Der erste Kontakt

Fugalee Page

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Der erste Kontakt. Für gewöhnlich begegnet in der Science-Fiction eine irdische Spezies einer außerirdischen. Vielleicht entstehen Variationen, ausgelöst durch zukünftige Informationstechnologien. Wie wäre es mit einer Spezies, zwei Monden und einer Verkettung unglücklicher Umstände?


Der Krankenwagen raste durch die Häuserschluchten der Metropole. Ein Sensor am Unfallfahrzeug hatte den Notruf ausgelöst. Der Zentralcomputer hatte das Signal empfangen und dem entsprechenden Notfallfahrzeug den Einsatzbefehl erteilt. Daraufhin hatte Burkhard in gewohnter Routine auf Einsatzmodus geschaltet und dadurch sich und seiner Kollegin die anderen Fahrzeuge vom Leib gehalten. Bei der augenblicklichen Geschwindigkeit hätte sich eine Kollision für die Beteiligten auch als äußerst unangenehm erwiesen.
Burkhard war froh, dass Karin bei ihm ihr Einsatzpraktikum absolvierte. Die angehende Ärztin erinnerte ihn an seine Tochter. Das Alter passte. Ferner war sie genauso frech und alles andere als auf den Mund gefallen. Dass man sich gegenseitig aufzog, gehörte mittlerweile zum guten Ton der beiden. Nur zu gerne hätte es der alleinerziehende Vater gesehen, wenn auch seine Tochter Interesse für den medizinischen Bereich entwickelt hätte. Aber seiner Meinung nach verhökerte Ellie ja lieber Immobilien in Neuholland.
„Und was geben die Daten her“, wollte Burkhard von Karin wissen.
„Es ist alles da“, gab sie zur Antwort. „Ein Motorradunfall. Der Fahrer, männlich, 35 Jahre, die üblichen Kinderkrankheiten, keine auffälligen Besonderheiten … halt doch, Blutgruppe A, Rhesus negativ, aber er bekam schon einmal Blut mit positivem Faktor verabreicht.“
„Wie konnte denn das passieren?“
„Frag mich was Leichteres.“
„Na, dann hab mal ein besonderes Auge auf das Antigenmuster, falls diesmal eine Infusion nötig sein sollte. Sonst noch was?“
„Letztes Jahr, eine Klavikulafraktur und leichte Gehirnerschütterung“, erkannte Karin.
„Ha, ich mache jede Wette, dass ihm das bei einem Sturz vom Rad passiert ist. Hab mir bei so was auch schon das Schlüsselbein gebrochen.“
„He, Alterchen, pass auf!“, tönte es vom Beifahrersitz. „Die ACA hält uns vielleicht die anderen Fahrzeuge vom Leib, aber wenn du selbst gegen eine Hauswand donnerst, nützt uns das herzlich wenig.“
„Ich geb dir gleich, Alterchen, freche Göre. Ein bisschen mehr Respekt, ja! Wenn du so viele Einsätze gefahren hättest wie ich, würdest du auch ein Gespür für die Gefahr besitzen. Aber die Dame wird ja schon bald die Karriereleiter empor steigen. Dabei spielt hier bei uns die Musik, bei der ambulanten Ärztestaffel.“
„Ach, nö. Bitte nicht schon wieder eine deiner Moralpredigten. Hoffentlich kommt deine Tochter bald wieder. Man merkt, dass du es gar nicht erwarten kannst, dich ordentlich mit ihr zu zoffen. Ich glaube, du hast ganz einfach ein Problem mit Menschen, die etwas erreichen wollen.“
„Moooment! Wenn jemand etwas erreichen will, muss das nicht zwangsläufig negativ sein, aber euch geht’s doch nur noch darum, möglichst schnell Karriere zu machen und an viel Kohle zu kommen. Feudalärzte sind früher auch mal in Krisengebiete gefahren, um den Ärmsten der Armen zu helfen, heute wird zuerst der Chip gecheckt, bevor Hand angelegt wird.“
„Von Luft und Liebe kann leider niemand leben. Von irgendetwas muss die Miete ja bezahlt werden. Ich hab nicht vor, mein ganzes Leben in meiner Bruchbude, die sich Wohnung nennt, zu verbringen. Dein Töchterchen scheint‘s ja auch nicht schlecht getroffen zu haben. Von ihrer Maklerprovision lässt es sich sicher angenehm leben. Jedenfalls muss sie so nicht mehr bei dir wohnen. Eine zugegebener Maßen grausame Vorstellung. Wann wollte Ellie noch gleich zu Besuch kommen?“
Zum Schein schmollte Burkhard ein wenig, wie er dies manchmal zu tun pflegte. Aber er hatte seine Kontra gebende Kollegin längst ins Herz geschlossen. Wenn sie ihn ab und an von der Seite her musterte, zog er den Bauch stets ein klein wenig ein. Sicher, sie hätte seine Tochter sein können, aber Eitelkeit machte vor dem Alter nun einmal nicht halt.
Es bereitete Burkhard indessen keine Probleme, sich neben dem kleinen Disput noch auf die Straße zu konzentrieren. Er wusste die Situation bestens einzuschätzen. Die Anti-Crash-Area sorgte dafür, dass die Antriebe der anderen Verkehrsteilnehmer rechtzeitig aussetzten und durch die eingebauten Servodrills wurden die Fahrzeuge sanft an den Fahrzeugrand gelenkt. Der orbitale GPS-Gürtel sorgte für eine zentimetergenaue Positionierung und die Abtaster steuerten das Ausweichen vor etwaigen Hindernissen. Zur Not konnte der Fahrer selbst noch ins Geschehen eingreifen; auch wenn dies so gut wie nie vorkam. Motobikes und Segways wurden ebenfalls deaktiviert, um dann kurze Zeit später, nach passieren des Krankenwagens, ihren Dienst wieder aufnehmen zu können. Das Restrisiko wurde durch jahrelange Erfahrung und die antrainierten Reflexe des Einsatzwagenfahrers in Grenzen gehalten. Und das letzte Mal, dass ein Krankenwagen in eine Hauswand gerast war, da hatte ein Fahrer selbst gesundheitliche Probleme bekommen. Mit einem Infarkt am Steuer, da fuhr es sich einfach nicht mehr so konzentriert.
„Ellie ist jetzt schon sechs Monate weg und verhökert ihre Amphibienhäuschen in Neuholland“, beantwortete Burkhard nach Beendigung der Schmollphase die Frage seiner Kollegin.
„Das Geschäft läuft angeblich prächtig. Und das Geschäft ist ja auch das Einzige, was zählt. Da macht man die Leute erst verrückt. Zeigt ihnen Werbetrailer mit schönen, nächtlichen Wasserspielen, lässt den Mann sich morgens freudestrahlend von der lieben Ehefrau verabschieden und mit dem Wasser-Jet zur Arbeit brausen; aber dann später, da kommt das böse Erwachen. Ich möchte wetten, dass in spätestens zwei Jahren die ersten Landratten vom vielen Wasser die Schnauze voll haben und ihr schwimmendes Eigenheim wieder verscherbeln.“
„Ja, und dann kommt deine Tochter erneut ins Spiel und zu Barem. Siehst du, so funktioniert das System.“
„Wir sind gleich da“, war der resignierende Kommentar von Burkhard.

*​

Er stand am Fenster und überlegte es sich. Er überlegte sich, ES zu tun. Etwas hielt ihn dann doch immer wieder zurück. Heute waren es die spielenden Kinder, unten, in dem kleinen Vorgarten. Auf der winzigen Kunstrasenfläche war an ein richtiges Fußballspiel erst gar nicht zu denken. So kickten die Kinder den Ball immer wieder gegen die Hauswand. Der Ball konnte den Scheiben zwar nichts anhaben, doch gegen den übertragenen Schall war kein Kraut gewachsen. Schon bald würde Erdgeschoss-Paschulke die verwerfliche Tat der kleinen Monster zur Anzeige bringen, da die sich erdreistet hatten, gegen seine Wand zu hämmern. Der Zentralcomputer würde die Gegend erfassen, die Daten der Kinder scannen und den momentan eingetragenen Erziehungsberechtigten eine Mitteilung schicken, sie mögen nach ihren Sorgenkindern sehen. Die kleinen und die großen Sünden wurden sorgsam abgespeichert. Aus diesen gesammelten Informationen konnte der Zentralcomputer später ein Profil erstellen, das dem Individuum eine entsprechende Positionierung innerhalb der Gesellschaft ermöglichen sollte. Zugriffe auf all diese hochsensiblen Daten waren für angeheuerte „Filejacker“ eine lohnende Herausforderung. Einige Bewohner im Norden Deutschlands waren nicht gerade glücklich über den Standort des Zentralcomputers, und der Tatsache, dass dadurch ihr Heimatort im Volksmund als „Sündenstadt“ bezeichnet wurde. Doch was die Archivierung von Daten betraf, konnte Flensburg auf eine lange Tradition verweisen.
Er hörte, wie ein paar Straßen weiter ein Krankenwagen vorbeifuhr. Die Sirene klang in hohem Ton und entfernte sich kurz darauf in einem tieferen. Wäre es andersherum gewesen, hätte es ihm zu denken gegeben. Wenigstens die Gesetzmäßigkeiten der Physik besaßen in der momentanen Welt ihre Gültigkeit. Wenn auch sonst nichts mehr passte.
Er ging vom Fenster weg, setzte sich auf die Couch und regelte mit der Fernbedienung die Bildwand. Die Rate fürs Wunschprogramm war bezahlt, und somit stand diesem Monat dem medialen Genuß nichts mehr im Wege. Den letzten hatte er TV-frei verstreichen lassen müssen, da es galt, Prioritäten zu setzten.
Er zappte sich durch die Sendekanäle. Da tanzte ein Paar um die Meisterschaft. Die Pirouetten zeugten von jahrelangem Training. In jeder Bewegung lag Perfektion. Der Sprecher war entzückt. Die Preisrichter im Anschluss ebenfalls. Andere Formationen kamen und gaben ihr Bestes. Für ihn, alles nur Nebensache. Er las einen älteren Bericht, den er eigentlich schon in- und auswendig kannte. Seit ihm der Zentralcomputer durch sein Auswahlabo die passende Information hatte zukommen lassen, war die Startseite auf der Infofolie festgelegt; ständig auf ein akustisches Signal eines Updates hoffend. Es waren dort Zeilen zu lesen gewesen, die sein Leben verändert hatten. Er war im Begriff, sein Schicksal in die Hände eines Menschen zu legen, der ihm bis vor wenigen Wochen noch völlig unbekannt gewesen war. Ja, er hatte sich registrieren lassen. Da war wieder etwas Hoffnung in ihm. Auch wenn die Chance so gering war, dass die Verzweiflung leichtes Spiel mit ihm hatte.
Er saß lange und wartete. Die Sportübertragung wurde zur vollen Stunde von den neuesten Nachrichten unterbrochen. Es war Zeit. Bald würde das Telefon klingeln. Natalie würde am anderen Ende der Leitung sein. Wer auch sonst, da er andere soziale Kontakte so gut wie abgebrochen hatte? Sie würde wieder versuchen ihn aufzumuntern, und er würde mitspielen. Sie würde fragen, ob es schon etwas Neues gäbe, und er würde verneinen. Dann würde sie sagen, dass es jetzt sicher bald soweit sei. Und dann würde sie wieder so lange auf ihn einreden, bis man sich in dem kleinen Café verabredete, um über Belangloses zu reden. Im Café, das ging in Ordnung. Da hatte ihr Neuer nichts dagegen. Das Café war neutraler Boden. Dabei konnte der Neue froh sein. Hätte er Natalie nicht von sich gestoßen, wäre der Neue ihr nie begegnet. Und wenn doch, dann hätte sie ihn sicher keines Blickes gewürdigt.
So war es dann anders gekommen. War sicher besser so, für beide. In jedem Fall für Natalie. In jedem Fall für jeden Menschen, der nicht so war wie er selbst. Gewaltsam in eine andere Welt gerissen, in eine andere Dimension. Und jetzt nur noch wartend auf einen Tag X.
War das Schicksal erst einmal besiegelt, konnte man versuchen sich damit abzufinden. Doch solange noch Hoffnung keimte; man auf eine Nachricht wartete. Im Anschluss dann, nach dem Ergebnis fieberte; um schließlich zu triumphieren oder zu resignieren. Alles – alles war besser, als nur zu warten. Denn das Warten ist schrecklich.
Er stand auf und öffnete erneut das Fenster. Keine Kinder mehr. Noch einmal tief durchatmen, um dann vielleicht doch den Mut zu finden? Loszulassen.
Das Telefon klingelte.
Er überlegte lange.
Gut, noch einmal das Spiel spielen. Noch ein einziges Mal nachgeben und im kleinen Café Trost suchen.
Er nahm ab.
Doch es war nicht Natalie. Er musste sich hinsetzen, da ihm die Beine schwach wurden. Die erhoffte Stimme, mehr noch die Worte, ließen sein Herz vor Freude rasen und ihn nach Luft ringen.
„Hier ist Dr. Valdez. Hören Sie, Daniel, es ist soweit. KOMMEN SIE, DANIEL, KOMMEN SIE SCHNELL!“


*​

Das erste, was sich in Marcos Bewusstsein drängte, war die Stimme eines Passanten.
„Der Krankenwagen muss gleich da sein“, hörte er einen Mann sagen.
Dann verschwand der Schleier, der ihn umfangen hatte und die Stimmen nahmen Gestalt an. Eine ältere Frau musterte ihn ganz ungeniert. Sie glotzte auf ihn herab.
„Der ist schon ganz starr und steif. Und schau mal, die Augen. Das wird nichts mehr!“
Vermutlich sprach das Weib mit ihrem Mann, der seitlich neben ihr stehen musste. Verdammt, weshalb konnte er seinen Kopf nicht bewegen. Und sein Blick war wie erstarrt. Er lag auf der Straße, das stand außer Frage. Nicht ganz plan. Sein Kopf musste etwas erhöht liegen, da er sonst einen anderen Blickwinkel gehabt hätte. Das Motorrad! Ja, er war mit dem Motorrad gestürzt. Wie blöd musste jemand auch sein, sich in diesem Zustand auf ein Bike zu setzen. Die verdammte Eifersucht war wieder einmal mit ihm durchgegangen. Wieso konnte er sein gottverdammtes Temperament nicht besser zügeln. War dies nun die Strafe? Vermutlich. Wenn er aus dieser Sache wieder heil heraus kommen sollte, dann musste sich einiges ändern. Ein guter Vorsatz, den er sich schon so oft vorgenommen hatte. Doch so wie er sich augenblicklich fühlte, musste das mit ihm etwas Ernsteres sein. Aber sie würden ihn schon wieder irgendwie zusammenflicken. Irgendwie flicken die einen immer wieder zusammen, dachte er sich. Und die Zeit würde alle Wunden heilen.
Aber zuerst würde da noch eine ganze Menge auf ihn zukommen. Seine Daten würden automatisch an die Zentrale geleitet und dort ausgewertet werden. Sein Alkohol- und Drogenkonsum, den die Parameter ganz sicher aufzeigen würden, setzten dann das übliche Prozedere in Gang. Da es sich herausstellte, dass er im Polizeidienst tätig war, würde ein Disziplinarverfahren eingeleitet werden. Noch während sie ihn wieder zusammenflicken würden, hätte die Versicherungsabteilung seines Automobilclubs von der zentralen Datenbank eine Nachricht erhalten und einen ortsansässigen Anwalt mit der Wahrung seiner Interessen beauftragt. Bei seiner eingetragenen Lebensabschnittsgefährtin würde das Telefon klingeln, und eine freundliche Stimme würde sie über das Geschehene in Kenntnis setzen. Gleichzeitig würde die Urlaubsreise, welche beide nächste Woche antreten wollten, storniert werden. Die reservierten Flugplätze konnten ab dem Zeitpunkt wieder freigeschaltet werden, wenn Ilona gewählt hatte, ob sie sich für die Aktivierung der Stornoversicherung oder alternativ den Vorvertrag zur nächsten Urlaubsreise, inklusive eines Zwei-Jahres-Abos einer frei von ihr wählbaren Zeitschrift entschieden hatte. Auch die Theaterkarten für die ausverkaufte Vorstellung, morgen Abend, würden freigeschaltet werden. Irgendein glückliches Pärchen, das eine Kartenoption eingetragen hatte, würde dann per Zufallsgenerator den Zuschlag erhalten und eine entsprechende Nachricht auf dem Mobiltelefon vorfinden. Auch hier würde zuerst eine Anfrage an Ilona vorausgehen, ob sie mit dieser Vorgehensweise einverstanden sei, oder ob sie alleine, beziehungsweise mit einer anderen Person, die Gelegenheit wahrnehmen wollte.
Erst jetzt, da es ihn selbst betraf, wurde sich Marco der Pietätlosigkeit bewusst, die in diesen nüchternen Sachabfragen steckte.
An was man so alles denkt, wenn man nutzlos paralysiert im Weg herum liegt, dachte sich Marco. Aber ich höre. Da kommt der Krankenwagen. Ja - und irgendwie werden die mich schon wieder zusammenflicken. Verdammt – die flicken einen immer irgendwie wieder zusammen.

*​

„Da vorne muss es sein. Siehst du die Gaffer?“, fragte Karin ihren Kollegen.
„Hör mir bloß auf. Du weißt, wie ich diese Schaulustigen hasse. Am liebsten würde ich auf dem Krankenwagen einen Wasserwerfer installieren lassen. Aber statt mit Wasser, würde ich die ehrenwerten Leute mit Katzenpisse vertreiben. Was denkst du, wie sich ein Verunglückter fühlt, wenn er am Boden liegt und lauter dämliche Riesen auf ihn herabglotzen.“
„Ja, du hast ja Recht. Dann lass uns den armen Kerl mal erlösen.“
„Hol du die Krankentrage mit der Vertebralauflage. Verdacht auf Rückenverletzung.“
„Also, da wäre ich jetzt von alleine nie drauf gekommen.“
„Ja, ja, schon gut. Also, los jetzt!“
Na endlich kommt ihr. Haltet mir nur den Pöbel vom Leib. Und erlöst mich endlich aus dieser verdammten Hilflosigkeit.
„Gehen Sie zur Seite! Hier gibt’s jetzt nichts mehr zu sehen.“
Burkhard schimpfte los und kniete sich neben den Patienten, um diesen zu untersuchen. Karin öffnete die Ladeklappe des Krankenwagens und steuerte mit den Bedienelementen die entriegelte Trage.
„Sieht nicht gut aus“, lautete die knappe Diagnose von Burkhard, während Karin die Liege parallel zum Patienten ausrichtete.
„Weshalb hat sich lediglich das Visier und nicht gleich der ganze Helm geöffnet?“, wollte Karin wissen.
„Ist vermutlich einer dieser Billigimporte. Das codierte Sendesignal des Motorrads ist nicht erkannt worden. Aber lass ihn uns erst mal auf die Trage legen.“
Karin sorgte dafür, dass das Gestell zusammenklappte und unter den wachsamen Augen der angehenden Ärztin hievten vier ausfahrbare Wirbelsäulenstabilisatoren den Patienten mit spielerischer Leichtigkeit auf die autosensitive Vertebralauflage. Als diese sich angepasst und den Patienten umsichtig eingebettet hatte, tippte Karin am Helm manuell den genormten Zahlencode ein, doch nichts geschah.
„Mist, ich will ihm das Ding nicht einfach so vom Kopf ziehen.“
„Nur keine Panik. Ich hatte schon solche Fälle. Versuchs mal mit 01010 für den indischen oder 101101 für den afrikanischen Markt“, empfahl Burkhard.
Die erste Codierung funktionierte. Mit einem leisen Surren klappte der Helm auseinander und löste sich vom Kopf des Verletzten.
„Gut gemacht“, lobte Burkhard.
Doch da Karin den Patienten nun selbst untersuchte, reagierte sie verärgert.
„DAS hättest du mir auch gleich sagen können.“
„Ja, aber dann hättest du dich nicht so angestrengt. Du bedienst die Auflage wirklich schon sehr routiniert, Kompliment. Bei meinem ersten Mal wäre mir der Patient um ein Haar von der Trage gekippt.“
Von was redet ihr beiden Vollidioten die ganze Zeit? Ich wünschte, ihr könntet mich hören. Tut endlich was!
„Fahr ihn jetzt bitte in den Wagen und schließ ihn an. Ich will mir schnell noch das Motorrad ansehen.“
„Wieso das denn?“
„Ellie will sich auch so ein Ding zulegen. Und von der Marke will ich ihr schon mal abraten.“
„Als ob das Bike was dafür könnte.“
„Ach, das verstehst du nicht. Hab du erst mal Kinder.“
Burkhard war gerade dabei sich die Maschine und deren Beschädigungen näher anzusehen, als ihm Karin aufgeregt vom Wagen aus zurief:
„Burkhard, schnell! Er lebt noch.“
Na, was denn sonst, ihr Idioten. Gratuliere, da seid ihr ja jetzt wirklich schnell drauf gekommen. Hat denn meine Qual nie ein Ende. Muss ausgerechnet ich der dusseligsten Ambulanz-Crew begegnen.
„Das ist mir in meiner ganzen Laufbahn noch nicht begegnet. Ich hatte keinen Puls, dazu der pathologische Augenreflex. Mist, ich war zu voreilig.“
„Ich ebenfalls“, bestätigte Karin. „Bevor ich dich rief, hatte ich seine Daten bereits gescannt und dem Zentralcomputer übermittelt. Erst dann habe ich ihn an die Maschine angeschlossen.“
„Du hast die Daten bereits übermittelt? Hattest du zuvor wenigstens seinen Chip überprüft?“
„Ja, selbstverständlich. Das geht in Ordnung. Außerdem ist er Polizist.“
Von was redet ihr Vollidioten da eigentlich? Habt ihr Angst, dass ihr kein Geld bekommt? Ich bin Klasse B krankenversichert. Ich bin Beamter. Bringt mich in die nächste Feudalklinik.
„Burkhard, glaubst du, dass er noch etwas mitbekommt?“
Burkhard überprüfte die angezeigten Parameter.
„Hmm, das Stammhirn nebst Hypothalamus haben einiges abgekriegt. Die Verbindung zum Großhirn ist unterbrochen. Im Mittelhirn, der Bündelungs- und Verteilerstelle, sind die Nervenbahnen außer Kraft gesetzt. Lediglich die vegetativen Lebensfunktionen werden noch schwach aufrecht erhalten.“
„Bei Bewußtlosigkeit durch eine primäre Hirnstammläsion fallen Pupillenreaktionen und Augenmotilität von Anfang an pathologisch aus“, versuchte Karin ihr mühsam erlerntes Wissen mit einzubringen.
Oh Gott, könnt ihr euch vielleicht etwas klarer ausdrücken.
„Koma!“, brachte Burkhard es dann auf den Punkt.
Waas? Aber, ich fühle doch. Ich denke! Ich lebe!
Karin leuchtete dem Patienten nochmals in die Augen.
„Nicht die geringste Reaktion. Eigentlich schade um den Kerl. Hat ein hübsches Gesicht und wunderschöne braune Augen. Dazu der leicht dunkle Teint. Ich tippe mal auf Südländer.“
Ja, erkennst du denn nichts? Wie kann ich mich euch nur bemerkbar machen?
„Aber es sieht mir nicht so aus, als seien die Schädigungen durch äußere Umstände verursacht worden. Gib mir mal die Blutwerte.“
Karin rief die entsprechenden Parameter ab. Burkhard tat seine Meinung kund.
„Hmm, sieht nach Spuren einer Droge aus. Die Werte weisen aber auf nichts Abgespeichertes hin. Könnte eine neue Designerdroge sein. Irgendein teuflischer Chemiecocktail. Und wie du siehst, hat der Typ auch noch reichlich Alkohol konsumiert. Das könnte eine Erklärung für seinen momentanen Zustand sein. Sich in diesem Zustand noch auf ein Motorrad zu setzen. Entweder war der Kerl vorher schon total verblödet oder irgendetwas hat ihm dermaßen zugesetzt, dass es seinen Verstand hat aussetzten lassen.“
Deine Moralpredigt kannst du dir sparen. Gib mir verflucht noch mal lieber was gegen die Schmerzen. Vielleicht bin ich erstarrt – aber ich kann durchaus fühlen!
„Wie ein Junkie sieht er jedenfalls nicht aus“, stellte Karin fest. „Sonst hätte er seinen Job ja schlecht ausüben können. Oh – sieh mal, der Zentralcomputer weist uns das Bethesda zu.“
„Dann lass ihn uns hinbringen. Dort wird man sich um ihn kümmern. Obwohl ich nicht glaube, dass er das Bewusstsein je wiedererlangen wird. Für einen Polizeibeamten gibt er jedenfalls kein gutes Beispiel ab.“

*​

„Ist dieser Wagen hier schon eingetroffen?“
Dr. Valdez wirkte sichtlich angespannt, als er dem Krankenhausangestellten die entsprechenden Daten vorlegte.
„Nein, Herr Doktor, aber dem Signal nach zu urteilen, wird er jeden Moment eintreffen.“
„Gut, ich werde warten.“
Valdez hatte keine zwei Minuten gestanden, als der Krankenwagen die Einfahrt hereingeprescht kam. Valdez lief dem Notfallfahrzeug entgegen.
Burkhard mochte die stets leicht arrogant wirkenden Klinikärzte nicht. Deshalb kümmerte er sich diesmal um die Krankentrage. Karin übernahm es zwischenzeitlich, Valdez zu informieren. Der Mediziner war ihr wohlbekannt. Dieser Mann würde eines Tages Geschichte schreiben. Vielleicht bestand einmal die Chance in seinem Team zu arbeiten?
„Doktor Valdez, eine gute Nachricht. Der Patient lebt noch. Es handelt sich um eine Hirnschädigung, vermutlich verursacht durch eine neue Junkdroge. Zeichen einer primären Hirnstammläsion, lichtstarre Pupillen, Fehlen vestibulookulärer Reflexe. Ich war etwas voreilig und hatte die Daten zur Freigabe bereits übermittelt. Aber selbstverständlich habe ich den Irrtum sofort bemerkt.“
„Ach, er ist gar nicht tot? Wie … schön. Gut, dass Sie dann die entsprechenden Maßnahmen gleich eingeleitet haben. Gute Arbeit. Wie war doch gleich ihr Name?“
„Ich heiße Karin Riemann, Dr. Valdez, und es würde mich freuen, wenn ich später einmal die Gelegenheit bekäme, in Ihrem Team zu arbeiten. Ich bewundere Ihre Arbeit schon lange.“
„Ja, wir werden sehen. Gute Leute kann ich immer gebrauchen. Ich werde mich jetzt erst einmal um diesen bedauernswerten Patienten kümmern. Und Sie melden sich bei mir, wenn Sie nicht mehr auf der Straße unterwegs sind, ja? Das ist doch keine Arbeit für Sie.“
Na, endlich jemand, der sich auszukennen scheint. Der Typ scheint einiges auf dem Kasten zu haben, so wie die dusselige Kuh ihm in den Hintern gekrochen ist. Hoffentlich wird mir dieser Weißkittel endlich aus der Patsche helfen.
Valdez schob den Patienten den öden Gang entlang. Resignation machte sich in ihm breit. Wieso hatte das Schicksal ihm diesen makaberen Streich gespielt? Es hatte so gut ausgesehen. Der „Wunschkandidat“ schien gefunden. Die Muster stimmten perfekt überein. Und jetzt? Wieder warten. Wie groß war die Chance, noch einmal solches Glück zu haben?
Valdez ließ die abgespeicherten Untersuchungsdaten am kleinen Monitor der Liege einspielen und dachte wieder an seine Zeit als Assistenzarzt zurück. Er hatte sie gesehen. Die Komapatienten des Therapiezentrums, nahe seiner früheren Klinikumsstelle. Menschen, die dem Tode näher standen als dem Leben.
Zuerst würde man versuchen den Patienten mit schulmedizinischen Methoden ins Leben zurückzuholen. Dann würden die Musiktherapeuten ihr Glück versuchen. Sie würden dem Patienten gleichsam eine akustische Kanüle in die Seele treiben, um eine Reaktion zu provozieren. Logopäden würden mit Engelsgeduld Mund und Hals stimulierten, um Kau- und Schluckreflex zurückzuerobern. Und dann, die Angehörigen, vergeblich auf etwas hoffend, das doch nie eintreten würde.
Dieser Patient hier war ganz offensichtlich ein Junkie. Noch dazu handelte es sich um einen Hüter des Gesetzes. Verabscheuenswürdig! Valdez mochte weder korrupte Beamte noch solche, die sich einen Sonderstatus herausnahmen. Dieser Patient war an seiner momentanen Situation selbst Schuld. Gerade ein Polizeibeamter musste als Beispiel dienen und hatte sich dementsprechend zu verhalten. Dieses Häufchen Elend war Typ B versichert. Das bedeutete, dass er volle zwei Jahre versorgt würde, bevor man an seine Ersparnisse ging. Wären auch diese aufgebraucht, würde man ihn kurzerhand „abschalten“.
Zwei lange Jahre. Verlorene Zeit. Wäre seine Operation von Erfolg gekrönt, würden Forschungsgelder kein Thema mehr sein. Und er befand sich erst am Anfang einer phantastischen Reise. In zwei Jahren hätte er eine Vielzahl neuer Erkenntnisse gewonnen. Um dann vielleicht eines Tages … Ja – vielleicht würde er es noch erleben. Vielleicht sogar noch selbst durchführen? Wenn ihm dies schlussendlich gelänge, müsste man seinem Doktortitel etwas hinzufügen, das sensiblere Naturen als Blasphemie bezeichnen würden. Denn mit der Verpflanzung des gesamten neuronalen Netzwerks würde er einst der Seele ein neues Zuhause geben.
Valdez stoppte die steuerbare Liege und trat an die Seite des Patienten.
Ah, da bist du ja wieder. Und – was ist? Weshalb siehst du mich so an? Ah, du lächelst. Ein gutes Zeichen. Siehst du etwas, das dir gefällt? Kannst du etwas von mir erkennen? Ich bin da. Ich fühle. Ich lebe. Hilfst du mir endlich?
Valdez hatte einen Entschluss gefasst. Als Polizeibeamter hatte sich der Patient ja automatisch eintragen lassen. Wenn, dann musste es jetzt schnell gehen. Die Art des Eingriffs ließ keine Verzögerung zu. Er griff in seine Manteltasche. Die Nummer war längst eingespeichert. Es dauerte eine Weile, bis sich der Angerufene mit tonloser Stimme meldete. Doch der Arzt würde ihm neuen Lebensmut schenken.
„Hier ist Dr. Valdez. Hören Sie, Daniel, es ist soweit. KOMMEN SIE, DANIEL, KOMMEN SIE SCHNELL!“
Wen hat er da angerufen? Einen Kollegen? Was ist so wichtig? Ah, es geht weiter. Wohin bringst du mich jetzt? Ich sehe die kahle, weiße Decke. Nur unterbrochen von kaltem Neonlicht. Du schiebst mich durch die Gänge. Jetzt – du biegst ab, scheinst auf einen Raum zuzusteuern. Ich fühle, dass die Starre langsam nachlässt. Ich meine, ich kann die Augen ganz leicht bewegen. Die Schrift über der Tür ist noch verschwommen. Jetzt – ja, ich kann die Schrift lesen. Mein Gott, nein … nein – da steht ANATOMIE.

*​

Ilona hatte der Unfalltod von Marco schwer zugesetzt. Die Zeit mit ihm war nicht immer einfach gewesen. Doch sie hatte ihn geliebt.
Sie hatte sich schwere Vorwürfe gemacht. Hätte ihn nicht im Streit gehen lassen dürfen.
Lange Zeit hatte sie sich in ihr Schneckenhaus zurückgezogen. Bekannte hatten Ilona dann auf eine Party mitgeschleppt. Nur widerwillig war sie mitgegangen. Dort war sie dann Daniel begegnet.
Daniel war ihr spontan sympathisch vorgekommen. Er hatte sich etwas schüchtern angestellt, da er es nicht mehr gewohnt gewesen war, sich auf Partys zu vergnügen. Dieser Umstand hatte ihr den Einstieg erleichtert. Denn mit Draufgängern, die nur das Eine von ihr wollten, hätte sie sowieso nichts anfangen können. Auch Daniel hatte einen schweren Schicksalsschlag hinter sich gelassen. Eine heimtückische Infektion hatte ihm das Augenlicht genommen. Bis das modifizierte Antibiotikum zur Verfügung gestanden hatte, waren bereits große Teile seines Sehapparates durch einen resistenten Bakterienstamm zerfressen worden. Erst durch eine bahnbrechende Operation waren Farben und Freude in sein Leben zurückgekehrt.
Und der Eingriff war mehr als gelungen. Schon der erste Kontakt war etwas ganz Besonderes gewesen. Ein Blick in Daniels Augen hatte gereicht und Ilona wissen lassen, dass er der Richtige war. Vertrauen war schließlich die Basis für eine harmonische Beziehung. Und diese Augen. Ja - dieses tiefe, dunkle Braun. Diese zwei großen Monde kamen ihr irgendwie vertraut vor.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Noch keine Wertung weil:

Durch die ersten Abschnitte musste ich mich durcharbeiten, irgendwie wirkten die Dialoge aufgesetzt, auswendig gelernt. Jetzt, am Ende, frage ich mich, wozu diese Absätze überhaupt da sind – die Figuren erfüllen beim Unfall ihre Funktion auch ohne dieses Vorgeplänkel.

Ich verstehe Daniels Problem nicht – was genau hat er für eins?

Die Passagen mit dem Koma-Patienten waren hochspannend – Kompliment!

Das Schlusskapitel führt noch eine Person ein, die ich – in dieser Ausführlichkeit – für überflüssig halte. Hier würde – auch weil es das "Pointen-Kapitel" ist – durchaus ein Wechsel im Stil passen. Von der "die Person denkt"-Sicht auf eine etwas neutralere "die Kamera sieht die Person"-Sicht.
Vor allem aber: Was hat Valdez denn nun eigentlich gemacht? Ich dachte die ganze Zeit, er macht sowas wie "Bewusstseinstransfer" – aber müsste Ilona dann nicht Marcos Gesicht/Körper erkennen, egal wie hartnäckig er sich Daniel nennt? Oder hat Valdez Marco in Daniel verpflanzt? Was soll das dann mit dem "Augen zerfressen gewesen" und sollte Marco dann nicht – wenn schon niemandem anderen – Ilona sagen "Hey, Schatz! Ich bin gar nicht richtig tot!" (, und warum war dann Valdez zuerste enttäuscht, als er hörte, dass Marco noch lebt)? Oder hat Valdez doch was gaaaanz anderes gemacht?
 

Fugalee Page

Mitglied
Hallo jon,

hi, hi, hi … also diesmal bin ich, was Pointe und Handlung betrifft kometenhaft an dir vorbeigeschossen.

Zur Geschichte:
Alles fing damit an, dass ich mir Gedanken über einen „ersten Kontakt“ machte und mir Variationen dazu überlegte. Irgendwann kam ich dann darauf, dass hier nicht unbedingt ein Außerirdischer eine Rolle spielen müsste. So wurde es dann ein zwischenmenschlicher Kontakt. Und da der erste Kontakt meistens ein Blickkontakt ist, liegt hierin auch die Auflösung verborgen.
Der Anfangssatz sollte natürlich ein wenig Verwirrung stiften, aber gleichzeitig mit den beiden „großen Monden“ dem Leser den passenden Schlüssel in die Hand geben.
Zuerst erleben wir Burkhard und Karin, die vom Zentralcomputer zu einem Unfall (Marco) geschickt werden.
Dann Szenenwechsel: Daniel zu Hause, der über sein weiteres Schicksal nachdenkt. Dabei hört er einen Krankenwagen vorbeifahren. Er hört Kinder, die Ball spielen. An der Bildwand stellt er den passenden Sendekanal ein (für Hörgeschädigte). Denn, wie am Schluss zutage tritt. Daniel ist blind!
Valdez hatte nichts anderes getan, als Daniel seinen von Bakterien zerfressenen Sehapparat, durch den von Marco zu ersetzen. Deshalb kam Ilona die „Sache“ auch so vertraut vor.
Aber man musste schon sehr aufpassen, um das Herauszulesen. Erst am Schluss wird die Sache mit der Augen-OP dann ausführlich erwähnt und natürlich, dass Daniel blind war.

Hinzu kam die ungewöhnliche Erzählstruktur:
Zuerst die beiden Ärzte im Notfallwagen.
Dann Daniel in seiner Wohnung. Er hört einen Krankenwagen vorbeifahren (Burkhard und Karin). Daniel sitzt noch lange und wartet – als plötzlich das Telefon klingelt.

Dann Szenewechsel. Der Krankenwagen trifft am Unfallort ein. Bergung, Rettungsmaßnahmen, Schnelle Fahrt zum Bethesda, Valdez taucht auf. Er hat sich bereits gefreut, da Karin voreilig die Daten für die Organfreigabe an den Zentralcomputer übermittelt hatte. Valdez hatte dort wohl seine Option mit dem passenden Muster hinterlegt und vom Computer Nachricht erhalten, dass nun ein passender Spender bereit stünde.
Dann die Enttäuschung. Marco ist gar nicht tot. Dann die Gedankenwelt von Valdez. Zwei Jahre warten. Verlorene Zeit, und für seine Augen-OP ohnehin zu spät, da es wegen der Art des Eingriffs sowieso schnell gehen müsste.
Und Valdez ist ja erst am Beginn seiner phantastischen Reise. Ziel ist es einmal, das komplette Gehirn zu verpflanzen. Dann entschließt sich Valdez doch, Marco für seine Zwecke einzuspannen, da er ihn ohnehin für einen verantwortungslosen Polizisten und Junkie hält.
Er greift zum Telefon.
Lässt es klingeln.
Und – es klingelt, in der Wohnung des blinden Daniel.
Dieser Teil der Handlung lief demnach in den knappen zwanzig Minuten ab, während Daniel in seiner Wohnung saß, nachdem er den Krankenwagen vorbeifahren hörte.

OK, das war’s auch schon. Aber man musste diesmal wirklich höllisch aufpassen.

Grüßle von F. P.
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hallo Fugalee Page,

die Geschichte ist wirklich geschickt aufgebaut. Ich hatte keine Schwierigkeiten, den Szenewechseln zu folgen. Von der Story einmal abgesehen: du zeichnest ein beängstigendes Bild unserer vernetzten, determinierten - kurz: nicht sehr freien - elektronischen Zukunft. Hat mir gefallen.

Ein paar kleinere Fehlerchen könnte man noch ausbügeln. Z.B. "Ich geb dir gleich Alterchen..." Da macht sich ein Kommachen ganz gut hinter "gleich". Oder: "...sich neben des kleinen Disputs..." Sollte sicher "...neben dem kleinen Disput..." heißen.

Insgesamt eine sehr schöne und lesenswerte Geschichte.

LG

P.
 

Fugalee Page

Mitglied
Hallo Penelopeia,

freut mich, dass dir die Geschichte so gut gefallen hat.
Da macht es doch umso mehr Spaß, sich die nächste Gemeinheit auszudenken. :)
Ja, die Vernetzung. Ich denke, da wird in Zukunft noch einiges auf uns zukommen.

Was die leidige Beistrichsetzung betrifft. In Anlehnung an diese Geschichte würde ich meinen Zustand als durchaus „kommatös“ bezeichnen.

Auch der Disput-Fall wird gleich verbessert. Denn der Dativ ist dem Genitiv sein Tod. :D

Danke für den Kommentar und bis bald

Gruß von F. P.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
eine

super zukunft, wo die krankenwagen gleich ne bahre für die toten dabei haben außer der trage für das unfallopfer.
amsonsten - ziemlich verschachtelt, aber spannend.
lg
 

Fugalee Page

Mitglied
Hallo flammarion,

diesmal hab ich deinen Kommentar aber rechtzeitig entdeckt.
Diese Spezialbahre mit der noch spezielleren Auflage bezog sich eigentlich auf die vermutete Wirbelsäulenverletzung. Deshalb war Karin auch so pampig, da sie sich mit dem „Aufladen“ doch so Mühe gegeben hatte, weil ihr Burkhard verschwiegen hatte, dass der Patient schon das Zeitliche gesegnet hatte, da Burkhard Karin testen wollte, ob sie die Liege schon recht bedienen konnte, aber später stellte sich dann heraus, dass der Patient doch nicht … na ja, und so weiter und so weiter halt. :)
Freut mich, dass du es trotz der kleinen Verschachtelung spannend gefunden hast. War ja doch wieder etwas Längeres.

Noch ein schönes Wochenende und bis dann.

Gruß von F. P.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
nun,

was ich eigentlich sagen wollte, ist, dass prinzipiell nur tote auf eine bahre kommen. rettungswagen sind optimistisch ausgelegt, da gibt es keine bahre, sondern eine trage. die kann ja gerne eine spezialanfertigung für komplizierte verletzungen sein, aber es bleibt ne trage! nischt für ungut.
lg
 

Fugalee Page

Mitglied
Hallo flammarion,

ach, jetzt hab ich kapiert, was du meinst. Sorry, muss am Wetter liegen.
Ich hab die beiden Begriffe gewählt, um nicht zu viele Wortwiederholungen im Text zu haben. Es gibt neben der Trage auch den Begriff Krankenbahre.
Da wir unsere Toten aber „aufbahren“ und nicht „auftragen“ vermut ich mal, dass dir deshalb die Bahre sauer aufstößt. :) Werd mal sehen, was ich machen kann.

Gruß von F. P.
 

jon

Mitglied
Teammitglied
Ich hatte kein Problem mit dem Zuordnen der Szenen - das ist sauber gemacht, keine Frage.
Ich habe ein „Problem“ mit der Notwendigkeit der meisten Inhalte der Teil-Story der beiden Rettungsfahrer für die Gesamtgeschichte.
Ich habe auch ein Problem damit, dass du den Leser in Sachen Daniels Problem nicht nur im Unklaren lässt, sonder ihn eindeutig von der richtigen Fährte wegführst - selbst jetzt, da ich WEIß, dass er de facto blind ist, kann ich viele viele viele Sätze in dieser Szene trotzdem nur so lesen, als ob er es sieht.
Ich habe auch ein Problem mit der "bewussten Irreführung", was Valdez angeht. Natürlich kann Valdez so überschnappen und sich einreden, transplantierte Augen würden ihn unweigerlich zum "Gott der Seelentransplantation" machen. Aber das ist bei Weitem nicht der normale Gedankengang (und soweit ich es einschätzen kann auch nicht mal annähernd fachlich untermauert) und also KANN der Leser deine Aussage, dass sich Valdez schon als "Transplantator neuraler Netzwerke" sieht, selbst mit viel Fanatasie nicht auf "Er will die Augen" runterbrechen (, zumal ihm vorher ja auch gar nicht abgedeutet wurde, dass es um Augen gehen könnte).

Es ist eine Sache, die Dinge so zu schreiben, dass der Leser es überlesen "muss" oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit falsch interpretiert. Aber: Es muss, wenn man die Lösung kennt, klar werden, wo genau man sich hat in die Irre führen, OBWOHL der Autor doch eigentlich genau das Richtige gesagt hat. Das klingt vielleicht etwas verschroben, ich will mal sehen, ob ich ein Beispiel hinbekomme …

Er: „Bist du ein Fan von Sänger Sowieso?“
Sie: „Auch.“
Kann heißen - und entsprechend in den Text eingepasst liest man es auch so: „Ja, und von anderen Stars.“ Kann aber auch heißt: „Ja. Und seine Geliebte.“

Es war noch früh, als sie ging, durch die Fenster sickerte das erste Tageslicht. Sie drehte sich noch einmal um. Sie betrachtete Mikes Körper, die Muskeln, das Brusthaar, den Schweiß der vergangenen Nacht. Ein Bedauern zog durch ihren Leib, dass es keine weitere Nacht mit ihm mehr geben würde, quoll auf zu einem Schmerz und drohte sie zu überrollen. Bevor es geschehen konnte, wandte sie sich ab und trat in den kalten Morgen hinaus. Drinnen klingelte das Telefon. Der Anrufbeantworter sprang an, eine Kinderstimme krähte ein fröhliches „Guten Morgen, Pappa!“, dann die Stimme einer Frau. Mikes Frau. Seine Witwe. Sie wusste es nur noch nicht …
 

Fugalee Page

Mitglied
Hallo jon,

Ich habe ein „Problem“ mit der Notwendigkeit der meisten Inhalte der Teil-Story der beiden Rettungsfahrer für die Gesamtgeschichte.
Da hast du schon Recht. Ich wollte a) dem Leser die Charaktere ein bisschen näher bringen und b) auch etwas von der zukünftigen Technik einfließen lassen.

Ich habe auch ein Problem damit, dass du den Leser in Sachen Daniels Problem nicht nur im Unklaren lässt, sonder ihn eindeutig von der richtigen Fährte wegführst - selbst jetzt, da ich WEIß, dass er de facto blind ist, kann ich viele viele viele Sätze in dieser Szene trotzdem nur so lesen, als ob er es sieht.
Den Bericht „liest“ er mit den Händen in Blindenschrift. Die Kinder hört er beim Spielen und kann sie an den Stimmen unterscheiden. Auch den Krankenwagen hört er nur. Da habe ich dann als kleinen Hinweis noch den Doppler-Effekt (Sirene) eingefügt.
Ich vermute, du sprichst hier die Szene mit der „Bildwand“ an. Ja, das war allerdings sehr irreführend. Ich hatte mir vorgestellt, dass es in der Zukunft keinen Unterschied zwischen Radio und TV mehr gibt. Einfach so ein Multimediagerät, das an der Wand hängt. Ähnlich wie es heute schon Sendungen für Hörbehinderte gibt, wählt Daniel einen Kanal für Blinde. Hier hören wir nicht den normalen Kommentator einer Sportveranstaltung, sondern einen alternativen Sprecher, der die einzelnen Szenen genau beschreibt. Ich hatte im Text nur geschrieben „Er wählte den entsprechenden Kanal“ und später durch Stellen wie „der Sprecher war entzückt“ „die Preisrichter ebenfalls“ auf den Blinden-Modus hingewiesen. Das war vermutlich ein wenig dürftig. Das Problem: Hätte ich statt Bildwand gleich Video-Audio-Modul oder so geschrieben, wäre der Leser vielleicht stutzig geworden. Er hätte sich wahrscheinlich gefragt: Hmm, wieso betont er das Audio hier extra?
Denn es war recht schnell klar, dass der Grund für Daniels selbstgewählte Isolation, ein gesundheitlicher sein musste.
Ich habe auch ein Problem mit der "bewussten Irreführung", was Valdez angeht. Natürlich kann Valdez so überschnappen und sich einreden, transplantierte Augen würden ihn unweigerlich zum "Gott der Seelentransplantation" machen. Aber das ist bei Weitem nicht der normale Gedankengang (und soweit ich es einschätzen kann auch nicht mal annähernd fachlich untermauert) und also KANN der Leser deine Aussage, dass sich Valdez schon als "Transplantator neuraler Netzwerke" sieht, selbst mit viel Fanatasie nicht auf "Er will die Augen" runterbrechen (, zumal ihm vorher ja auch gar nicht abgedeutet wurde, dass es um Augen gehen könnte).
Auch hier habe ich mich vermutlich zu kryptisch ausgedrückt. Du hast sicher das Bild „die Augen sind die Spiegel der Seele“ im Lesesinn gehabt. Ich hab das aber nicht so gemeint. Die Augen-OP sollte Valdez natürlich zu Ruhm verhelfen. Aber er wollte noch viel weiter gehen. Mit der Anspielung auf „Schöpfer“ und „Seele“ meinte ich, dass Valdez vorhatte, irgendwann das komplette Gehirn zu transplantieren. Erst in diesem Hinblick sprach ich dann vom neuronalen Netzwerk.
Es muss, wenn man die Lösung kennt, klar werden, wo genau man sich hat in die Irre führen, OBWOHL der Autor doch eigentlich genau das Richtige gesagt hat. Das klingt vielleicht etwas verschroben
Oh nein, ich weiß sehr gut, was du meinst. :)

ich will mal sehen, ob ich ein Beispiel hinbekomme …

Er: „Bist du ein Fan von Sänger Sowieso?“
Sie: „Auch.“
Kann heißen - und entsprechend in den Text eingepasst liest man es auch so: „Ja, und von anderen Stars.“ Kann aber auch heißt: „Ja. Und seine Geliebte.“


Es war noch früh, als sie ging, durch die Fenster sickerte das erste Tageslicht. Sie drehte sich noch einmal um. Sie betrachtete Mikes Körper, die Muskeln, das Brusthaar, den Schweiß der vergangenen Nacht. Ein Bedauern zog durch ihren Leib, dass es keine weitere Nacht mit ihm mehr geben würde, quoll auf zu einem Schmerz und drohte sie zu überrollen. Bevor es geschehen konnte, wandte sie sich ab und trat in den kalten Morgen hinaus. Drinnen klingelte das Telefon. Der Anrufbeantworter sprang an, eine Kinderstimme krähte ein fröhliches „Guten Morgen, Papa!“, dann die Stimme einer Frau. Mikes Frau. Seine Witwe. Sie wusste es nur noch nicht …
Hi, hi … gute Idee, in Verbindung zu deinem Beispiel noch die Kurzgeschichte dranzuhängen. Da bist du dem Motto von Klaus Klages ja gerecht geworden und hast was dagelassen. Ein Pralinchen. Ist doch alles dran, was es braucht. Zuerst eine Prise Erotik und am Schluss, der gruselige Knalleffekt. Uuuaaah!

Grüßle von F. P.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
üprinx

habe ich mich heute mit jemandem unterhalten, der es von berufs wegen wissen muss: prinzipiell kommen nur tote auf eine bahre. eine krankenbahre gibt es nicht!
lg
 

Fugalee Page

Mitglied
Hallo flammarion,

ganz kurz. Dass dich die „Krankenbahre“ dermaßen verfolgt, wollte ich natürlich nicht. Ich hab das Ding mal gegoogelt und schon einige Verweise dazu gefunden. Aber ich seh’s ja ein. Das „Aufbahren“ erzeugt ein falsches Bild. Deshalb versprochen, bei der nächsten Überarbeitung fliegen die Dinger raus. ;)

Grüße von F. P.
 



 
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