Liebe Mitlupianer und Mitlupianerinnen,
vielen Dank für die ausführlichen und vielfältigen Kommentare. Es freut mich, dass Ihr Euch die Zeit dafür genommen habt. Die Reaktionen sind für mich äußerst interessant, weil ich kaum Vorstellungen davon hatte, was der Text transportiert und was nicht.
Es erscheint mir auch wichtig, festzustellen, worüber wir diskutieren: Nämlich nicht über das wirklich Erlebte (wenngleich es die reelle Basis für das Gedicht ist), sondern über das lyrische Extrakt daraus. In dem Fall ist die Handlung sehr nah an der Realität, also es wurde von mir nichts dazu erfunden, es wurde nur verkürzt ausgedrückt und möglichst das Überflüssige ausgeblendet. Ich habe längere Zeit darüber nachgedacht und denke, es geht darum, wie gut es mir gelungen ist, das Wesentliche des Erlebten lyrisch abzubilden und zu transportieren; daher gebe ich hier auch ein wenig Hintergrundinformation über „die Realität“, also das tatsächlich Erlebte.
Arthrys meint, es geht aus dem Text nicht zwingend hervor, dass es sich um einen Selbstmörder handelt, und hat völlig Recht damit. Auch in der Realität waren wir uns nicht hundertprozentig sicher, ob es sich um einen Selbstmörder handelte, aber aufgrund der äußeren Umstände war es sehr wahrscheinlich. So wahrscheinlich, dass ich den Titel zu vergeben wagte; ich würde nicht sagen, dass es zwingend noch zusätzlich im Text vorkommen muss, um schlüssig zu sein.
Zum Kommentar des Schaffners: Elke findet ihn sehr zutreffend, und ich stimme ihr da voll zu, obwohl ich nicht genau weiß, was er sich dazu denkt. Alle Gedankengänge, die Arthrys beispielhaft aufzählt, sind denkbar. In der Realität stand der Schaffner am Bahnsteig, während ich aus dem Waggonfenster sah; er war am Weg zum Lokomotivführer, der ihn ausgerufen hatte. Von seiner Position aus konnte er den Toten viel besser als ich, wahrscheinlich vollständig sehen. So wie er „Scheiße“ gesagt hat, in einem kurzen, dumpfen Tonfall, klang es für mich wie „mein Gott, das sieht ja furchtbar aus“, nur eben viel treffender. Ich kann mich an meine Reaktion auch wörtlich erinnern, es war „Ach du Scheiße“. Fazit: Der Ausdruck des Schaffners war für mich treffend in der Art, wie er es sagte, weil es auf die an sich unappetitliche Szene hinweist; das scheint bei Elke angekommen, bei Arthrys für Irritation gesorgt zu haben.
Ob die Reaktion, das Sakko auszuziehen, typisch ist, weiß ich nicht; dass einem heiß wird, würde ich aber schon behaupten. Ein Adrenalinschub, der nicht weiß, wohin. Das Sakko über den Toten zu legen, wäre eine tolle Reaktion gewesen; war aber leider nicht so. Meine ersten Gedanken in der realen Situation waren wohl, meine Beste, die Ohrenschützerin, vor dem Anblick zu bewahren; ihre letzte Begegnung mit einer Leiche hat sie jahrelang im Schlaf verfolgt (aber das kommt im Gedicht nicht vor und soll daher nicht Thema sein). Die angesprochene „innere Hitze“ würde ich als Gefühlsstau, als momentane Überforderung und kurze Paralyse beschreiben. Erstaunlich, dass das bei Arthrys nicht ankommt, ich dachte, das würde der Leser aus anderen Situationen kennen.
Bevor ich meinen Kommentar unterbreche, noch ein Satz zu Zeders Vorschlag zu Zeile zwei: Ich schwanke nun zwischen den Varianten „reglos, fast segnend“ und „reglos zwar, und doch fast segnend“, tendiere zu Ersterem, weil das zwar sich nur darauf bezieht, dass „segnend“ für mich eine kleine Bewegung beinhält (scheint vernachlässigbar zu sein).
Fortsetzung folgt…