Die Belohnung - oder Die beiden armen alten Männer

spicymaus

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Es waren einmal zwei arme Männer. Sie waren von gänzlich unterschiedlichem Charakter, waren einander noch nie begegnet, und doch ereilte sie dasselbe Schicksal, worüber beide gleichermaßen überrascht waren, denn keiner der beiden hatte damit gerechnet.
Es war an einem ganz normalen Samstagmorgen, am Hafen herrschte ein reges Treiben, denn es war Wochenmarkt zeit. Stände mit Obst, Gemüse, Schuhcreme oder Brot standen in langen Reihen und die Marktschreier priesen die Produkte an; „Frische Eier, frische Eier, nur 1,50 der Kasten!“, „Blumen, Schöne Blumen! Nelken, Feilchen, Rosen, Primeln!“, „Kaufen, kaufen, nur heute zum Sonderpreis“. Inmitten dieses Treibens gingen die beiden Männer, jedoch an unterschiedlichen Orten und keiner sah den anderen. Sie liefen herum, schauten, ob es nicht irgendwo eine Möglichkeit gab, mitzuhelfen, sich ein paar Cent zu verdienen, um das Essen für den nächsten Tag zu bezahlen, doch nirgends fand sich Arbeit. Da trug es sich plötzlich zu, dass die beiden Männer, die sich wie schon erwähnt an unterschiedlichen Orten auf dem Markt befanden, jeder eine Kiste mit Schokoriegeln fanden. Die Kisten Standen einfach so herum, zwischen den Buden, in denen Obst, Gemüse, Schuhcreme oder Brot verkauft wurden und keiner außer den alten, armen Männern schien sie zu sehen. Die beiden alten, armen Männer schauten sich um, um zu sehen, ob nicht irgendwo der Besitzer der Kiste bei der sie standen zu sehen war, doch da war niemand. Niemand achtete auf die Männer und so nahm jeder seine Kiste und ging zum Hafenbecken, wo man abseits der lauten Menge sitzen und nachdenken konnte. Und dort am Hafenbecken, dort abseits der lauten Menge, dort trafen sich die beiden alten armen Männer zum ersten Mal. Sie standen eine Zeit lang mit ihren Kisten zu Füßen und sahen einander an. Irgendwann verfielen sie in ein Gespräch und am Ende beschlossen die beiden alten, armen Männer, dass sei sich zusammentun sollten, ihre Schokoriegel gemeinsam verkaufen sollten, denn so währen sie sich gegenseitig keine Konkurrenz.
Wie gesagt, so getan und kurz darauf standen die beiden Männer hinter ihren Kisten mit Schokoriegeln und verkauften diese. Für 20 Cent das Stück gingen sie gut weg und noch bevor der Tag sich dem Ende zuneigte, waren fast sämtliche Schokoriegel verkauft. Lediglich zwei waren übrig und die beiden alten, armen Männer beschlossen, diese selbst zu essen. Der Ertrag dieses Tages war gigantisch in den Augen der alten, armen Männer und sie überlegten, was sie damit machen sollten. Irgendwann kamen sie auf die Idee, dass man das Geld ja in das Geschäft investieren könnte, also neue Schokoriegel kaufen könnte um diese am nächsten Tag zu verkaufen. Mit diesem Plan suchten die beiden alten, armen Männer den Großhändler auf, und kauften dort eine Kiste Schokoriegel und eine Kiste Pfefferminzbonbons und eine Kiste Zuckerstangen. Diese Kisten nahmen sie mit an den Hafen, wo sie sie die ganze Nacht über abwechselnd bewachten. Einer der beiden alten, armen Männer schlief mit dem Rücken an einem der Poller, der andere alte, arme Mann bewachte die Kisten.
Am nächsten Tag verkauften die beiden alten, armen den Inhalt der Drei Kisten und von dem Geld kauften sich die beiden jede Menge zu essen, und als sie satt waren, war noch so viel Geld übrig, dass sie beschlossen, in ihr Geschäft zu investieren und neue Kisten zu kaufen, so dass sie am nächsten Tag wieder verkaufen konnten.
Von da an machten die beiden armen alten Männer es jeden Tag so. Sie kauften Kisten mit Süßwaren, verkauften es, und von dem Geld kauften sie dann neue, und von mal zu mal wurden es mehr. Das Geschäft der armen alten Männer lief sehr gut, und irgendwann hatten sie jeden Tag so viel Überschuss, dass die menge der Kisten einfach zu viel wurde um sie immer aufs Neue herumzutragen. Die beiden armen alten Männer erkannten außerdem, dass sie gar nicht mehr arm waren, und darum kauften sie sich Bretter, Nägel, zwei Hammer und bauten sich eine Bude mit Regalen. In dieser Bude lagerten die beiden alten Männer von nun an ihre Kisten mit Süßwaren und sie konnten sie in die Regale sortieren und so verkaufen.
Das Geschäft lief über lange zeit sehr gut, und die beiden alten Männer wurden lobend in der ganzen Stadt umredet, so dass bald jeder das Geschäft kannte.
Dann kam der Sommer und damit die Sonne, und die beiden alten Männer litten sehr unter ihrer Hitze. Sie brannte auf ihren kahlen Köpfen und sie nahm den Leuten die Lust auf Süßes. Dann eines sonnigen Tages, war es besonders heiß. Kein Mensch ließ sich auf dem Markt blicken und die beiden alten Männer saßen schwitzend in der Bude. Da begannen die Zuckerwaren zu schmelzen. Sie liefen an den Wänden der Bude herunter und sammelten sich als klebrige Masse unter dem Boden der Bude. Die beiden alten Männer waren inzwischen eingeschlafen, und bekamen von dem Geschehen nichts mit. Durch die Sonne wurde die Zuckermasse immer weicher und schließlich so flüssig, dass die Bude darauf zu rutschen begann. Die Bude der beiden alten Männer rutschte langsam die Leicht abschüssige Fläche Richtung Hafenbecken herab, und keiner war da, der es bemerken konnte. Die beiden alten Männer waren in tiefem Schlaf, und waren durch nichts wach zu bekommen. Dass die Bude samt alter Männer und Süßwarenvorrat ins Wasser fiel, bemerkte niemand. Erst am nächsten Tag fragte sich jedermann, was wohl aus ihnen geworden war, doch man vermutete, sie waren in Urlaub geflogen. Bald waren die beiden alten Männer vergessen
Doch sie waren nicht tot, denn wie das Glück es wollte, war die Klappe der Bude zugefallen, als sie zu rutschen begann und so hatte sich eine Luftblase in ihrem Inneren gebildet, die den beiden alten Männern Luft zum Atmen gab. Die Bude schwamm wie ein U-Boot durch das Hafenbecken und hinaus in das offene Meer, wo sie immer tiefer sank und schließlich auf dem Grund stehen blieb.
Mit der Zeit wurde die Luft in der Bude immer weniger, doch die beiden alten Männer starben nicht, sondern passten sich an. Ihre Lungen veränderten sich und so konnten sie unter Wasser atmen und ihrem Beine veränderten sich, so dass ihnen ein Schuppiger Fischschwanz wuchs. Als die Veränderung vollständig war, wachten die beiden alten Männer auf und erkannten, dass sie gar keine Männer mehr waren, sondern Meermänner und als sie aus ihrer Bude blickten entdeckten sie, dass sie in der sagenumwobenen Meeresstadt Atlanica gelandet waren. Und so kam es, dass die beiden alten Meermänner auf dem Markt von Atlantica Süßwaren verkauften, und sie wussten, dass ihre Vorräte nie ausgehen würden, der Zucker nie durch das Wasser schmelzen würde.
Sie wussten dass sie die Belohnung für ihr hartes Leben bekommen hatten.
Und da sie nie starben, leben sie noch immer glücklich und zufrieden.
 



 
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