Der verzauberte Prinz

Ruedipferd

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Es war einmal eine Prinzessin, die hatte zwei Brüder und lebte mit ihren Eltern in einem schönen Palast nahe Bagdad. Die Prinzessin hieß Yasira und besaß alles, was sich ein junges Mädchen nur wünschen konnte. Auch ein eigenes Pferd hatte ihr der Vater, Kalif Omar, zum sechzehnten Geburtstag geschenkt. Am liebsten ritt Yasira denn auch auf ihrem Schimmel durch die fruchtbaren Täler, die sich am Flussufer des Tigris entlang zogen. Aber die Prinzessin Yasira fühlte sich unglücklich und hütete ein Geheimnis, von dem niemand etwas wissen durfte. Sie war seit sie denken konnte traurig darüber, dass sie als Mädchen leben musste. Deshalb schlich sie sich auch immer wieder heimlich mit ihrem Schimmel aus dem Palast und zog in einer halbverfallenen Hütte am Fluss männliche Kleidung an. Dann gürtete sie ihren Krummsäbel und galoppierte wild wie ein Junge über Stock und Stein.
Eines Tages hatte sich Yasira, die sich fremden Reisenden gegenüber als Prinz Yasir vorstellte, soweit vom väterlichen Palast entfernt, dass sie den Rückweg vor Einbruch der Nacht nicht mehr antreten konnte. Plötzlich erblickte sie in der Ferne ein Licht. Die Oase al-Karbala lag am Wegesrand und lautes Männergebrüll drang aus einem Gasthaus nach draußen. Yasira stieg von ihrem Pferd und betrat das ihr unbekannte Haus, welches sie in der Oase noch nie bei ihren früheren Ausritten zusammen mit ihrem Vater, gesehen hatte. Als nun der vermeintliche Jüngling die Tür aufstieß, wurde es in der Gaststube augenblicklich ganz still. Neugierige Augenpaare musterten den Neuankömmling. Es saßen allesamt Krieger mit ihren Dienern in der Gaststube. Sie befanden sich auf dem Weg ins Heilige Land und in die Stadt Jerusalem, um diese gegen die Christen zu verteidigen. Yasira bestellte sich einen Krug mit Wasser und bat um ein Zimmer für die Nacht. Der Wirt gab ihr auch alsbald das Wasser, jedoch hatte er bereits alle Räume vermietet. Ein junger Maure mit schönem Antlitz trat auf Yasira zu. „Du kannst bei mir nächtigen, Knabe. Wer bist du?“
Yasira schluckte und log. „Ich heiße Yasir und bin ein Prinz. Meinem Vater gehört das Kalifat, in dem du dich gerade aufhältst“, antwortete sie schnell, um sich nicht zu verraten. Die Männer lachten. Auch der hochgewachsene Krieger schmunzelte geheimnisvoll. „Ich glaube nicht, dass dies hier zum Reiche deines Vaters gehört, Prinzessin!“ Yasira erschrak heftig bei diesem Wort. „Woher weißt du, dass…?“, stammelte sie und hätte fast ihren Krug fallen lassen. „Du bist in einer Zauberoase, Yasira. Sie heißt in der Welt der Wünsche und Sehnsucht „Muna“ und zeigt sich nur den Menschen, die reinen Herzens sind und sich sehnsüchtig etwas wünschen. Ich wusste schon als du geboren wurdest, dass du eines Tages hierher kommen wirst. Wir alle sind nicht die, die wir zu sein scheinen. Alle Krieger, die du hier siehst, sind nicht als Männer geboren worden. Aber weil unser Wunsch, als solche zu leben, so stark war, dass er die Welt Munas berührte, fanden wir jeder den Weg in diesen Funduk (Gasthaus) und tranken dann alle von dem Wasser, welches uns der Wirt reichte.“ Yasira, die gerade einen kräftigen Zug aus ihrem Krug genommen hatte, verschluckte sich. „Es ist verzaubertes Wasser, Yasir. Du wirst gleich die ersten Veränderungen an dir spüren. Dein Herzenswunsch erfüllt sich nun. Aber alles hat seinen Preis.“ „Welchen?“, fragte die Prinzessin, die tatsächlich merkte, wie sich ihr Körper kräftigte und überrascht sah, dass sich auch an ihren Armen bereits nach so kurzer Zeit Muskeln bildeten. „Nun, du musst uns ins Heilige Land begleiten und mit uns kämpfen. Es kann dich dein Leben kosten, junger Prinz. Aber das wolltest du ja. Als Mann musst du bereit sein im Kampf zu sterben!“ „Das macht mir nichts aus“, antwortete Yasira, der der hübsche Reiter sehr gefiel. „Aber muss ich denn für immer ein Mann bleiben? Was werden meine Eltern sagen und meine Brüder?“ Der Sarazene sah sie nachdenklich an. „Sie werden dich nicht mehr erkennen, Yasir. Du wirst nie mehr nach Hause zurückkommen. Bedenke, du bist jetzt in einer Zauberwelt!" Nach diesen Worten verließ Yasira den Funduk mit dem Vorwand nach ihrem Pferd sehen zu wollen.
„Was soll ich jetzt tun?“, fragte sie den Schimmel. Der scharrte unruhig mit den Hufen. „Wir sind wirklich in einer magischen Welt, Yasira, Herrin, denn auch ich kann nun zu dir sprechen. Und ich sage dir Tochter des Kalifen, verlasse diesen Ort schnell. Er bringt großes Unglück!“, antwortete der kräftige Hengst und prustete aufgeregt aus seinen Nüstern. Yasira nickte dankbar und begann rasch, das Pferd wieder zu satteln, jedoch einer der Männer war ihr gefolgt. Sein Dolch blitzte kurz auf. Dann ging alles sehr schnell. Sie rangen miteinander, Yasira fiel auf den Boden und der Räuber lag über ihr. Noch hatte sich ihr Körper nicht endgültig verwandeln und männlich werden können, so tat er ihr Gewalt an und ließ sie dann halb tot im Stroh zurück. Aber auch die junge Wirtstochter Latifa war den beiden gefolgt. Wie eine Schwester trat sie zu Yasira und half ihr.
„Ich kann leider den Zauber nicht lösen, du musst mit den Männern reiten. Ich selbst bin auch hier gefangen. Ich war einst ein Knabe und wünschte mir nichts sehnlicher als ein Mädchen zu sein. In der Nacht kam ich hier vorbei und eine alte Hexe lud mich zu sich ein. Sie gab mir diese weibliche Gestalt und verwandelte sich dann selbst plötzlich in den Wirt, der mich mit der Peitsche zwang, als seine Tochter bei ihm zu bleiben und für ihn zu arbeiten. Doch nun Yasira, höre gut zu. Ich gebe dir einige Samen mit. Verwahre sie sorgfältig. Nur die Liebe zu einem nahen Verwandten kann dich erlösen und dir deine alte Gestalt zurückgeben. Aber du musst bereit sein, für diese Person deinen Traum aufzugeben. Wenn du das willst, so esse diese drei Samen und du wirst wieder für immer ein Mädchen sein“, sprach die junge Frau leise. Dann richtete sie Yasiras Kleidung und führte sie in das Gasthaus zurück.
„Ich bin einverstanden“, erwiderte Yasira dem schwarzgelockten Krieger. Sie empfand plötzlich sehr merkwürdige Gefühle für den schönen maurischen Reiter und wollte auf seine Gegenwart nicht mehr verzichten.

In der Nacht lag sie neben ihm und spürte den Drang ihn zu berühren. Doch er drehte sich zur Seite und schlief ein. Am nächsten Tag verließ die Gruppe sehr früh die Oase. Einige Wochen später erreichten sie Jerusalem. Yasira hatte sich an das raue Leben mit den Männern gewöhnt, doch irgendetwas war anders mit ihr. Sie sah äußerlich nun wie ein Mann aus und kämpfte gut mit den anderen gegen das christliche Kreuzfahrerheer des englischen Königs Richard Löwenherz. Schon zwei Wochen nach ihrer Ankunft hatten die Sarazenen die Heilige Stadt endgültig für den Sultan Saladin erobert. Yasira war nun Yasir und auch ihr neues Leben gefiel ihr gut. Der schöne Ritter hieß Kamal und wurde in der Zwischenzeit ihr Waffenbruder und vertrauter Freund. Doch Kamal liebte die Frauen und nahm sich jede, die er bekommen konnte. Yasir fühlte sich wohl als Mann, aber er spürte jedesmal einen Stich im Herzen, wenn Kamal wieder mit einer arabischen Schönheit in seinem Zelt verschwand. Eines Tages, als die Freunde über den Bazar wanderten, den die arabischen Händler vor der Stadt aufgebaut hatten, trat eine alte Frau auf die beiden jungen Männer zu.
„Kommt zu mir, schöne Herren, ich werde euch weissagen“, kicherte die Greisin unter ihrem schwarzen Tschador. Kamal lachte nur und wandte sich aus den Händen der Hexe fort. Yasir jedoch verschwand mit der Alten im Zelt. Dort weinte er und erzählte, was ihn bedrückte. „Du willst ein Mann bleiben und gleichzeitig den Mauren haben, das ist schwer. Er mag nur Frauen! Außerdem ist die Liebe zwischen Männern im Islam strengstens verboten und wird mit dem Tode bestraft“, sagte die Frau. „Aber es gibt vielleicht eine Lösung. Ich gebe dir ein Fläschchen mit Zaubertrank mit. Es ist sehr gefährlich. Wenn er es nicht zur rechten Zeit einnimmt, verlierst du deine Seele und musst sterben. Allah wird dich furchtbar strafen. Aber auch wenn es gelingt, so darfst du niemals jemand etwas von dem Betrug erzählen, sonst verschwindet der Zauber im Nu.“ Dann erklärte sie Yasir, was er zu tun hatte.
Kamal müsse die Tropfen in seinem Wasser vermischt, eine Stunde nach Mitternacht in der Heiligen Nacht der Geburt des Christengottes, die in zwei Tagen wäre, zu sich nehmen. Am nächsten Morgen würde er den ersten Menschen, den er nach dem Aufwachen erblickte, in sein Herz schließen und lieben. Yasir war überglücklich. Am Tage des 24. Dezember blieben er und Kamal zusammen und auch am Abend nach dem Gebet in der Moschee saßen sie vor ihrem Zelt. Kamal hatte diesmal keine Frau gefunden, aber mit Yasir ein üppiges Mahl gegessen und war sehr müde geworden. Pünktlich eine Stunde nach Mitternacht trank er seinen Becher leer, in welchen Yasir vorher die Zaubertropfen hinein geschüttet hatte. Einen Augenblick später schlief der Krieger tief und fest. Auch Yasir legte sich froh gelaunt zur Ruhe. Alles war so leicht gewesen. Dann schlief auch er ein.
Kamal stand am nächsten Morgen als erster auf und trat an Yasirs Schlafstatt. Er stieß ihn derb mit dem Fuß an. Yasir erwachte. Als Kamal ihn ansah, verliebte er sich sofort in den Freund. Ihrer beider Lippen fanden rasch zueinander und eine verbotene Liebe nahm den vorbestimmten verhängnisvollen Lauf.

In der Kampftruppe munkelte man bereits bald über sie. Yasir aber ignorierte alle Warnungen der Freunde, er und Kamal sollten besser voneinander lassen. Eines Tages dann kamen die Soldaten des Sultans und nahmen Yasir und Kamal gefangen. Sie wurden in den Kerker geworfen und sollten am nächsten Tag gemeinsam unter dem Schwert sterben. Im Gefängnis erwartete Yasir sodann eine Überraschung. Seine Brüder waren ebenfalls unter den Gefangenen. Er sprach zu ihnen, doch sie erkannten ihn zunächst nicht. Als er aber immer mehr Einzelheiten aus ihrer gemeinsamen Kindheit erzählte, fingen sie an, ihm zu glauben. Ihnen wurde vorgeworfen, Verräter zu sein und mit den Christen gemeinsame Sache gemacht zu haben, denn sie waren mit einer weißen Fahne in das christliche Lager geritten und hatten mit König Richard Löwenherz im Auftrage ihres Vaters über einen Frieden verhandelt. Yasir war so voller Glück, wenigstens seine Brüder wieder zu sehen, dass er Kamal auch von dem Zaubertrank erzählte. Erschrocken dachte er sogleich an die Worte der alten Hexe auf dem Bazar. Er berührte freundlich Kamals Schulter und wurde sofort von diesem zurück gestoßen. Der Zauber war vorbei. Yasir weinte bitterlich. Aber seine Brüder schalten ihn dafür. Sie hätten keine Zeit und müssten sich überlegen, wie sie fliehen könnten. Yasir verstand. Er hatte durch seine eigene Schuld seine große Liebe verloren und nun würde er nicht einmal seinen Brüdern mehr helfen können. Als er sich traurig zur Ruhe legte, spürte er die drei Samen Latifa's in seinem Beinkleide drücken. Er sah nur einmal kurz zu seinen Brüdern hinüber. Dann nahm er die Samen, steckte sie in den Mund und aß sie auf. Alsbald bildete sich seine Gestalt zurück und Yasir wurde wieder eine junge wunderschöne Frau. Niemand hatte etwas bemerkt, denn alle Männer schliefen bereits. Yasira stand auf und schlich sich zur Tür. Sie sprach die Wache davor an. Der Mann erschrak sehr und eilte zum Sultan.
Einen Augenblick später brachte man Yasira vor den Herrscher. Der staunte nicht schlecht und begehrte das junge schöne Mädchen sofort. Yasira willigte ein, wenn er ihre Brüder und auch Kamal frei ließe. Ihr Liebreiz und ihre Tränen rührten den Sultan zutiefst und er mochte ihr die Bitte nicht abschlagen. Die Männer wurden aus dem Kerker entlassen und mussten Abschied von Yasira nehmen. Ihr Herz aber war nun sehr leicht geworden, denn sie hatte ihren Betrug wieder gut machen können und dann auch den Brüdern mit ihrer schwesterlichen Liebe das Leben gerettet. Sie blieb bei Sultan Saladin, der sie zur Frau nahm, aber einige Zeit später im Kampf getötet wurde. Yasira durfte daraufhin zu ihrem Vater zurückkehren und traf zu Hause auch Kamal wieder, der nun im Dienste des Kalifen stand. Sie heirateten und lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
 



 
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