Der Schädel

5,00 Stern(e) 2 Bewertungen

Till Braven

Mitglied
Der Schädel

Jetzt hat man mit meinem Schädel Fußball gespielt. Und ich habe wieder einen Namen. Auch kann ich der Art und Weise, in der man über mich spricht, entnehmen, daß ich zu einem Besitzer gekommen bin, doch darauf komme ich noch.
Es waren Bauarbeiten, die mich nach langer Ruhe wieder ans Tageslicht förderten. Als nämlich das eine Kaufhaus abgerissen wurde, um Platz zu schaffen für ein neues. In der obern Straße. Dazu wurde für’s Fundament tief ausgeschachtet, unter Zuhilfenahme von Baggern und Raupen. So passierte es an einem heißen Sommernachmittag, daß ich, oder besser gesagt, mein Schädel, bleich von der Schaufel sprang. Das war gewiß recht rüde und weckte mich aus meinem kühlen Schlaf. Doch wer eine Zeit tief unten verbracht hat, darf gelassen bleiben.
Es gab sogleich ein großes Geschrei, quasi ein Hallo zu meiner Begrüßung. Da stieg der Arbeiter von seiner Maschine, als ich aus dem Erdreich gekullert kam, beugte sich ungläubig staunend zu mir hinunter, das sei ja die Höhe, rief er lauthals, und schon kamen auch die anderen herbei.
„Mensch Kuddel, das ist ein Mönch, weißte, ein Mönch ist das, du weißt doch, die haben hier früher ihre Mönche bestattet, weißt du doch, hier im Fußboden der Kirche, als hier noch die Kirche stand, und als es noch Mönche gab überhaupt.“
Da hatte ich wieder einen Namen. Sie nannten mich fortan der Mönch, was nicht korrekt ist, jedoch, wie sollte ich mich verständlich machen. Dann, als die Überraschung verdaut schien, wurde ich einer von ihnen, denn sie nahmen mich in ihre Mitte. Und spielten Fußball mit mir. Die Baugrube verwandelte sich in ein Spielfeld, in ihrer ganzen Größe, meinetwegen. Und die Menschen, die sonst in Eile an der Stelle vorbeigehen, nahmen sich Zeit, verharrten, und schauten dem Spiel zu. Sieh, da sei ein Schädel, ein Totenschädel, hörte ich Rufe, wenn auch vereinzelt. Denn die Menge blickte stumm, und dabei seltsam vertieft, als gäbe ich jenen etwas aus ihrer Erinnerung zurück. Die Menge also schwieg, denn so war es schon immer.
Mit einem Mal war das Spiel dann beendet. Da kam ein Ruf von oben, aus der gaffenden Schar, zuerst leise und zurückhaltend, doch schließlich mit kräftigem Organ. „Das ist doch ein Toter. Ja, könnt ihr Pack denn einen Toten nicht in Frieden lassen. Ein Skandal! Polizei!“
„Gebt ihn her.“ sagte darauf mein Entdecker, packte mich und ließ mich in seiner Bügeltasche verschwinden, neben der Thermoskanne mit dem Kaffeevorrat. Richtig ausgebeult habe ich seine Tasche, und es verdunkelte sich erneut. Erst zuhause wurde ich wieder vorgezeigt, einer Person, die wohl seine Frau war. Vielleicht, so kam mir der Gedanke, war er verheiratet.
Also das müßte sie sich genau anschauen, meinte er mit Stolz in der Stimme, ja habe er selbst doch früh am Nachmittag diesen Totenkopf aus der Erde gegraben, es sei sicherlich der Rest eines Mönchs, denn sie hätten ja früher so Mönche weggeschafft, indem sie sie unter dem Kirchenboden ließen, das wisse sie doch ganz bestimmt, daß sie früher die Mönche einfach so...
Ich konnte ihm nicht einmal widersprechen, in diesem Punkt. Und ich verknüpfte mit dem meinem neuen Namen auch eine gewisse Ehre, war es doch eine Ehre, als Mönch aus dem Mittelalter zu gelten, für jemanden wie mich, war es das ganz sicher. Aber mein Entdecker war getäuscht worden, soviel steht fest.
Obwohl es stimmt, daß dort, wo das eine Kaufhaus abgerissen worden ist, um Platz zu machen für ein neues, einmal der Ort einer Kirche war. Und ferner stimmt durchaus, daß Gottesmänner unter dem Kirchenboden bestattet wurden. Ich habe ihre Bekanntschaft gemacht. Doch in dieser Kirche fand kein Mönch seine letzte Ruhe, hier war kein Mönch. Ich muß es ja wissen, auch ich kam hinzu. Hartwig der Zweite war unter die Steinplatten gesenkt worden, doch gewesen ist er Erzbischof, und der Gründer und Bauherr der Kirche. Indes, die feierliche Prozession zur Einweihung fand jenseits seines Lebens statt, und den gewaltigen Anblick seines Tempels, den ein Turm von 324 Fuß überragte, sahen viele Augen, nicht aber die seinen.
Auch ein Gewölbebauer durfte in diesem Erdreich vermodern, das Schicksal riß ihn aus seiner Tätigkeit, als im Jahre 1243, nur ein Jahr vor der feierlichen Eröffnung, sein frisch gemauerter Bogen haltlos auf ihn einstürzte, und er erschlagen ward.
Doch deshalb nannten sie mich Mönch, deretwegen. Sie haben dabei übersehen, daß ich keineswegs eine derart alte Leiche bin, oder was davon übriggeblieben ist. Ich bin jünger noch als Arnd von Gröpelingen, viel jünger, aus einer sehr viel späteren Epoche.
„Igitt, den kannste für dich behalten.“ lautete die Reaktion der Frau meines Entdeckers, und sie wandte sich von mir ab. „Du hast echt nich mehr alle Tassen im Schrank.“ Kuddel beeindruckte das kein bißchen, und er nahm seinen Hemdsärmel und wischte damit den Sand aus meinen Ritzen. Ganz behutsam öffnete er mir die Kiefer und ließ seinen Zeigefinger sanft über mein Gebiß streichen.
Ja, auch Arnd von Gröpelingen fand ich als meinen Nachbarn. Der soll Ritter gewesen sein, und soll sich gegen seinen Stand und für die Freiheit der Bürger eingesetzt haben. Ich weiß das vom Hörensagen. Seine Genossen jedoch verübelten ihm diese Haltung derart, daß er, auf dem Krankenlager schon, den Dolch seines Häschers empfing. Da wollte sich sein Diener im letzten Augenblick noch schützend über ihn werfen, doch die Dolchstiche trafen tödlich, anno 1304, den Herrn wie den Knecht. Und die Bürger wurden nicht freier von der Obrigkeit. Doch sie mauerten den Sarg des Ritters stehend in die Wand. Lange vor meiner Zeit, denn ich bin in Wirklichkeit kein Mönch aus dem Mittelalter.
Eigentlich war es der Zufall, der mich an die Kirche führte. Ja, sie stand noch da, zu meiner Zeit. Damals stand noch die Kirche, und nicht das Kaufhaus. Es war ein kühler Abend am ersten September, und der Wind schob immer wieder Wolken vor die aufgehende Mondscheibe, die rund und voll in die Dunkelheit eintrat. Ich irrte umher, denn es war Krieg, und ich war noch so jung, gerade siebzehn, und verliebt war ich auch. Anne hieß sie, meine Angebetete, doch nun sollte uns der Abschied schmerzen, denn ich mußte fort, schließlich war Krieg, und die Heimat sei bedroht, so sagte man. Da wußten wir nicht, worüber wir reden sollten zum Abschied, und als ich ihren Arm entgleiten ließ, um fortzugehen, da hob sie plötzlich mit beiden Händen ihre Bluse an und sagte: „Schau mal, was ich hier habe.“ Und so ging ich, und wollte doch nicht fort. Ich war doch noch so jung, siebzehn man gerade, doch es war schließlich Krieg, und so tappte ich umher, als ich zu der Kirche kam.
Jetzt büchste aus, war mein Gedanke, denn auf mich wartete doch nur der Krieg.
Doch da kamen die Bomber, was die Luft erdröhnen ließ, und binnen weniger Momente war der Himmel rot vom Feuerschein, und der Mond verschwand hinter den beizenden Rauchschwaden. So trat ich in die Kirche, denn ich wußte nicht wohin, und schon klangen die Explosionen wie aus der Ferne, und das Flammenmeer verwandelte sich in einen gemütlichen Schein, welcher von jenseits der hohen Fenster flackerte, hinter den dicken Mauern.
Ich kauerte mich in eine Ecke, und lehnte mich gegen meinen Rucksack. Aber die Kirche war kein sicherer Ort, nicht in dieser Nacht. Zuerst knickte der Turm um und stürzte berstend durch das Dach des Kirchenschiffs. Da brach auch das Gewölbe zusammen, das schon seinen Erbauer begraben hatte. Und nun verschüttete es auch mich. Wie ich so dasaß, an meinen Rucksack gelehnt. Da brach das Gewölbe zum letztenmal, wo ich nun dasaß.
Ich war nicht sofort tot. Es hat noch ein wenig gedauert. Aber was macht das schon. Noch lange blieb ich so hocken, angelehnt an meinen Rucksack, bis der Schutt plattgewalzt wurde. Niemand bemerkte, daß mein Kopf dabei ins Erdreich abglitt, und sie erbauten das Kaufhaus an dieser Stelle.
„Wir können ihn als Aschenbecher nehmen.“ sagte mein Entdecker zur Frau. „Oder warte - ich bastel eine Lampe aus dem Schädel. Stell dir vor, rote Glühbirnen leuchten aus seinen Augenhöhlen.“ Er lachte laut auf. „Mensch, das is doch der echte Horrortrip. Eine Fete, und dann so eine Lampe. Mit roten Lichtern aus den Augenhöhlen.“
Emsig polierte er immer noch meine Platte mit dem Hemdsärmel. Ich fand die Idee gar nicht so abstoßend, als Horrortrip mit roten Lichtern aus den Augenhöhlen. Wäre mir recht.
 

Zefira

Mitglied
Hallo Till - schön, daß wieder eine Geschichte von Dir hier ist!
Herrlich ausgedacht und vor allem ein furioser Anfang. Das klassische Beispiel eines Anfangssatzes, der den Leser sofort fesselt.
Nur, jetzt sage mal:
Irgendwie fehlt bei dem Erzählstil die innere Logik. Der Schädel spricht in der Sprache de Mittelalters (ich vermute mal, es ist so gemeint; ich spreche die Sprache des Mittelalters nicht), und dann geht er plötzlich mit "jetzt büchste aus" zum Jargon der Gegenwart über. Das ist natürlich pfiffig gemacht, aber warum ist das so? Nur, um den Leser zu verwirren? Eine kleiner Scherz des Schädels??

Aber - gefällt mir :D
Grüße aus der Rhön!
Zefira

P.S. Hoffe, meine Mail ist angekommen...?
 

Till Braven

Mitglied
Hallo Zefira,

vielen Dank für Deine großartige Bewertung und Deine Kritik.
Die Geschichte basiert auf einer wahren Begebenheit. Als in Bremen ein Kaufhaus aus den 60er Jahren abgerissen wurde, das auf Gelände stand, auf dem bis zu einer Bombennacht im 2. Weltkrieg eine Kirche gestanden hatte, um dort letztlich ein Kaufhaus im Stil der 90er Jahre neu zu erbauen, stießen Bauarbeiter auf sterbliche Überreste und spielten mit ihnen, bis jemand die Polizei rief. So stand der Vorfall am nächsten Tag in der Zeitung. Leserinnen und Leser aus Bremen können sich vielleicht direkt daran erinnern...
Deine Kritik ist richtig, stilistisch hat die Geschichte einen Schwachpunkt. Und doch wollte ich bewußt beide Stile, einen etwas altertümlichen, mit dem Jargon unserer Zeit verschmelzen. Und zwar, um die historischen Rückblenden von der Rahmenhandlung aus heutiger Zeit zu separieren. Dabei ist der ältere Stil noch nicht einmal mittelalterlich, einmal, weil die Geschichte dann ungemein viel komplizierter zu schreiben gewesen wäre, aber auch fast unmöglich zu lesen wäre... (Ich hätte echte Probleme mit der mittelhochdeutschen Grammatik...) Ich schätze mal, daß meine altertümlichen Passagen stilistisch nicht älter als 200 Jahre sind...
Ich werde mir die Geschichte noch einmal vornehmen, und mal sehen, ob ich die beiden Stile im Übergang besser verschmelzen kann.

Viele Grüße von der Küste

Till
 

Jena

Mitglied
historisch

Hallo Till,

ich bin überrascht. Nach der Geschichte um Kaiser Julianius hab ich eine weitere historisch orientierte Geschichte von dir gefunden.
Auch sie ist toll geschrieben, und sie hat mir gefallen.
Zefiras Kritikpunkte kann ich allerdings gut nachvollziehen...

Jena grüßt
 

Till Braven

Mitglied
Danke

Hallo Jena,

vielen Dank für deine Kritik und für's Lesen der Geschichte.
Ich hab schon gemerkt, daß die Geschichte recht kompliziert im Aufbau ist, was mir beim Schreiben gar nicht so aufgefallen ist. Aber die Überarbeitung ist nicht ganz einfach.
Etwas Geduld bitte...

Grüße von der Küste

Till
 



 
Oben Unten