Der Fan

4,20 Stern(e) 5 Bewertungen

hwg

Mitglied
Erich stand am Samstag wie immer um neun Uhr auf, wusch sich mit der violetten Badeseife, rasierte sich nass und trank seinen Frühstückskaffee.
Dann zog er seine Windjacke über, ging in die "Traube", trank die obligatorischen sechs Bier und aß ein Schnitzerl mit Reis und schlecht gewürztem Gurkensalat.
Pünktlich um 12.45 Uhr verließ Erich das Lokal, schlenderte die Dorfstraße hinunter und gelangte so zum Fußballplatz, wo er dem Spiel "Vorwärts F" gegen "Union L" beiwohnen wollte.
Erich, der fanatischer Anhänger der Mannschaft von "Vorwärts F" war und noch ist, und der noch bei keinem Spiel "seiner Burschen" gefehlt hatte, stelle sich wie üblich in Höhe der Mittellinie auf seinen Platz und harrte zuversichtlich der Dinge, die auch kamen.
Wie jeden Samstag traf er gegen 19.30 Uhr in seiner Wohnung ein, ging ins Badezimmer, legte sich kühlende Umschläge auf und wusch das Blut ab. Danach trank er den Rest aus der kleinen Schnapsflasche, die er in der Hosentasche getragen hatte, entkleidete sich stöhnend und ging zu Bett.
Den Sonntag verschlief er.
Am Montag stand er um fünf Uhr auf, wusch sich mit der violetten Badeseife, rasierte sich nass, ganz ganz vorsichtig, und trank seinen Frühstückskaffee. Dann zog er seine Windjacke über und ging zur Arbeit.
In der nächsten Trafik kaufte er die Zeitung und studierte im Gehen die Fußballberichte.
Erleichtert stellte er fest, dass "Vorwärts F" gegen "Union L" 2 :1 gewonnen hatte.
 

noel

Mitglied
gelungen

hier wurde das `show don't tell´ auf bravouröse "art" umgesetzt und der leser hemmungslos in die gefühle erzählt.

gern gelesen chapeau noel
 

aboreas

Mitglied
Klasse

Ein Wochenende der besonderen Art. Dennoch: Die Reaktion am Montag als selig machendes Vergewissern oder Nacherleben
ist für nahezu alle Fans ein Muss.

Die lakonische, öffnende Distanz des Erzählers hat etwas Faszinierendes.

PS: Man könnte diese Miniatur durch als sehr freies Gedicht gelten lassen.
 



 
Oben Unten