meine Jackentasche und die Schlösser in meine Aktentasche.
Und dann passierte mir der Anfängerfehler: Der Akku meines Handys war leer. Komisch, dass sowas den Detektiven in den guten Krimis nie passiert, aber glücklicherweise fand ich noch eine prähistorische Telefonzelle, aber darin stand einer, der wissen wollte, ob Hanfried auch seine Pillen genommen hatte. Es dauerte eine Weile, bis der gute Mann das Problem geklärt hatte, er kam jedenfalls grimmigen Gesichtes heraus, und ich konnte somit hineingehen, um die Linde anzurufen.
Zuerst war da der Wirt dran und fragte, ob er die letzte Lieferung auch in zwei Wochen bezahlen könne, er hätte Umsatzrückgang wegen der Baustelle auf der Straße zwischen Balle und noch irgendwas.
Ich sagte ihm, dass ich nicht von seiner Brauerei wäre und wollte Herrn Gronau sprechen. Der Wirt hielt erst den Hörer zu und meinte dann, es wäre niemand da.
"Klar ist jemand da! Der sitzt am Tisch und trinkt Kaffee. Sagen sie ihm bitte, Hagen ist am Rohr."
Nun war Herr Gronau doch da.
"Ja, was ist denn, ist ihnen was passiert?"
"Nee, nichts dergleichen. Passen sie auf: Sie können die beiden Motorradfahrer doch sehen, oder?"
"Ja, kann ich von hier aus."
"Gut. Dann zahlen sie schon mal, meinen Kaffee und die Zigaretten bitte auch, und schauen sie aus dem Fenster heraus. Ich komme gleich wieder zurück und unterhalte mich mit den Motorradfahrern. Wenn ich mich hinten am Hals kratze, kommen sie raus, steigen in das Taxi und fahren weg. Kennen sie Rotenburg einigermaßen?"
"Nein"
"Merde. - Passen sie auf, Rotenburg hat eigentlich nur zwei Einbahnstraßen, gegenläufig. Sie können den Marktplatz mit dem Brunnen drauf nicht verfehlen. Ein Kino ist gegenüber, das einzige in der Stadt. Neben dem Brunnen ist son Andenkenladen mit soner Art Schnellimbiss oder sowas. Gegenüber ist ein Café. Da treffen wir uns, okay?"
„Ja, aber ...“
"Herr Gronau, wir müssen jetzt ganz cool bleiben, das ist auf die Schnelle unsere einzige Chance. - Ach ja, noch eins: fahren sie erst mal in die andere Richtung, und wischen sie im Taxi auf alle Fälle überall da ab, wo sie Fingerabdrücke hinterlassen haben können. Haben sie verstanden? Wenn ich mich hinten am Hals kratze, kommen sie aus der Kneipe heraus und fahren mit dem Taxi los. Das muss klappen!"
"Gut. Also wenn sie sich am Hals kratzen, komme ich raus und fahre weg. Wir treffen uns in Rotenburg in dem Café. Und dann?"
"Sehen wir weiter. Bis dann Herr Gronau."
Ich hängte ein und fuhr zur Linde zurück. Die beiden Motorradfahrer standen noch immer dort, das Taxi noch unter der Kastanie.
Ich fuhr auf den Parkplatz, stoppte den Wagen direkt neben den beiden schwarzen Typen, ließ den Schlüssel stecken, nahm die Aktentasche und stieg aus.
"Entschuldigen sie, es ist mir furchtbar peinlich, aber der Wirt da drin muss mir den falschen Weg gesagt haben, das ist niemals die Strecke nach Rotenburg."
"Aber sicher", sagte der eine, "sie müssen nur auf der Straße weiterfahren."
"Bin ich doch, aber da waren nur Schilder nach Soltau. Verdammt, ich muss unbedingt zu dieser Fahrradfabrik, da hängt ein Auftrag dran, den brauche ich."
"Fahren sie einfach die Straße geradeaus weiter, an der ersten Abfahrt ist das Industriegebiet Nord, und da sind auch die Fahrradwerke."
"Da ist ein Betonwerk! Da habe ich eben gefragt, und die haben mich wieder hierher geschickt."
"Dann fahren sie doch zu dem Betonwerk und ziehen sie da den Auftrag an Land."
"Was sollen die denn wohl mit Fahrradzubehör? Hier sehen sie mal", ich zog die Klingel aus der Tasche und klingelte, "stark nicht wahr? Die stellen wir her. Wenn sie mal für ihre Motorräder sowas brauchen, kann ich ihnen die zum halben Preis beschaffen, na?"
"Hau' ab, Mann! Wir brauchen doch keine Klingeln für unsere Maschinen!"
"Muss ja nicht gerade 'ne Klingel sein -, hier," ich öffnete die Aktentasche und holte die Zahlenschlösser heraus, "die halten garantiert! Sehen sie mal."
Ehe die Typen reagieren konnten, ließ ich die Schlösser um die Hinterräder der Motorräder einschnappen.
"Na, das ist doch was! Die stellen wir auch her. Ein sehr hoher Qualitätsstandard. Garantiert rostfrei. Die Schlosser machen eine Million Schaltspiele. Alles labormäßig getestet."
"Mach' sofort die Schlösser wieder auf, du Blödmann!"
"Ja, ja, schon gut, ich mach' ja - wie war denn noch gleich mal die Nummer? 7264? oder 6427?“
Ich kratzte mich nachdenklich hinten den Hals, "irgendwas war da doch mit dem Datum vom Geburtstag meiner Frau. War es nun die erste oder die zweite? - Das ist mir aber peinlich, glauben sie mir. Gut, dass das nicht beim Kunden passiert ist."
"Verdammt, mach die Schlösser auf! Du spinnst wohl!"
"Das ist der Vorführeffekt, wissen sie. Moment, ganz ruhig. Ich hab's ja gleich. Meine Frau hat am 8.8.51 Geburtstag, da stellen wir doch mal 8851 ein."
Ich beugte mich über die Schlösser und fummelte herum, Herr Gronau musste jetzt eigentlich herauskommen, aber nichts dergleichen.
"Das war's auch nicht. Sowas aber auch! Ist mir ja noch nie passiert."
Ich kratzte mich wieder am Hals, während ich angestrengt grübelte.
"Jetzt ist es weg, total vergessen. - Ob der Taxifahrer wohl einen
Bolzenschneider hat? Ach, nee, warten sie mal, da war doch was mit meiner ersten Schwiegermutter, Oma Elfride, die kommt hin und wieder noch zu uns, wissen sie, weil die ja sonst keinen mehr hat. Opa ist ja '96 von der Schute gefallen und ertrunken, und ihre Schwester ist ja mit ihrem dritten Mann nach Gummersbach gezogen, stellen sie sich mal vor, die hat mit 56 nochmal geheiratet, einen Goldschmied, jaja, hat's auch schon mit der Prostata, der Bursche …“
"Mann, nerv' nicht, mach' die Schlosser auf!"
"Ja, ja, ich mach ja schon. Oma Elfride hat am 4.6.27 Geburtstag, das war vielleicht schrecklich an ihrem letzten Geburtstag, während wir am Kaffeetisch saßen, hat sie nur von ihrer Gallenblasenoperation erzählt …"
"Mann, hör auf zu sülzen! Mach' das Schloss auf!“
Es war immer nur einer der Motorradtypen, der sprach.
Der andere stand mit vor der Brust verschränkten Armen, heruntergeklapptem Visier und breitbeinig fast reglos da.
"Ja, ja, ich mach' ja schon. Das ist mir wirklich peinlich, aber wenn sie mich so antreiben, kann ich nicht denken. Erst mal eine Zigarette."
Ich kratzte mich wieder am Hals, griff in meine Hemdentasche und dann in meine Jackentasche an die Zigaretten, riss die Packung auf und zündete mir eine an. Wenn Herr Gronau jetzt nicht endlich herauskam und wegfuhr, wusste ich auch nicht mehr weiter, ewig konnte selbst ich nicht den Blödmann spielen.
Ich rauchte und tat so, als ob ich intensiv grübeln würde.
„Moment noch, irgendwas war mit Tante Anneliese. Sie konnte die Finger nicht vom Dynamitfischen lassen …“
Endlich kam Gronau heraus und ging schnell zu dem Taxi.
Die Helme der beiden Typen flogen herum.
Herr Gronau startete den Motor des Taxis.
"Der Mann fährt jetzt weg, und sie bleiben hier stehen!"
Herr Gronau fuhr los.
Endlich.
Das Taxi mit Herrn Gronau verschwand hinter einer Biegung.
„Ich gehe dann auch mal“, sagte ich, „das Ding mit den Schlössern tut mir leid, aber ich muss jetzt los.“
Ich nahm die Aktentasche in die linke Hand, ging langsam rückwärts zu meinem Auto, stellte die Aktentasche ab, öffnete die Tür, warf die Tasche auf den Beifahrersitz, kurbelte die Scheibe herunter und ließ mich langsam in den Sitz gleiten.
„Das Leben ist nicht anders!“
Ich tastete nach dem Zündschlüssel, startete den Wagen und fuhr los.
Im Rückspiegel konnte ich sehen, wie die beiden irgendetwas Imaginäres zu Boden warfen.
‘Na, dann‘, dachte ich, 'auf nach Rotenburg und Herrn Gronau einsammeln‘.
Sollte ich Herrn Gronau mitnehmen oder zum Arzt bringen?
Ach was.
Gage kassieren, das Taxi mit dem Toten darin irgendwo rumstehen lassen, nach Hause, weiter schlafen und warten bis Kitty wiederkam.
Ich trat etwas fester aufs Gas und fuhr bis zur nächsten Kurve.
Dort stand das Taxi.
Fast wäre ich dran vorbei gefahren, aber Herr Gronau lehnte an des Taxis rechtem Rücklicht und winkte.
Ich hielt an und stieg aus.
"Wass`n los?"
"Kein Benzin mehr", sagte Herr Gronau und machte ein verständnisloses Gesicht, als ich erst mal einen lauten Lacher abließ.
"Was ist los? Sind sie verrückt geworden?"
"Keineswegs, aber das Gleiche ist mir auch schon mal passiert. Ich dachte nur gerade, wenn irgendwann mal 'n paar Dummkopfe auf die Idee kommen sollten, diese Geschichte vielleicht mal aufzuschreiben, wird man ihnen sicherlich ein gerüttelt Maß Phantasielosigkeit vorwerfen."
"Meinen sie, das sollte man aufschreiben?"
"Klar sollte man das! Wird sowieso keiner glauben! Soviel Stuss auf einmal! Aber das Leben ist nicht anders. Kennen sie Al Murphy? Der hat mal gesagt: ‘If anything can go wrong; - it will! Recht hat er! - Aber jetzt müssen wir sehen, dass wir weiterkommen. Ich bringe uns denn dann in das Café. Ich brauche endlich meinen Morgenkaffee und ein paar Brötchen! - Das Taxi sollten wir vorher allerdings in den Wald hinein schieben. - Mann, soviel Arbeit auf nüchternen Magen! Das hält ja keine Sau aus!“
"Und der Tote?"
"Den setzen wir ans Steuer. Wie das alles passiert ist, können sie mir ja unterwegs erzählen, und nun fassen sie bitte mal mit an."
Meine Befürchtung, dass eins der vorbeifahrenden Autos halten und der Fahrer seine Hilfe anbieten würde, blieb unbegründet, als wir das Taxi in einen Waldweg und ein Stück weiter hinter ein Brombeergestrüpp schoben, sodass man es von der Straße nicht gleich sehen konnte.
"Das ist aber ein neuer Auftrag, gelle?", keuchte ich.
"'türlich", schnaufte Herr Gronau zurück.
"'kost natürlich auch eine Kleinigkeit, weil ich mich ja strafbar mache. - Beseitigung einer Leiche vom Tatort."
"Geht auch klar. Hauptsache sie erledigen das und ich werde damit nicht in Verbindung gebracht."
Dass Herr Gronau den Mann umgebracht hatte, konnte ich mir absolut und überhaupt nicht vorstellen; - auf alle Fälle hatte er mehr zu verlieren als ich.
Ich sah mir den Toten an, nachdem wir ihn wieder ans Steuer gesetzt hatten.
Er hatte eine bläuliche Gesichtsfarbe mit leicht angespannten Gesichtszügen. Möglicherweise war er vergiftet worden, denn weder Würgemale noch ein Einschuss war zu sehen.
Das Taxi war ansonsten aufgeräumt und unpersönlich leer, bis auf eine Taschenbuchausgabe von Goethes ‘Faust‘ im Handschuhfach, einem Lappen und Scheibenkratzer in der Ablage der Fahrertür, einer knapp halbvollen Tüte Waldhimbeerbonbons und einem Paket Tempos in der Mittelkonsole. Und seine Geldtasche natürlich, nebst dem Büchlein mit den Fahrtenbögen. In diesem war noch nichts eingetragen. Die Geldtasche ließen wir unangetastet.
"Hatten sie sonst noch was in dem Wagen, was auf ihre Anwesenheit hindeuten konnte?", fragte ich Herrn Gronau, der damit beschäftigt war, sorgfältig über die Stellen zu wischen, die er mal angefasst haben konnte.
"Nein, nur meine Bonbons."
"Sind das ihre?"
"Ja, die muss der Kerl doch fast alle aufgegessen haben!"
Fünf leere, zu Kügelchen zerknüllte Einwickelpapiere in der Konsole bestätigten die Vermutung.
Ich nahm die Tüte heraus. Sie war sorgfältig an der oberen Ecke aufgeschnitten.
Als Herr Gronau mir mal einen Bonbon der gleichen Sorte angeboten hatte, war die Tüte ziemlich wild aufgerissen gewesen. Es war mir schon mal aufgefallen, aber damals hatte ich nicht weiter darüber nachgedacht.
“Haben sie da viele von gegessen, Herr Gronau?"
"Nein, nur gelegentlich. Ich muss sie in der Manteltasche gehabt haben. Ich habe dem Mann hier unterwegs mal einen angeboten. - Können sie auch meine Frau suchen? Die ist nämlich verschwunden, weg - verstehen sie? Vielleicht ist sie entführt worden."
"Eins nach dem Anderen. - Wie kommen die Bonschen denn dann in die Mittelkonsole?"
"Er wird sie wohl dahin gelegt haben. Sicher hat er genascht, als er auf mich gewartet hatte."
„So, wir machen uns mal eben auf den Weg. Ich will endlich frühstücken!“
Hoffstett waren die gleichen Bonbons aus der Tasche gefallen, als ich diese unangenehme Auseinandersetzung mit ihm hatte, und Hoffstett, der letzte Sack von Sacramento, war bestimmt kein Bonbontyp.
"Wann wollen sie denn meine Frau suchen? Was meinen sie denn, wer die entführt hat?"
Ich zuckte die Achseln: "Kann ich ihnen noch nicht sagen, Herr Gronau. Wir müssen hier weg! Es ist auch überhaupt noch nicht erwiesen, dass ihre liebe Frau entführt wurde. Vielleicht ist sie ja nur zu einer Freundin oder so. Warten sie doch erst mal ab."
Na, gut.
Ich wollte später weiterdenken, jetzt hatte ich erst mal anderes zu tun; - der Vorteil bei einem Privatdetektiv: Wenn man als Privater einen Toten findet, muss man nicht unbedingt aufklären; - als Beamter sieht das schon anders aus, aber dann hat man auch nichts anderes zu tun, ein prima Labor zur Verfügung und keinen nervenden Kunden.
Ich steckte die Bonbons samt Tüte ein und zog den Lappen aus dem Fach in der Fahrertür.
„Jetzt legen wir noch eine falsche Spur und hauen endlich ab.“
Herr Gronau grinste wie der Fahrer eines fünf Millionenschweren Geldtransporters, der alle Sicherheitseinrichtungen ausgeschaltet hat und, während sein Kollege zum Pinkeln ist, den Zündschlüssel dreht.
"Sehr gut", sagte Herr Gronau, "sie denken aber auch an alles! Da fühle ich mich schon wieder wohler. Darf ich sie zu einem guten Frühstück einladen? Und dann suchen wir meine Frau, ja?"
Ich sah zur Uhr, 10:45.
Bevor ich des Taxis Tür mit dem Ellenbogen schloss, nahm ich noch den ‘Faust‘ aus dem Handschuhfach.
"Wollen sie jetzt etwa noch was lesen?", fragte Herr Gronau, "und meine Frau?"
"Ich will keineswegs lesen! Und derartige Schundliteratur schon gar nicht."
Ich riss den ‘Faust‘ mitten durch.
"Zum ersten Mal in der Geschichte der Literatur wird eine Story dieses - wie heißt dieser Schandfleck der Literatur noch gleich? - Egal. Einer sinnvollen Verwendung zugeführt werden."
"Hä?"
Das Gesicht des Herrn Gronau verzog sich zu einem Fragezeichen.
"Also: In jedem guten Krimi kommt die Szene vor, in der der Kommissar Lehm vom Tatort von des Täters Schuhen kratzt. Das werden wir jetzt vorsichtshalber selber tun, bevor wir in meinen Wagen steigen. Möchten sie bis zum zweiten Teil, einschließlich I. Akt, oder ab dem zweiten Teil II. Akt, ach ich weiß nicht."
"Aber man kann sich doch mit Goethe nicht die Schuhe abwischen!"
"Doch man kann! Man muss sogar! Um etwas sauber zu machen, muss etwas anderes dreckig werden", philosophierte ich, "es sollte allerdings das dreckig werden, das den geringeren Wert hat. Wenn man bedenkt, dass mich dieser
Schundliterat fast die mittlere Reife gekostet hatte, weil ich nicht geneigt war, diese actionlose Schreibe gut zu finden, ist Schuhe damit abwischen noch zu viel der Ehre! - Mann, wir stehen hier bei einem Toten und halten uns mit dem literarischen Gegenstück zur Schweinebucht auf! Ich für meinen Teil putze mir jetzt die Schuhe mit einigen Seiten aus des ‘Faustes‘ zweitem Teil I. Akt ab und fahre weg, schließlich habe ich noch was anderes zu tun, als über diesen
literarischen Flachwichser zu diskutieren. – ‘Da habt ihrs nun! Mit Narren sich beladen, das kommt zuletzt dem Teufel selbst zu Schaden‘“, zitierte ich das, was auf der ersten Seite stand, die ich diesem Machwerk entriss, "und denken sie daran: Man kann alles dreckig machen ohne etwas sauber zu kriegen. - Ach, so, da habe ich ja noch was!"
Ich legte einen der Knöpfe, die ich mir für derartige Falle besorgt hatte, in den hinteren Fußraum des Taxis.
"Was soll das denn?", fragte Herr Gronau.
"Naja, in jedem guten Krimi verliert der Täter einen Knopf am Tatort. Wenn wir jetzt eine falsche Spur legen, werden die richtigen Detektive arg zu grübeln haben. Mike Hammer hatte es nicht besser machen können!"
"Ich dachte immer, sie sind ein richtiger Detektiv, Herr von Wegen."
"Quatsch! Richtige Detektive tragen immer Trenchcoats mit hochgeschlagenem Kragen, dunkle Brillen, stehen in Büschen, und observieren durch ein Loch in der Zeitung."
Herr Gronau grinste und begann seine Schuhe mit dem zweiten Teil Akt sowieso zu reinigen.
Das ging glatt durch und eine Weile später saßen wir in Rotenburg in dem Café bei einer Kanne Kaffee und dem großen Frühstück.
Das Leben konnte sogar recht schön sein; - bis die Motorradfahrer bei dem Café ein kurvten wie die Schmeißfliegen auf den Kuhfladen.
Die nahmen ohne Umschweife an unserm Tisch Platz, legten unauffällig eine Pistole auf den Tisch, eine Serviette darauf und meinten:
„So, jetzt kann der Gronau gehen! Genug gefrühstückt. Wir haben ihm auch schon ein Taxi gerufen, das müsste jeden Moment da sein.“
In der Tat hielt in diesem Moment ein Taxi vor des Cafés Tür.
„Ihr Taxi, Herr Gronau! Es wäre nett, wenn sie uns jetzt alleine ließen.“
Es half alles nix.
Herr Gronau zog ab, zwar mit hängenden Schultern wie einer, der bei einer Sorgerechtsverhandlung von dem Anwalt seiner Frau grandios über den Tisch gezogen worden war, aber er zog ab.
‘Scheiße‘, dachte ich, ‘dabei haben wir noch nicht über meine Gage gesprochen‘.
„So“, sagte einer der Motorradfahrer, „das war ja eine grandiose Nummer, die sie da abgezogen haben. Sone Leute können wir brauchen! - Ab jetzt werden sie für uns arbeiten!“
„Und wenn ich das nun mal nicht tue?“
„Wir sind ganz sicher, dass sie das tun werden, denn wir haben ihre Sekretärin!
Frau Katarina Henriette Hoppe. Sie nennen sie ‘Kitty‘ glaube ich. Vorläufig geht es ihr noch gut. - Vorläufig …“
 



 
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